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Yukon

Die Qual der Nicht-Auswahl

Einkaufen gestaltet sich im Yukon mitunter als schwierig. Besonders nachdem die Touristen die Läden gestürmt haben, um sich für ihre Kanutouren einzudecken. Kolumnistin Christine Mäder freut sich aber über das gestiegene Angebot in den letzten 22 Jahren.

Die Einkaufsregale leeren sich im Yukon rasch, wenn der Highway mal wieder unpassierbar ist. Bild: Christine Mäder
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Christine Mäder

Laut Sprichwort führen viele Wege nach Rom – aber nicht in den Yukon. Bis in die 40er-Jahre des 20. Jahrhunderts war eine Reise in die nordwestlichste Ecke von Kanada sehr zeitaufwendig und mit ziemlichen Strapazen verbunden: entweder mit dem Schaufelraddampfer von der Beringsee 2300 Kilometer flussaufwärts auf dem Yukon River nach Dawson City oder gar noch 750 Kilometer weiter bis Whitehorse oder aber mit der Schmalspureisenbahn vom südost-alaskanischen Hafenstädtchen Skagway nach Whitehorse. Andere Möglichkeiten waren zu Fuss durch unwegsames Gelände, auf dem Pferderücken über Pfade, die jahrhundertelang von den Ureinwohnern zum Tauschhandel benutzt worden waren und später von Trappern, Händlern und Goldschürfern, oder im Winter mit einem Hundeschlittengespann.


Der Alaska Highway – unsere «Lebenslinie»
In einem herkuleanischen Unterfangen bauten US-Soldaten 1942 innert acht Monaten eine Strasse durch die Wildnis, um das amerikanische Festland mit Alaska zu verbinden und somit wirtschaftliche wie militärische Versorgung zu gewährleisten. Damals eine einfache Schotterpiste, inzwischen aber mehrfach begradigt und mit Strassenbelag aufgewertet, ist der über 2200 Kilometer lange Alaska Highway, der vom Knotenpunkt verschiedener Fernstrassen im Nordosten von Britisch Kolumbien durch den südlichen Teil des Yukons bis kurz vor Fairbanks führt, heute die Hauptverkehrsader, die unser Territorium mit der Aussenwelt verbindet. Es ist unsere «Lebenslinie» für praktisch alle Güter, die von den grossen Ballungszentren im Süden von Kanada per Lastwagen über 2000 Kilometer weit in den Yukon gebracht werden.

Wenn diese Lebenslinie zeitweilig unpassierbar ist, was mitunter der Fall ist infolge von Waldbränden, Schneestürmen, Schlammlawinen, durch starke Regenfälle ausgewaschene Bachübergänge oder durch einen Verkehrsunfall, dann sind die Regale in unseren Lebensmittelläden bald einmal leer. Vor allem Frischwaren wie Milch, Gemüse und Früchte fehlen rasch. Und mit jedem Tag, an dem die Strasse gesperrt ist, hat es ein bisschen weniger Auswahl. Auch Benzin wird dann knapp, was bei unserer starken Abhängigkeit vom Auto für den Alltagsgebrauch sehr prekär werden kann.


Kastanien aus dem fernen China
Aber auch bei besten Bedingungen gibt es oft Versorgungsengpässe. Vor allem in der Sommersaison und speziell am Tag nach Ankunft der wöchentlichen Condor-Maschine, die von Frankfurt direkt nach Whitehorse fliegt. Oft sind viele Regale leergeputzt, nachdem die Touristen ihren Proviant für die Kanutour oder die Rundreise per Wohnmobil eingekauft haben. Glücklicherweise haben wir von Ende Juni bis Mitte September am wöchentlichen Farmersmarkt die Gelegenheit, uns mit frischem, einheimischem Gemüse einzudecken. In unserer kurzen, aber intensiven Anbausaison mit den fast 24 Stunden Tageslicht wächst alles rasch, gut und sehr schmackhaft.

