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Didier Wicht

«Bei einem Alarm in der Altstadt ist unser Respekt doppelt so gross»

Das grössere Problem als das Feuer ist oft der Rauch: Brände in der Bieler Altstadt sind für die Feuerwehr besonders heikle Aufgaben. Allgemein aber seien im Brandschutz grosse Fortschritte erzielt worden, sagt Kommandant Didier Wicht.

Copyright: Peter Samuel Jaggi / Bieler Tagblatt

Interview: Tobias Graden

Didier Wicht, am 25. November hat es in der Bieler Altstadt an der Obergasse gebrannt. Wie war dieser Einsatz für Sie?

Didier Wicht: Wir nehmen natürlich jeden Einsatz ernst. Aber wenn wir einen Alarm aus der Altstadt haben, ist unser Respekt doppelt so gross und es ist sofort klar, dass wir unbedingt intervenieren müssen. In der Altstadt stehen selbstredend alte Häuser mit Weichkonstruktion. Uns ist bewusst, dass bei einem Brand eine sehr rasche Ausbreitung und starke Rauchentwicklung droht. Das war auch an diesem Abend der Fall. Eine zusätzliche Herausforderung ist die Zugänglichkeit: Die Altstadt ist recht eng. Für uns ist der Stress also grösser, wenn wir in der Altstadt intervenieren müssen.

 

Anwohner haben ausgesagt, die Feuerwehr sei bei dem Brand zuerst von der Untergasse her angefahren, dabei aber nicht bis zum Haus gelangt. Warum war das so?

Die Verantwortung über die Taktik obliegt dem Einsatzleiter. Uns wurde gemeldet, man habe von der Südseite Sicht auf den Brandplatz, also von der Untergasse her. Darum haben wir zuerst versucht, von dieser Seite her zu intervenieren. Wir haben dann aber ohne Zeitverlust umgehend entschieden, dies von der Obergasse her direkt zu tun.

 

Es gab keinen Zeitverlust?

Absolut nicht. Wir haben sozusagen von der Untergasse her rekognosziert und sind dann umgehend an die Obergasse gefahren. Denn auch mit der Leiter hatten wir keine Chance von Süden her. In der Obergasse dagegen waren die Verhältnisse für eine Intervention geeignet.

 

Weiss die Feuerwehr nicht bei jedem Haus der Altstadt genau, von welcher Seite der Zugang am besten gelingen könnte?

Wir haben nicht für jedes einzelne Haus eine Einsatzplanung. Das wäre zu aufwändig und nicht realistisch. Aber wir kennen die Altstadt, wir wissen, wo Eingänge und Passagen sind, wo Schwierigkeiten zu erwarten sind. Eine vorgegebene Einsatzplanung aber haben wir nur für einzelne Objekte, etwa für das Stadttheater oder dort, wo es Brandmeldeanlagen gibt.

 

Beim Brandfall vom 25. November haben die Anwohner die Feuerwehr darauf aufmerksam gemacht, dass sich noch ein Mensch in dem Haus befindet. Was läuft dann in einem solchen Fall bei der Einsatzleitung genau ab?

Dann hat für uns die Rettung die erste Priorität. Gleichzeitig müssen wir das Feuer halten, also die Brandausbreitung verhindern. Ein grosses Problem war an jenem Abend die Rauchentwicklung.
Die Sichtbarkeit war absolut null – unter diesen Bedingungen mussten wir die gefährdete Person suchen.

 

Die Person ist dann gestorben. Hatte sie in diesem Fall keine Chance?

Das kann ich so nicht beantworten. Aus technischer Sicht aber lässt sich sagen, dass die Rauchentwicklung wirklich massiv war. Ich habe noch nie so viel Russ auf den Helmen und Jacken gesehen wie nach diesem Einsatz. Der Rauch war durchsetzt mit Russ, er war unglaublich dicht.

 

Der Verstorbene konnte nicht aus dem Fenster springen, weil unter ihm die Terrasse brannte. Hätte ihn also nur eine extrem schnelle Evakuation unmittelbar nach Brandausbruch retten können?

Das ist wohl so. Man muss sich bewusst sein: Rauch ist ein Gift. Wenn man zweimal eingeatmet hat, dreht einem schon der Kopf. Betroffene können also nicht mehr klar handeln und in Panik geraten. Und nach ein paar weiteren Atemzügen ist man bereits bewusstlos.

 

Die Feuerwehr ist dann so rasch wie möglich durch das Treppenhaus zur betroffenen Wohnung gegangen ...

… ja. Aber das dauert einige Minuten. Wir arbeiten mit dem sogenannten «Innenangriff»: Wir gehen hinein, löschen und rekognoszieren. Das geht nicht innert Sekunden.

