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Klaus W. Wellershoff

«Die Empirie zählt offenbar nicht mehr»

Mit seinem neuen Buch macht er sich wohl nicht nur Freunde: In «Plädoyer für eine bescheidenere Ökonomie»
ruft der Ökonom zu einem Ende der Anmassung auf. Den Bitcoin hält Klaus W. Wellershoff als neue Währung für ungeeignet.

Ökonom Klaus W. Wellershoff: «Wir pflegen einen allzu sorglosen Umgang mit der Anwendung des Wissens.» zvg
  • Dossier

Interview: Tobias Graden

Klaus W. Wellershoff, zum Einstieg die Bitte um eine Prognose: Wie wird sich aus Ihrer Sicht die Konjunktur in der Schweiz über die nächsten ein bis zwei Jahre entwickeln?
Klaus W. Wellershoff: Darüber können wir wenig sagen. Über diesen Zeitraum ist die Prognosefähigkeit der Ökonomie begrenzt. Wir haben in der Regel einen ganz guten Blick über das, was in den nächsten drei bis sechs Monaten passiert, es würde vielleicht bis zum Jahresende reichen, aber was im nächsten Jahr ist, wissen wir eigentlich nicht.
 

Bei der Lektüre Ihres Buches kriegt man das Gefühl, Sie hätten, salopp gesagt, mal ein bisschen Ihrer Zunft ans Bein pinkeln wollen. Wie kommt das an bei Ihren Berufskollegen?
Mit grossem Verständnis. Alle Kollegen, mit denen ich bislang darüber gesprochen habe, meinten: Du hast recht. Es geht mir auch nicht darum, mit dem Finger auf andere zu zeigen. Sondern ich möchte Akzeptanz schaffen dafür, dass man sich getraut zu sagen, auf bestimmte Fragen keine Antwort haben zu können. Es ist ja nicht so, dass man keinen Rat hätte. Im Gegenteil: In der Regel ist eine falsche Prognose gefährlicher als die Feststellung, dass sich ein bestimmter Sachverhalt nicht prognostizieren lässt. Dazu wollte ich Mut machen, das ist mein «Plädoyer für eine bescheidenere Ökonomie».
 

Ist es denn gefährlich, etwa mit Blick auf die Wirtschaftspolitik, wenn die Ökonomen «Teil der Unterhaltungsindustrie» geworden sind, wie Sie schreiben?
Teilweise ist das ja wirklich unterhaltend, es gibt auch viele interessante Geschichten, die man erzählen kann. Nur: Wenn man den Anspruch hat, den Menschen mit seinem fachlichen Wissen Unterstützung für bessere Entscheidungen zu bieten, dann sollte man es tunlichst vermeiden, sie in falscher Sicherheit zu wiegen. Und das ist bei den meisten Prognosen der Fall.
 

Fürchten Sie denn nicht, dass das Vertrauen in die Wirtschaftswissenschaft noch mehr sänke, wenn Ökonomen öfter sagten: «Das weiss ich nicht»?
Überhaupt nicht. Ich bin mit ein paar Kollegen seit neun Jahren in der Beratung zu Ökonomiethemen tätig, und meine persönliche Erfahrung ist es, dass die meisten Menschen, mit denen wir reden, auch wissen, was wir können und was nicht. Es führt zu grösserer Glaubwürdigkeit, wenn man reinen Wein einschenkt. Das führt zu besseren Diskussionen, zur Fokussierung auf jene Dinge, zu denen man wirklich etwas sagen kann, und letztlich zu besseren Entscheiden.
 

Steckt in Ihrem Buch auch Selbstkritik? Sie haben das Spiel von Medienanfragen und Prognosen selber jahrelang mitgemacht.
Ja, das Buch ist auch eine persönliche Entwicklungsgeschichte. Als ich aus dem universitären Betrieb ausgeschieden bin und das erste Mal für eine Bank gearbeitet habe, habe ich mich mit vollem Enthusiasmus und grossem Glauben in die eigene Prognosefähigkeit in dieses Geschäft begeben. Aber ich nehme für mich in Anspruch, dass ich zumindest so selbstkritisch war um zu merken: Das funktioniert so nicht. Wir haben zwar immer versucht, das Gewicht auf die Vermittlung dessen zu legen, was man weiss, und nicht auf das, was man nicht weiss. Doch die Frage, die mir in meinen 22 Jahren in der Ökonomie am meisten gestellt wurde, war jene nach der Entwicklung des Wechselkurses. Wir haben sehr wohl gesagt, dass man sich zwar an der Kaufkraftparität orientieren, aber nicht die Wechselkursentwicklung prognostizieren kann. Aber was ich nicht weggekriegt habe, waren diese verdammten Prognosetabellen, da war der Druck von den internen und externen Kunden einfach zu gross.
 

