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Ruhestörung

Mit heulendem Motor durch die Stadt

Aufgemotzte Autos erhitzen die Gemüter in urbanen Zentren des Kantons Bern. Die Polizei reagiert mit über
80 Anzeigen und rund 30 beschlagnahmten Boliden.

Die Auspuffanlage ist bei Liebhabern von sportlichen Boliden ein beliebtes Objekt, um den Sound des Autos auffälliger zu machen - ganz zum Leidwesen der Stadtbewohnerinnen und -bewohner. Bild: Manu Frederich

Michael Bucher

Der Begriff Autoposer macht derzeit die Runde. Gemeint sind die in der Regel noch jungen Männer mit einer feurigen Leidenschaft für ihre sportlichen – meist geleasten – Boliden. Diese fahren sie vorwiegend abends aus und machen durch lautes Aufheulen des Motors auf sich aufmerksam. Nicht selten sorgen unerlaubte Tunings, etwa an der Auspuffanlage, für die Ruhestörung.

Das Phänomen ist nicht neu. Doch häuften sich in den letzten Monaten im Kanton Bern die Meldungen aus der Bevölkerung wegen Lärmbelästigungen durch lautes Motorengeheul. Dies bestätigt die Kantonspolizei Bern auf Anfrage. Aufgrund der Meldungen und eigener Beobachtungen hat sie deshalb in jüngster Zeit ihre Kontrollen verschärft.

Vor allem Städte betroffen

Die Berner Polizei führt keine eigene Statistik im Zusammenhang mit dem sogenannten Renommierverkehr, deshalb kann sie keine exakten Zahlen nennen. Doch ein Blick in die Polizeimeldungen der vergangenen zwei Monate zeigt das Ausmass: Seit Ende Juni publizierte die Polizei Communiqués zu über 80 Anzeigen und rund 30 beschlagnahmten Boliden mit illegalen Fahrzeugteilen. Effektiv dürften es noch mehr sein, denn die Polizei teilt mit, dass gezielte Kontrollen nicht ausnahmslos kommuniziert würden.

Ein Berner Phänomen ist das beileibe nicht. In der gesamten Deutschschweiz vermeldeten die Polizeikorps seit Anfang Jahr mindestens 577 Verzeigungen, weil Fahrzeuge abgeändert wurden oder weil die Fahrer unnötigen Lärm verursachten. Dabei stellten die Beamten mindestens 113 getunte Autos sicher, wie 
«20 Minuten» vor einem Monat berichtete.

Im Kanton Bern sind vor allem urbane Zentren in Städten und Agglomeration betroffen, wie die Polizei festhält. So nahm sie diesen Sommer gezielte Kontrollen in Bern, Thun, Biel und Langenthal vor. In Thun wurde gar die Regierung aktiv, weil sich die Beschwerden aus der Bevölkerung häuften. Sie beauftragte die Kantonspolizei, vermehrt Kontrollen auf dem Stadtgebiet durchzuführen.

So weit geht man in der Bundesstadt nicht. Lärmende Autos seien in Bern kein neues Phänomen und im Moment nicht sonderlich akut, heisst es beim Polizeiinspektorat der Stadt Bern. Da Lärmbelästigungen durch Autos unter das Strassenverkehrsgesetz fallen würden, verweist die Stadt auf die Kantonspolizei als erste Anlaufstelle. Diese hat laut publizierten Meldungen seit Ende Juni zweimal gezielte Kontrollen in der Stadt durchgeführt. Dabei wurden 14 Autohalter wegen «unnötigen Verursachens von vermeidbarem Lärm» verzeigt und zwei Autos wegen «unerlaubter Abänderungen» sichergestellt.

Hotspots in Berns Westen

In Bern beschränke sich das Phänomen der Auto-Poser vorwiegend auf den westlichen Teil der Stadt, wie Kantonspolizei und Stadt festhalten. Das bestätigt auch Manuel C. Widmer. Der GFL-Stadtrat und Lehrer wohnt an der Schwarztorstrasse und beobachtet das Phänomen schon länger. «Derzeit hören wir täglich Motorengeheul, wenn wir abends draussen im Garten sitzen», sagt Widmer. Laut ihm sind die beliebtesten Hotspots die lang gezogenen Bümpliz-, Murten-, Schloss-, Effinger- oder Schwarztorstrasse. Die zum Teil vielen Ampeln seien kein Hindernis – im Gegenteil: «Nach einem Ampelstopp können die jedes Mal aufs Neue lautstark beschleunigen», so Widmer.

