Sie sind hier

Abo

Landwirtschaft

Gemüse vom Feld ins Lager und auf den Tisch

Familie Maurer baut in Diessbach seit über 40 Jahren Biogemüse an. Heute führen Lucy und David Maurer den Betrieb in zweiter Generation. Hauptthema im Herbst sind die Ernte von Lagergemüse und der Anbau von Wintersalaten.

Im Gewächshaus der Familie Maurer gedeihen jetzt noch Peperoni. Ernst, Marianne, David und Lucy Maurer (v. l.) mit Hofhund Sina. Raphael Schaefer

Brigitte Jeckelmann

Freitagnachmittag um halb fünf, Ende Oktober. Der Chinakohl auf dem Feld oberhalb von Diessbach ist zur Hälfte abgeerntet. Ein Traktor fährt im Schritttempo über den Acker. Rund ein Dutzend Männer und Frauen arbeitet einträchtig nebeneinander, eine Szene, wie aus der Zeit gefallen. Die Arbeiter schneiden den Chinakohl, sie füllen ihn in Harassen ab, stapeln diese auf dem Ladewagen. Hier kommt er her, der Chinakohlsalat auf dem Mittagstisch, hier pflanzt ihn Familie Maurer im Sommer in den Boden, pflegt die jungen Pflänzlein, befreit sie vom Unkraut, mit der Maschine und von Hand, aber immer ohne chemische Spritzmittel und künstlichen Dünger. So, wie es der Biolandbau vorschreibt.
Es ist der letzte warme Tag des endlosen heissen Sommers ohne Regen. Wenige Stunden später werden in der Region die ersten Schneeflocken fallen. Familie Maurer, das sind David Maurer und seine Frau Lucy, 39 und 37, mit ihren vier Kindern im Alter zwischen sieben und 14 sowie Ernst und Marianne Maurer, Davids Eltern. Diese arbeiten zwar noch täglich auf dem Betrieb mit, treten aber nach und nach ins zweite Glied. Die Leitung haben sie der jüngeren Generation übergeben. Familie Maurer bezeichnet ihre Zusammenarbeit als Generationengemeinschaft.


Bio-Aprikosen aus Diessbach
Auf einer Fläche von insgesamt rund 20 Hektaren bauen die Maurers eine Vielzahl Gemüse und Früchte an: verschiedene Kohl- und Salatsorten, Kartoffeln, Rüebli, Sellerie, Stangensellerie, Süsskartoffeln, Petersilienwurzel, Pastinaken, Spargeln, Tomaten, Auberginen Zucchetti, Kürbis, Peperoni, Süsskartoffeln und mehr. Seit einiger Zeit experimentiert Ernst Maurer auch erfolgreich mit Kirschen, Aprikosen und Himbeeren. Dieses Jahr habe es die erste grosse Kirschenernte gegeben, sagt er. Die besonders frostempfindlichen Aprikosen gedeihen in Diessbach ebenfalls gut und nächstes Jahr will Maurer die Himbeeren auf einer grösseren Fläche anbauen.
Die meisten Kulturen zieht Familie Maurer auf dem freien Feld auf etwa 16 Hektaren, Gewächshäuser machen rund zwei Hektaren aus und die sogenannten fliegenden Folientunnel noch etwa eine Hektare. Jetzt, im Herbst, steht in den frostfreien Gewächshäusern und Folientunneln der Anbau von Wintersalaten an. Dazu gehört vor allem der Nüsslersalat, der, wie Ernst Maurer erklärt, Kälte gut verträgt.
Tiefe Temperaturen haben noch einen weiteren Vorteil: Das Unkraut wuchert weniger als bei Wärme. Eine Folie auf dem Boden unterdrückt die Unkräuter fast vollständig. Die vorgefertigten Folien enthalten Löcher, in diese setzt man die Jungpflänzchen, die nach einigen Wochen schnittreif sind. Erntereif sind jetzt auch zahlreiche Kohlsorten, Wintersalate, Lauch, Zwiebeln Rüebli und Kartoffeln.
Vielfalt herrscht bei den Maurers nicht nur auf dem Feld: Rund 30 festangestellte Helfer und etwa 20 weitere Teilzeitangestellte unterstützen die Familie bei der täglichen Arbeit. Früher kamen die Arbeiter aus Ländern wie Portugal, der Slowakei, Polen und Mazedonien. Seit gut fünf Jahren arbeiten vorwiegend Menschen aus Rumänien auf dem Biohof in Diessbach. Meistens seien es dieselben, man kenne sich inzwischen, sagt David Maurer. In einem Gebäude des Hofs hat die Familie für sie Zimmer eingebaut. Nach der Ernte auf dem Feld ist es aber noch lange nicht getan: Um das Gemüse überwintern zu können, muss zuerst der gröbste Schmutz weg. Fleissige Hände waschen empfindliche Ware wie Süsskartoffeln, Federkohl und Salatköpfe Stück für Stück sorgfältig, während Automaten gröbere Sorten wie Kartoffeln oder Rüebli spülen. In den Räumen wuseln zahlreiche Helferinnen und Helfer umher. Es sieht aus wie in einer Fabrik: Maschinen rattern, Förderbänder transportieren das Gemüse in Kisten. Manche der Arbeiter verpacken Zwiebeln in Netze.


