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Uhrenbranche

Fast 400 Läden geschlossen

Die Coronakrise hinterlässt tiefe Spuren in den Jahreszahlen der Swatch Group. Der Konzern hat aber auch die Kosten deutlich gesenkt und erwartet eine Erholung mit höheren Margen.

Auch ein Symptom der Coronakrise: Nick Hayek musste die letzte Bilanzkonferenz im März 2020 online abhalten.  copyright: peter samuel jaggi/bieler tagblatt

Tobias Graden

Es ist eine der Eigenheiten von Swatch-Group-Konzernchef Nick Hayek, in der Kommunikation die positiven Punkte zu betonen, auch wenn das Gesamtbild eher ein düsteres ist. So ist es auch in der gestrigen Bekanntgabe der Jahreszahlen 2020: «Starker Dezember trotz des erneuten Lockdowns in wichtigen Märkten wie Deutschland oder Grossbritannien», heisst es da, oder:«Stark verbessertes 2. Halbjahr 2020». In manchen Bereichen in der Produktion habe die Nachfrage die Kapazitäten überschritten, etwa bei der Produktion für Blancpain, Omega, Longines und Tissot. Die Marke Swatch erfreue sich einer grossen Nachfrage ihrer «Swatch Pay!»-Modelle mit Kreditkartenfunktion. Trotz grosser Verluste im ersten Halbjahr habe die Gruppe für das gesamte Berichtsjahr ein positives Betriebsergebnis von 52 Millionen Franken erzielen können. Und schliesslich erwartet die Konzernleitung für 2021 einen starken Nachholbedarf des Konsums weltweit, und die «zahlreichen neuen Produkte der Konzernmarken werden zusätzliche Umsatztreiber für 2021 sein». So habe die Marke Tissot im Dezember in den USA«den besten Monatsumsatz ihrer Geschichte» erzielt, «und dies ohne die ‹T-Touch Connect Solar›, welche erst im Frühjahr 2021 in den USA lanciert wird».

Doppelt getroffen
Das grosse Bild aber spricht eine klare Sprache. Erstmals seit 1983 (und damit dem Entstehungsjahr der damaligen SMH) hat die Swatch Group einen Konzernverlust in der Höhe von 53 Millionen Franken hinnehmen müssen. Das ist angesichts der Umstände zwar fast so etwas wie eine schwarze Null, zumal auf Stufe Betriebsergebnis tatsächlich ein Gewinn geschrieben wurde. Der Vergleich mit dem Konzerngewinn von 748 Millionen Franken im Vorjahr illustriert aber die Fallhöhe und die Schwere der Krise. Die Coronapandemie hat die Schweizer Uhrenbranche gewissermassen doppelt getroffen, und dies nachhaltig: Einerseits haben die Lockdowns in diversen Ländern mit den Lädenschliessungen den physischen Absatzkanal verstopft, anderseits hat der drastische Einbruch der Reisetätigkeit verhindert, dass Konsumenten etwa an Flughäfen überhaupt  an die als Souvenir begehrten Güter herankommen. So war es auch bei der Swatch Group:«Viele Retailgeschäfte mussten über längere Zeit geschlossen bleiben», schreibt der Konzern, «insbesondere die von der Swatch Group betriebenen Geschäfte an den Flughäfen und Reisedestinationen leiden bis heute stark unter den ausbleibenden Touristen.»
Insgesamt resultierte so im Gesamt jahr ein Nettoumsatz von 5,595 Milliarden Franken, was einem Minus von 32,1 Prozent zu aktuellen Kursen entspricht. Das zweite Halbjahr verlief dabei bedeutend weniger schlimmt als das erste. Im Vergleich mit dem zweiten Halbjahr 2019 betrug das Nettoumsatzminus hier «nur» noch 14,3 Prozent. Im ersten Halbjahr war der Umsatz gar um 43,4 Prozent zurückgegangen.

