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Qoniak

Wenn alles im richtigen Moment kommt

Zehn Jahre im Übungsraum, jetzt das Album: Der Schlagzeuger Lionel Friedli und der Pianist Vincent Membrez stellen heute Abend in Biel das erste Album ihres Projekts Qoniak vor. Es verbindet Improvisation, Struktur – und den Witz.

Lionel Friedli und Vincent Membrez (v.l.) brauchen das Megaphon eigentlich gar nicht oft. Bild: Peter Samuel Jaggi

Audiobeitrag

Das Stück "Galactic Gospel"

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Tobias Graden

Ist das ein Geplapper, ein Gefeixe, ein Gewitzel! «Welch athletischer Körper!», ruft Lionel Friedli etwa aus, als Vincent Membrez das T-Shirt wechselt. Wiederholt fragt Friedli den Fotografen nach dem Namen, soll ich das Megaphon in die Hand nehmen?, allerdings, das brauche ich ja kaum je, sieht das nicht blöd aus?, tatsächlich, sieht es gut aus, bist Du sicher?, ja, ich mag das Absurde auch, wie heisst Du nochmal?, möchtest Du einen Kaffee? Nein danke, sagt der Fotograf, ich muss weiter zum nächsten Auftrag. «C’est incroyable, çe métier!», ruft Friedli aus, unglaublich, dieser Beruf.
«Wenn wir spielen, sind wir ziemlich ernst», sagen sie, Lionel Friedli, 38, Schlagzeuger;Vincenz Membrez, 33, Pianist.  


Dieses Ping-Pong, jahrelang


Seit zehn Jahren tun sie dies, zusammen spielen, im Duo, im Sous-Parterre in der Kulturfabrik an der Gurzelenstrasse. Am Tag vor dem Konzert in Biel sieht es hier etwas unordentlich aus. Am Boden liegen nach Grössen geordnet die neuen T-Shirts, eben eingetroffen, und die Musiker sind gerade auf der Durchreise. Am Abend zuvor haben sie das erste Konzert zum neuen Album gegeben, in Zürich, am Tag des Treffens folgt der Auftritt in Montreux, bevor heute in Biel das Heimpublikum in den Genuss von Qoniak kommt, wie Friedli und Membrez ihr Projekt getauft haben. «Wir waren ziemlich zufrieden», sagt Friedli über die Live-Premiere, «es kann noch besser sein», meint Membrez, «das Publikum war begeistert», entgegnet wiederum Friedli, darauf Membrez: «Wenn ich nachzudenken beginne, ist dies ein Zeichen, dass es besser sein könnte.»
Dieses Ping-Pong. Seit zehn Jahren. In «Bewitched Scheme» ist es zu hören. Ein nervöser Schlagzeugbeat, der auch mal abbricht oder in dem unvermittelt Teile fehlen, als wären Stufen aus einer Leiter gebrochen, duelliert sich mit mal langgezogenen, mal abgehackten Klängen aus dem Analogsynthesizer, psychedelisches Geblubber folgt auf – pardon – nervtötende Striemen, bis der Beat von einem Moment auf den andern wechselt, sich verlangsamt, und dabei freier, weniger rhythmisch wird. «Dieses Stück ist bezeichnend für uns als Duo», sagt Membrez, «hier sind wir sehr nah beieinander.»


Pop? Frustrierend.


Sowohl Friedli als auch Membrez sind in der Schweizer Jazz- und Impro-Szene längst keine Unbekannten mehr. Im Gegenteil, die Liste der Formationen, in denen sie mitwirken, ist schier überlang und reicht vom Jazz in verschiedenen Schattierungen von Ozmo über Christy Doran’s New Bag oder dem Fanny Anderegg Quartett bis zu Chansons oder Pop (Sarclo, Sophie Hunger). Gemeinsamer Nenner und stärkste Triebkraft ist beiden aber die Improvisation. «Ich habe auch mal in einer Popband gespielt», sagt Membrez, «der Kompositionsprozess bis zu den fertigen Songs war interessant, aber nach drei, vier Konzerten war ich frustriert, immer das selbe zu spielen.»
Nach zehn Jahren gemeinsamen Jams also kam Membrez mit dem Vorschlag, ein Album aufzunehmen. Dazu machten Friedli und Membrez das Duo zum Quartett:Die Vokalkünstlerin Joy Frempong und der Gitarrist Flo Stoffner kamen am zweiten Tag der Aufnahmen hinzu, nahmen die tags zuvor eingespielten Ideen auf und komplettierten sie.


Melodien, im weiteren Sinne


Was man nun auf «Sentient Beings» hört, sind weder Stücke in herkömmlicher Song-Form noch gänzlich freie Improvisationen. Meist findet sich ein Beat, der das Geländer bildet, entlang dem sich der Hörer führen lassen kann. Und, ganz wichtig: Spannungsbögen. Oder auch mal wiederkehrende Harmoniewechsel, im weiteren Sinne auch Melodien. Das Stück «Galactic Gospel» betrachten Friedli und Membrez als Quintessenz des Quartetts, es gewinnt mit zunehmender Dauer an Dichte, entwickelt einen starken Sog, «alles kommt im rechten Moment». Die meisten Stücke sind «first takes», die in der Nachbearbeitung aber verdichtet wurden, einzelne, am ehesten «Massive Black Hole», wurden in der Postproduktion eigentlich konstruiert.
Obwohl die Musik nicht zwingend nach 60er- oder 70er-Jahre klingt, kleiden die Künstler das Projekt in eine leicht retrofuturistische Ästhetik. «Galactic Gospel»? «Tall White»? «Massive Black Hole»? Und zwei Ausserirdische Figürchen auf den T-Shirts, eines hält ein Keyboard, das andere Schlagzeugsticks? Friedli möchte das Thema nicht zu sehr betonen, doch es ist offensichtlich: «Wir haben ein gemeinsames Interesse am Ausserirdischen», lautet die offizielle Sprachregelung für die UFO-Faszination. Die Songtitel stammten meist von ihm, gibt Friedli augenzwinkernd zu. Da ist er, der Humor, der sich auch in der Musik findet, die Qoniak zweifellos ernst meinen, aber nicht immer nur ernst nehmen.


Info: Qoniak: «Sentient Beings» (Everest Records, erhältlich als Vinyl und Digital Download). Konzert heute Abend um 20.30 Uhr im Literaturcafé, Obergasse 11, Biel.

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