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Kunst

Warum die Tattoo-Studios im Seeland das Hygiene-Label nicht wollen

Tattoo-Studios sollen strenger kontrolliert werden. Das fordert der Verband der Schweizerischen Berufstätowierer. Seit zwölf Jahren versucht er deshalb, die Künstler von einem Label zu überzeugen. Doch im Seeland regt sich Kritik.

Kevin S. Für den Tätowierer vom Tattoo-Studio New Soul in Biel ist das Label kein Thema. Bild: Peter Samuel Jaggi

Hannah Frei

Ein Bild für die Ewigkeit – das kann sich heutzutage jeder selbst stechen, wenn er denn wollte. Und nicht nur sich selbst. Wer in der Schweiz ein Tattoo-Studio eröffnen will, muss dies lediglich beim Kanton melden, also einen Antrag dafür stellen, der in der Regel ohne Weiteres bewilligt wird. Der Kanton führt in den Studios in unregelmässigen Abständen Kontrollen durch, wie es beispielsweise in Restaurants der Fall ist. Dies ist aber gemäss dem Verband der Schweizerischen Berufstätowierer (VST) keineswegs ausreichend, besonders nicht, wenn es um die Einhaltung der Hygienevorschriften geht. Deshalb hat der Verband das Hygiene-Quality-Label ins Leben gerufen. Wer dieses erhalten will, wird jährlich von einer eigenständigen Kontrollinstanz geprüft und muss einen Hygienekurs absolvieren (siehe Infobox). Das Label selbst ist zwar gratis, jedoch kosten der Kurs und die Kontrolle bis zu 1000 Franken für einen Betrieb.

Laut Fabio Colombo, Vizepräsident des VST, gibt es das Label bereits seit 2007. Doch sei es dem Verband bisher nicht gelungen, dieses der breiten Öffentlichkeit genügend bekannt zu machen. Unter anderem auch deswegen, weil das Bundesamt für Gesundheit damals zwar bei der Ausarbeitung des Label-Konzepts mitgeholfen hat, danach jedoch nicht befugt gewesen sei, aktiv dafür zu werben. Denn das Label ist offiziell kein staatliches Gütesiegel.

Im Seeland sucht man vergebens nach Tattoo-Studios, die das Label tragen. Schweizweit sind es bisher lediglich 49 Studios, die auf der Website des Labels aufgelistet sind. Etwa genauso viel Tattoo-Studios sind im Seeland registriert.

Dabei sei der Bedarf für ein solches Hygiene-Label in den letzten Jahren immer grösser geworden, sagt Colombo. Heute lässt sich längst nicht mehr nur eine Randgruppe tätowieren. «Tattoos sind mittlerweile in allen gesellschaftlichen Schichten und Altersgruppen angelangt», so der Vize-Präsident. Er und der Verband würden immer wieder Anfragen von unerfahrenen Kunden erhalten, die auf der Suche nach einem hygienisch einwandfreien Tattoostudio seien. «Wenn sich das Label durchsetzen würde, wäre diese Frage überflüssig.» Mit dem Zuwachs der Kunden haben sich laut Colombo auch die Tattoo-Studios in der Schweiz rasant vermehrt – unter ihnen auch solche, die es mit der Hygiene nicht so genau nehmen.

Infektionen wegen falscher Farben
Was kann denn alles passieren, wenn beim Stechen das Werkzeug oder die Möbel nicht sauber sind? Am häufigsten sind laut Colombo Infektionen. Diese seien aber meist leicht zu behandeln, mit Salbe oder in schlimmeren Fällen mit Antibiotika. Im schlimmsten Fall können jedoch allergische Reaktion entstehen. Es sei auch schon vorgekommen, dass die allergische Reaktion nur noch mit einer Hauttransplantation behandelt werden konnte. Dies komme aber glücklicherweise nur selten vor. Grund für die Infektionen sind laut Colombo unter anderem qualitativ schlechte Farben oder auch eine falsche Lagerung.

