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Täuffelen

Der Berner Zibelemärit 
muss im eigenen Hofladen stattfinden

Anfang März haben die Iselis in Täuffelen wie jedes Jahr in grossen Mengen Zwiebeln angesät. Doch im August wurde der Zibelemärit in der Bundesstadt abgesagt. Nun müssen sie andere Standbeine stärken.

Seniorchefin Hanni Iseli beim "Trüschle", wie man das Herstellen der Zwiebelzöpfe im Seeland nennt. Bild: Matthias Käser

Beat Kuhn

Immer am vierten Montag im November hält die Stadt Bern ihr grösstes Fest ab, den Zibelemärit, der bis zu 80 000 Personen aus der ganzen Schweiz und sogar aus dem nahen Ausland anlockt. Immer – ausser 1919, als die Maul- und Klauenseuche den Viehbestand im Land stark dezimierte, und 2020: Am 14. August hat die Stadtregierung den Grossanlass wegen der Covid-19-Pandemie abgesagt, denn «vor dem Hintergrund der jeweils immensen Besucherzahlen ist die Einhaltung von Schutzmassnahmen nicht ausreichend möglich» (das BT berichtete).

Absage war «ein Schock»

Von der Absage ist auch die Landwirtschaft im Seeland betroffen, die mit dem Zwiebelmarkt traditionell eng verbunden ist (siehe Zweittext). So zum Beispiel der Betrieb Iseli Gemüse und Früchte in Täuffelen, für den der Verkauf von Zwiebeln eines der wichtigsten Standbeine ist. Am Berner Zibelemärit ist er sogar gleich mit zwei Ständen vertreten. Darüber hinaus beliefert er andere Marktfahrer mit Zwiebelzöpfen für den Verkauf dort.

Die Absage sei «ein Schock» gewesen, sagt Seniorchefin Hanni Iseli, die trotz ihren 78 Jahren noch rüstig ist. Die Iselis haben aber schnell reagiert und unmittelbar nach der Hiobsbotschaft einen Facebook-Aufruf an die «werte Kundschaft» lanciert, die wohl schon mitbekommen habe, dass «der Zwiebelmarkt in Bern» wegen Corona nicht stattfinde. «Nun ist es aber so, dass wir unsere Zwiebeln bereits im Trockenen haben und wir diese natürlich auch zu Zwiebelzöpfen verarbeiten werden», heisst es dort weiter. «Bitte unterstützen Sie uns auch ohne Grossanlass.»

Konkret kann man die «Trütsche», wie man die Zöpfe im Seeland nennt, seit kurzem im Hofladen der Iselis beziehen, in dem auch zahlreiche andere Gemüse- und Früchtesorten angeboten werden. Die «Villa Carotte», wie der Laden genannt wird, ist dienstags und freitags von 7 bis 18 Uhr geöffnet. Man kann auch per Telefon oder Mail bestellen, muss die Ware aber selbst abholen. In den Online-Handel wollen die Iselis allerdings nicht grad einsteigen, weil «das Verschicken heikel und mit zu grossem Aufwand verbunden ist – besuchen Sie uns doch lieber ...»

Nichtsahnend gesät

Wie üblich Anfang März hätten sie in grossen Mengen Zwiebeln gesät, sagt Hanni Iseli. Damals habe man noch nicht gewusst, was für Auswirkungen das Coronavirus auf unser Leben haben würde – zwei Wochen später kam der Lockdown. «Hätten wir gewusst, was da auf uns zukommt, hätten wir vielleicht nicht so viel angesät», meint sie. Ende Juli hätten sie die Zwiebeln aus dem Boden geholt, und zwar Stück für Stück von Hand. Denn jene flache Sorte, die man für die Zwiebelzöpfe braucht, könnten anders als die üblichen runden Zwiebeln nicht maschinell geerntet werden.

Dann würden die Zwiebeln getrocknet und gelagert. «Denn die Schalen müssen völlig trocken sein, damit man sie putzen kann.» Nach dem Putzen geht es ans Zöpflen – oder «Trütschle», wie man laut Hanni Iseli «auf Seeländer-Deutsch» sagt. Es wirkt auf den Laien ähnlich kompliziert wie das Formen eines Zopfes zum Essen. Und schliesslich folgt noch die Verzierung mit einem kleinen Bouquet Trockenblumen aus eigenem Anbau. Ohne Helferinnen und Helfer im Stundenlohn ist die Produktion nicht zu stemmen, von der Ernte bis zur Verzierung.

Von Frauen dominierter Betrieb

Iseli Gemüse und Früchte ist ein Familienbetrieb, der von Frauen dominiert wird: Neben der Seniorchefin ist da Tochter Barbara, die den Betrieb zusammen mit Ehemann Fredi Möri leitet. Auch Tochter Sylvia und ihr Mann Fritz Helbling, die in Epsach selbst einen Hof haben, sowie Gaby, Krankenschwester von Beruf, arbeiten zeitweise mit. Der Hintergrund dieser Frauenpower ist allerdings ein trauriger: Hannis Mann Urs ist schon vor 20 Jahren gestorben, und der einzige Sohn Markus, der später einmal den Hof übernehmen sollte, wurde nur sieben Jahre alt.

