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Coronavirus

Jetzt reden die Jungen

Wie gehen Jugendliche mit Corona um? Leiden sie unter den geltenden Einschränkungen? Das BT lässt vier Jugendliche zu Wort kommen und ordnet die Thematik mit einer Fachfrau ein.

Die 15-jährige Alyna Seiler erzählt, wie sie mit den Corona-Einschränkungen zurecht kommt. Foto: Yann Staffelbach/Bieler Tagblatt

Alyna Seiler, 15-jährig, 1. Jahr Fachmittelschule (FMS), aus Aegerten

«Vor allem, wenn es um meine Freundinnen und Freunde geht, fühle ich mich schon ein wenig beraubt. Denn diese sehe ich wegen Corona deutlich weniger. Man muss kreativ werden, um sich überhaupt irgendwo treffen zu können. Ideal ist es natürlich, wenn jemand sturmfrei hat. Im Sommer war es ja noch ziemlich easy. Da konnten wir am Abend zusammen draussen beim Gymer chillen. Das war gemütlich. Im Winter aber ist es echt schwierig. Ich habe ein paar Kollegen, die treffen sich auch jetzt noch am Abend beim Gymer und frieren sich bei den Minusgraden einen ab. Sie nehmen das in Kauf, nur um sich treffen zu können. Nur, um mal nicht zu Hause sein zu müssen. Mir ist das definitiv zu kalt, auch wenn es mir fehlt, meine Freundinnen zu treffen.
Mir hat Corona auch einen Strich durch die Rechnung gemacht, was den Ausgang betrifft. Ich werde im März 16 Jahre alt und hätte meinen Geburtstag gerne im Ausgang gefeiert, am liebsten im «Chessu». Schon letztes Jahr blieb mir das nicht vergönnt. Ich hätte die Zustimmung meiner Eltern gehabt, den 15. Geburtstag im Gaskessel feiern zu können, doch just an dem Wochenende, an dem es geplant war, gingen die Clubs zu. Es wäre meine Club-Premiere gewesen. Diese muss nun wohl noch einige Zeit auf sich warten lassen.

2020 habe ich aber wohl nicht sehr viel verpasst. Es war ein Jahr, in dem ich viel für die Schule gelernt habe – und das hätte ich wohl auch ohne Corona getan. Aber halt, da gibt es etwas: Das Openair Frauenfeld, da hätte ich Tickets gehabt, und es reut mich extrem, dass es nicht stattfinden konnte. Wenn ich aber in die Zukunft blicke, habe ich schon Angst, Dinge zu verpassen, die ich nicht einfach nachholen kann. Das Reisen zum Beispiel dürfte kompliziert werden. Ich weiss nicht, wann ich meinen ersten Trip mit meinen Freunden machen kann. Ich weiss auch nicht, wann ich zum ersten Mal in den Ausgang gehen werde. Ich glaube aber, dass es für mich schlimmer gewesen wäre, wenn ich das alles bereits getan hätte und nun darauf verzichten müsste. Jetzt bleibt mir zumindest die Vorfreude. Die wächst sogar noch, je länger die Pandemie dauert.

Das Schlimmste an der aktuellen Situation sind halt schon die fehlenden Freiräume. Es kann anstrengend werden, immer zu Hause zu sein. Auch wenn eine Kollegin zu mir kommt, sind wir unter elterlicher Obhut. Und selbst wenn die Eltern nicht zu Hause sind, ist man immer noch in den eigenen vier Wänden. Für mich ist es deshalb aktuell schon ein Highlight, wenn ich zu jemand anderem gehen kann. Auch mein Liebesleben leidet unter der aktuellen Situation. Normalerweise wären wir ja draussen irgendwo, man bewegt sich in einem grossen Freundeskreis und trifft so automatisch neue Leute. Jetzt kann man höchstens jemanden über Social Media kennen¬lernen, aber da bin ich nicht so Fan von. Dann schreibt man sich und kann sich nicht einmal treffen. Ich will eine Person, die ich noch gar nicht richtig kenne, ja nicht gleich zu mir nach Hause einladen. Das erste Date hätte man normalerweise in einer Bar oder einem Restaurant. Oder draussen. Aber eben, dafür ist es zu kalt.

Was die geltenden Regeln betrifft, so bin ich nicht immer ganz konsequent. In der Schulmensa dürften wir eigentlich nur zu zweit essen, da halten wir uns nicht immer daran. Beim Treffen mit Freunden waren wir eigentlich bisher nie mehr als fünf Personen. Ich würde auch ein Auge zudrücken, wenn es mal sechs, sieben oder acht wären. Wäre ich zu einer Homeparty mit sagen wir mal 20 Leuten eingeladen, würde ich aber nicht hingehen. Ganz allgemein bin ich im jetzigen Lockdown viel konsequenter als zum Beispiel im Sommer. Da waren die Leute einfach offener, wir haben uns umarmt, sind baden gegangen, wir trafen uns zum «Lädele». Im Sommer rückte Corona fast schon ein wenig in den Hintergrund. Mittlerweile ist das Virus aber wieder präsent, und ich halte mich eigentlich ziemlich gut an die Regeln.

