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Diskussion

«Es ist zum Verzweifeln», sagt der Ökonom

Schon immer haben die Menschen das Geld kritisch gesehen – das dürfte auch so bleiben. Dies eine Erkenntnis des gestrigen "Treffpunkt Wirtschaft".

Drei Menschen, zwei Meinungen: Urs Gredig (Moderator), Klaus W. Wellershoff (Ökonom), Jürg Kradolfer (Bitcoin-Experte, v.l.).  copyright: daniel mueller/bieler tagblatt
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Tobias Graden

Es muss ja schon hellhörig machen. Der Satz, den Jürg Kradolfer am gestrigen Abend am meisten äussert, lautet «Seien Sie vorsichtig.» Die Sektion Biel-Seeland des Handels- undIndustrievereins des Kantons Bern sowie die Wirtschaftskammer Biel-Seeland haben zum «Treffpunkt Wirtschaft» eingeladen und die Unsicherheit über das junge Thema gleich in den Titel des Anlasses gesetzt:«Kryptowährungen – Digitale Revolution oder rein spekulative Anlage?»
Beides, ist man nach den Referaten und der Diskussion geneigt zu sagen, und noch mehr dazu.

Anonym? Im Gegenteil.
Der ehemalige Treuhänder Jürg Kradolfer (vgl. Interview auf dieser Doppelseite) ist zwar bekennender Enthusiast, aber auch ein Warner: «Es gibt mehr Unseriöses als Seriöses zum Thema.» Kein Wunder, dieser Wildwuchs, wenn doch alles so neu ist, dass der Staat noch gar nicht dazugekommen ist, die Sache zu regulieren. «Hinter Bitcoin steht kein Staat, keine Organisation, kein Eigentum, keine Rechtssprechung», sagt Kradolfer. Und wie ist es mit der oft geäusserten Kritik, Kryptowährungen böten vor allem Diskretion für dunkle Geschäfte? «Der Bitcoin ist nicht für Verbrecher», sagt Kradolfer, «aber auch Verbrecher nutzen Bitcoin.»
Im Lauf des Abends wird dann aber klar: Hindernis für eine breite Verbreitung dieser Kryptowährung könnte gerade nicht die Anonymität sein, sondern das Gegenteil davon. Die Blockchain speichert jede Transaktion. Für alle, die sie hervorzuholen vermögen, ist diese auf immer ersichtlich: «Meine ganze History ist öffentlich einsehbar», sagt Kradolfer.
Wer sollte das schon wollen?

Das liebe Geld? Mitnichten.
Klaus W. Wellershoff jedenfalls nicht. Er holt zu einem Exkurs über die Geschichte des Geldes und den stets ambivalenten Umgang des Menschen damit aus. In der westlichen Welt kennt man das Geldsystem in ähnlicher Form wie heute etwa seit dem7. Jahrhundert vor Christus, als die Athener es eingeführt haben und damit auch das Prinzip der Verschuldung. Wer seine Schulden nicht bezahlen konnte, der verfiel in den Status des Schuldsklaven, was die Gesellschaft mit der Zeit so zersetzte, dass sie auseinanderfiel und sie etwa 350 Jahre brauchte, um sich davon zu erholen. Seither zieht sich die Skepsis gegenüber dem Kredit- und Zinswesen als Konstante durch unsere Kultur, von den alten Griechen über das Zinsverbot in der Bibel, Jesus’ Rauswurf der Händler aus dem Tempel, die Ethik des Thomas von Aquin, die Tulpenmanie 1637 und die Mississippi-Blase von 1720 und der Kritik am «boom and bust» des heutigen Finanzsystems. Wirklich Neues gelernt habe man in letzter Zeit eigentlich, so Wellershoff, doch immerhin sei klar, wie nötig Regulierung sei – und gerade diese fehle bei den Kryptowährungen noch vollständig. Er kritisiert die Naivität der Bitcoin-Verfechter (vgl. auch Interview Seiten 2 und 3): «Man geht ohne Lehren aus der Geschichte ans Thema ran.»

Vollgeld? Besser nicht.
Bei diesen ganz grundsätzlichen Themen streift das Gespräch zwangsläufig auch die aktuelle politische Diskussion: Die Abstimmung über die Vollgeld-Initiative steht bevor. Bitcoin sei gewissermassen Vollgeld, sagt Kradolfer, während Wellershoff mahnt: «Wir haben in der Geschichte gesehen, dass es nicht gut herauskommt, wenn die Geldmenge nicht mit der Wirtschaft mitwachsen kann.»
Viel Hoffnung auf Einsicht der Akteure scheint Wellershoff nicht zu haben: «Ich komme aus einer Branche, deren Geschäftsmodell es war, nicht aus den Fehlern der Vergangenheit zu lehren. Jetzt will man das System verbessern und tut dasselbe wieder. Das ist doch zum Verzweifeln.»

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