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«Die meisten Gemüsebauern müssten aufgeben»

Anders als der Bundesrat will der Nationalrat von einer Lockerung des Grenzschutzes für die einheimische Landwirtschaft nichts wissen. Die bäuerlichen Organisationen im Seeland sind erleichtert. Kritik gibt es dagegen vonseiten des Naturschutzes.

Eine Sorge weniger: Die Seeländer Landwirtschaft ist froh um das nationalrätliche Nein zum geplanten Abbau des Grenzschutzes. Copyright: Olivier Gresset / Bieler Tagblatt
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Beat Kuhn

Letzte Woche hat der Nationalrat den Bericht des Bundesrates zur Agrarpolitik 2022 bis 2025 mit 108 zu 74 Stimmen bei 7 Enthaltungen zurückgewiesen. Damit verweigert sich der Nationalrat der Diskussion der Grenzschutz-Lockerung in der Landwirtschaft. Diese hatte der Bundesrat mit dem Bericht anstossen wollen, weil er befürchtet, dass der Schweizer Wirtschaft sonst der Zugang zu neuen Märkten verwehrt bleibt.

Die Mehrheit für die Rückweisung kam durch die Bauernpartei SVP und die CVP von Bauernverbandspräsident Markus Ritter zustande. Gegen die Rückweisung votierte zum einen die FDP, weil sie auf offene Grenzen sowie mehr Markt pocht – und ausserdem ihren Landwirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann nicht desavouieren wollte. Ja zu dem Bericht sagten zum andern aber auch die SP und die Grünen, die beide eine umweltfreundlichere Landwirtschaft fordern und endlich vorwärts machen wollten (das BT berichtete).

«Lösungen präsentieren»

Der Entscheid des Nationalrates ist nicht zuletzt für das Seeland von grosser Bedeutung. Schliesslich ist das Grosse Moos der Gemüsegarten der Schweiz, das grösste Gemüseanbaugebiet des Landes: Rund ein Viertel der inländischen Gemüseproduktion kommt von hier.

Die Gemüseproduzenten-Vereinigung der Kantone Bern und Freiburg begrüsst den Entscheid. Denn, so ihr Sprecher Thomas Wyssa, selbst Landwirt in Galmiz: «Wenn wir den Grenzschutz, wie er heute ist, verlieren würden, müssten die meisten Gemüsebauern aufgeben.» Im Übrigen hätten die Produzenten im Gemüsebau «nur während bestimmten und vorgegebenen Zeiten einen Grenzschutz, also nicht zu 100 Prozent». Und trotz dieses Grenzschutzes würden schon heute etwa 45 Prozent des Inlandkonsums an Gemüse durch Importe aus dem Ausland gedeckt.

Für den Berner Bauern Verband ist die Rückweisung des Berichtes gemäss Geschäftsführer Andreas Wyss kein grosser Verlust. Denn er sei inhaltlich zu stark auf die Thematik Grenzschutz fokussiert gewesen. Allerdings findet er, dass man nicht einfach Nein sagen darf: «Ich bin überzeugt, dass wir uns als Landwirtschaft auf Dauer nicht der Diskussion verschliessen können, sondern selber Lösungen präsentieren müssen.» Konkret: «Wir müssen Wege finden, mehr über unsere Produkte zu verdienen und damit weniger abhängig von Direktzahlungen oder einem Grenzschutz zu sein.»

Die Erträge aus letzterem landen Wyss zufolge übrigens nur zu einem kleinen Teil bei den Landwirten selber. «Es profitiert nicht nur die Landwirtschaft, sondern der ganze Nahrungssektor bis hin zum Detailhandel von der aktuellen Situation.»