Ladennetz gestrafft
Die Swatch Group hat im letzten Jahr aber auch bewusst ihre physischen Verkaufspunkte zurückgefahren. Gemäss Mitteilung hat sie «im Berichtsjahr 384 Retailgeschäfte geschlossen», wofür einmalige Sonderkosten von 42 Millionen Franken anfielen. Alleine in Hongkong habe der Konzern die Zahl seiner Filialen von 92 auf noch 38 reduziert. René Weber von der Bank Vontobel, langjähriger Beobachter der Uhrenbranche, schätzt, dass die meisten der geschlossenen Läden so geannten Swatch Stores gewesen seien, diese also Uhren der Günstigmarke Swatch verkauft hatten. Die Swatch Group selber deutet an, dass der Handel von Uhren dieser Preiskategorie vermehrt online stattfindet: Der Handel über E-Commerce verzeichne ein Umsatzwachstum von 70 Prozent, was jedoch die Umsatzverluste im traditionellen Retail nicht habe kompensieren können. Im mittleren und unteren Preissegment beträgt der E-Commerce-Anteil laut Swatch Group mittlerweile 20 bis 30 Prozent. Gleichwohl hat die Swatch Group auch neue Läden eröffnet: Es sind 55 an der Zahl, sie finden sich in «Wachstumsmärkten».
Ein Blick auf die ebenfalls gestern veröffentlichte Jahres-Exportstatistik des Verbands der Schweizerischen Uhrenindustrie (Fédération de l’industrie horlogère Suisse, FH) zeigt, dass die Swatch Group 2020 anders als in früheren Jahren nicht besser abgeschnitten hat als der Gesamtmarkt. So reduzierte sich der Wert der gesamten schweizerischen Uhrenexporte um 21,8 Prozent, der Umsatzrückgang der Swatch Group ist höher. Das sei aber kein Grund zur Besorgnis, meint Analyst Weber auf Anfrage des «Bieler Tagblatts»: Der Grund dafür sei schlicht, dass die Swatch Group stärker im unteren und mittleren Segment vertreten ist und weniger stark im obersten Segment. Während ersteres einen Rückgang um 34 Prozent verzeichnete, lag dieser bei letzterem bei 20 Prozent.

Entspannung ab Frühling
Für das angelaufene Jahr erwartet die Swatch Group «einen starken Nachholbedarf des Konsums von Uhren und Schmuck weltweit». In Festlandchina habe man dies nach der «Normalisierung der Gesundheitssituation» bereits feststellen können. «China war bereits 2020 der entscheidende Faktor, denn es war das einzige Land mit einem positiven Umsatzwachstum», schreibt RenéWeber. Die Nachfrage werde sich zusätlich verstärken, sobald die Reisebeschränkungen gelockert oder aufgehoben werden können, heisst es in der Mitteilung der Swatch Group. Weber ergänzt:«Sobald die Chinesen wieder mit Reisen ins Ausland starten, wird der negative Effekt in Regionen wie Europa oder der Schweiz weniger stark ausfallen.»
Mit einer raschen Rückkehr zu Vorkrisenverhältnissen wird aber nicht gerechnet, der Zeitrahmen ist ungewiss. So schreibt die FH: Mitten in einer dritten Ansteckungswelle mit drastischen Massnahmen in unzähligen Ländern bleibt die Verunsicherung bezüglich Aussichten auf eine Rückkehr zur Normalität hoch.» Entspannung dürfte sich ab dem zweiten Quartal einstellen «und das ganze Jahr über zu einem stetigen Wachstum führen», das allerdings den Verlust von 2020 noch nicht auszugleichen vermöge: «Derzeit ist noch nicht absehbar, wann die Branche ihr Vorkrisenniveau wieder erreichen wird.»
Die Swatch Group sieht sich jedenfalls für die Erholung gewappnet. Einerseits dank neuer Produkte, darunter «die sehr nachgefragte Tissot ‹T-Touch Solar›». Anderseits hat sie – gerade mit der Schliessung von fast 400 Läden – ihre Kosten deutlich gesenkt. So rechnet sie denn auch für 2021 mit «deutlich verbesserten Margen».

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