Ist Ihr Buch nicht auch ein geschickter Marketing-Schachzug? Sie positionieren sich sozusagen als Berater mit der USP des Mahners...
Ein Mahner möchte ich eigentlich nicht sein. Ich hoffe, dass mich das Buch als jemanden positioniert, der den Menschen hilft, bessere Entscheidungen zu fällen. Wenn Sie das als Marketing empfinden, dann mach ich das gerne. Ich finde, die Ökonomie hat den Menschen viel mehr zu bieten, wenn man sich auf das fokussiert, was man weiss, als wenn man wahllos irgendwelche Prognosen abgibt.
 

Wie ist es denn allgemein gekommen, dass ein solcher Aufruf nötig wurde? Ihre Kritik an den Ökonomen könnte man auch als Kritik am Fach verwenden.
Das würde ich so nicht sagen. Ich betone ja im Schlusswort bewusst, dass von der Ökonomie sehr interessante Inhalte erarbeitet worden sind und immer noch erarbeitet werden. Viel von dieser Wissensproduktion erfolgt auch immer noch an den Universitäten. Mein Eindruck ist aber, dass wir einen allzu sorglosen Umgang mit der Anwendung dieses Wissens haben. Das betrifft gerade auch die Fragen des Anlegens. Wir haben eine Art Codifizierung des oberflächlichen Wissens erlebt.
 

Was heisst das?
Ich gebe Ihnen ein Beispiel aus dem Fintech-Bereich. Die maschinengestützte Vermögensverwaltung, «Robo Advice» und wie das alles heisst, die basiert zum grossen Teil auf empirisch nicht genügend erhärteten Annahmen. Die Theorie zur strategischen Aufteilung des Vermögens, wie sie an der Universität gelehrt wird, ist eine sehr elegante Theorie. Doch sie war nie für die praktische Implementierung gedacht. Sie hat sich aber in der Art eines Kochbuchrezepts verselbständigt. Harry Markowitz, einer der Begründer der modernen Portfoliotheorie, wurde mal gefragt, ob er sein Geld denn selber so anlege, wie es seine Theorie suggerieren würde. Er hat unumwunden zugegeben, dass er das nie tun würde. Ein theoretisches Konstrukt ist eben nicht zwingend eine praktische Handlungsanleitung, das ging offenbar vergessen.
 

Sie plädieren für mehr Demut und eine viel stärkere Gewichtung der Empirie. Es ist ja wohl kein Zufall, dass dies gerade jetzt nötig ist, da beispielsweise in den USA ein Präsident am Werk ist, der sich offen gegen die Wissenschaft ausspricht?
Ich beziehe mein Buch nicht direkt auf Trump. Es gibt derzeit einen gesellschaftlichen Reflex in vielen Industrienationen, der sich von wissenschaftlichen Erklärungsversuchen abwendet. Ich glaube, das rührt auch daher, dass viele Wissenschaftler ihre Karte in ihren öffentlichen Auftritten überreizt haben. Wenn ein Nobelpreisträger der Ökonomie, der sich im Wesentlichen mit der Erschaffung effizienter Institutionen beschäftigt hat, eine Konjunkturprognose abgibt, dann stimmt etwas nicht. Wir können allgemein beobachten, dass die Menschen in den letzten Jahren die Bodenhaftung verloren haben. Man stellt die ganz einfachen Fragen gar nicht mehr, etwa ob man sein Geld auch zurückbekommt, wenn man in eine Firma investiert, die zum Dreihundertfachen eines Jahresgewinns gehandelt wird – die Empirie zählt offenbar nicht mehr.
 

