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Arbeitsintegration

Mit dem Velo Kompetenzen erwerben

3200 Kunden in Biel und Nidau, 11 000 Hauslieferungen im letzten Jahr – dies die Bilanz von 1-2 Domicile. Der Hauslieferdienst hilft Sozialhilfebezügern, Kompetenzen zu erwerben, die im Berufsleben wichtig sind.

Wafa Yousef mit ihrem Arbeitsgerät: «Ich will arbeiten und nicht zu Hause sitzen.» Reto Probst

Lotti Teuscher

Seit fünf Jahren gibt es den Hauslieferdienst 1-2 Domicile, 13 Personen werden derzeit dort beschäftigt: Migranten, die vorläufig aufgenommen oder denen Asyl gewährt wurde sowie Personen, die durch die Bieler Fachstelle für Arbeitsintegration zugewiesen werden. «Eine Erfolgsgeschichte», nennt Nadja Gubser, Kommunikationsverantwortliche vom Landschaftswerk Biel-Seeland, die Entwicklung der letzten fünf Jahre. Das Landschaftswerk betreibt den Hauslieferdienst im Auftrag der Trägerorganisation City Biel-Bienne. «Der Dienst ist am Durchstarten, immer mehr Kunden lassen sich ihre Einkäufe heimbringen.» Meist sind es ältere Leute, die auch den Kontakt zu den Lieferanten schätzen.

Mitglieder von 1-2 Domicile sind grosse und kleine Detailhändler in Biel und Nidau, Coop zum Beispiel, Migros oder Denner, Apotheken und Blumenläden. 3200 Kunden liessen sich letztes Jahr ihren Einkauf nach Hause bringen, insgesamt wurden 11 000 Lieferungen durchgeführt.

Wafa Yousef lernt Deutsch

Eine der Lieferantinnen ist Wafa Yousef, vor 14 Monaten ist sie von Syrien in die Schweiz geflüchtet. Fünf Stunden pro Tag arbeitet die zierliche Frau, daneben besucht sie, wie alle, die Deutsch oder Französisch noch nicht beherrschen, Sprachkurse. Das Gelernte kann sie bei der Arbeit anwenden.

«Die Kunden lächeln oft», sagt Wafa Yousef, sie will damit ausdrücken, dass diese freundlich seien. Ihr Deutsch reicht noch nicht, um längere Sätze zu formulieren, den folgenden Satz sagt sie aber praktisch akzentfrei: «Die Arbeit mit dem Velo ist mein Hobby.» Dass die Syrerin auch privat ein Velo besitzt, ist deshalb wenig erstaunlich. «Mit dem blauen Velo zu fahren, ist aber sportlicher», sagt sie und lächelt. Denn Wafa Yousef besitzt zu Hause kein E-Bike, wie sie die Lieferanten fahren, sondern ein blaues Damenvelo.

Ziel des Hauslieferdienstes ist nicht allein, alte Menschen beim Einkaufen zu unterstützen, es geht hauptsächlich darum, dass Sozialhilfebezüger sogenannte Schlüsselkompetenzen erwerben. Dazu gehören: Regelmässig und pünktlich am Arbeitsplatz erscheinen, sich rechtzeitig abmelden, wenn zum Beispiel ein Arztbesuch ansteht, nicht unentschuldigt fernbleiben. Und weiter die Lieferscheine lesen, interpretieren, gewissenhaft sein und angenehm auftreten. «In der Regel arbeiten die Leute sehr gerne für den Hauslieferdienst, denn dies gibt ihnen das Gefühl, nützlich zu sein. Die Einsätze stärken weiter das Selbstwertgefühl», sagt Kevin Meyer, der ab Juni verantwortlich für Mobility Douce ist (siehe Infobox), zu dem auch der Hauslieferdienst gehört. Und nicht zuletzt lernen die Lieferanten Stadt und Leute kennen.

