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Trinkwasser

«Unsere Vorstellung von Trinkwasser entspricht nicht mehr der Realität»

Aus der Aare in den See und dann ins Glas: Was zwischen Bielersee und dem Wasserhahn zuhause mit dem Wasser passiert, erklärt Andreas Hirt, Leiter Bau und Netzservice beim Energie Service Biel.

Seewasserwerk Ipsach: Rund 80 Prozent des Trinkwassers für die Bevölkerung von Biel und Nidau stammen aus dem Bielersee. 

Text: Brigitte Jeckelmann Bilder: Matthias Käser

Zunehmend gelangen Schadstoffe in Flüsse, Bäche, Seen, ins Grundwasser und zuletzt auch in unser Trinkwasser. Es braucht immer aufwändigere und teurere Verfahren, um möglichst viele dieser Stoffe aus dem Wasser herauszubekommen. Jüngstes Beispiel ist das Pilzmittel Chlorothalonil. Im Sommer kamen Abbauprodukte davon in zu hohen Konzentrationen im Grund- und Quellwasser vor, dies vor allem im landwirtschaftlich stark genutzten Mittelland. Der Bund stufte diese im August als möglicherweise gesundheitsgefährdend ein. Das führte dazu, dass die Seeländische Wasserversorgung die Grundwasserfassung in Worben schliessen musste (das BT berichtete). Ebenfalls betroffen sind Fassungen in Kappelen und Schnottwil (siehe Text Seite 23). Seit Initiativen wie jene für sauberes Trinkwasser und ein Verbot für Pestizide die politische Diskussion befeuern, ist das Thema Trinkwasser in aller Munde. Beide Volksinitiativen kommen voraussichtlich im nächsten Jahr zur Abstimmung. Doch nicht nur Pflanzenschutzmittel aus der Landwirtschaft belasten das Grundwasser, aus dem rund 80 Prozent des Schweizer Trinkwassers stammt, sondern auch Chemikalien aus den Haushalten und der Industrie sowie Rückstände von Arzneimitteln. Gemäss dem aktuellen Bericht über den Zustand der Gewässer im Kanton Bern des Amts für Wasser und Abfall (AWA) steigt die Gesamtmenge dieser sogenannten Spurenstoffe Aare abwärts an.


Beim Auslauf des Thunersees wies das AWA  zwei Kilogramm pro Tag und fünf verschiedene Substanzen nach, beim Einlauf in den Bielersee bei Hagneck bereits acht Kilogramm und ein Gemisch aus elf Stoffen. Die nachgewiesenen Mengen pro Liter sind zwar in Mikro- und Nanogrammbereich. Zum Verständnis: Ersteres ist ein Milliardstel Kilogramm, Letzteres ein Billionstel davon. Dennoch wolle man diese Stoffe nicht im Trinkwasser haben, sagt Andreas Hirt, Leiter Bau und Netzservice beim Energie Service Biel (ESB). Er führt durch das Seewasserwerk in Ipsach, von aussen betrachtet ein lang gezogener, mit Graffiti verzierter Betonklotz, dessen Inneres aus blauen, orangefarbenen, grünen und gelben Rohren sowie Wasserbecken hinter dickem Glas besteht. Ein dauerndes Stampfen, Blubbern und Zischen begleitet Hirts Ausführungen über die einzelnen Bereiche. Das Seewasserwerk ist seit den 70er-Jahren in Betrieb. Es ist das wichtigste Standbein der Wasserversorgung von Biel und Nidau. Über 80 Prozent des Trinkwassers stammen aus dem Bielersee. Nun ist das Werk in die Jahre gekommen, ein neues ist in Planung. Derzeit ist der ESB daran, die Konzession zu beschaffen. Nächstes Jahr ist Spatenstich, in Betrieb gehen soll es 2024.