 

Konnte man dann in die Wohnung der Person gelangen?

Selbstverständlich. Wir müssen immer in eine solche Wohnung gelangen können, auch wenn man dies etwas forcieren muss.

 

War die Türe dieser Wohnung denn offen?

Dazu kann ich nichts sagen. Die genauen Umstände zu untersuchen und darüber zu informieren, das ist Sache der Kantonspolizei. Das Gleiche gilt für die Brandursache. Wir machen keine diesbezüglichen Ermittlungen, sondern die Polizei. Unsere Aufgabe ist es, den Brand zu lokalisieren, ihn zu halten und zu löschen und Menschen zu retten. An der Ermittlungsphase sind wir nicht beteiligt.

 

Erkennt ein erfahrener Feuerwehrmann, warum es brennt, wenn er an einen Brandplatz kommt?

Nicht sofort. Die Erfahrung hilft uns aber, ein Brandgebiet «lesen» zu können. Wir schätzen die Umgebung ein, die meteorologischen Bedingungen, das Haus selber – wo hat es Eingänge und Fenster, was ist es für eine Dachkonstruktion, was ist sein Zweck, gibt es schutzbedürftige Werte und besteht Gefahr für Menschen?

 

Ist ein Wohnhaus also ein einfacherer Fall als etwa ein Industriegebäude, wo allenfalls giftige Substanzen lagern?

Überhaupt nicht, vor allem nicht in der Altstadt, wo es beim Einsatz auch um den Konstruktionserhalt des Gebäudes geht. Moderne Gebäude verfügen über Brandschutzkonzepte, womit grosse Fortschritte erzielt wurden. Die Beispiele lassen sich gar nicht vergleichen.

 

Was löst es bei den Feuerwehrleuten aus, wenn sie wie in diesem Fall einen Menschen nicht retten konnten?

Das ist eine Belastung. Unsere Einsatzhaltung ist es ja, retten zu wollen. Der Mensch hat oberste Priorität. Kommt es zu so unglücklichen Situationen wie nun, sprechen wir mit unseren Feuerwehrleuten und holen uns Unterstützung. Dazu gibt es gute Debriefing-Konzepte.

 

Haben Sie selber schon oft solche Fälle erlebt?

Zum Glück gibt es sie immer weniger. Todesopfer bei Bränden gibt es nur wenige, öfter kommt es vor bei Verkehrsunfällen, ein- oder zweimal pro Jahr.

 

Aber zu tödlichen Bränden kommt es in der Region recht selten?

Ja. Die Leute wissen mittlerweile besser, wie sie sich im Brandfall verhalten müssen, und sowohl die Brandschutz- als auch die Feuerwehrkonzepte mit guter Ausbildung und guter Ausrüstung haben viel geholfen, sodass es weniger Todesfälle gibt als früher.

 

Was sollen Anwohner tun, wenn sie bemerken, dass es in einem Haus brennt, insbesondere in der Altstadt?

Sie sollen uns den Brand sofort melden. Wir werden nie jemanden kritisieren, wenn mal eine Alarmierung zu viel kommt. Die Anwohner sollen dann umgehend alle Fenster und Türen schliessen und – für den schlimmsten Fall – Fluchtwege im Auge behalten, die wichtigsten Dinge wie den Reisepass behändigen und die Nachbarn informieren.

 

Ist es ratsam, selber in ein brennendes Haus zu gehen und dort Menschen zu warnen oder retten versuchen?

Bei einem Brand ist es besser, sofort zu flüchten. Allerdings sind alte Häuser in der Altstadt nicht mit modernsten Mehrfamilienhäusern vergleichbar. Wenn es bei Letzteren im Keller brennt und Rauch im Treppenhaus ist, sind die Bewohner noch nicht gleich in unmittelbarer Gefahr. Flüchten sie durch das Treppenhaus, kann es zur Behinderung der Intervention der Feuerwehr kommen. Doch bei alten Gebäuden muss man sofort flüchten.

 

Und als Anwohner soll ich in dem Fall also nicht retten gehen?

Wenn Sie es tun, sind Sie ein Held. Aber Sie müssen sich bewusst sein: Die Rauchentwicklung ist rasch enorm und eine grosse Gefahr für Sie. Das ist eine sehr schwierige Situation.

 

Seit einigen Jahren sind Feuerlöscher in Wohnhäusern nicht mehr gesetzlich vorgeschrieben, Sie haben diese Lockerung des Brandschutzes damals kritisiert. Sollte man die Vorkehrungen wieder gesetzlich verschärfen, insbesondere in Altstädten?

Ich glaube nicht. Die momentanen Vorschriften sind gut. Wichtig ist es aber, dass Hauseigentümer bei Sanierungen den Brandschutz berücksichtigen. Kontrolliert wird dies über das Baugesuch – dieses ist keine Schikane, sondern dient eben auch dazu, den Brandschutz zu verbessern.