Wasser vom Netz kaufen
Das Lagergemüse und die Wintersalate versorgen die Konsumenten den ganzen Winter hindurch mit Vitaminen. Im Lager gibt es auch während der kalten Jahreszeit viel Arbeit: Um das Gemüse für den Verkauf bereit zu machen, muss man es noch einmal gründlich waschen und rüsten oder bei Kohl- und Salatköpfen braune Blätter entfernen, damit sie makellos im Regal für die Kunden bereitstehen. Die Tomatenernte ging erst kürzlich zu Ende. Sie ist dieses Jahr wegen des heissen Sommers besonders reich ausgefallen.
Die Trockenheit haben auch die Maurers zu spüren bekommen, obwohl sie ihr Wasser aus dem hofeigenen Bewässerungsteich beziehen, der das Regenwasser von den Dächern sammelt. Normalerweise reicht dieses Wasser. «Aber dieses Jahr mussten wir Wasser vom Netz zukaufen», sagt David Maurer.
Für den Vertrieb ihrer Ware fährt Familie Maurer mehrgleisig: Je ein Drittel verkauft sie an Grossverteiler, an Händler, und in Direktvermarktung im Hofladen und an den Märkten in Bern, Solothurn, Lyss, Aarberg und Münsingen.
Gerade an diesem Freitag bereitet man alles vor für den grossen Markt am Samstagmorgen: Das gibt eine Menge zu tun: Ware waschen, in Kisten abfüllen auf die Transportfahrzeuge laden. Marianne Maurer bindet duftende Kräutersträusschen aus gelben und orangefarbenen Blüten der Kapuzinerkresse, Salbei, Petersilie, Schnittsellerie, Thymian, Oregano und Eisenkraut. Der würzige Geruch regt den Appetit an und bringt den Magen zum Knurren. Der Markt im «Breitsch» in Bern, das sei seit Jahren ihr Ding, sagt Marianne Maurer und die Vorfreude ist ihr anzusehen. Lucy Maurer teilt ihre Leidenschaft für die Marktfahrerei: «Samstags bin ich immer am Stand in der Altstadt in Solothurn», sagt sie.
Lucy Maurer ist gelernte Kindergärtnerin. Ihren Mann habe sie während der Ferien in Frankreich kennengelernt. Heute hat sie den administrativen Bereich des Betriebs unter sich und absolviert derzeit noch an der landwirtschaftlichen Schule Waldhof in Langenthal die zweijährige berufsbegleitende Ausbildung zur Bäuerin. Ziel sei, dass sie mit dem Diplom in der Tasche dann auch Lehrtöchter auf dem Betrieb ausbilden könne. Lucy Maurer bezeichnet ihre Arbeit als «Traumjob». Sie ist ebenso überzeugt vom Biolandbau wie ihr Mann und die Schwiegereltern: «Für mich ist es das Schönste, ein gesundes Produkt herstellen zu können, ohne der Natur zu schaden», sagt sie.
Ehemann David kann dem nur beipflichten: «Für mich wäre nie etwas anderes als Bio infrage gekommen», sagt er, ursprünglich gelernter Schmied und Landmaschinenmechaniker. Den Gemüsebau hat er von seinem Vater gelernt. «Er weiss alles darüber, was er wissen muss», sagt dieser.