Fredi Möri firmiert in dem Betrieb als «Gmües-Beck». Er ist gelernter Bäcker und ermöglicht im Hofladen dienstags und freitags ein Angebot an frischen Backwaren, das weit über Bauernbrot und Zöpfe hinaus geht: Es besteht aus einer ganzen Reihe von Brotsorten und umfasst auch «Stückli», also einfache Süssgebäcke wie Berliner – seine Spezialität –, Nussgipfel oder Schnecken.

1962 haben Hanni und Urs Iseli geheiratet, und schon im folgenden Jahr begannen sie, mit Gemüse und Früchten «zu hausieren», wie Hanni es nennt. Von Haustür zu Haustür zu verkaufen, wie sie auf dem Gemüsebauernhof ihrer Eltern gelernt hatte, war damals weit verbreitet. Zuvor war auf dem Hof, auf dem sie nun wirkte, Milchwirtschaft getrieben worden. Seit Mitte der 70er-Jahre halten die Iselis ihre Waren auch am Nidauer Markt feil, und schliesslich ist noch der Hofladen dazu gekommen.

Darüber hinaus beliefern sie eine Vielzahl von Restaurants, Hotels und Altersheimen. Um die Nachfrage decken zu können, müssen sie zusätzlich zu dem, was sie selbst angebaut haben, auch noch Ware von anderen Produzenten im Seeland zukaufen. Hanni Iseli macht trotz ihrer bald 79 Lenze noch selbst Lieferfahrten mit dem Kleinbus. «Für das Tragen der Transportkörbe habe ich aber schon Hilfe.»

Seeländer Gemüsebauern haben den Berner Zibelemärit zu dem gemacht, was er heute ist

Die Geschichte des Berner Zibelemärits ist nicht gut überliefert. Fest steht immerhin, dass sie so einiges mit den Seeländer Bauern zu tun hat und man mit Fug und Recht sagen kann, dass es ihn ohne diese in der heutigen Form gar nicht gäbe.

Die Vorgeschichte des Zibelemärits beginnt im Spätmittelalter. Seit jenen Zeiten feierte man in Bern wie in vielen anderen Orten den Martinstag oder «Martini» als Übergang vom Sommer- zum Winterhalbjahr. Gefeiert wurde mit festlichen Mahlzeiten und Umzügen. Begleitet wurde das Fest von einem Markt, an dem alles für den Winterbedarf verkauft wurde. Mit der Zeit dehnte sich der Markt immer mehr aus, und schliesslich wurde er von der Berner Obrigkeit zur 14-tägigen Warenmesse erhoben.

Es wird behauptet, der Zibelemärit sei schon nach dem grossen Brand der Stadt vom 14. Mai 1405 entstanden, als 650 Holzhäuser zerstört wurden und rund 100 Menschen umkamen. Als Dank dafür, dass Freiburger Bauern danach zwei Monate lang den Brandschutt weggeräumt hätten, hätten sie das Recht erhalten, ihre Produkte auch in Bern zu verkaufen. Doch dieser Gründungsmythos ist widerlegt.

In Tat und Wahrheit beginnt die Geschichte des Zibelemärits erst Mitte des 19. Jahrhunderts. Schon seit dem 18. Jahrhundert brachten Bauersfrauen vom freiburgischen Mont Vully Gemüse auf die Märkte in Neuenburg, Murten und Freiburg, vor allem Zwiebeln. Das Gemüse war ein zweites Standbein neben dem Weinbau, der nicht ohne Risiken war. Um 1850 begannen die Bäuerinnen, auch in Bern Gemüse zu verkaufen, am Vortag der zweiwöchigen Martinimesse. Immer mehr rückten in ihrem Angebot die Zwiebelzöpfe in den Vordergrund, denn an der Martinimesse wurde alles Mögliche verkauft – nur keine Zwiebeln. 1860 findet sich in den Zeitungen die Meldung, dass die Messe nun mit einem eintägigen Zwiebelmarkt beginne.

Durch die erste Juragewässerkorrektion in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde das Seeland entsumpft, und dessen Aufstieg zum «Gemüsegarten der Schweiz», zum grössten Anbaugebiet des Landes, begann. Je mehr hier produziert wurde, desto grösser war der Bedarf nach Abnehmern, und so gingen Seeländer Bauern bald auch nach Bern auf den Markt. 1917 tauchte die Bezeichnung «Zibelemärit» zum ersten Mal amtlich auf, in einer Ankündigung, wonach die anschliessende Herbstmesse, wie die Martinimesse nun hiess, wegen des Weltkriegs nicht abgehalten werde. 1918 wurde die Messe wegen der Spanischen Grippe gestrichen, 1919 fiel wegen der Maul- und Klauenseuche auch der Zibelemärit selbst aus.

In den 20er-Jahren hatte die Herbstmesse Mühe, sich wieder zur alten Grösse aufzuschwingen. Zudem hatte sie immer mehr Konkurrenz durch Warenhäuser. Und so wird seit Jahrzehnten nur noch der Zibelemärit abgehalten. Zumindest ein Teil des Martini-Brauchtums lebt übrigens bis heute weiter: erstens der Käsekuchen – mit oder ohne Zwiebeln – als gastronomische Spezialität des Zibelemärits, zweitens die Konfettischlacht am Nachmittag und drittens die zweiwöchige Chilbi auf dem Vorplatz der «Reithalle». bk

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