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Ein Kleinsäuger, der schwimmt wie ein Fisch

Die Wasserspitzmaus hat sich perfekt ans Leben an Land und im Wasser angepasst. Pro Natura hat sie zum Tier des Jahres gekürt. Weiterer Teil der Serie «Wildlebende Tiere im Seeland».

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Die Wasserspitzmaus erbeutet den Grossteil ihrer Nahrung unter Wasser. Fotolia/Zwerver/Pro Natura
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Eine Maus, genau genommen eine Spitzmaus, die schwimmt wie ein Fisch, taucht wie ein Frosch und mit dem Gift ihrer Kieferspeicheldrüse ihre Beute wie ein Raubtier jagt und tötet, scheint eher einem Phantasiewesen eines Science-Fiction-Films zu entsprechen als der Realität. Aber genau diese Beschreibungen treffen auf die Wasserspitzmaus (Neomys fodiens) zu, deren Leben sich sowohl an Land als auch im Wasser abspielt. In der Schweiz kommt sie im Flachland und in den Alpen bis auf 2000 Meter vor.

Bis zwei Meter unter Wasser

Ohne Schwanz misst der Winzling mit seiner spitzen Schnauze zwischen sechs und zehn Zentimeter und wiegt zwischen sechs und 20 Gramm. Diese Spitzmaus gehört zu den Vertretern der Insektenfresser, wird höchstens anderthalb Jahre alt und zählt zu den kleinsten Säugetieren der Welt. Das Pelztier lebt entlang von natürlichen Ufern bei kleinen bis mittleren Wasserläufen und stehenden Gewässern mit dichtem Bewuchs, unterspülten Bereichen, Baumwurzeln oder Steinblöcken. Es ernährt sich von Wasserinsekten, Larven, Kleinkrebsen, Molchen, Schnecken und sogar von etwas grösseren Beutetieren wie Muscheln, Fischen und Fröschen.

Die Wasserspitzmaus taucht bis zu zwei Meter tief und hält sich bis zu zehn Sekunden unter Wasser auf. Beim Schwimmen und Tauchen spreizen sich ihre mit borstenartigen Haaren versehenen Pfoten und funktionieren wie Schwimmhäute. Auch ihr Fell, das sie vor Kälte und Nässe schützt, ist für den Tauchgang bestens ausgerüstet. Unter Wasser hilft ihr der Schwanz die Balance und den Kurs zu halten, damit sie zwischen Steinen nach Leckerbissen stochern kann. Ihre Beute verzehrt die Spitzmaus aber immer an Land.

Diese Spitzmaus mit den niedlichen Knopfaugen ist die grösste der zehn einheimischen Spitzmausarten und nicht die einzige, die baden geht. «In der Regel können alle Kleinsäuger schwimmen. Aber kein anderer Vertreter ist dafür so gut ausgerüstet wie die Wasserspitzmaus, an dessen Fell das Wasser abperlt, wodurch sie wie ein Korkenzapfen von der Tiefe wieder an die Wasseroberfläche kommt», so Simon Capt vom Centre Suisse de Cartographie de la Faune (CSCF) in Neuenburg. Ihr Auftauchen funktioniere ähnlich wie bei den Wasseramseln, sagt er.

Unersättlich

Eine ihrer nächsten Verwandten ist die Sumpfspitzmaus (Neomys anomalus), die ebenfalls Ufer von naturnahen Gewässern und Feuchtgebiete besiedelt. Im Gegensatz zu Wald-, Garten- oder Hausspitzmäusen, bekommt man eine Sumpfspitzmaus in hiesiger Gegend höchst selten, wenn überhaupt, zu Gesicht. Gerade auch, weil viele dieser Feuchtgebiete verschwunden sind. Die Wasserspitzmaus kämpft ständig ums Überleben. Ihres hohen Stoffwechsel- und Energieverlusts wegen ist sie unersättlich und futtert täglich so viel wie ihr Körper wiegt. Wenn Wasserspitzmäuse ihre Jungen säugen, fressen sie sogar anderthalbmal so viel. Ganz ohne Nahrung überlebt sie nicht lange. Um nicht zu verhungern, ist sie bei Tag und bei Nacht bis zu zwölf Stunden auf Nahrungssuche. Ein Grossteil ihrer Beute findet sie unter Wasser. Sie jagt aber auch an Land.

Keine «echte» Maus

Obwohl die Wasserspitzmaus einer Maus ähnlich ist, ist sie nicht eine «echte» Maus, weil sie nicht zur Ordnung der Nagetiere gehört, sondern wie alle Spitzmäuse zur Ordnung der Insekten- und Kleintierfresser wie auch der Igel und der Maulwurf.

Die Spitzmaus ist eine Einzelgängerin und verhält sich territorial. Abgesehen von der Paarungszeit, meidet sie die Begegnung mit ihrer eigenen Spezies.

Grösseren Tieren, die eine Wasserspitzmaus verspeisen, schadet ihr Gift nicht, das hat nur bei kleinen Lebewesen durch einen Biss eine lähmende oder tötende Wirkung. Auch für Menschen ist ihr Gift unproblematisch, ausser, dass ein Biss ziemlich schmerzt, weil Spitzmäuse ein raubtierähnliches Gebiss mit starken gehärteten Zähnen haben.

Eingeschränkter Lebensraum

Wie bei allen freilebenden Wildtieren ist auch bei Spitzmäusen fressen und gefressen werden an der Tagesordnung. Katzen töten, aber verspeisen eine Spitzmaus in der Regel nicht, weil ihnen ihr Sekret den Appetit verdirbt. Hingegen für grössere Vögel wie Störche, Eulen oder Reiher – und unter Wasser auch für grosse Fische wie Hechte –, sind Wasserspitzmäuse ein gefundenes Fressen. Vögel schlucken eine solche Beute meistens unverkleinert hinunter und würgen danach alles Unappetitliche oder Unverdauliche wie Knochen und Mägen wieder raus. «Zudem haben diese Vögel starke Magen- und Verdauungssäfte», sagt Simon Capt.

Um zu überleben sind Wasserspitzmäuse auf geeignete Lebensräume mit genügend Fressangeboten angewiesen. Wo aber das Gewässer mit Pestiziden und Düngemitteln verunreinigt und ihr Lebensraum durch Verbauungen und Begradigungen der Bäche und Flüsse eingeschränkt wird, ist der Wasserspitzmaus eine düstere Zukunft beschieden. Um auf diese Umstände aufmerksam zu machen, hat die Naturschutzorganisation Pro Natura die Wasserspitzmaus zum Tier des Jahres 2016 erklärt. Vom Aussterben bedroht ist sie (noch) nicht, aber geschützt. Die Maus wird auf der Roten Liste der gefährdeten Tierarten der Schweiz als «gefährdet» eingestuft. Heidi Flückiger

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