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Chorsingen vom Schlafzimmer aus

Der Frauenchor Lyss hat das Projekt «Chor on a Time» ins Leben gerufen. Wer Lust hat, im Chor zu singen, bekommt das Material geliefert und kann daheim üben.

Sue Lehmann stellt für die Sängerinnnen des Frauenchors Lyss Übungsmaterial zusammen. Bild: Mattia Coda

Sarah Grandjean

Kopierte Noten aus einem Gesangsbuch und eine MP3-Datei, auf der ein elektronisches Klavier ohne jegliche Dynamik Elvis Presleys «Can’t help falling in Love» widergibt: Dies ersetzt momentan die wöchentlichen Proben des Frauenchors Lyss.

Sue Lehmann, Präsidentin des Chors, war nur kurz frustriert, als klar wurde, dass die Chorproben wegen der Massnahmen zur Eindämmung des Coronavirus bis auf Weiteres ausfallen würden. Damit nicht das ganze Repertoire verloren geht, hat sie für «ihre Frauen», wie sie die Chormitglieder nennt, Übungsdateien erstellt, um daheim üben zu können.

Und dabei gedacht: Warum nicht den Chor öffnen und dieses Angebot auch anderen zur Verfügung stellen? So ist das Projekt «Chor on a Time» entstanden. Jede Frau, die Lust dazu hat, kann sich bei Lehmann melden. Daraufhin bekommt sie Noten und Tonaufnahmen ihrer gewählten Stimme als MP3-Datei oder als CD zugeschickt. Mehrheitlich handelt es sich bei den Liedern um klassische Stücke, aber auch alte Volkslieder wie das «Guggisberglied» oder «Lueget vo Bärg und Tal» sind dabei.

Sobald es wieder möglich ist, soll sich der Projektchor in Lyss treffen, um zusammenzusetzen, was jede Sängerin für sich allein einstudiert hat. Lehmann ist gespannt, wie es klingen wird, wenn «ihre Frauen» zusammen mit «völlig Fremden» singen.

Eine bunte Mischung

Sue Lehmann ist neugierig, wie viele sich auf «Chor on a Time» einlassen werden. Sie betont: Wer sich für das Projekt anmeldet, verpflichtet sich zu nichts. Wem es nicht entspricht, kann jederzeit aussteigen. Falls eine Sängerin sich vom Projekt so begeistern lässt, dass sie dem Chor beitritt, würde sie sich darüber doppelt freuen.

Denn der Frauenchor Lyss ist immer auf der Suche nach neuen Mitgliedern. Momentan sind 28 Frauen dabei. Die ältesten sind über 80, die jüngste 23 Jahre alt. Manche sind als Anfängerinnen eingestiegen und können bis heute nicht Noten lesen, andere spielen ein Instrument oder nehmen Gesangsunterricht. Diese bunte Mischung macht für Lehmann ihren Chor aus.

Für gewöhnlich arbeitet der Chor auf seine alljährlichen Jahreskonzerte hin, tritt aber auch in Gottesdiensten oder bei Festen der Chorvereinigung Seeland auf. Das letzte Konzert liegt fast ein halbes Jahr zurück: Im vergangenen November führte der Frauenchor Lyss zusammen mit einem Orchester und zwei weiteren Chören Felix Mendelssohns «Walpurgisnacht» auf. Über 100 Menschen singend auf engstem Raum: In Zeiten von Corona ist das nicht denkbar. Mehrere Auftritte fallen jetzt aus. «Das tut wirklich weh», so Lehmann. Mehr als die Konzerte vermisst sie jedoch die gemeinsamen Proben.

Sue Lehmann selbst ist seit 15 Jahren Teil des Frauenchors Lyss. «Eigentlich wollte ich nie in einen Frauenchor», sagt sie. Ihre Mutter habe in einem gesungen, das habe ihr nie gefallen.

Vorfreude auf Proben

Als sie nach Lyss zog, konnte ihre Schwiegermutter sie davon überzeugen, sie zu einer Probe zu begleiten. «Und dann hat es mir den Ärmel reingenommen.» Das Singen im Chor gebe ihr Energie, so Lehmann. Egal, wie gehetzt und müde vom Alltag sie sei, nach kurzer Zeit merke sie jeweils, wie sich ihre Batterien füllen. Allein zuhause zu üben, im Schlafzimmer oder im Büro zu einer CD zu singen, sei nicht dasselbe. Die Interaktion, die Gespräche und das gemeinsame Lachen fallen weg.

Natürlich musste sie sich zuweilen aufraffen, um zu einer Probe zu gehen, wäre lieber gemütlich zuhause geblieben. Aber der Chor sei wie vieles im Leben: Man nehme ihn als selbstverständlich wahr. Fallen die dienstäglichen Proben dann weg, merke man plötzlich, wie viel sie einem bedeuten.

Deshalb freut Lehmann sich umso mehr darauf, wenn sie wieder stattfinden können. Denn: «Erst die verschiedenen Stimmfarben, Emotionen und das Miteinander machen die wahre Magie der Musik aus.» Und so dürfte es auch um einiges lebendiger klingen, wenn anstelle eines computergenerierten Klaviers mehrere Frauenstimmen singen werden: «For I can’t help falling in love with you.»

Link: www.frauenchor-lyss.jimdofree.com/chor-on-a-time

Stichwörter: Frauenchor, Lyss, singen

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