Über die Kläranlage wieder zum Mensch
Beim Thema Wasser ist Andreas Hirt in seinem Element. Wasser sei mit Emotionen verknüpft, sagt er. Sauberes Trinkwasser ist bei uns eine Selbstverständlichkeit, in vielen Teilen der Welt ein Luxusgut. Doch nun muss man sich hierzulande an eine neue Erkenntnis gewöhnen: «Wir haben eine Vorstellung von sauberem Trinkwasser, die nicht mehr der Realität entspricht», sagt Andreas Hirt. Spuren von Medikamenten, Kosmetika und Reinigungsmitteln aus dem täglichen Gebrauch gelangen über die Kläranlagen wieder in Flüsse und Seen und auf diesem Weg wieder zum Menschen. Andreas Hirt sagt, man wisse nicht, wie lange sich diese Spurenstoffe, auch Mikroverunreinigungen genannt, bereits im Wasser befinden. Erst die heutigen Analyseverfahren machen es möglich, diese geringen Mengen überhaupt nachweisen zu können. Was die Stoffe für unsere Gesundheit bedeuten, wissen selbst Fachleute noch nicht genau. Womöglich würde das Gemisch aus vielen einzelnen Stoffen eine Gesamtwirkung erzeugen. Doch die Erforschung dieses Cocktaileffekts stehe noch am Anfang, sagte der Humantoxikologe Lothar Aicher im September gegenüber dem «Tagesanzeiger».
Im August hat das Bundesamt für Umwelt Bafu seinen neuesten Bericht über das Grundwasser in der Schweiz veröffentlicht. Die Hauptaussage: Diese wichtigste Ressource für Trinkwasser steht zunehmend unter Druck. An über der Hälfte der Messstellen wiesen die Wissenschaftler Rückstände von Pflanzenschutzmitteln nach. Ziel aller ist sauberes Trinkwasser.


Wo soll man ansetzen? Stoffe verbieten? In Erinnerung gerufen sei das Phosphat-Verbot für Textilwaschmittel, das der Bundesrat 1986 als erste europäische Regierung ausgesprochen hatte. Damals bedeckten Algenteppiche die Gewässer, Fische starben in Massen. Rund 30 Jahre später sprechen Wissenschaftler in einem Beitrag des Schweizer Fernsehens von einer Umwelt-Erfolgsgeschichte. Baden im See ist wieder möglich und die Fischbestände haben sich erholt. Schon damals musste man mit Millioneninvestitionen die Kläranlagen ausbauen. Heute sind Mikroverunreinigungen das grosse Thema.


Auch das neue Seewasserwerk in Ipsach wird mit technisch ausgeklügelten Reinigungsstufen aufgerüstet (siehe Infografik): Darunter sind spezielle Filter, Ultra- und Nanofilter, die so fein sind, dass sie selbst Viren und Bakterien zurückzuhalten vermögen. Die Umkehrosmose ist ein Verfahren, bei dem halbdurchlässige Membrane und ein erhöhter Druck schädliche Stoffe zurückhalten und nur sauberes Wasser hindurchfliesst. Ozongas dagegen ist ein starkes Desinfektionsmittel. Im Gegensatz zu Sauerstoff mit zwei Sauerstoffatomen (02) hat Ozon deren drei. Der Stoff zerfällt aber sehr rasch wieder in 02. Die einzelnen Sauerstoffatome sind äusserst aggressiv und töten Bakterien ab. Ein anderes Verfahren mit Hilfe von Wasserstoffperoxyd, das man als Bleichmittel für Haare kennt, befördert Rückstände in Kleinstmengen aus dem Wasser.
Die beschriebenen Reinigungsverfahren, die im neuen Seewasserwerk zum Einsatz kommen, testet der ESB bereits jetzt in einem der Räume im Werk in Ipsach. Andreas Hirt weist aber darauf hin, dass es unmöglich, ja sogar gefährlich sei, alles aus dem Wasser herauszufiltern. Hirt: «Ohne jegliche Mikroorganismen und Mineralstoffe wäre es wie destilliertes Wasser – und dieses ist für Menschen problematisch.» Experten raten davon ab, davon zu trinken. Auf Dauer könne es den Mineralstoff-Haushalt des Körpers durcheinanderbringen, heisst es in einem Beitrag des Wissenschaftsmagazins «Spektrum».


