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Das XXL-Gewächshaus ist noch auf Sand gebaut

Die Pläne für das grösste Gewächshaus der Schweiz, das im Seeland entstehen soll, haben vor bald einem Jahr viel Staub aufgewirbelt. Dann ist es still geworden um das Projekt. Das BT hat bei Moana Werschler von der in Ins domizilierten Bauherrschaft nachgefragt.

Als Miss Broccoli, wie sie sich auf ihrem Foodblog nennt, erklärte Moana Werschler kürzlich Kindern, was ein Gewächshaus ist. Copyright: Peter Samuel Jaggi/Bieler Tagblatt
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von Beat Kuhn

Miss Broccoli stellt fest, dass viele Kinder nicht mehr wissen, woher das Gemüse im Supermarkt stammt: woher die Tomaten kommen, wie eine Gurkenpflanze aussieht, oder was ein Gemüsebauer macht, wenn er nicht in seinem Hofladen steht. Darum lud sie kürzlich auf den Hof Gutknecht Gemüse in Ried zum Anlass «Lernen, wo das Gemüse wächst» ein.

Die «Gewächshausführung für Kinder und deren Eltern» übernahm dort primär Hausherr Pascal Gutknecht, der natürlich am besten über sein Reich Bescheid weiss. Dass es in einem Gewächshaus noch heisser ist als draussen an der Sonne, musste den Kindern niemand beibringen, das merkten sie beim Eintreten selber.

 

Doppelte Gemüsefachfrau
Miss Broccoli, das ist Moana Werschler als Betreiberin ihres gleichnamigen Mama- und Foodblogs, auf dem sie neben allgemeinen Familienfragen insbesondere das Thema «gesundes, gemüsereiches und vegetarisches Essen» behandelt, angefangen beim ersten Babybrei bis hin zum kleinkindgerechten Familienmenü. Auch «Tipps für Gemüseverweigerer» hat die 38-Jährige in petto. Ihre Empfehlungen gibt sie indes nicht mit dem Mahnfinger am Anschlag, sondern unter dem Motto «So macht Essen Spass».

Als Mutter eines kleinen Buben, der in den nächsten Monaten ein Geschwisterchen bekommen wird, kennt sie den Bereich «kleine Kinder und Essen» aus eigener Erfahrung. Und von ihrer Tätigkeit in der Gemüsebranche her weiss sie auch gut über diesen Teil des Lebensmittelspektrums Bescheid.

Während mehrerer Jahre war Werschler Marketingleiterin des Verbandes Schweizer Gemüseproduzenten (VSGP). Wegen dieser öffentlichkeitswirksamen Funktion war ihr Name auch ausserhalb des Verbandes bekannt. Seit einem Jahr ist sie nun Leiterin Marketing und Projekte bei der Genossenschaft Gemüse Erzeuger Seeland (GES), die ihren Sitz in Ins hat.

Die Genossenschaft, die rund 80 Gemüseproduzenten aus der Region gehört, ist nach eigenen Angaben «die führende regionale Produzentenvereinigung im Seeland». Erst im Jahr 2012 gegründet, ist sie noch nicht so bekannt. Oder war es zumindest nicht, bis sie letztes Jahr landesweit Schlagzeilen gemacht hat.

 

Zwei mögliche Standorte
Anfang September 2017 machten Medien nämlich publik, dass die GES im Seeland ein gigantisches Gewächshaus realisieren will. Für den Standort gibt es zwei Optionen: Entweder zwischen Ins und Müntschemier im Kanton Bern oder zwischen Sugiez am Broyekanal und Kerzers im Kanton Freiburg.

Mit einer Fläche von 80 Hektar oder 110 Fussballfeldern wäre die «Vision Energiebündel Seeland», so der Name des Projekts, das grösste der Schweiz. Mit im Boot ist der Agrarkonzern Fenaco, der hinter Firmen wie Ramseier, Volg, Landi oder Agrola steht und über die angeschlossenen Genossenschaften indirekt den Schweizer Bauern gehört. Die Büros der GES befinden sich im Fenaco-Gebäude nahe dem Bahnhof Ins.

Den ganzen September über wurde in den Medien viel über das Projekt berichtet. Dies aber nicht etwa zur Freude der Bauherrschaft, wie Werschler sagt: «Das grosse Medieninteresse war uns gar nicht so willkommen, da wir damals noch gar nicht viel sagen konnten. Das Ganze war erst eine Idee.»

