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Informatikchaos an der Uni Bern

Die Uni Bern hat ein handfestes Informatikprob- lem: Das neue, millionenteure System zur Verwaltung des gesamten Lehrbetriebs produziert Panne um Panne. Betroffen sind Tausende Studierende. Auch intern hagelt es Kritik am IT-Grossprojekt.

Bild: zvg

Peter Meier

An der Uni Bern fluchen derzeit fast alle – Studierende, Verwaltungsangestellte, Institutsmitarbeiter, Dozenten. Der kollektive Zorn richtet sich gegen das Kernsystem Lehre (KSL). Hinter dem unscheinbaren Namen verbirgt sich ein Mammutinformatikprojekt der Unileitung: Das KSL ist quasi das neue Grosshirn der Uni, das seit September den gesamten Lehrbetrieb zentral steuert. Die Software integriert und verwaltet sämtliche studienrelevanten Daten und Prozesse von der Immatrikulation bis zum Abschlusszeugnis. Campus Management wie Studentenleben sollen so einfacher und effizienter werden. Das verheisst zumindest die graue Theorie. Vier Jahre hat die Uni zusammen mit der deutschen Anbieterfirma QLEO Science GmbH am Projekt gebastelt. Doch in der Praxis zeigt sich jetzt: Das neue IT-System macht, was es will – aber kaum, was es soll. Pannen sind an der Tagesordnung. Ausbaden müssen das Studierende und Uniangestellte. Er habe einen zermürbenden Hürdenlauf durch die Verwaltung hinter sich, erzählt etwa ein Student, der sein Profil nach der Umstellung auf KSL plötzlich leer vorfand – keine Noten mehr, keine Punkte für besuchte Vorlesungen, keine Abschlussarbeit, nichts. Nach drei Jahren Studium sah sein Benutzerprofil aus, als hätte er an der Uni nur Däumchen gedreht.

Sein Hilferuf beim IT-Support blieb unbeantwortet. Nun musste der Student der Verwaltung beweisen, was er geleistet hatte. Nach drei Wochen hatte er zwar seine Noten wieder im Profil. Doch jetzt verweigerte ihm das KSL den Antrag auf den Bachelorabschluss. Wieder rannte der Student von Pontius zu Pilatus. Nach weiteren zwei Wochen erfuhr er den Grund: Er hatte im Studium mehr Punkte als nötig gesammelt – das konnte das Programm nicht verarbeiten. Zuletzt musste ein Mitarbeiter seinen Abschluss manuell freischalten.

Der Fall ist nur einer von Tausenden. Das neue Verwaltungssystem spuckt Fehler um Fehler aus: falsche Fächerkombinationen, falsch deklarierte Kurse, falsche oder fehlende Noten, gesperrte Veranstaltungen, unmögliche Prüfungsanmeldungen, verzögerte Abschlüsse – die Pannenliste reisst nicht ab. «Die KSLProbleme kosten viele Studierende enorm Zeit und Nerven», sagt Dominik Fitze, Vorstandsmitglied der StudentInnenschaft (SUB). Per Resolution forderte die SUB denn auch bereits vor einem Jahr, das KSL erst einzuführen, wenn es ausgereift sei.

Kritik von allen Seiten
Wie viele der 15 000 Studierenden heute genau betroffen sind, weiss nicht einmal die Uni. «Es gab insgesamt 3000 Meldungen beim Support», sagt Bruno Moretti, der verantwortliche Vizerektor Lehre, «heute sind es noch 700». Noch nicht mitgezählt sind bei Morettis Rechnung freilich all jene Fälle, die sich direkt an Studienleiter, Sekretariate oder De- kanate wenden. Von dort kommt denn auch ebenso harsche Kritik: Das KSL sei unausgegoren, zu benutzerunfreundlich, zu starr, zu zeitaufwendig, zu fehleranfällig, heisst es an verschiedenen Instituten übereinstimmend.

«Situation ist normal»
Die Uni bemüht sich derweil um Schadensbegrenzung. «Bitte keine Panik, der Support kann alle Korrekturen vornehmen», beschwichtigt sie aufgebrachte Studenten auf ihrer Website. Dort hat sie nun zudem ein Schulungsvideo aufgeschaltet und publiziert regelmässig die aktuellsten KSL-Probleme. Vizerektor Moretti zeigt denn auch Verständnis für den entstandenen Ärger, der ihm selbst unangenehm ist. Doch er hält auch fest: «Für ein Projekt dieser Grössenordnung ist die gegenwärtige Situation normal.»

Als «Kinderkrankheiten» bezeichnete jüngst KSL-Projektleiterin Bettina Marcolli die Systempleiten undpannen in der Unihauszeitung. So sieht es auch ihr Vorgesetzter. Das KSL befinde sich in der Einführungsphase, bemäntelt Moretti die breite Kritik: «Da spielen bei der Einschätzung der Software auch Faktoren wie etwa Umgewöhnung eine Rolle.» Zudem habe «ein wichtiger Teil der Studierenden» keinen Studienschwerpunkt angegeben, was zuvor nicht zwingend war: «Das ist auch ein Grund für die entstandenen Pannen», spielt er den Ball zurück.

Telefone gesperrt
Alle Betroffenen seien frühzeitig in das Projekt eingebunden worden, verteidigt der 54-jährige Tessiner die Arbeit seines Teams – und das gelieferte Endprodukt: Das System sei nach den branchenüblichen Standards getestet worden. Bislang habe man einen einzigen wichtigen Programmierfehler festgestellt, betonte er – und gibt zu bedenken: «Wichtig ist eine schnelle Reaktion beim Auftreten von Schwierigkeiten. Das leisten wir.»

Das sehen allerdings viele Studierende anders. Zumal die KSLSupportstelle angesichts des Ansturms die Telefone für ihre Anrufe gesperrt hat. Reklamationen sind nur noch per Mail möglich – Bearbeitungszeit: 3 bis 4 Wochen. «Wir haben den Support sofort aufgestockt, als das Ausmass absehbar wurde», sagt dazu Moretti und meint die temporäre Anstellung von sechs Hilfsassistenten. Dann räumt er ein: «Das hätten wir vielleicht von Anfang an einplanen können.» Ansonsten ist Moretti überzeugt, dass die Vorgehensweise der Uni richtig war. So ganz sicher war sich das Leitungsgremium dann aber offensichtlich doch nicht: «Zwei Tage vor dem Start», so der Vizerektor, «haben wir nochmal überprüft, ob die Umstellung durchgeführt werden kann.»

Statt zurück blickt Moretti lieber zur Seite: «Auch im Vergleich mit anderen Unis hat Bern mit dem KSL eine Lösung mit gutem Preis-Leistungs-Verhältnis gefunden.» Tatsächlich hat etwa die Uni Basel für ihre «Campus Management»-Software 5,5 Millionen Franken hingelegt. In Bern sind es dagegen 1,73 Millionen, unterstreicht Moretti.

Der genannte Preis täuscht allerdings: Denn das sind nur die reinen Anschaffungskosten. Rechnet man die rund 2500 Personentage hinzu, die Unimitarbeiter aller Hierarchiestufen in das Projekt gesteckt haben, sowie den Mehraufwand für Support und Betreuung, dann dürfte die Vollkostenrechnung näher bei 3 als bei 2 Millionen liegen – so oder so kein Pappenstiel.

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