Sie sind hier

Abo

Strafvollzug

Hinter Gittern sind Handys ein Risiko

Im Zeitalter der Smartphones kann es für Gefängnisse gravierende Folgen haben, wenn Insassen ein Mobiltelefon in die Finger bekommen. Deshalb setzen die Anstalten immer stärker auf Detektionsgeräte.

Auf der Pirsch: Mischa Nacimiento sucht in der Justizvollzugsanstalt Witzwil nach verbotenen Handysignalen. Tatsächlich schlägt sein Detektor an. In einer Zelle findet der Sicherheitsmann ein Mobiltelefon. Bild: Beat Mathys

Philippe Müller

Mischa Nacimiento bewegt sich langsam durch den Gang. Er will möglichst kein Geräusch verursachen. Wenn man ihn hört, scheitert seine Aktion im gleichen Moment. Er hat den Blick auf ein Gerät in seiner Hand gerichtet, das so gross ist wie ein Funkgerät. Es ist ein Handydetektor. Nacimiento gehört zum Sicherheitspersonal der Justizvollzugsanstalt (JVA) Witzwil und will an diesem Abend herausfinden, ob einer der Gefangenen in seiner Zelle verbotenerweise ein Mobiltelefon in seinem Besitz hat. Dazu bleibt er vor jeder Zellentür kurz stehen und überprüft, ob der optische Balken auf dem Display des Detektors ausschlägt. Ein Handy sendet Signale aus, wenn es eingeschaltet ist. Kontrollgänge wie diese führen er und seine Arbeitskollegen in der JVA Witzwil regelmässig durch. Denn es ist den Insassen jedes Regionalgefängnisses und jeder Justizvollzugsanstalt streng verboten, ein Mobiltelefon zu besitzen.

Die Gründe dafür liegen auf der Hand: Mit einem Handy – erst recht im Zeitalter der immer smarter werdenden Smartphones – lässt sich im Extremfall eine Flucht planen. Ein verurteilter Pädophiler könnte in seiner Zelle kinderpornografisches Material konsumieren. Ein anderer Gefangener könnte versuchen, Kontakt zu einem früheren Opfer aufzunehmen. Dass ein Insasse im besten Fall das Gerät nur benutzt, um Kontakt zu seiner Familie zu halten, die im Ausland lebt, macht für Hans-Rudolf Schwarz keinen Unterschied: «Der Besitz eines Mobiltelefons ist ein schwerer Verstoss gegen die Hausordnung und wird mit mehreren Tagen Arrestzelle sanktioniert», sagt der Direktor der JVA Witzwil. Das bedeutet, dass der Gefangene 23 Stunden pro Tag eingeschlossen, von den anderen Mitinsassen separiert ist und vorerst nicht zur Arbeit gehen darf.

Lockerere Haftbedingungen
In Witzwil findet das Sicherheitspersonal pro Monat durchschnittlich 4 Mobiltelefone. Letztes Jahr waren es gesamthaft sogar 57. Dies bei 166 Gefangenen. Um diese auf den ersten Blick recht hohe Zahl zu relativieren, muss man die besondere Situation der JVA Witzwil kennen: Die grosse Mehrheit der Gefangenen – rund 150 an der Zahl – befindet sich im offenen Strafvollzug. Diese Männer stehen in der Regel kurz vor der Entlassung in die Freiheit und müssen in der Anstalt resozialisiert und auf die Wiedereingliederung in die Gesellschaft vorbereitet werden. Das bedeutet, dass die Haftbedingungen deutlich lockerer sind als in einer herkömmlichen JVA. Die Gefangenen arbeiten tagsüber auf den Feldern der JVA Witzwil und sind nachts in ihrer Zelle eingeschlossen. Bei der Rückkehr vom Feld müssen die Gefangenen keinen Metalldetektor passieren. Es ist für sie ein Leichtes, sich von einem Angehörigen in einer Ackerfurche ein Smartphone deponieren zu lassen. Einen Fluchtversuch werden sie damit aber mit ziemlicher Sicherheit nicht planen: Ein kecker Abgang durch die Felder bei der täglichen Arbeit wäre da naheliegender. «Unser Auftrag ist es vielmehr, zu verhindern, dass ein Gefangener im Strafvollzug seine kriminelle Karriere fortsetzt», sagt Schwarz. Deswegen brauche es auch in Witzwil Handykontrollen.

Des Widerspruchs von offenem Vollzug auf der einen Seite und den strengen Kontrollen in den Zellen auf der anderen Seite ist sich Schwarz bewusst. Der offene Vollzug müsse eben Lösungen finden, die Gefangenen mit der Digitalisierung vertraut zu machen. Denn digitale Kompetenz sei eine der Grundvoraussetzungen, um später draussen eine Arbeitsstelle zu finden. Ohne ins Detail zu gehen, kündigt Schwarz an, dass die JVA Witzwil demnächst dazu das Projekt «Smart Prison» starten werde.