Kurze Wege, strenge Auflagen

Der nationalrätliche Entscheid sei «für die Landwirtschaft und die Bauernfamilien positiv zu gewichten», sagt Aurelia Marti, Geschäftsführerin des Vereins Pro Agricultura Seeland, der sich für eine nachhaltige Landbewirtschaftung einsetzt. Sie ist überzeugt, dass die Bevölkerung heute wie auch in Zukunft eine finanzielle Unterstützung der Landwirtschaft begrüsst. Die Produktion landwirtschaftlicher Lebensmittel könne nicht in den gleichen Topf wie die anderen Wirtschaftszweige geworfen werden, findet Marti. Denn sie decke ein Grundbedürfnis und verdiene «einen höheren Schutzmechanismus». Für die Produktion im eigenen Land sprächen überdies die kurzen Transportwege und die hiesigen Vorschriften. «Denn diese sind in vieler Hinsicht strenger als im Ausland und bilden somit die Basis für eine nachhaltige Produktion.» Und schliesslich könne nur bei inländischer Produktion «das Handwerk Nahrungsmittelproduktion an unsere Nachkommen weitergegeben werden».

Marti ist sicher, dass die Landwirtschaft in den nächsten Jahren grosse Entwicklungsschritte machen wird. «Dies nicht zuletzt dadurch, dass die landwirtschaftlichen Betriebe künftig unternehmerischer geführt werden – trotz des notwendigen Grenzschutzes.» Die Landwirtschaftliche Organisation Seeland (LOS) war gestern nicht zu erreichen.
Umstrukturierungen nötig

Anders als die FDP-Fraktion im Nationalrat wertet der Handels- und Industrieverein des Kantons Bern Sektion Biel-Seeland die Rückweisung nicht als Diskussionsverweigerung. Im Gegenteil: «Mit der Rückweisung ist die Diskussion nun lanciert», so Präsident Fabian Engel. Zwar seien Umstrukturierungen notwendig, doch stelle sich die Frage, «in welchem Zeitraum und mit welchen Abfederungen für die, die es zu hart trifft». Es gelte nun, einen für alle gangbaren Weg zu gehen, «wie wir das in der Schweiz gewohnt sind». Dabei müssten sich allerdings alle bewegen, auch die Landwirtschaft.

Die Wirtschaftskammer Biel-Seeland wollte sich nicht äussern, da sie gemäss Geschäftsführer Gilbert Hürsch nicht Stellung zu nationalen Parlamentsentscheidungen nimmt.

«Debatte entideologisieren»

Rundum unzufrieden ist man beim Naturschutz: Bei Pro Natura ist man laut ihrem Landwirtschaftsexperten Marcel Liner enttäuscht über die Rückweisung des Berichtes. Denn darin habe der Bundesrat eine gute Auslegeordnung gemacht. «Die Bauernlobby ist sehr gut im Blockieren, nicht aber im Gestalten.» Die Schweizer Landwirtschaft habe Nachholbedarf im Bereich Ökologie, auch wenn sie nicht aufhöre, zu behaupten, «dass wir da weltweit die Besten sind».

Für Raimund Rodewald, Geschäftsleiter der Stiftung Landschaftsschutz Schweiz (SL), ist die Rückweisung des bundesrätlichen Papiers «eine unnötige Diskussionsverweigerung». Der Bericht sei nämlich gut in Themen wie sichere Versorgung, Kulturlandverlust, natürliche Lebensgrundlagen, Klima, Ökosysteme und Tierwohl. Auch sei darin klar aufgezeigt worden, dass bei Pestiziden, Antibiotika und den Stickstoffen Handlungsbedarf bestehe. «Bestritten wurde ja nur der Aussenhandel.» Dazu Rodewald: «Dieses Thema sollte man aktiv und konstruktiv angehen – nicht einfach kategorisch Nein zum Aussenhandel sagen.»

Rodewald wendet sich jedoch auch gegen die Verabsolutierung des Freihandels und Angstmacherei aus Wirtschaftskreisen. «Das nützt genauso wenig wie die Gesprächsblockade des Bauernverbands.» Ziel müsse vielmehr sein, die Debatte zu entideologisieren und Verhandlungen über Marktöffnungen von der Agrarpolitik zu lösen. «Ohne Eile und vor allem gemeinsam sollte ein gutes, für die Schweizer Land- und Ernährungswirtschaft verdaubares Verhandlungsresultat angestrebt werden.»
 

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