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Bäckerei Rüegsegger

Er verliert auch das Haus, in dem er wohnt

Die Bäckerei Rüegsegger ist konkurs. Der Patron, Werner Rüegsegger, macht widrige Umstände geltend. Um seine Fehler weiss er aber auch.

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tg. Man muss einfach einmal mehr aufstehen, als man hinfällt. Werner Rüegsegger zuckt mit den Schultern, als er diesen Satz sagt. Er ist bald 65 und verliert bald alles, was er im Laufe seines Arbeitslebens aufgebaut hat.

Rüegsegger sitzt im Untergeschoss seiner Produktionsstätte in Nidau, im schmucklosen Aufenthaltsraum, er stützt die Ellbogen auf den Tisch. Von Nidau aus hat er in den letzten Jahren seine Filialen beliefert. Seit vier Jahren hat er hier die Backstube, in der mehr als 2000 Brote pro Tag gebacken werden können. «Dass wir hierhin gekommen sind», sagt er, «hat uns das Grab geschaufelt.»


Der Nachbar

Die Bäckereikette Rüegsegger ist konkurs. 73 Jahre lang hat sie existiert, ein Familienbetrieb, Rüegsegger hat ihn in der zweiten Generation geführt, er schreibt die letzte Seite im Buch ihrer Geschichte.

Das Ende nimmt in der Darstellung Rüegseggers seinen Anfang im Jahr 2006. «Widrige Gründe» seien es gewesen, sagt er. Schon immer hat die Bäckerei in Mühledorf im Bucheggberg einen Laden mit Produktion gehabt. Doch plötzlich stört den Nachbarn die Nachtarbeit, es gibt Lärmklagen. Das Gericht gibt dem Nachbarn recht. Ab dem 31. Oktober 2008 darf Rüegsegger nicht mehr nachts produzieren, entscheidet es. «Als Kind bin ich mit dem Nachbarn in die Schule gegangen», sagt Rüegsegger.

Eine zweite Produktionsstätte hatte Rüegsegger bereits 1998 in Solothurn eingerichtet, weil jene in Mühledorf zu klein wurde. An sehr guter Lage, nahe der heutigen Autobahnausfahrt. Das Grundstück ist 7000 Quadratmeter gross, Rüegsegger hätte es gerne parzelliert und die Hälfte davon gekauft. Allein: Der Boden gilt als belastet, das Grundstück darf nicht parzelliert werden, Rüegsegger müsste alles kaufen. Das Risiko ist ihm zu gross, er kauft nicht und muss den Ort verlassen.
Doch er braucht eine neue Produktionsstätte. Die Zeit drängt.


Die Maschinen

Werner Rüegsegger kommt mit dem Betreiber der Produktion in Nidau in Kontakt. Dieser hat laut Rüegsegger finanzielle Probleme, müsste den Ort eigentlich verlassen, per Mitte Juli 2008. Rüegsegger springt ein, erbringt Vorleistungen, so dass der Betrieb aufrechterhalten werden kann, bis er ihn im Herbst übernimmt.
Von seinem Vorgänger in Nidau spricht Rüegsegger lieber nur als «Vorgänger»*. Die beiden Männer haben sich seit der Übernahme mehrmals vor Gericht gesehen.
Am 1. November übernimmt Rüegsegger die Produktion. Das erste Problem: «Schon in der ersten Woche sind Maschinen ausgestiegen», sagt Rüegsegger. Zwar habe er diese vor dem Kauf mit einem Fachmann begutachtet, «aber dass ich kurz darauf alleine 30'000 Franken für defekte Elektronik aufwenden musste, konnte ich nicht wissen.» Heute ist Rüegsegger der Meinung, er habe zu viel gezahlt für die Maschinen.


Die Aufträge

Dann das zweite Problem: 52 Engros-Kunden hat Rüegsegger mit übernommen. Bloss: bei manchen Aufträgen ist der Preis so tief, dass Rüegsegger drauflegt. Der Vorgänger habe ihm diese Preise erst gezeigt, als die Übernahme schon unter Dach und Fach gewesen sei.

