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MEM-Branche

«Wir bewegen uns auf dünnem Eis»

Sind die Probleme gross genug, spannen ungleiche Partner zusammen: Der Verband Swissmechanic hat gemeinsam mit der Gewerkschaft Unia eine Studie in Auftrag gegeben. Deren Leiter Franz Jaeger warnt, ein Frankenschock könne jederzeit wieder passieren.

Der Industrie geht es derzeit wieder besser als auch schon – der starke Franken hat aber viele Stellen gekostet.  Symbolbild: zvg/Swissmem
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Tobias Graden

Da haben sich ja zwei gefunden, mögen sich manche Industriebeobachter denken, und an der gestrigen Pressekonferenz in Bern geben sich die Beteiligten zu Beginn selber noch erstaunt: «Normalerweise haben wir mit der Gewerkschaft Unia ja nicht so viel zu tun», sagt Roland Goethe, Präsident von Swissmechanic, «wir sind ein Arbeitgeberverband meist inhabergeführter Unternehmen, die soziale Fragen lieber intern lösen.» Doch Corrado Pardini, Sektorleiter Industrie bei der Unia, ergänzt:«Es gibt Probleme, da lässt man die Ideologien links liegen, um einen Beitrag zur Stärkung des Werkplatzes Schweiz zu leisten.»
Ein solches Problem ist nach Ansicht von Swissmechanic und Unia die Lage der KMU in der Maschinen-, Elektro- und Metallbranche. Diese haben an mehreren Fronten zu kämpfen – manche Problempunkte sind bekannt und breit diskutiert (der starke Schweizer Franken oder der Fachkräftemangel), andere weniger (etwa die Schwierigkeit, Kredite zu erhalten). Weil die Akteure zumindest in Fragen der Diagnose, teils auch der Therapie einig sind, haben sie zusammen eine Studie in Auftrag gegeben, um die Befunde wissenschaftlich zu untermauern und grösseres politisches Gewicht zu erreichen. Denn die tausenden KMU im Land seien zwar das Rückgrat der Industrie, so Pardini, sie hätten aber kaum eine politische Lobby.

Eigentlich wär’s nicht teuer
Sie haben dies bei einem denkbar unverdächtigen, weil in der Regel gewerkschaftsfernen Ökonomen getan:Der emeritierte St. Galler Professor Franz Jaeger hat (zusammen mit Tobias Trütsch) die «Volkswirtschaftliche Bedeutung und Problematiken der KMU in der Schweizer Maschinenindustrie» untersucht, «mit besonderer Berücksichtigung der von Swissmechanic organisierten Betriebe», so der Titel der Studie. Jaeger zeigt darin auf, dass die Frankenstärke in den letzten Jahren abertausende Jobs gekostet hat. Bis zur Finanz- und Währungskrise habe die Schweizer Industrie, und darin insbesondere die MEM-Branche, eine «fantastische Entwicklung» gezeigt. Bis 2008 sei deren nominale Wertschöpfsungentwicklung deutlich besser gewesen als jene der Gesamtwirtschaft, und dabei sei die Schweiz – auch heute noch – keineswegs per se ein teurer Standort. Das zeigen die nominellen Lohnstückkosten auf Basis der Landeswährungen im Vergleich zu ausgewählten anderen Standorten: Seit 2015 ist nur gerade Irland noch günstiger, selbst in Deutschland wird teurer produziert. Grund dafür ist die äusserst hohe Produktivität in der Schweiz. Anders sieht es aus, wenn man den selben Wert in Euro ausweist: Dann ist die Schweiz der mit Abstand teuerste Standort.
Diese Entwicklung hat sich seit dem «Frankenschock» 2015 akzentuiert. Franz Jaeger: «Wenn wir den starken Franken nicht gehabt hätten, stünde die Schweiz heute viel besser da. Es gäbe heute in der Industrie 100000 Jobs mehr, davon 55000 in der MEM-Branche.»

Geld für Innovation fehlt
Die Studie, basierend auf einer Umfrage bei 200 Mitgliedsunternehmen von Swissmechanic, zeigt denn auch eine deutliche Verschlechterung der Gewinnmarge bei den befragten Unternehmen. Zusammen mit dem  «starken Schweizer Franken» sind dies die mit Abstand meistgenannten Probleme im Sorgenbarometer, «Wechselkurse und Wechselkursstabilität» werden als weitaus grösster Standortnachteil genannt. Problematisch ist dies laut den Beteiligten nicht zuletzt darum, weil bei schwindender Substanz die Mittel für Innovationen fehlen. «Innovation ist im Zuge der Digitalisierung die grösste Herausforderung», sagt Jaeger. Diese Verbindung machen offenbar die KMU selber noch nicht: «Digitalisierung» erscheint im Sorgenbarometer der Jaeger-Studie an letzter Stelle.
Eine weitere Schwierigkeit, welche die Umfrage identifiziert hat, ist das Erlangen von Krediten. Vor allem Kleinstbetriebe mit einem Bestand von einem bis neun Mitarbeitern hätten vermehrt Mühe, Kredite zu erhalten, sagt Daniel Arn, Vizepräsident von Swissmechanic. Die Anforderungen seitens der Banken seien stark gestiegen. Gewerkschafter Pardini spricht von einer «Entfremdung der Banken von der Industrie»: «Es fehlt die Vernetzung vor Ort, über die Kreditvergabe entscheiden Menschen in den Zentralen, welche die Betriebe gar nicht kennen.» Auch Franz Jaeger plädiert für eine «differenzierte Bonitätsbeurteilung» durch die Banken. Gleichzeitig gelte es, alternative Wege wie das Bürgschaftswesen oder Crowd lending bekannter zu machen, erkennt die Verbandsspitze.

SNB-Fonds gefordert
Von der Nationalbank sei zwar nicht mehr eine fixe Kursgrenze zu fordern, so Jaeger. Diese wäre kaum möglich – ein «strategischer Richtwert»zwischen 1.18 und 1.20 Franken pro Euro aber schon. Aufwertungsschübe seien abzufedern: «Das tut die SNB auch schon, offenbar ist dies kein grosses Problem, und die Finanzmärkte haben es mittlerweile auch langsam internalisiert.» Jaeger empfiehlt auch die Einrichtung eines SNB-Fonds («Kein Staatsfonds!»): «Dass man auf diese Weise die Bewältigung von Zukunftsproblemen finanziert, muss man diskutieren dürfen.»
Kommen denn die Studie und die daraus folgenden Forderungen nicht etwas spät, angesichts der Tatsache, dass der Schweizer Franken mittlerweile wieder bei 1.16 pro Euro steht und sich der Kurs auf den kaufkraftbereinigten Wechselkurs hin bewegt? Franz Jaeger verneint: «Wir bewegen uns auf dünnem Eis.» Eine Situation, in der sich der Schweizer Franken schockartig aufwerte, könne angesichts der bestehenden Risiken weiterhin jederzeit eintreten, und das Problem werde erst noch durch die Digitalisierung überlagert. Darum, so Jaeger:«Diese Studie kann gar nicht zu spät oder zu früh kommen. Wir haben sie für die Zukunft gemacht.»

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