Auch die Grossverteiler haben mittlerweile gemerkt, dass die Yukoner gerne Produkte aus Eigenanbau mögen und führen diese im Angebot. In einer Zeit, wo die Minimalisierung des ökologischen Fussabdrucks immer wichtiger wird, ist das sehr löblich. Dennoch sind wir stark auf die zum Teil aus weiter Ferne stammenden Lebensmittel angewiesen. So kommen zum Beispiel Kastanien aus China, Erdbeeren oft aus Kalifornien, Avocados aus Mexiko und Lamm aus Neuseeland.


Joghurts in Hülle und Fülle – in der Schweiz
Unser Angebot ist heute ein Vielfaches mehr als bei meiner Ankunft im Yukon vor 22 Jahren. Damals gab es bloss eine Handvoll Geschmacksrichtungen bei den Joghurts, die für einen von der Schweiz her verwöhnten Gaumen alle gleich wenig mundeten. Heute haben wir eine stattlichere Auswahl, aber noch lange nicht die Hülle und Fülle, die mich bei jedem Besuch in der alten Heimat in Entzücken geraten lässt. Minutenlang kann ich da in einem Laden vor dem Regal stehen und die Qual der Wahl geniessen: mit Schaf- oder Büffelmilch, mit Feige und Honig, das saisonale Angebot – im Herbst sicher Marroni oder Traube – oder ganz einfach mein Allzeit-Favorit Mokka? Schade, dass ich Joghurts nicht einfach im Koffer mit nach Hause nehmen kann wie Schokolade!

Beklagen kann ich mich aber nicht; seit ein paar Jahren haben wir sogar ein feines «Chäslädeli», das unter anderem eine Vacherin-Mischung für Fondue und baskischen Schafskäse im Angebot führt, und im Delikatessengeschäft gibt es im Dezember deutsches Weihnachtsgebäck zu kaufen.


In Whitehorse haben wir es ja noch gut!
Aufgrund der geringen Bevölkerungszahl und der relativen Abgeschiedenheit haben wir im Yukon natürlich lange nicht die gleichen Einkaufsmöglichkeiten wie die Leute im südlicheren Teil von Kanada. Und das gilt nicht nur für Lebensmittel. So stehen oder hängen zum Beispiel praktisch in jedem dritten Haus hier die gleichen Lampen.

In Whitehorse haben wir es ja noch gut im Vergleich zu den anderen Gemeinden im Yukon, die nicht mal alle über einen Einkaufsladen verfügen. Je weiter weg von der Hauptstadt, umso teurer sind die Lebensmittel und umso bescheidener ist die Auswahl.

Kleidung, Konsumgüter und unverderbliche Nahrungsmittel können heutzutage bequem übers Internet bestellt werden. Manchmal dauert es aber eine ganze Weile, bis die Pakete hier ankommen – vor allem wenn die Post, wie gerade jetzt, wieder mal rotierend streikt und sich die Waren in den grossen Verteilzentren stapeln.

Wer in Sachen Geschenke auf Nummer sicher gehen will, deckt sich an den verschiedenen Weihnachtsmärkten, die von Mitte November bis Mitte Dezember an praktisch jedem Wochenende stattfinden, mit lokal angefertigten Sachen ein – von Schmuck über Saucen und Gewürzmischungen bis zu gedrechselten Holzschüsseln und gemalten Bildern unserer zahlreichen begabten lokalen Künstlerinnen und Künstlern. «Made in the Yukon» hat doch einen ganz anderen Klang und Stellenwert als «Made in China»!

In diesem Sinne wünsche ich allen BT-Leserinnen und -lesern «Merry Christmas»!

Info: Christine Mäder, in Biel geboren und aufgewachsen, war von 1977 bis 1993 Journalistin und Redaktorin beim «Bieler Tagblatt». Nach weiteren drei Jahren als Musikredaktorin in Zürich und Baden wanderte sie in die «hintereste obere Ecke» von Kanada aus: ins spärlich besiedelte Yukon Territorium, wo sie ihre Sprachkenntnisse zuerst im Tourismus anwendete, nun aber in Whitehorse in der Finanzabteilung von Parks Canada tätig ist.

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