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Métairie de Nidau

Wo Deutsch und Französisch heiraten

Die Familie Bühler besitzt am Chasseral ein Métairien-Imperium. Vier davon gehören Familienmitgliedern, darunter auch die Métairie de Nidau. Eine Alp, die lieblich ist – und eine finstere Seite hat.

Jean-François, Roger und Magalie Bühler (von links) mit ihren störrischen vierbeinigen Begleitern. Bild: Matthias Käser
  • Dossier

Lotti Teuscher

Wer in der Métairie de Nidau einkehrt, ist auf einem Tiefpunkt angelangt. Mit nur 640 Meter über Meer ist der Berggasthof die tiefstgelegene Alpwirtschaft am Chasseral. Auf seinem persönlichen Tiefpunkt angekommen ist auch Romarin. Sein angespannter Körper demonstriert den Widerwillen, sich der Weide zu nähern. Romarin wirft den Kopf hoch, funkelt mit den Augen, deutet mit dem Hinterteil an, dass er bereit ist, auszuschlagen. Dann bleibt der Graue stocksteif stehen.

Bockig, typisch Esel eben. Typisch, weil das Bockige zur Natur eines Esels gehört? Mitnichten. Wenn sich ein Esel so verhält, tut er dies nie mutwillig, sondern hat einen Grund. Romarins Grund steht im Stall und heisst Citronelle – Citronelle, seine Gefährtin, seine Liebe. Ohne die Eselstute für das BT-Bild zu posieren, widerstrebt dem Hengst ungeheuer.

Die Familie Bühler sitzt im Schatten der mächtigen Linde am steilen Hang oberhalb der Métairie. Die Bise rauscht in der Krone, der Baum ist über 200 Jahre alt, blüht und ist kerngesund. Darunter klebt der Bauernhof wie ein Schwalbennest am Hang. Apropos Schwalben: Rund 40 graue Nester haben die Sperlingsvögel im Schutz der ausladenden Dächer an die Mauern gepappt.

 

Berühmte Cousins
Wer die Berggasthöfe am Chasseral besucht, stösst immer wieder auf den Namen Bühler. Vor vier Generationen zogen die ersten Bühler-Brüder von Brienz in den Berner Jura. Wie viele Bühlers leben heute dort? «Also, ähm.» Jean-François Bühler denkt nach, beginnt zu zählen. Neben der Métairie de Nidau ist der «Jobert» in der Hand der Bühlers, der «Rägiswald» und der Kleine Twannberg. Weiter gehören zwei prominente Cousins zur Familie: Manfred Bühler, SVP-Nationalrat sowie Didier Cuche, Abfahrts-Ski-Legende.

Die meisten Bühlers haben die Sprache ihrer Ahnen bewahrt. Sie sprechen Berndeutsch, obwohl sie französische Schulen besucht haben. Manche sind perfekt bilingue. Und sie sind nicht die einzigen Oberländer oder Emmentaler, die in den frankophonen Jura immigriert sind. Dies schlägt sich in den Ortsnamen nieder: Le Schilt, Le Steiner, Le Houbel, Le Pletz, La Grabe – diese Ortsnamen am Chasseral zeugen von der Heirat der beiden Sprachen. Aber auch Sätze wie: «Hans, tue mer schnell ds Korridor (Gang) wüsche, s’il te plaît (bitte). U du Käthi, tuesch d Löffu i ds Tiroir (Schublade) u ds Saladier (Salatschüssel) uf ds Tablar (Gestell) ueche.»

 

Träumen in welcher Sprache?
Jean-François Bühler, sein Bruder Roger und dessen Frau Magalie arbeiten Hand in Hand. Seit 
 30 Jahren bewirtschaften die Brüder den Hof; Haus und Land haben sie im Baurecht von der Burgergemeinde Biel übernommen. 25 Milchkühe weiden hier, 30 Rinder, 15 Kälber; zwei Pferde und zwei Esel hält die Familie als Begleiter.

Deutsch zu sprechen, sei wichtig, sagt Jean-François Bühler: «70 Prozent unserer Gäste sind Deutschschweizer. Und auch die Viehhändler reden Deutsch.» Die beiden Brüder sind fast perfekt zweisprachig. Die Frage, ob sie auf Deutsch oder Französisch träumen, löst längeres Nachdenken aus. «Ich weiss es nicht genau», sagt Jean-François Bühler schliesslich.