 

Erst Machbarkeitsstudie
Und heute, knapp ein Jahr später? Werschler: «Wir haben nichts Neues zu berichten, wir sind noch in der Evaluierungsphase.» Völlige Windstille hat um die «Vision» allerdings nicht geherrscht. So hat Anfang Jahr eine ausserordentliche Generalversammlungen der GES zu diesem Thema stattgefunden. Da wurde Geld für eine Machbarkeitsstudie gesprochen, die derzeit gemacht wird. «Ob das Projekt zustande kommt, steht aber noch in den Sternen.»

Ein Thema wird das Projekt auch an der ordentlichen Generalversammlung im November sein. Doch auch dann werde man wohl noch nicht definitiv wissen, wie es weitergeht, meint Werschler. «Wir hoffen indes, bis Ende Jahr mehr zu erfahren.» Parallel zur Machbarkeitsstudie werden Gespräche mit Politik, Wirtschaft und dem Naturschutz geführt. «Denn es gibt Kritik aus allen Lagern.»

 

«Der grösste Widerstand»
Auf Seiten des Naturschutzes hat man neben Pro Natura und dem WWF auch mit der Stiftung Landschaftsschutz Schweiz gesprochen. Von ihr kommt laut Werschler «der grösste Widerstand». Geschäftsleiter Raimund Rodewald: «Wir kämpfen gegen die Verglasung oder Plastifizierung des Seelands, denn sonst droht uns diese auch in anderen Gebieten der Schweiz.»

Der Stiftungsratspräsident des Biotopverbundes Grosses Moos, Albert Lüscher, spezifiziert die ökologischen Einwände gegen grosse Gewächshäuser: «Das Problem liegt unter anderem bei der landschaftlichen Eingliederung, der Störung von Wildwechseln und dem Verkehrsaufkommen.» Er erkennt allerdings an, dass diese «zweifellos auch ökologische Vorteile» haben.

Laut GES-Geschäftsführer Sam Zurbrügg wäre im geplanten Gewächshaus der Energieverbrauch pro Kilo Gemüse kleiner, und die Energie würde C02-neutral gewonnen, unter anderem durch eine vorgesehene Photovoltaikanlage. Dies entsprechend der Ausrichtung der GES: «Ihr Ziel ist der Aufbau von ökologisch und sozial nachhaltigen Anbau-, Aufbereitungs- und Vermarktungssystemen zur Realisierung innovativer Projekte und Produkte.»

 

Bundesrat gegen Siegenthaler
Auf der politischen Seite ist das Problem ein raumplanerisches. So gelten die meisten Flächen im Seeland als sogenannte Fruchtfolgeflächen. Das sind Flächen, die wegen ihrer fruchtbaren Böden gesetzlich geschützt sind. Wird auf einer solchen Fläche ein Hors-sol-Treibhaus erstellt, gilt diese nach geltendem Recht nicht mehr als Fruchtfolgefläche.

BDP-Nationalrat Heinz Siegenthaler aus Rüti, selbst Bauer, hat noch im letzten Herbst eine Motion eingereicht, in der er eine entsprechende Änderung des Raumplanungsgesetzes verlangt. Es soll möglich werden, «Gewächshäuser zur Produktion von Nahrungsmitteln auf Fruchtfolgeflächen zu errichten, ohne diese kompensieren zu müssen».

Denn, so Siegenthaler, in Gewächshäusern neuster Technologie könnten «effizient und umweltschonend gesunde Nahrungsmittel produziert werden». In diesen könne man  auf derselben Fläche «im Vergleich zur Freilandproduktion ein Vielfaches an Lebensmitteln erzeugen». Damit könne auch der Selbstversorgungsgrad der Schweiz erhöht und ein Beitrag zur Ernährungssicherheit geleistet werden.

Der Bundesrat beantragt dem Nationalrat allerdings, den Vorstoss abzulehnen. Die Bedeutung von Gewächshäusern für die Versorgung des Landes mit einheimischen Lebensmitteln sei zwar anzuerkennen. Nach den bisherigen Erkenntnissen würden aber etwa Hors-sol-Anlagen die Böden so stark verändern, dass deren Fruchtbarkeit beeinträchtigt sei.

Die Eingriffe in den Boden seien je nach Gewächshaustyp sehr unterschiedlich. «Die Beurteilung, ob die Böden intakt bleiben und weiter den Fruchtfolgeflächen angerechnet werden können, muss deshalb jeweils mit Blick auf das konkret infrage stehende Projekt erfolgen.»

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