Rüegsegger zeigt sich selbstkritisch: «Das war auch mein Fehler. Ich war zu gutgläubig, naiv. Ohne Zeitdruck hätte ich mir dies genauer angeschaut.» Erst letztes Jahr, als Rüegsegger den Betriebsleiter auswechselt, einige Mitarbeiter entlässt, unrentable Aufträge ausmerzt und selber die Produktion leitet, kommt diese langsam in die schwarzen Zahlen. So seine Darstellung.


Der Ausfall

Das dritte Problem: Im März 2009 muss sich Rüegseggers Vorgänger in Nidau, den Rüegsegger weiterbeschäftigt, einer Operation unterziehen. Es ist absehbar, dass er nicht mehr in den Betrieb zurückkehren kann. Rüegsegger denkt: Ein Fall für die Krankentaggeld-Versicherung. Die Versicherung sagt: Wir zahlen in solchen Fällen nur bis zum Erreichen des Pensionsalters des Betroffenen. Der Vorgänger ist aber bereits älter, Rüegsegger muss den Erwerbsausfall übernehmen, das Arbeitsverhältnis darf er nicht aufkünden, da der Angestellte krankgeschrieben ist. Man sieht sich vor Gericht, denn der Anwalt des Vorgängers verlangt die ganzen gesetzlich vorgeschriebenen 720 Tage Zahlung, da der Vorgänger schon lange im Betrieb gearbeitet hat. Rüegsegger ist zuversichtlich. Er hat mit allen übernommenen Angestellten neue Verträge abgeschlossen und ist der Meinung, es zählten bloss die vier Monate in der neuen Anstellungszeit. Das Arbeitsgericht ist anderer Meinung. Die ganze Anstellungszeit zähle, 26 Jahre. In der Aussöhnungsverhandlung einigen sich die Parteien auf die Zahlung eines Jahreslohns.


Die Nachzahlungen

Schliesslich das vierte Problem: Am 23. Dezember 2009 meldet sich ein ehemaliger Mitarbeiter, den Rüegsegger nicht übernommen hat, und verlangt Nachzahlungen wegen fehlender Nachtarbeitszulagen. 25'000 Franken. Wieder ist Rüegsegger zuversichtlich. Doch für fünf Jahre nach der Übernahme gilt Solidarhaftung. Rüegsegger muss zahlen. In einem zweiten solchen Fall 2010 sind es gar 130'000 Franken.

Insgesamt, sagt Rüegsegger, habe er «durch all die Sachen» 1,4 Millionen Franken verloren: «Das haben wir einfach nicht verkraftet.» Löhne und Lieferanten habe er stets bezahlt, doch bei der AHV stiegen die Schulden, sie hat schliesslich das Konkursbegehren eingereicht, sie hat auch gesetzliche Vorschriften zu befolgen, ihre Konditionen für die Rückzahlung der Schulden hätte Rüegsegger nicht befolgen können.

Die Firma mit ihren zuletzt 68 Mitarbeitern hat Rüegsegger als Einzelfirma geführt. Sein langjähriger Buchhalter habe ihm aus Kostengründen von einer Umwandlung in eine Aktiengesellschaft abgeraten. Ein Fehler. Rüegsegger haftet auch mit seinem Privatvermögen. Er verliert das Haus, in dem er wohnt, in dem die Geschichte der Bäckereikette Rüegsegger begonnen hatte. Man sieht ihm die schweren Tage an. Er sagt: «Um mich muss man sich keine Sorgen machen.» Er will einmal mehr aufstehen, als er hinfällt.


Info: Name der Redaktion bekannt. Auf Anfrage des BT mochte der Vorgänger gestern nicht Stellung nehmen. Das BT gibt ihm in einem Artikel nächste Woche Gelegenheit, Stellung zu nehmen.

Stichwörter: Nidau, Biel, Bäckerei

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