Im Sommer ist die Métairie an der Nordseite des «Nidau-Bärgli» ein idyllischer Ort. Nicht nur für die Menschen, die sich hier an heissen Tagen an der Kühle und am würzigen Duft von Gras und Kräutern erfrischen, sondern auch für zahlreiche Wildtiere. In einer Höhle bei der alten Linde hat eine Füchsin Junge aufgezogen, Bühlers haben der Balgerei der heranwachsenden Welpen interessiert zugeschaut. Im alten Gebälk des Hofes hausen vier verschiedene Fledermausarten – unter ihnen sogar die vom Aussterben bedrohten Hufeisennasen: Flauschige Tiere, deren platte Köpfe etwas Monströses hätten, wären die Vampirchen nicht so klein.

Während die Métairie im Sommer etwas Liebliches hat, könnte sich im Winter manch einer einen Koller einfangen. Während Wochen erreicht kein einziger Sonnenstrahl den Nordhang. «Dann ist es kalt hier oben, tot, die Nächte sind lang. Dann erholt sich die Natur», sagt Magalie Bühler. Für sie sei indes nicht der sonnenlose Winter am schwersten zu ertragen, sondern der frühe Frühling. Wenn die Mutter ihre beiden halbwüchsigen Söhne zur Schule in Sonceboz fährt, scheint dort die Sonne: «Nur unseren Hof erreichen die Strahlen noch nicht.»

 

Mord beendete Kirschenfest
Bis in die 60er-Jahre wurde im Spätfrühling auf dem grossen Dachboden der Métairie getanzt und das Kirschenfest gefeiert – bis auf dem Dachboden während des Festes jemand ermordet wurde. Details sind der Familie Bühler nicht bekannt, nur so viel: Danach wurde nie mehr ein Kirschenfest gefeiert. Heute ist der Dachboden beinahe leer. Im geisterhaften Dämmerlicht sind schemenhaft ein paar ausrangierte Werkzeuge zu sehen.

Genutzt wird hingegen die 20 Meter lange Galerie – ein Raum wie zu Gotthelfs Zeiten: Boden, Wände, Decke aus rohem Holz, geschmückt mit alten Werkzeugen wie Dreschschlegel und Heugabeln. Auf den Tischen rot-weiss karierte Tücher, die vielen Fenster mit Sicht auf die Weiden. Über eine knarrende Holztreppe geht es hinauf in den zweiten Stock, dort hängt Bühlers Glocken- und Treichelsammlung; 28 Stück insgesamt.

 

Ferien hinter dem Haus
So still es im Winter auf der Métairie de Nidau ist, so lebhaft geht es an schönen Wochenenden zu, wenn es die Flachländer aus der Hitze in die Höhe zieht. Wenn Magalie Bühler dann ein wenig Ruhe braucht, zieht sie sich hinter den Hof zurück. Dort, im Schatten eines Apfelbaums, steht eine Bank, darüber segeln Schwalben auf der Jagd nach Insekten. Hier ist der Lieblingsort der Bäuerin, hier verbringt sie ihre Ferien – und seien es nur 20 Minuten.

Das BT erzählt die Geschichten der 
Métairies und bietet einen Einblick ins 
Leben der Sennen.

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Métairie de Nidau

  • Spezialitäten: Filet Mignon, Speck, Schinken, Tartar, im Herbst Jagd.
  • Wanderung: Métairie de Nidau, Porte des Enfers, gleich vor der nächsten Kurve rechts abbiegen auf kaum sichtbaren Pfad. Felswand folgen, hinauf zum Col du Fou. Vorbei am Point de Vue sur le Grabe, der Krete entlang wandern. Der Crête de Boveresse entlang führt der Pfad bis zu einem halb zugewachsenen Forstweg, dieser Weg mündet in eine Schotterstrasse. An Le Grabe vorbei und wieder durch die steinerne Pforte Porte des Enfers zurück.
  • Höhenmeter: 500
  • Dauer: 3 Stunden
  • Schwierigkeit: T3 (anspruchsvolles Bergwandern) LT
Stichwörter: Nidau, Métairie, Chasseral, Alp

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