Mit dem Label wolle der Verband aber nicht nur die Kunden schützen, sondern es soll auch den Studios als Werbezweck dienen. Zudem würden die Tätowierer durch die jährliche Hygienekontrolle ihr Wissen auffrischen können.

Einer der Tätowierer, die sich seit Beginn an für das Hygiene Quality-Label einsetzen, ist Luc Grossenbacher. Er gehört zu den Gründungsmitgliedern des Verbands, ist heute Präsident und führt seit über 30 Jahren das Tattoostudio «Lacky’s Tattoo Shop» in Grenchen. Dieses ist das Einzige in der Nähe des Seelands, das das Label trägt. Für Grossenbacher ist die Hygiene neben dem Handwerk und dem Künstlerischen einer der drei grossen Faktoren, die einen guten Tätowierer ausmachen. Deshalb bewertet er die Gesetzgebung in dieser Branche als mehr als unzureichend. Zwar besteht für Tattoo-Betriebe seit 2017 eine Meldepflicht, jedoch greife diese viel zu wenig. Wer sich nicht meldet und erwischt wird, erhalte lediglich eine Verwarnung. Zudem müssen nebst den regulären Hygienevorschriften für Betriebe keine besonderen Regeln eingehalten werden. «Deshalb gibt es immer noch viele auf dem Markt, welche die Hygienevorschriften nicht ernst nehmen», sagt er.

Sowohl Grossenbacher als auch Colombo sind sich bewusst, dass die Tattoo-Studios für den Erhalt des Labels einen Mehraufwand betreiben müssen, besonders in finanzieller Hinsicht. Dies sehen die beiden auch als Hauptgrund, weshalb viele das Label bisher nicht tragen. Ziel des Verbandes ist jedoch, aus dem Label eine Pflicht zu machen. Mit der aktuellen Gesetzeslage in der Schweiz sei dies aber ein «Ding der Unmöglichkeit», so Grossenbacher.

Doch daran könnte sich in naher Zukunft etwas ändern: Grossenbacher ist Mitglied im Europäischen Komitee für Normung in der Tattoo-Branche. In den nächsten Monaten wird laut ihm eine neue EU-Norm lanciert, die unter anderem als Richtlinie für Hygienestandards in den Tattoo-Studios gelten wird. Darin ist beispielsweise festgehalten, welche Farben zum Einsatz kommen sollten, und dass Schwangere und Stillende nicht tätowiert werden dürfen. Zudem werde dann klar geregelt, wer den Beruf des Tätowierers ausüben darf und wer nicht.
Für Grossenbacher ist es denkbar, dass auch die Schweiz die EU-Norm übernimmt. Diese würde aber auch bei uns nur als Richtlinie gelten, nicht als Gesetz. Doch er ist guter Dinge, dass sich dadurch auch an der Gesetzeslage in der Schweiz etwas ändern wird. «Auf neue Richtlinien folgt oftmals auch eine Anpassung des Gesetzes», sagt er.

«Haben ein solches Label nicht nötig»
Das Tattoo-Studio «New Soul», ehemals «Sailor and Saints», an der Kanalgasse in Biel ist durch seinen mehrfach preisgekrönten Besitzer Alexis Narvaez weit über die Landesgrenzen hinaus bekannt. Doch auch dieses trägt das Hygiene Quality-Label nicht. Kevin B., der seit letztem Jahr mit Narvaez dort als Tätowierer arbeitet, hat auch eine Erklärung dafür: «Wir haben ein solches Label nicht nötig.» Dass es in einem Tattoo-Studio sauber und ordentlich sein muss, sei für sie eine Selbstverständlichkeit. Sauberes Werkzeug, Handschuhe und ein vom Eingang abgetrennter Arbeitsplatz seien bei ihnen seit jeher gegeben, sagt er. «Unsere Kunden können sich auch selbst ein Bild davon machen und entscheiden, ob sie uns vertrauen wollen.»