Meist ein zu grosser Schritt

Das Ziel ist eine soziale Integration, zudem schaffen es einige, direkt von 1-2 Domicile in den ersten Arbeitsmarkt einzusteigen: «Dies ist jedoch meist ein zu grosser Schritt. Der Weg führt oft über mehrere Arbeitsprogramme», sagt Nadja Gubser. Angeboten werden drei Stufen. Wer in einem Programm für soziale Integration arbeitet, erwirbt Grundkompetenzen wie Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit. Das Programm zur Integration mit Perspektive enthält Bewerbungskurse mit dem Ziel, eine persönliche Strategie zu entwickeln sowie Übungen für Vorstellungsgespräche und Computerkurse. Auf Stufe drei, der Perspektive auf beruflichen Integration, werden Bewerbungen geschrieben und eine Stelle im ersten Arbeitsmarkt gesucht.

So weit ist Wafa Yousef noch nicht. Aber eines steht für sie fest: «Zu Hause bleiben will ich nicht. Ich will arbeiten.»

 

Operieren in einer Grauzone

Eigentlich, sollte man denken, ist der Hauslieferdienst eine gute Sache. Doch der Service ist von Beginn weg auf Kritik gestossen, die bis heute nicht ganz verstummt ist. Grund ist das Angebot: Der Hauslieferdienst bringt nicht nur Einkäufe nach Hause, sondern auch Medikamente oder Blumen. Und konkurrenziert damit, auch wegen tieferer Preise, die Velokuriere, respektive die Privatwirtschaft. Etwas, was Arbeitsintegrationsprogramme nicht dürfen.

Der Gründer des Bieler Velokuriers, Hans Ulrich «Huk» Köhli, hat mitgeholfen, das Konzept für 1-2 Domicile zu erstellen, danach hat er sich jedoch geärgert, weil auch Medikamente und Blumen ausgeliefert werden, eine Dienstleistung, die auch die Bieler Velokuriere erbringen. «Wir verlangen dafür vom Kunden und vom Geschäft je fünf Franken, was bereits ein Dumpingpreis ist.» Der Hauslieferdienst des Landschaftswerks kostet noch weniger. Köhli ärgert sich nach wie vor über die Konkurrenz, hat aber einen Schlussstrich gezogen: «Ich mag nicht mehr kämpfen, ich will auch keinen teuren Prozess führen, aber ich halte an meinen Vorwürfen fest.»

Peter Althaus, Geschäftsführer der Amavita Apotheke Stern in Biel, arbeitet weiterhin mit den Velokurieren zusammen, obwohl deren Lieferungen teurer sind: «Sie sind fast ein Teil des Teams, arbeiten sehr professionell und flexibel und haben eine Geheimhaltungspflicht unterschrieben», sagt Althaus. Der Hauslieferdienst des Landschaftswerks werde mit Steuergeldern subventioniert: «Ich finde, meine Berufkollegen sollten Qualität und Subventionen bei dem Hauslieferdienst für Medikamente ebenfalls berücksichtigen», so Althaus.

Anderer Meinung ist Rita Châtelain, Mitinhaberin der Madretsch Apotheke. Sie sei sehr zufrieden mit dem Dienst 1-2 Domicile: «Reklamationen von meinen Kunden habe ich nie erhalten.»

Dass sich der Hauslieferdienst des Landschaftswerks mit der Lieferung von Medikamenten und Blumen in einer Grauzone bewegt, ist sich Geschäftsführerin Marion Girod bewusst: «Allerdings war dies noch nie ein Thema, seit ich Geschäftsleiterin bin.» Das Hauptgeschäft des Hauslieferdienstes sei, Einkäufe nach Hause zu bringen; Dienste für Apotheker und Floristen machen lediglich sieben Prozent des Umsatzes aus. Medikamente und Blumen werden auf Wunsch von City Biel-Bienne transportiert.

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Mobilité Douce

Die Integrationsprogramme von Mobilité Douce, betreut vom Landschaftswerk Biel-Seeland, basieren auf Dienstleistungen, die besonders umweltfreundlich sind.Dazu gehören:

  •  Hauslieferdienst 1-2 Domicile
  •  Flottenbetreuung des Velospots
  •  Veloparkplätze aufräumen
  •  Abfall aus den Trolleybussen entfernen
  •  Infotafeln säubern LT

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