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Ausstellung

Blicke hinter die Gitterstäbe

Seit fast zwanzig Jahren fotografiert Peter Schulthess Gefängnisse in der Schweiz. Eine politische Botschaft hat er nicht. Er will aber, dass Leute Haftbedingungen vergleichen können.

Bild: Peter Schulthess

Jessica King

Zu den desolateren Gefängnissen der Schweiz, sagt Fotograf Peter Schulthess, gehört das Regionalgefängnis der Stadt Bern. Es zählt zu den älteren Gebäuden, und diese seien oft noch anders konstruiert. Enger und dunkler. Insgesamt beklemmender als etwa das neuere Gefängnis in Thun, wo die Zellen Fenster in der Decke haben. «In Haft liegt man viel», sagt Schulthess. «So sehen die Insassen vom Bett in den Himmel.» Bei schlechtem Wetter hören sie gar den Regen prasseln.

Seit achtzehn Jahren fotografiert der Basler Gefängnisse, vor allem in der Schweiz, aber auch in Deutschland und Portugal. «Hierzulande gibt es riesige Unterschiede zwischen den Anstalten», sagt Schulthess. «Grössere als im Ausland.» Für seine aktuelle Fotoausstellung «The Swiss Prison Photo Project» im Käfigturm und die Publikation zweier Fotobände hat er insgesamt 42 Schweizer Gefängnisse besucht, vom kleinen im Jura mit Platz für vierzehn Häftlinge bis zum Genfer Champ-Dollon, dem grössten des Landes.

 

Teddybär mit Schlaufe

Die Bilder, die über drei Etagen im Käfigturm verteilt sind, erlauben einen Blick hinter Gitterstäbe, in Räume, die gesetzestreue Menschen nie zu Gesicht bekommen. Etwa in die Einzelzelle eines Häftlings der Anstalt Saxerriet. In der Mitte des Raumes thront eine schwarze Kaffeemaschine, auf dem schmalen Bett liegt ein Teddybär mit roter Schlaufe um den Hals. An der Tür hängt ein Schild: «Denke an das Schöne», steht da, «heute ist ein guter Tag für ein Lächeln.»

Ein krasser Kontrast dazu bildet eine Aufnahme aus Champ-Dollon. Sechs Betten sind in einen engen Raum gequetscht, je zwei aufeinander. An den Wänden blättert Farbe ab, sogar die Decke ist schmuddelig. Wiederholt hat die Nationale Kommission zur Verhütung von Folter die Haftbedingungen hier kritisiert, weil die Zellen derart überbelegt sind.

In jedem Gefängnis geht Peter Schulthess nach dem gleichen Muster vor. Er fotografiert aus einem ähnlichen Winkel Eingangsbereich, Küchen, Zellen, Gemeinschaftsräume, Sporthallen, Wartezellen, Spazierhöfe. Bei seiner Arbeit wird er von Aufsehern begleitet, immer öfter auch von Medienbeauftragten des Kantons, die sich um den Ruf der Anstalt sorgen. Die Bilder sind nüchtern, Häftlinge kaum zu sehen. Bewusst. Denn Schulthess will keinen ungesunden Voyeurismus bedienen, keine Einzelschicksale porträtieren. Lieber lässt er die kleinen Details Geschichten erzählen, etwa ein Shampoo für Männer mit Haarausfall am Kiosk der Lenzburger Strafanstalt. «Mich reizt es, die Realität zu dokumentieren», sagt er. «So werden die Gefängnisse auch vergleichbar.»

 

Ganz andere Ansprüche

Eine lückenlose Dokumentation ist aber gar nicht möglich. Einige Zellen darf er nicht fotografieren, weil sie zu unaufgeräumt sind. Andere Zimmer, weil sie zu schön sind. Etwa ein lichtdurchfluteter Fitnessraum in einer Strafanstalt mit nigelnagelneuen Geräten. Oder ein Aussenpool, in dem die Häftlinge im Sommer baden. «Bei diesen Sujets befürchteten die Gefängnisdirektoren, dass sie Diskussionen auslösen würden», sagt er.

Die Bilder zeugen vom Balanceakt, den Vollzugsbeamte vollbringen müssen. Die Einrichtung muss abschreckend wirken, aber gleichzeitig nicht so verheerend sein, dass Häftlinge psychisch erkranken oder übertrieben leiden. «Die Strafe ist ja der Entzug der Freiheit», sagt Schulthess. «Die Insassen müssen nicht zusätzlich schlecht essen, kalt duschen und in kleinsten Zellen leben.» An der Ausstellung fasziniert, wie anders die Anstalten diese Ansprüche abwägen. In der Romandie ist es normal, dass jeder Häftling einen Kühlschrank in der Zelle hat, in der Deutschschweiz kommt dies kaum vor. In Pöschwies können die Gefangenen im Besuchsraum mit ihrer Frau schlafen, am Vorhang baumeln rote Herzen. Im Flughafengefängnis Zürich ist ein Sexverbotsschild aufgehängt.

Den Vorwurf der Kuscheljustiz hört Schulthess nicht gern. «Ich habe noch keine Zelle gesehen, in die ich freiwillig einziehen würde», sagt er. «Sind wir ehrlich: Wenn man 23 Stunden pro Tag in einer kleinen Zelle sitzt, vielleicht mit einem Zellennachbarn, der einem nicht passt, ist es egal, ob die Ausstattung etwas schöner ist oder nicht.» Auf den Bildern komme zudem das beklemmende Gefühl nicht zur Geltung, die eine von aussen verriegelte Türe auslöse.

 

Stühle aus Schaumstoff

Richtig ungemütlich wird es spätestens im obersten Stock der Ausstellung. Hier dokumentiert Schulthess den Spezial- und Sicherheitsvollzug. Isolierzellen, Stühle aus Schaumstoff, Geschirr aus Styropor. Hier wird die schiere Not eines Insassen spürbar, der während der Isolierhaft in der Justizvollzugsanstalt Solothurn die Wände vollgekritzelt hat. «Ich will den Alltag festhalten», sagt Schulthess. «Nicht nur das Schöne oder das Hässliche.» Und schliesst mit einem Satz, so nüchtern wie die Ausstellung: «Nur so ist ein repräsentativer Querschnitt möglich.»

Ausstellung «The Swiss Prison Photo Project» im Käfigturm bis 4. April. 
Anmeldung auf der Website www.polit-forum-bern.ch oder per Telefon: 031 310 20 60.

Stichwörter: Gefängnis, Fotos, Kanton Bern

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