Keine Grenzwerte für Arzneimittel
Schädliche Stoffe im Grund- und Quellwasser zu überprüfen ist Sache des Bundes und der Kantone. Es gelten die Grenzwerte gemäss der Gewässerschutzverordnung. Für die Qualität des Trinkwassers, also jenes, das daheim aus dem Hahn fliesst, sind die Wasserversorger verantwortlich, der Kantonschemiker führt die Kontrollen durch. Trinkwasser untersteht dem Lebensmittelgesetz, in der Trinkwasserverordnung sind die Grenzwerte beispielsweise für Nitrat, die Wasserhärte, Schwermetalle, krank machende Keime, synthetische Pflanzenschutzmittel und Chemikalien festgehalten. Für einzelne Arzneimittel gibt es aktuell keine Grenzwerte. Der Grund: Es sei unwahrscheinlich, dass Rückstände eines zugelassenen Medikaments in den beobachteten Konzentrationen sich negativ auf die Gesundheit der Konsumentinnen und Konsumenten auswirken, schreibt das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen BLV auf Anfrage. Anders ist es bei den hormonaktiven Stoffen. Das können Substanzen oder Abbauprodukte aus der Industrie und der Landwirtschaft sein, aber auch von Alltagsprodukten, Pharmazeutika und Kosmetika. Sie kommen ebenso in der Natur in Pflanzen vor. Das BLV schreibt, zu diesen Stoffen werde man im Einklang mit der EU künftig Regelungen erarbeiten.


Die Analysen, die der ESB sowohl im Seewasser als auch im aufbereiteten Trinkwasser durchführt, erfassen neben einzelnen Substanzen auch Wirkstoffgruppen, so genannte Indikatoren, die Rückschlüsse auf bestimmte Medikamente, Chemikalien oder Pflanzenschutzmittel erlauben. «Diese messen wir aber in so geringen Konzentrationen, dass sie nicht einmal in die Nähe des Mikrogrammbereichs kommen», sagt Andreas Hirt. Auch die Abbauprodukte des Pilzmittels Chlorothalonil würden sich in diesem Bereich bewegen. Das Seewasserwerk Ipsach analysiere diese Indikatoren laufend, sagt Andreas Hirt. Würde einer davon ansteigen, könne man sofort darauf reagieren. Der «Kassensturz» hatte in einer Stichprobe vor einigen Jahren das Trinkwasser von über 40 Gemeinden auf Rückstände von Arzneimitteln und Pestiziden getestet. Ergebnis: Nur in acht Gemeinden war das Trinkwasser frei von jeglichen schädlichen Stoffen. Toxikologe Lothar Aichler taxierte die gefundenen Mengen zwar für Menschen als gesundheitlich unproblematisch. Für Wasserlebewesen dagegen haben die Schadstoffe schwere Folgen. Der «Kassensturz» zitierte die Lausanner Ökotoxikologin Natalie Chèvre. Sie konnte in einer Studie einen Einfluss auf die Fortpflanzung und den Nachwuchs von Flusskrebsen nachweisen.


Reinigungsanlagen für Abwasser rüsten auf
Wissenschaftler beobachten Mikroverunreinigungen seit Jahren. Das neue Gewässerschutzgesetz von 2016 sieht vor, bis 2035 schweizweit 100 Reinigungsanlagen für Abwasser (Ara) aufzurüsten, damit diese die Stoffe besser herausfiltern können. Der Bund trägt dabei drei Viertel der Finanzierungskosten von geschätzt über einer Milliarde Franken.