Biobauer seit über 40 Jahren
Marianne und Ernst Maurer gründeten den Betrieb Biogemüse Maurer Mitte der 70er- Jahre. Ernst Maurer hat sich seit über 40 Jahren dem Bio-Landbau verschrieben. Schon vor seinem eindrücklichen Erlebnis als junger Mann hatte er den Willen, möglichst ohne Chemie Landwirtschaft zu betreiben. Er hatte damals barfuss im Feld eines Bauern ein Mittel gegen Schädlinge gespritzt. Kurze Zeit später landete er wegen lebensbedrohlicher Beschwerden im Spital. Noch heute, so sagt er, reagiere er mit Übelkeit auf Gemüse oder Früchte, die mit chemischen Mitteln in Berührung gekommen sind. Maurer ist sicher, «da ist etwas dran, das ist nicht nur im Kopf».
Mehr gesunde Stoffe nachgewiesen
Das stützt inzwischen auch die Wissenschaft: Ein internationales Expertenteam unter Leitung der Universität Newcastle in Grossbritannien hatte in einer umfangreichen Studie vor vier Jahren herausgefunden: In biologisch angebautem Obst, Gemüse und Getreide stecken mehr Polyphenole als in solchen aus konventionellem Anbau. Polyphenole sind Pflanzenstoffe, die zu den sogenannten Antioxidantien gehören. Diese schützen die Zellen und senken möglicherweise das Risiko für bestimmte Krebsarten und chronische Krankheiten.
Die Wissenschaftler, darunter auch Urs Niggli, der Leiter des Forschungsinstituts für biologischen Landbau im basellandschaftlichen Frick, hatten dafür über 300 Studien analysiert. Dabei hatten sie zudem in den biologisch produzierten Produkten tiefere Werte von giftigen Schwermetallen wie Kadmium festgestellt.
Inzwischen ist es auf dem Feld oberhalb von Diessbach ruhig geworden. Die Arbeiter haben für heute Schluss gemacht. Schon seit über einer Woche ernten sie Wintersalate. David Maurer schätzt, dass es noch eine weitere Woche brauchen wird, bis alles Wintergemüse eingelagert ist. Er steht neben seiner Frau. Ihre Blicke schweifen über die Ebene, hinüber zum Jura, sogar der Chasseral ist von hier aus zu sehen. Die Abendsonne taucht die Szene in ein weiches Licht. Der nächste Tag ist Markttag.
Der Wecker wird um vier Uhr morgens klingeln.

Biogemüse im Trend
Biogemüse, Salate und Kartoffeln erreichten 2017 im Detailhandel in der Schweiz einen Umsatz von über 281 Millionen Franken. Dies bedeutet gegenüber dem Vorjahr eine Steigerung von 9,2 Prozent.
Gurken, Kürbis, Randen und Lauch sind mengenmässig die meistproduzierten Bio-Frischgemüsesorten.
2017 wurde in der Schweiz auf einer Fläche von 2589 Hektaren Bio-Gemüse angebaut. Das entspricht 16 Prozent der Gemüseanbaufläche. bjg
Quelle: Bio Suisse
Link: www.biomaurer.ch
 

Stichwörter: Landwirtschaft, Bio, Gemüse

Nachrichten zu Seeland »