Gleichwohl liest sich beispielsweise die Passage über die tatsächlichen Effekte von Steuersenkungen auf das Wirtschaftswachstum wie eine Kritik an Trumps Steuerpolitik.
Dass Donald Trump in Bezug auf volkswirtschaftliche Zusammenhänge vollkommen ungebildet ist, haben wir zur Genüge gesehen. In der Handelspolitik ist sein Verständnisniveau ungefähr beim Stand des frühen 17. Jahrhunderts stehen geblieben. In der Steuerpolitik gibt es neuere Arbeiten, die von ihm komplett ignoriert werden. Diese Arbeiten zeigen, dass Steuersenkungen in dieser Phase des Konjunkturzyklus praktisch wertlos sind. Das sind Umverteilungsgeschichten, die weder zu massgeblich mehr Wachstum noch zu massgeblich mehr Beschäftigung führen. Aber es wäre mir zu billig, alles an Trump aufzuhängen. Man sieht auch in der Schweiz, dass ganz grundlegende ökonomische Zusammenhänge scheinbar keine Gültigkeit mehr haben sollen.
 

Sprechen Sie damit die Senkung der Unternehmenssteuern an?
Ich habe vielmehr die Geldpolitik vor Augen. Da gibt es jahrhundertealtes empirisches Wissen, dass Geldmengen etwas mit dem Preisniveau zu tun haben, das derzeit selbst von Zentralbankern komplett negiert wird.
 

Vermute ich richtig, wenn ich sage, dass Sie das Aufkommen von Bitcoin und anderen Kryptowährungen kritisch sehen?
Ich finde, es ist eine verpasste Gelegenheit. Es ist sehr nachvollziehbar, dass man sich mit den Vor- und Nachteilen der nationalen Währungssysteme befasst und sich fragt, ob es nicht bessere Lösungen gäbe. Diese Möglichkeit hätten wir mit der Technologie nun. Doch statt mal zu schauen, wo denn Verbesserungsnotwendigkeit besteht und was wir alles über Währungen wissen, stürzt man sich kopfüber in Bitcoin und ähnliche Geschichten, die ihre eigene Unmöglichkeit in sich bedingen und den Ruf der Chancen, die wir eigentlich hätten, bereits komplett ruinieren.
 

Was ist denn an Kryptowährungen so unmöglich?
Eine Währung, die im Wert steigt, ist vollkommen ungeeignet, als Währung zu fungieren. Denn die Wertsteigerung der Währung bedeutet nichts anderes, als dass die Güterpreise in dieser Währung fallen. Fallende Güterpreise sind Deflation, und mit Deflation können wir nicht umgehen. Oder stellen Sie sich vor, Sie hätten eine Hypothek in Bitcoin aufgenommen: Ihr Eigenkapital in Ihrem Haus wäre in den vergangenen Jahren wohl mehrfach verschwunden. Es ist vollkommen absurd zu glauben, der Bitcoin könne eine Währung sein, denn dafür müsste er einen stabilen Wert haben. Doch das haben die Bitcoin-Propheten komplett ignoriert. Das ist schade, denn aus den Lernerfahrungen der letzten Jahre liessen sich durchaus wünschbare Eigenschaften einer neuen Währung ableiten, die sich mit neuer Technologie umsetzen liessen.
 

In Ihrem Buch schreiben Sie, Kryptowährungen – als die auch normale andere Währungen als die eigene gelten können – hätten immer dann an Attraktivität gewonnen, wenn das Vertrauen in die eigene Währung geschwunden sei. So gesehen scheint es in der Schweiz paradox, den Bitcoin attraktiv zu finden – wir haben ja bereits die stärkste Währung der Welt.
Nein, es ist durchaus vernünftig, dass man sich den Bitcoin anschaut. Die Zukunft des Schweizer Frankens steht in den Sternen. Er ist nicht mehr die stärkste Währung der Welt. Die Nationalbank hat in den letzten Jahren die Geldmenge in einem viel grösseren Umfang vergrössert als dies die anderen Industrienationen getan haben. Man darf sich also schon fragen, ob es langfristig Alternativen geben könnte. Hinzu kommt das tiefe Zinsniveau – da überrascht es nicht, dass spekulative Anleger neue Assets suchen.
 