So steht bei den aktuellen Anzeigen denn auch das kurze, aber lärmintensive Aufheulen-Lassen des Motors im Vordergrund und nicht etwa das Fahren mit übersetzter Geschwindigkeit, wie die Polizei festhält. Doch auch illegale Strassenrennen gibt es. In Niederwangen liefern sich regelmässig junge Männer Rennen mit ihren Boliden, wie die «Berner Zeitung» letztes Jahr berichtete. Und vor ein paar Jahren wurde auch die Fellerstrasse im Westen Berns regelmässig als Rennstrecke missbraucht. Die Stadt reagierte und installierte Hindernisse und verengte die Strasse mit Markierungen.

Mehr Aktivismus wünscht sich Manuel C. Widmer auch jetzt von der Stadt. Er hat deshalb einen Vorstoss eingereicht, damit die Behörden analog zu Thun aktiv gegen den Renommierverkehr vorgehen.

Coronakrise als Treiber?

In Thun ist Gemeinderat Peter Siegenthaler (SP) überzeugt, dass die Coronakrise das Phänomen der Autoposer noch verschärft habe: «Die leeren Strassen waren attraktiv für die Poser, auch weil sie ohne den restlichen Verkehr noch mehr auffielen als sonst», sagte Siegenthaler kürzlich gegenüber der Zeitung «Der Bund». Auch der schweizweit bekannte Autotuner Began Gergoci glaubt an einen Einfluss der Coronakrise – allerdings in anderer Hinsicht. Der 28-jährige Thuner vermutet, dass die Leute – gerade während des Lockdown – etwas lärmempfindlicher geworden sind, wie er im Interview mit dieser Zeitung sagt. Ausserdem will er mit der falschen Vorstellung aufräumen, dass jedes laute Auto automatisch illegal aufgemotzt wurde. «Auch viele Autos ab Werk sind laut», meint er.

Tatsächlich sind technische Veränderungen an den Fahrzeugen nicht pauschal verboten, sofern sie vom Strassenverkehrsamt geprüft wurden. Doch nicht wenige Liebhaber von sportlichen Autos lassen sich eine frisierte Auspuffanlage einbauen oder das Fahrwerk tiefer legen, ohne die Modifikation prüfen zu lassen. Es gebe nicht wenige Schlaumeier, welche vor einer anstehenden Fahrzeugprüfung die illegale Auspuffanlage entfernen würden, um sie nach der Kontrolle wieder einzubauen, heisst es beim Strassenverkehrsamt des Kantons Bern.

500 Franken Busse

Bei polizeilichen Kontrollen von getunten Autos sind es Spezialisten des Unfalltechnischen Dienstes, welche vor Ort eine erste Prüfung durchführen. Bei Bedarf kann das verdächtige Auto auch in ein Verkehrsprüfzentrum gebracht werden, wo der Wagen einer umfangreichen Kontrolle unterzogen wird. Entpuppt sich etwa die Auspuffanlage als illegal, wird diese abmontiert. In dem Fall muss der Fahrzeughalter selber schauen, dass er sein fahruntaugliches Auto in eine Autowerkstatt abschleppen lässt.

Wie hoch die Bussen für ein entsprechendes Delikt ausfallen, darüber macht die Polizei keine Angaben. «Über das Strafmass entscheidet die Justiz auf Grundlage einer allfälligen Anzeige durch die Polizei», heisst es lediglich. Ein Beispiel liefert ein Strafbefehl, gegen den sich ein 27-Jähriger aus dem Oberaargau gewehrt hatte. Vor rund zwei Wochen bestätigte das Regionalgericht in Burgdorf die Verurteilung des Kosovaren zu einer Busse von 500 Franken. Die Polizei hatte am BMW des jungen Mannes unzulässige Änderungen an Auspuff und Fahrwerk festgestellt.

Stichwörter: Auspuff, Auto, Lärm, Motoren

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