 

Sie fordern also keine gesetzlichen Verschärfungen.

Nein. Wenn die aktuellen Vorschriften gut umgesetzt werden, reicht dies aus – natürlich unter der Voraussetzung, dass sich die Menschen in einem Haus auch korrekt verhalten. Für die Bewohner bedeutet dies, dass sie allfällige Schäden umgehend melden, wenn etwa bei Heizungen oder Stromleitungen etwas nicht in Ordnung ist.

 

Sie sind seit 2008 oberster Feuerwehrmann der Regionalen Feuerwehr in Biel. Ist Ihnen aus dieser Zeit ein Einsatz besonders in Erinnerung geblieben?

Das war auch in der Altstadt. In der Juravorstadt gab es einen Dachstockbrand. Es herrschte starker Wind, wir fürchteten die Ausbreitung des Brandes, mehrere weitere Häuser waren gefährdet. Doch wir konnten den Brand halten.

 

Hatten Sie Erlebnisse, die besonders schön waren?

Schöne Momente sind es, wenn wir retten können. Wenn wir beispielsweise eine schwer verletzte Person nach einem Verkehrsunfall aus dem Auto holen und diese nach einiger Zeit wieder gesund in der Stadt spazieren sehen, dann heisst dies, dass wir gut gearbeitet haben.

 

Die Einsatzstatistik der Feuerwehr Biel weist in diesem Jahr bis Ende November bei 568 Einsätzen 106 Fehlalarme aus. Warum sind es so viele?

Fehlalarme gibt es meistens bei Brandmeldeanlagen. In der Stadt Biel gibt es über 200 solche Anlagen, bei Pannen rücken wir schon mal vergebens aus. Aber wir nehmen jeden neuen Alarm wieder gleich ernst, auch wenn es bei der Anlage zuvor schon zu Fehlalarmen gekommen ist. Ich möchte zu dieser Statistik noch etwas anderes sagen.

 

Gerne.

In vielen Fällen geht es um Rauchentwicklung und nicht mehr um Brand. Das ist der Vorteil einer Berufsorganisation: Wir sind permanent in der Kaserne stationiert und können innert zwei Minuten ausrücken. So bleibt es oft bei der Rauchentwicklung und kommt gar nicht mehr zum Brand.

 

In diesen Tagen las man wieder von einem Serienbrandstifter im Aargau. Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie solche Nachrichten lesen?

Wir hatten in Biel ja auch so etwas, als immer wieder Autos in Brand gesteckt wurden. Das ist traurig, es zeigt, dass jemand krank ist und sich selber und die Mitmenschen in Gefahr bringt.

 

Haben Sie in jener Zeit schlechter geschlafen?

Das nicht. Aber wir sind in solchen Zeiten jeweils besonders wachsam und prüfen, ob es in unseren Abläufen Verbesserungsmöglichkeiten gibt.

 

Diese Serie ist bis heute nicht aufgeklärt worden?

Nein. Ich habe jedenfalls keinen entsprechenden Bericht erhalten.

 

Nun steht Weihnachten vor der Tür – das ist angesichts der Brandgefahr wohl nicht die ruhigste Zeit für Sie.

In letzter Zeit konnten wir eigentlich meist ruhig schlafen. Die Leute verwenden zum Glück immer weniger echte Weihnachtskerzen, sondern elektrische Girlanden. Es gibt bloss noch ein, zwei Brandfälle wegen Weihnachtsbäumen pro Jahr und drei, vier während der Adventszeit wegen brennender Adventskränze.

 

Welche Kerzen verwenden Sie am Weihnachtsbaum?

Elektrische. Und ich weiche nicht vom Baum, wenn sie brennen. Denn auch mit elektrischen Kerzen kann immer etwas passieren.

 

Echte Kerzen kämen für Sie nicht in Frage?

Nein, nein, nein. Absolut nicht.

 

Zur Person

  • geboren am 19. Februar 1967 in Biel
  • aufgewachsen in Biel
  • ausgebildeter schweizerischer Feuerwehrinstruktor
  • seit 2008 Feuerwehrkommandant der Regionalen Feuerwehr Agglomeration Biel/Bienne
  • im Nebenamt Kreisfeuerwehrinspektor der Gebäudeversicherung des Kantons Bern für den Kreis Berner Jura
  • Präsident der Organisation der Arbeitswelt Feuerwehr (OdAFW)
  • verheiratet, zwei erwachsene Kinder
  • Hobby («auch wenn ich nicht viel Zeit habe»): Viel Sport je nach Saison, «aber ich bleibe gerne daheim bei der Familie». tg

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