Im Kanton Bern ist die erste verbesserte Ara in Thun seit rund einem Jahr in Betrieb. Mit Erfolg. Laut dem neuesten kantonalen Gewässerbericht haben Kontrollen im August letzten Jahres gezeigt, dass die Vorgaben des Bundes mehr als erfüllt sind: Demnach dürfen von zwölf Indikator-Stoffen noch maximal sechs im Wasser verbleiben und davon in deutlich geringeren Konzentrationen. Dafür hat man das Wasser aus dem Zulauf in die ARA mit jenem verglichen, das nach der Reinigung wieder in die Aare zurückfliesst. Die zusätzliche Filtration mit Aktivpulverkohle halte etwa ein Herz-Kreislauf-Medikament fast vollständig zurück, während vorher 90 Prozent davon im Wasser verblieben. Auch ein Blutdrucksenker und ein Antidepressivum seien nun gegenüber vorher praktisch nicht mehr vorhanden, heisst es im Bericht. Auch Rückstände von Antiepileptika, Entzündungshemmern, Antibiotika und anderen Arzneimitteln eliminieren die neuen Verfahren massiv besser. Was ermutigend klingt, hat jedoch seinen Preis: Die Investitionen beliefen auf 19 Millionen Franken mit der Folge, dass jeder Einwohner, der der ARA Thun angeschlossen ist, pro Jahr zehn Franken mehr für sein Wasser bezahlen muss.

Auch für die ARA Region Biel ist ein Ausbau mit zusätzlichen Reinigungsstufen bis etwa 2033 geplant. Geschäftsführer Andreas Schluep erklärt, dass man innerhalb der nächsten sechs Jahre die bestehenden Reinigungsverfahren verbessern und energieeffizienter machen wolle. Gleich danach sei geplant, die Anlage auf die Bedürfnisse von 180 000 Einwohnern zu vergrössern. Darin miteingerechnet ist der Bedarf der Industrie in Biel, Brügg, Nidau, Port und dem Einzugsgebiet der ARA. Denn auch dieser Zweig wächst, genauso wie die Bevölkerung. Die jetzige Anlage reinigt laut Andreas Schluep für rund 120000 Menschen das Wasser. Die ARA Region Biel leitet das gereinigte Abwasser unterhalb des Wehrs in Port in die Aare. Die starke Strömung durchmische das Wasser, sodass Kleinstmengen an Schadstoffen nicht mehr messbar seien, sagt Andreas Schluep. Auch er registriert eine zunehmende Belastung des Abwassers. «Heute ist der Aufwand, um denselben Reinigungsgrad wie vor zehn Jahren zu erreichen, um ein Vielfaches höher.» Wie in Thun wird auch in Biel der Ausbau der Ara eine Stange Geld kosten. Schluep spricht von rund 20 Millionen Franken, wovon der Bund den Löwenanteil übernimmt.


Handeln, bevor es zu spät ist
Moderne Techniken ermöglichen es, Schadstoffe in kleinsten Mengen aus dem Wasser zu fischen. Also alles halb so schlimm? «Sicher nicht», sagt Andreas Hirt vom ESB. Das sei nichts anderes als Symptombekämpfung. Besser sei, das Wasser zu schützen und das Problem bei der Wurzel zu packen, also beim Menschen selber. Für ihn ist klar, dass alle ihren Beitrag dazu leisten können. Er wehrt sich dagegen, allen vorab den Landwirten die Rolle des Sündenbocks zuzuschieben: Gerade im Seeland gebe es zahlreiche Bauern, die am gemeinsamen Schutzprogramm der Wasserverbund Seeland AG teilnehmen. Als Folge davon sank der Nitratgehalt im Grundwasser. Dieser liegt bis heute weit unter dem erlaubten Wert. Hirt hält den Dialog mit den Landwirten für zielführender, als sie mit Vorwürfen unter Druck zu setzen. Dennoch befürwortet er die Biolandwirtschaft und will die Konsumenten ermutigen, so viele Bio-Lebensmittel wie möglich einzukaufen. Antibiotikarückstände aus der Fleischproduktion könnten sich durch reduzierte Bestände und artgerechte Haltung verringern lassen.