Thorberg: Handys im Körper
Deutlich problematischer als in Witzwil sind hereingeschmuggelte Smartphones in der JVA Thorberg ob Krauchthal. Denn dort sitzen mitunter die gefährlichsten Straftäter der Schweiz. Ein Smartphone in den falschen Händen könnte hier schwerwiegende Folgen haben. Deswegen setzt auch der Thorberg auf Kontrollen mit dem mobilen Detektor. In den Jahren 2017 und 2018 hat das Thorberg-Personal jeweils 17 Mobiltelefone gefunden. Dass jeweils gleich viele Geräte aufgespürt wurden, hält Direktor Thomas Egger für Zufall. «Die Funde zeigen uns, dass wir ein Problem haben mit hereingeschmuggelten Smartphones. Das nehmen wir sehr ernst.»

Reagieren kann der Thorberg auf zwei Arten: bei der Eingangskontrolle der Besucher und bei der Überwachung der Funksignale. Die Kontrollen sind schon heute streng und vergleichbar mit jenen am Flughafen. «Bei der physischen Durchsuchung der Besuchenden sind uns jedoch Grenzen gesetzt.» Egger spricht dabei etwa die Möglichkeit an, dass Besucher ein kleines Smartphone auf dem Körper versteckt oder gar in einer Körperöffnung in die Anstalt schmuggeln. «In einem solchen Fall können wir nicht viel machen.»

Abwehr kostet halbe Million
Die andere Variante ist es, von den mobilen Suchgeräten wegzukommen und auf eine fest installierte Handyabwehranlage zu setzen. Damit macht etwa die JVA Lenzburg gute Erfahrungen, wie das Bundesamt für Justiz in seinem aktuellen Informationsmagazin schreibt. Eine gleich moderne Anlage wie in Lenzburg kommt auf dem Thorberg allerdings nicht infrage. Die Verlegung der Leitungen wäre in den denkmalgeschützten Gebäuden zu kompliziert und zu teuer. Dennoch will der Thorberg im Vergleich zu heute einen Schritt nach vorn machen: Ein externes Büro hat den Auftrag bekommen, verschiedene Systeme zu prüfen. Favorit ist derzeit ein Modell, das mit mehreren Antennen auf den Gebäuden funktioniert. Die Antennen wären auf jedes bekannte Mobilfunksignal programmiert. Sie würden jeden Aufbau einer Mobilverbindung aus der Anstalt aufnehmen und haargenau lokalisieren. Dem Thorberg-Personal in der Zentrale würde auf einem Bildschirm auf dem Grundriss ein blinkender Punkt angezeigt, wo sich das Smartphone befindet.

«Diese permanente und automatische Art der Überwachung wäre genauer und zuverlässiger als die heutige manuelle Methode», sagt Egger. Allerdings würde ein solches System rund eine halbe Million Franken kosten. Egger will die Pläne dieses Jahr noch mit den zuständigen Behörden besprechen.

In flagranti erwischt
In Witzwil ist eine fixe Handyabwehranlage kein Thema. «Das würde dem Grundsatz des offenen Strafvollzugs diametral widersprechen», sagt Direktor Schwarz. «Der offene Vollzug braucht Übungsfelder. Die Einhaltung des Handyverbots sagt etwas aus über die Fähigkeit und den Willen, Regeln zu befolgen.» Die Kontrollen brauche es, sie müssten aber verhältnismässig und dem jeweiligen Haftregime angepasst sein.

Mischa Nacimiento bleibt vor einer Zellentür in einer der Wohngruppen stehen. Der Balken auf seinem Detektor schlägt stark aus. Er gibt seinem Kollegen René Frieden ein Handzeichen. Dieser zückt den Schlüsselbund und schliesst die Tür auf. «Guten Abend», sagt Nacimiento, als er die Zelle betritt. Es folgt ein kurzer, unaufgeregter Dialog, der beidseits mit einem freundlichen «Gute Nacht» endet, bevor die beiden Sicherheitsleute wieder aus der Zelle kommen. In der Hand hält Nacimiento ein kleines Mobiltelefon der älteren Generation. «Der Gefangene hat es ohne Widerstand herausgerückt.» Das sei nicht immer der Fall, weshalb sie auch stets zu zweit die Zelle betreten. Zurück im Kommandoraum füllt René Frieden den Rapport aus. Der Insasse wird die nächsten Tage in der Arrestzelle verbringen müssen. Allein. Und ohne Telefon.

Nachrichten zu Kanton Bern »