Grundsätzlich hält er ein Hygiene-Label zwar für sinnvoll. Doch es greife an den falschen Stellen. «Es sind nicht die Tattoo-Studios, die unsauber arbeiten, sondern Private, die bei sich zuhause tätowieren», sagt er. Und da könne auch das Label nichts ausrichten. Vielmehr müsse es eine Regelung dafür geben, wer tätowieren darf und wer nicht. Der junge Tätowierer ist überzeugt davon, dass anders als bei diesem Label bei einer solchen Regelung auch die erfahrenen Tätowierer damit einverstanden wären, eine Prüfung abzulegen oder etwas dafür zu bezahlen. «Denn dies würde sowohl unsere Branche als auch die Kunden schützen», sagt er.

Auch im Studio Arte Tattoo in der Bieler Innenstadt hält man nicht viel vom Hygiene Label. Studiobesitzer Anthony Torre bezeichnet das Label gar als eine Geldmacherei. Dass in Tattoo-Studios Hygienevorschriften eingehalten werden müssen, ist seiner Meinung nach selbstverständlich, auch ohne Label. «Das ist eine Frage der Berufsethik», sagt er. Und wer diese nicht einhalte, den könne man auch mit einem solchen Label nicht vom Markt drängen. Nicht einmal, wenn das Label zur Pflicht würde. Denn Schlupflöcher würden sie auch dann finden.

Für blutige Anfänger mache ein solches Hygiene-Label jedoch Sinn. Denn dadurch würden sie sich mit den Hygienevorschriften auseinanderzusetzen. Erfahrene würden hingegen kaum vom Label profitieren. In Biel und dem Seeland laufe ohnehin alles über Mund-zu-Mund-Propaganda. Wenn jemand unsauber arbeitet und sich ein Kunde eine Infektion holt, dann würde man dies sofort in den Sozialen Medien erfahren. Und wenn sich das wiederholt, hat das Studio bald keine Kunden mehr, so Torre.

Die Entwicklung in der Tattoo-Branche gibt dem jungen Tätowierer trotzdem zu denken. Es gebe immer mehr Studios in Biel und dem Seeland. Und unter den Tätowierern gebe es vielleicht höchstens eine Handvoll, bei denen er sich ein Tattoo stechen lassen würde. Deshalb wünscht er sich, dass nicht mehr einfach jeder ohne Ausbildung als Tätowierer arbeiten kann. «Der Beruf des Tätowierers soll anerkannt und die Leute sollen auch dementsprechend ausgebildet und geprüft werden», sagt Torre. So, wie es beispielsweise in Spanien oder Italien der Fall sei.

Mehr Zusammenarbeit ist gefragt
Auch Vincent Lefèvre, der seit sieben Jahren das Tattoo-Studio Infamous Ink an der Brühlstrasse in Biel führt, glaubt nicht, dass das Hygiene-Label in dieser Form etwas in der Branche verändern könnte. Zwar würde sich auch er mehr Kontrollen und Regeln in der Tattoo-Branche wünschen, jedoch sollten diese von erfahrenen Tätowierern ausgearbeitet und letztlich durchgeführt werden. Und dies sei bei den Kontrollen des vom VST empfohlenen Hygiene-Labels nicht der Fall. «Das Ziel sollte die Verbesserung der Arbeitsbedingungen für die Tätowierer sein», sagt er. Dafür würde das Hygiene-Label zu wenig greifen.

Seiner Meinung nach müssten die Tätowierer besser zusammenarbeiten. «Hier in der Schweiz sticht jeder für sich in seinem Studio und tauscht sich selten mit anderen aus», sagt er. Und dadurch würden auch kaum Ideen für ein neues Kontrollsystem in dieser Branche aus den eigenen Reihen kommen.

Obwohl die befragten Bieler Tätowierer das vom Verband empfohlene Label nicht unterstützen wollen, wünschen sie sich alle dieselbe Entwicklung in ihrer Branche: Der Beruf des Tätowierers soll mehr Anerkennung erhalten und die Arbeit besser geprüft werden. Denn davon würden nicht nur die seriösen Tätowierer profitieren, sondern vor allem auch die Kunden.

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