Sie haben in einem Text für die «Handelszeitung» geschrieben: «Geld ist, was gilt.» Ist es denn denkbar, dass Kryptowährungen sozusagen das Geldsystem von unten aufmischen, weil immer mehr Menschen gewillt sind, es gelten zu lassen?
Das ist vorstellbar. Aber: Die Staaten werden sich dagegen wehren. Da braucht es schlicht mehr Realismus. Ein Kardinalfehler der Kryptowährungen ist der Anspruch auf Anonymität. Ich bin zwar selber mit «1984» von George Orwell aufgewachsen und finde es eine problematische Entwicklung, dass der Staat immer mehr weiss, aber man muss nun mal akzeptieren, dass die Staaten in den letzten 20, 30 Jahren alle Hebel in Bewegung gesetzt haben, um Finanztransaktionen transparent zu machen. Dies vor dem Hintergrund, Steuerhinterziehung und Geldwäscherei einzudämmen. Es ist ein völliger Trugschluss zu glauben, dass irgendeine Währung gross werden könnte, die genau das wieder ermöglicht. Da werden sich die Staaten dagegen wehren.
 

Die Bitcoin-Befürworter betonen, dass mit diesem System Menschen in Entwicklungsländern leicht Zugang zum Finanzsystem finden, denen dies bislang nicht möglich war, weil sie gar kein Bankkonto eröffnen können. Dagegen kann man doch nichts haben?
Das ist genau einer der Gründe, warum ich sage, die neuen Technologien wären grundsätzlich eine Chance. Aber bislang wurde diese leider vergeben. Die Vorstellung, dass man Finanztransaktionen anonym durchführen kann, halte ich einfach für naiv. Die Staaten werden das nicht erlauben und sie haben ziemlich gute Gründe dafür. Gerade dieser Tage kommt in England das Gesetz zur Offenlegung aller Briefkastenfirmen zur Abstimmung. Es gibt ein so fundamentales Bedürfnis der Staaten nach Transparenz, dass nichtstaatliche Akteure keine Chance haben werden dagegen.
 

Es geht den Kryptowährungsaktivisten ja gerade darum, das Geldsystem zu dezentralisieren, respektive die Kontrolle darüber den althergebrachten Akteuren wie den Zentral- und Geschäftsbanken zu entreissen. Liesse sich dies nicht auch als Demokratisierung des Finanzsystems betrachten?
Das kann man schon, aber es hat Konsequenzen. Nochmal: Die Staaten werden sich dies nicht gefallen lassen. Nicht nur wegen der Transparenz, sondern beispielsweise auch wegen der Steuerung des Geld- und Kreditvolumens. Wir haben in der Geschichte mit konkurrierenden Systemen, dem so genannten «free banking», keine guten Erfahrungen gemacht, übrigens auch in der Schweiz: In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts haben Banken ihre eigenen Währungen ausgegeben. Die Erfahrungen waren durchwegs negativ. Es wäre wünschenswert, dass diese Aktivisten diese Lernerfahrungen der Geschichte mal zur Kenntnis nehmen würden. Überdies ist der Schweizer Franken mitnichten ein undemokratisches Gebilde, sondern ein urdemokratisches Projekt.
 

In diese Zeit fällt nun auch die Vollgeldinitiative. Auch sie drückt tiefes Misstrauen ins System aus. Wie ist es zu interpretieren, dass solche Anliegen gerade jetzt aufs Tapet kommen?
Genauso: Es herrscht ein Misstrauen gegenüber dem System. Es haben sich ja durchaus Teile der Entwicklung als problematisch erwiesen. Wettbewerb und dezentrale Systeme können auch sehr positive Elemente enthalten. Die Frage ist gleichwohl, ob das Neue denn wirklich besser ist. Beim Vollgeld muss man sich sehr gut überlegen, wie man die Kreditvergabe organisieren will, wenn das Geld nur noch von der Nationalbank kommt. Die Zentralbanken stehen jetzt schon am Rande ihrer Möglichkeiten, wenn es nur schon darum geht, die Preisstabilität zu garantieren und noch ein Auge auf die Beschäftigung zu haben.
 

Bitcoin und die Blockchain-Technologie dagegen sind doch das adäquate Geldsystem des Digitalen und Internet-Zeitalters. Wenn ich übers Netz problemlos direkt in den USA oder in China einkaufen kann, sind Währungsumrechnungs- und Transaktionskosten ein Anachronismus.
Die haben Sie aber bei den neuen Währungen genauso, zumindest was die Umrechnung betrifft. Es gibt auch eine viel höhere Volatilität, es gibt eine gewaltige Spanne zwischen Kaufs- und Verkaufspreis. Wer soll das als normaler Mensch schon managen können?
 

