Sie sind hier

Abo

Berufliche Integration

Jugendliche sollen vor Ort lernen

Die Stiftung Battenberg will sich stärker in die Wirtschaft einbinden: «Zum Beispiel durch eine Betreuungspräsenz direkt im Unternehmen», sagte Direktor Markus Gerber gestern in Biel.

Bild: Manuela Schnyder

Manuela Schnyder

Die Bieler Stiftung Battenberg wünscht sich eine noch engere Zusammenarbeit mit der Wirtschaft. Das hat sie gestern an der Pressekonferenz am Hauptsitz in Biel deutlich gemacht. Nur so könne das gemeinsame Ziel erreicht werden, möglichst viele Menschen mit physischen, psychischen oder sozialen Beeinträchtigungen oder Menschen ohne Arbeit in den Arbeitsmarkt einzugliedern, sagte Markus Gerber, Direktor der Stiftung anlässlich der Präsentation zur neuen Strategie 2025.

So waren gestern auch verschiedene Vertreter der Wirtschaft anwesend, die bereits mit der Stiftung Battenberg zusammenarbeiten: «Mich hat vor allem die Genauigkeit der Lernenden beeindruckt», sagte etwa Thomas Lenz, Projektleiter von Smart Dynamics. Die Berner IT-Firma hatte fünf Jugendliche mit unterschiedlichen Beeinträchtigungen engagiert, um im Betrieb die Arbeitsplätze neu einzurichten, unter anderem um die Computer auf Windows 10 und auf ein neues Mailsystem umzustellen. «Man hat richtig gemerkt, dass diese jungen Menschen ihre Chance packen wollen», sagt Lenz. Auch wenn man vielleicht für die Ausbildung dieser Lernenden anfänglich etwas mehr Zeit einrechnen und stärker betreuen müsse, sei die Zusammenarbeit eine Bereicherung für das Unternehmen gewesen, auch auf persönlicher Ebene.

Und solche Kooperationen will die Stiftung Battenberg künftig vertiefen, also möglichst über Praktika hinaus: «Zum Beispiel auch so weit, dass wir in einem Unternehmen eine Ausbildungsstätte einrichten und die eigenen Lehrlinge vor Ort betreuen können», sagt Gerber.

 

Lernende stärker einbinden

War die 1965 von Uhrenfirmen gegründete Stiftung Battenberg einst auf die Uhrenindustrie ausgerichtet, bietet sie heute im Auftrag der Eidgenössischen Invalidenversicherung (IV) Ausbildungen für rund 40 Berufe an und gehört zu einer der grössten Institutionen in diesem Feld: «Unser Aufgabengebiet ist deutlich vielschichtiger geworden», sagte Vize-Präsident Bruno Meister. So würden sie die Jugendlichen oder Erwachsenen auch im Bereich Gastronomie, Gartenbau oder Gebäudetechnik ausbilden. «Im Moment laufen Gespräche mit Wirtschaftsakteuren im Bereich Mechanik», sagt Meister. Die Nachfrage für Auftragsarbeiten beispielsweise in der Montage, Reparaturen und Revisionen hätten vor Ausbruch der Corona-Krise wieder zugenommen. Man hoffe, dass dieser Trend anhält.

Und die Unternehmen können auch finanziell von der Arbeitsleistung dieser Menschen profitieren: «Es sind Arbeitsplätze, die wir verrechnen können», sagte Pascal Lebel, Mitglied der Geschäftsleitung von der Bieler IT-Firma LAN Computer Systems AG. Klar müsse man die zusätzlichen Stunden, die diese Menschen für eine Arbeit länger haben als solche ohne Beeinträchtigungen, abziehen und benötige man etwas mehr Zeit für die Betreuung. Aber dafür könne man beispielsweise auch von anderen Talenten profitieren, sagt Lebel und nennt ein Beispiel: «Wir haben rund 800 Monitore ausliefern müssen und konnten bei einem Monitor keine Seriennummer zuordnen», erzählt er. Diesen Monitor hätten die Mitarbeiter in stundenlanger Aktion suchen müssen, hätte ein Lernender von der Stiftung Battenberg nicht ein besonderes Talent. Denn dieser kann offenbar sehr gut mit Zahlen: «Der Monitor steht im 3. Stock neben der Türe, er habe sich die Seriennummern gemerkt», habe ihm der Jugendliche gesagt.

 

Ein neues Zentrum entsteht

Eine Wirtschaftskooperation ist die Stiftung Battenberg jüngst auch mit der Casa Tulip AG eingegangen, die Wohnraum für Senioren anbietet. So übernehmen seit April Jugendliche und Erwachsene von der Stiftung Battenberg den Hausdienst, die Reinigung und die Umgebungsarbeiten der Wohnsiedlung Casa Tulip in Biel. Gleichzeitig hat die Stiftung dort auch eigenen Wohnraum für ihre Klientel gemietet, die im Alltag Unterstützung brauchen. «Eine Win-Win-Situation», sagte Geschäftsführer Thomas Perroulaz von der Sensato AG, die die Siedlung gebaut hat. Auch ältere Menschen hätten besondere Bedürfnisse, die nun mit einer Crew der Stiftung Battenberg direkt vor Ort betreut werden könnten und gleichzeitig hätten sie eine schöne Durchmischung von Jung und Alt.

Die Stiftung Battenberg hat aber nicht nur mit der neuen Strategie alle Hände voll zu tun: Das Unternehmen ist nach wie vor daran, die regional tätige Stiftung AK15, die vor allem geistig beeinträchtigte Menschen betreute und 2018 vor dem Bankrott stand, in ihre Organisation zu integrieren: «Es ist wie ein Haus zu renovieren, man muss erneuern, Sachen anders gestalten und sich auch von bestimmten Sachen trennen», erklärte Markus Gerber. So habe man gewisse Bereiche wie etwa Büros zusammengelegt und neue Teams gebildet. Den Prozess der Zusammenlegung wird zudem von einer externen Psychologin begleitet, die nun insgesamt 90 betreuten Personen bei diesen ganzen Neuerungen begleitet.

Zudem soll am Hauptsitz an der Südstrasse 55 in Biel in den nächsten zwei bis drei Jahren ein neues Inklusivzentrum entstehen: «Inklusiv bedeutet eine Vermischung von verschiedenen Angeboten», sagt Gerber. So soll das «offene» Zentrum einen Gastrobereich beinhalten, eine Physiotherapie anbieten und neben dem bereits bestehenden Schwimmbad neu auch eine Gemeinschaftspraxis beherbergen.

Zum Abschluss der Medienkonferenz hat Stiftungspräsident und Präsident des Verbandes der Schweizerischen Uhrenindustrie FH, Jean-Daniel Pasche, den jährlichen «Prix Passarelle d’intégration» verliehen, der Unternehmen auszeichnet, die sich in besonderer Weise für die Integration im Arbeitsmarkt einsetzen. Dieser ging an das Bieler Medienunternehmen W. Gassmann AG.

Nachrichten zu Wirtschaft »