Bei den Arzneimitteln ist sich Hirt bewusst, dass er dünnes Eis betritt: «Einerseits werden wir immer älter, benötigen aber mehr Medikamente.» Man könne von Kranken nicht verlangen, auf Medikamente zu verzichten. Vielleicht könnten sich die Spitäler, wo am meisten Arzneimittel ins Abwasser gelangen, überlegen, eigene Kläranlagen zu bauen, meint er. Eine Nachfrage beim Bundesamt für Umwelt hat ergeben, dass sich Wissenschaftler in zahlreichen Projekten mit dem Thema auseinandersetzen. Weiter verweist Hirt auf Altlasten: Viele Mülldeponien bestünden noch immer. Es sei angezeigt, diese jetzt zu sanieren und nicht erst dann, wenn problematische Stoffe wie beispielsweise Quecksilber aus alten Batterien in den Boden gelangen. «Denn dann ist es bereits zu spät.»

Grenzwert überschritten– was inzwischen geschah

Chlorothalonil – Kappelen, Worben und Schnottwil suchen nach Lösungen. Derweil fordern Wasserversorger vom Bund mehr Informationen und Massnahmen zu Pflanzenschutzmitteln.

Im Frühsommer fanden Wissenschaftler vom Bund und den Kantonen zuviel vom Abbauprodukt des Pilzmittels Chlorothalonil im Grundwasser. Vor allem das landwirtschaftlich stark genutzte Mittelland war betroffen. Auch im Seeland überschritten Fassungen in Worben, Kappelen und Schnottwil den Höchstwert von 0.1 Mikrogramm pro Liter. Für die Fassung in Worben ist die Seeländische Wasserversorgung SWG zuständig. Geschäftsführer Roman Wiget hat inzwischen einige Hebel in Bewegung gesetzt. Das Wasser aus Worben galt bisher neben den fünf Fassungen im Gimmiz, die nicht belastet waren, als zweites Standbein. Derzeit testet die SWG in einem Pilotversuch zusammen mit dem Eidgenössischen Forschungsinstitut Eawag und dem kantonalen Gewässer- und Bodenschutzlabor mit dem Verfahren Umkehrosmose, ob sich die Chlorothalonil-Rückstände aus dem Wasser eliminieren lassen. Daneben prüft die SWG zusammen mit dem Kanton und anderen Wasserversorgern, ob es alternative Standorte im Seeland gibt, wo man nach Wasser bohren könnte. Der SWG sind 20 Verbandsgemeinden zwischen Hagneck und Orpund angeschlossen.
In Kappelen macht man sich Gedanken darüber, wie es weiter gehen soll. Als erste Option stehe im Zentrum, das Wasser künftig in Aarberg zu beziehen, schreibt Gemeindepräsident Hans-Martin Oetiker (parteilos). Als zweite Alternative käme der Anschluss an das Netz der Seeländischen Wasserversorung infrage. Über den Bau einer Leitung bestimme das Volk Ende Jahr an der Gemeindeversammlung.


Auch Schnottwil muss handeln. Der Gemeinderat ist laut Gemeindepräsident Stefan Schluep (FDP) im Gespräch mit der Nachbargemeinde Biezwil. Man prüfe, ob man das Wasser der Schnottwiler Quelle mit jener von Biezwil mischen kann. Zwar liegt Biezwil wie Schnottwil mitten im Landwirtschaftsgebiet. Dennoch gibt es bezüglich der Quelle einen grossen Unterschied: «Im Gegensatz zur Wasserfassung in Schnottwil liegt der Zuströmbereich derjenigen von Biez-wil nicht im Landwirtschaftsland, sondern im Waldgebiet», sagt Stefan Schluep. Deshalb halte er es für sehr wahrscheinlich, dass das Biezwiler Wasser nicht mit Pestiziden belastet sei.