Umrechnungskosten entstehen aber nur, wenn ich tatsächlich umrechnen muss. Wenn ich meinen Zahlungsverkehr komplett in Bitcoin abwickle, entfallen sie.
Genau. Und dann versuchen Sie mal, Ihre Steuern in Bitcoin zu bezahlen... Ich glaube einfach nicht, dass dies kommt. Diese paar Gebühren bis zu einem bestimmten Franken-Gegenwert, die man im Kanton Zug in Bitcoin zahlen kann, sind ein Marketing-Gag, um das «Crypto Valley» in die Medien zu bringen. Wenn der Zuger Finanzdirektor die Steuereinnahmen in Bitcoin budgetieren müsste, wäre er bestimmt überfordert.
 

Sehen Sie denn auch Chancen der Entwicklung, gerade für die Schweiz? Immerhin geniesst das sogenannte «Crypto Valley» die besondere Aufmerksamkeit des Wirtschaftsministers Johann Schneider-Ammann, die Schweiz gilt derzeit als führender Blockchain-Standort.
Neue Technologien bieten immer Chancen. Es ist dann am Markt zu entscheiden, welche die Wünsche und Bedürfnisse der Menschen am besten befriedigen. Ein bisschen euphorischer Überschwang der Unternehmer gehört zur Marktwirtschaft dazu. Wenn stets alles nach den Regeln der Vernunft erfolgen würde, dann sässen wir wohl immer noch am Feuer vor der Höhle und würden Hasen braten.

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Er redet seiner Zunft ins Gewissen

Eine gewisse Portion Ironie ist ja schon dabei: Da hat man Klaus W. Wellershoff als stets eloquenten, souveränen und auf jede Frage eine Antwort wissenden Experten in Erinnerung, der als damaliger Chefökonom der UBS in der deutschsprachigen Schweiz wohl jener Wirtschaftswissenschaftler war, den das Publikum am meisten im TV zu sehen kriegte. Und nun redet derselbe Ökonom seiner Zunft ins Gewissen (genauer gesagt: seinen Berufskollegen), und fordert sie auf, doch besser mal zu schweigen. Das mag jetzt salopp ausgedrückt sein, trifft aber den Kern der Sache. In seinem neuen Buch plädiert Wellershoff «für eine bescheidenere Ökonomie»: Deren Exponenten sollten in der öffentlichen Diskussion besser klar machen, welche Aussagen tatsächlich empiriegestützt sinnvoll sind und welche nicht. Er tut dies anhand der vier Themenbereiche Wachstum, Inflation, Finanzmärkte und Anlegen und räumt dabei mit dem einen oder anderen weitverbreiteten Mythos auf, mit dem gerade in der politischen Debatte Ziele verfolgt werden – indem interessengeleitete Akteure auf Sachzwänge hinweisen, die wissenschaftlich gesehen gar nicht existieren. Auch wenn sich aufgrund des Themas eine gewisse Komplexität nicht vermeiden lässt: Man muss nicht studierter Ökonom sein, um Wellershoffs Buch mit Gewinn lesen zu können. Im Gegenteil, gerade interessierte Laien können einiges lernen – für die Bewertung wirtschaftspolitischer Debatten, aber auch für eigene Entscheide. Dass sein Aufruf nottut, davon ist der Autor überzeugt: «Der dauerhafte Missbrauch des uns Ökonomen entgegengebrachten Vertrauens ist dabei, unsere Glaubwürdigkeit vollständig zu zerstören.» tg

Info: Klaus W. Wellershoff: «Plädoyer für eine bescheidenere Ökonomie» (NZZ Libro)

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Zur Person

  • geboren am 13. Februar 1964 in Wilhelmshaven
  • Banklehre bei der Kölner Privatbank Sal. Oppenheim
  • Studium der Volks- und Betriebswirtschaftslehre an der Hochschule St. Gallen
  • 1996 Promotion mit einer Arbeit über Finanzmärkte im politisch-ökonomischen Prozess
  • Visiting Fellow am Department of Economics der Harvard University
  • ab 1995 Chefökonom beim Schweizerischen Bankverein, ab 1998 bis 2009 dann bei der UBS
  • ab 2003 Leitung des Research der Division Wealth Management und Business Banking, Leiter des Anlageausschusses
  • von 2003 bis 2009 Mitglied der Geschäftsleitung der UBS
  • 2009 Gründung und Leitung des Beratungsunternehmens Wellershoff & Partners
  • verheiratet, Vater von vier Söhnen
  • Hobbies u.a. Geschichte des ökonomischen Denkens und Sammeln ökonomischer Schriften vor 1800 tg

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