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Wahlen 19

Im zweiten Wahlgang sind
 die Linken meist im Nachteil

Die spannende Ausgangslage im Ständeratsrennen könnte mehr Leute mobilisieren als üblich. Die Frage ist, ob auch Gelegenheitswähler an die Urne gehen.

Symbolbild: Keystone
  • Dossier

Sandra Rutschi

Zweite Wahlgänge scheinen weniger interessant zu sein als die ersten. Darauf deutet zumindest die Stimmbeteiligung hin. «In der Regel gehen im zweiten Wahlgang weniger Leute an die Urne – vor allem, wenn beim ersten noch weitere Themen zur Debatte standen», sagt der Politologe Marc Bühlmann. Er ist Professor an der Universität Bern und Direktor der dort angegliederten Forschungsstelle Année Politique Suisse, die seit 1965 die Entwicklungen in der Schweizer Politik und Gesellschaft verfolgt.

Nachteil für Linke

Es gebe aber Ausnahmen, betont Bühlmann. Und eine solche könnte der zweite Wahlgang für den Ständerat im Kanton Bern am 17. November sein. Es könnte etwas passieren, das im Kanton Bern noch nie da war: Zwei Linke könnten in die kleine Kammer einziehen. «Diese spannende Ausgangslage kann durchaus Leute mobilisieren.» Die alles entscheidende Frage ist, welche. Die Forschung der letzten fünfzig Jahre zeigt: In der Regel können die Linken im zweiten Wahlgang weniger stark mobilisieren als im ersten. Das weist darauf hin, dass die im ersten Wahlgang am besten platzierten Hans Stöckli (SP, bisher) und Regula Rytz (Grüne) Boden verlieren könnten. Erst recht, wenn durch die grüne Welle bei den Nationalratswahlen bürgerliche Wählerinnen und Wähler auf dem Land aufgerüttelt werden und an die Urne gehen, um ein linkes Berner Tandem im Ständerat zu verhindern.

Doch die Hand dafür ins Feuer legen würde Bühlmann nicht. «Der erste Wahlgang war sehr überraschend. Die Grünen konnten ihre Basis nicht nur in den Städten ausbauen, sondern auch aufs Land ausdehnen.» Gerade die urbane Bevölkerung werde nach dem Erfolg im ersten Wahlgang wohl nochmals an die Urne gehen. Entscheidend sei, ob die Wähler der Grünen nur Gelegenheitswähler sind, die ein Thema pushen wollten. Oder ob sie das Geschehen aktiv verfolgen und somit wissen, dass der Ständerat ebenso wichtig ist wie der Nationalrat.

Denn laut Bühlmann liegt die Stimmbeteiligung bei einzelnen Wahlen und Abstimmungen zwar jeweils zwischen 40 und 50 Prozent. Doch über einen längeren Zeitraum hinweg betrachtet, gehen 80 bis 90 Prozent der Stimmberechtigten immer mal wieder an die Urne. Je nachdem, welches Thema sie gerade packt.

Kaum andere Anreize

Bühlmann geht davon aus, dass die Trotzreaktion jener, die von der grünen Welle erschreckt wurden, gemässigter ausfallen wird als erwartet. «Das Klimathema war lange omnipräsent. Wer die Grünen bremsen wollte, konnte dies bereits bei den Nationalratswahlen tun.» Wer etwas verhindern wolle, gehe normalerweise bei jeder Gelegenheit wählen.

Die Nationalratswahlen, die zusätzliche Wähler an die Urne bringen konnten, sind nun zwar vorbei. Doch in einigen Gemeinden kommen durchaus andere Vorlagen vors Volk. Die Stadt Bern zum Beispiel stimmt über eine Schwimmhalle ab, die grosse Agglogemeinde Köniz über eine Steuererhöhung. Bringt das zusätzliche Leute an die Urne?

Bühlmann winkt ab. «Diese Kraft haben nur stark polarisierende und eher nationale Vorlagen», sagt er. Vielmehr könnten kommunale Abstimmungen punkto Stimmbeteiligung davon profitieren, wenn gleichzeitig kantonale und vor allem nationale Abstimmungen und Wahlen stattfinden.

Ränkespiele lassen kalt

Entscheidend wird auch sein, wem nach dem Rückzug der Kandidatinnen von BDP, GLP und EVP die Mittestimmen zufliessen. Bühlmann sieht da einen Vorteil für den gemässigten Sozialdemokraten Hans Stöckli und die FDP-Frau Christa Markwalder. Allerdings falle auf, dass Regula Rytz und insbesondere der SVP-Kandidat Werner Salzmann in diesem Wahlkampf sehr gemässigt auftreten und möglichst nicht polarisieren wollen.

Immer mehr drang in den letzten Wochen aber an die Öffentlichkeit, dass die bürgerlichen und die linken Allianzen bröckeln. So preschte die FDP mit der nur fünftplatzierten Christa Markwalder vor und bootete BDP-Kandidatin Beatrice Simon aus. Bei der SVP wiederum empfahlen wichtige Exponenten wie Nationalrat Adrian Amstutz, nur Salzmann zu wählen. Und bei der SP stösst bitter auf, dass die Grünen sich von der Juniorpartnerin zur ernst zu nehmenden Konkurrenz mausern.

Laut Bühlmann spielen solche Ränkespiele für die Beteiligung aber eher keine Rolle. «Interessierte Wählerinnen und Wähler verfolgen das Politgeschehen über Jahre hinweg mit und lassen sich von solchen Meldungen nicht vom Wählen abschrecken.» Sie hätten auch nicht einfach plötzlich genug von Politik, weil das Thema omnipräsent sei. «Wenn sich jemand für Fussball interessiert, bleibt er ja auch nicht einem Match fern, nur weil gerade erst ein anderer war.»

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