Wasserversorger machen Druck
Derweil fordern die Schweizer Wasserversorger und SWG-Geschäftsführer Roman Wiget seit Januar ein Verbot von Chlorothalonil und verschärfte Bedingungen für Pestizid-Wirkstoffe. Die Wasserversorger drängen auf Lösungen. Kürzlich wandte sich die Arbeitsgemeinschaft Wasserwerke Bodensee-Rhein (AWBR), deren Präsident Roman Wiget ist, in einem Brief an das Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) und Bundesrat Guy Parmelin (SVP). Darin verlangen sie eine detaillierte Liste aller bewilligten Pestizide und deren Abbauprodukte, um weitere problematische Stoffe besser erfassen zu können. Die Arbeitsgemeinschaft ist ein Zusammenschluss von über 60 Wasserversorgern im Einzugsgebiet der Aare und des Oberrheins. In seiner Stellungnahme verweist das BLW auf eine Liste der relevanten Pflanzenschutzmittel, die es bereits seit zwei Jahren publiziere. Zudem habe der Bundesrat in der Vernehmlassung zur Agrarpolitik 2022 vorgeschlagen, «Pflanzenschutzmittel mit erhöhten Risiken nicht mehr zuzulassen». Roman Wiget ist damit nicht zufrieden. Die Liste sei unvollständig. Er begrüsse zwar die Einschränkungen in der Zulassung. «Wir sind aber skeptisch, wie diese Kategorie definiert wird und welche Stoffe sie umfasst, denn der nationale Aktionsplan Pflanzenschutzmittel enthält zahlreiche derartige, unpräzise und unverbindliche Absichten», kritisiert Wiget. Das BLW verzichtet auf eine weitere Stellungnahme. Man werde den Brief der AWBR nicht über die Medien beantworten.


Massnahmen unnötig
Der Bund kündigte ein Verbot von Chlorothalonil im Herbst an. Doch noch immer liegt kein Beschluss vor. Inzwischen hat der Schweizer Bauernverband reagiert. In einer Mitteilung fordert er die Landwirte auf, bis zum Entscheid auf Chlorothalonil zu verzichten. Es stünden ausreichend andere Wirkstoffe zur Verfügung.
In einem Vorstoss im bernischen Grossen Rat forderten Politiker von Grünen, SP, EVP und GLP vom Regierungsrat, Massnahmen gegen Pestizide zu ergreifen. In seiner Antwort kommt dieser zum Schluss, dass der Kanton Bern mit seinem Pflanzenschutzprojekt schon eine Vorreiterrolle innehabe. Weitere Massnahmen hält er für unnötig. Zudem würden für ein Verbot von Chlorothalonil seitens des Kantons die gesetzlichen Grundlagen fehlen. Wohl aber könne er im Zuströmbereich des Grundwassers über den Einsatz von Pestiziden bestimmen. Dies ziehe er in Erwägung, falls der Bund Chlorothalonil nicht verbietet und Messungen die hohen Werte bestätigen. Der Regierungsrat will sich zudem für eine Lenkungsabgabe auf Pestizide engagieren.


46 unterschiedliche Stoffe
Auch die Kantonschemiker halten ein waches Auge auf das Trinkwasser. Dessen Qualität sei in der Schweiz zwar nach wie vor gut. Dennoch wollten sie sich in einer schweizweiten Kampagne einen Überblick über Pflanzenschutzmittel im Grundwasser verschaffen und führten in 300 Proben Messungen durch.
Resultat: In rund zwei Dritteln wiesen sie mindestens einen Wirkstoff nach. Insgesamt entdeckten sie 46 unterschiedliche Stoffe. Zwar lagen die Konzentrationen meistens unter den gesetzlichen Höchstwerten. Doch in elf Proben überschritten drei Stoffe beziehungsweise Abbauprodukte davon, diese Werte. Am häufigsten handelte es sich um Rückstände von Chlorothalonil.
Im Klartext: «Zum Zeitpunkt der Messung bekamen fast 170 000 Konsumentinnen und Konsumenten Trinkwasser, das nicht dem heutigen Lebensmittelrecht entspricht», schreiben die Kantonschemiker in ihrem Bericht.
 

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