Wenn ich versuche, meine Gefühle für das Ganze einzuordnen, überwiegt knapp der solidarische Gedanke: Dass ich mithelfen kann, die ältere Bevölkerung zu schützen, hat mehr Gewicht als der Frust darüber, etwas zu verpassen. Es ist ja kein Weltuntergang, dass ich nicht in Clubs gehen kann und grössere Treffen mit Kolleginnen nicht möglich sind. Wobei: Das mit den Kollegen ist schon echt mühsam. Beim Gedanken an die Clubs aber, da priorisiere ich die Gesundheit klar höher. Ich hätte wohl ein schlechtes Gewissen und würde mich unter so vielen Menschen nicht wohlfühlen.

Das Thema Corona kann ich ehrlich gesagt kaum noch hören. Ich rede mit meinen Kollegen auch kaum mehr dar¬über. Und wenn, dann lästern wir über den Bundesrat. Die meisten Beschlüsse kann ich ja nachvollziehen, aber manche Massnahmen ergeben einfach keinen Sinn. Ob bei der Pandemiebekämpfung die Jugend vergessen wurde? Ja, ganz klar. Aber das ist irgendwie auch verständlich, wir stehen hier einfach nicht im Vordergrund. Unsere Bedürfnisse, wie zum Beispiel in den Ausgang gehen, haben einfach nicht Priorität. Das ist zwar mühsam, aber in Anbetracht der Umstände auch richtig so. Und auch wenn wir keine Lust mehr auf das Ganze haben, ändern können wir die Situation nicht, da muss man einfach das Beste daraus machen.
Auch was den Sport angeht, ist es nicht einfach für mich. Das Fitness¬studio ist wieder zu. Und beim Tanzen können wir nicht als Gruppe trainieren. Man kann zwar selber an sich arbeiten, zu Hause Schritte lernen, aber das ist einfach nicht dasselbe, und mir fehlt oft die Motivation dafür. Corona hat mich träge gemacht. Auch sonst wäre ich nach der Schule müde. Aber dann habe ich eine Routine, gehe zum Training, und ist man erst einmal da, kommt es wie von alleine. Zu Hause fehlt dieser Effekt, und man braucht sehr viel Ehrgeiz, sein Programm durchzuziehen.

Dass wir in absehbarer Zeit wieder in die frühere Realität zurückkehren werden, wage ich zu bezweifeln. Wir werden nahe an das alte Leben herankommen, aber es wird nicht mehr zu 100_Prozent gleich sein wie vorher. Vielleicht sind wir in zehn Jahren wieder am selben Punkt, an dem wir vor der Pandemie waren. Bis dahin bleibt die Angst wohl irgendwie unser Begleiter. Selbst wenn die Clubs wieder offen sein werden, bleibt wahrscheinlich eine gewisse Distanz unter den Menschen bestehen, und man hofft nach einem Ausgang, sich nicht angesteckt zu haben. Corona dürfte uns Jugendlichen wohl irgendwie die Sorglosigkeit geklaut haben. Aber ich werde mir davon nicht alles nehmen lassen.»

Aufgezeichnet: Parzival Meister


Moema Schultz, 19-jährig, im letzten Sommer das Gymnasium abgeschlossen, jetzt im Zwischenjahr, aus Evilard



«Corona hat mir so ziemlich einen Strich durch meine Pläne gemacht. Zumindest ist vieles anders gekommen, als ich es gedacht habe. Ich habe letzten Sommer den Gymer beendet, ohne Maturitätsprüfung und vor allem ohne grosse Abschlussfeier. Der Sommer fühlte sich dann irgendwie wieder normaler an. Man konnte sich mit Freunden treffen. Ja, wir konnten sogar unser Pfadi-Sommer¬lager durchführen. Aber dann wurde es kompliziert. Ich hatte schon lange geplant, nach dem Gymer ein Auslandjahr einzulegen, bevor es an die Uni geht. Ich wollte einfach mal weg von hier, weg von den Eltern, ein neues Land kennenlernen und mein Englisch perfektionieren. Geplant war, acht bis zehn Monate als Au-pair in England zu verbringen. Ich hatte trotz Corona keine Probleme, eine Gastfamilie zu finden. Im Frühling bereits war alles gefixt.

Im September ging es dann los nach Bournemouth, eine Stadt an der Südküste von England. Und schon der Start war speziell. Dort angekommen, musste ich zuerst in Quarantäne. Ich konnte mich zwar im Haus der Gastfamilie frei bewegen, durfte aber keinen Körperkontakt zu den Kindern haben, so wollten es die Gasteltern. Bei einem 1,5-jährigen Mädchen ist das nicht gerade einfach, in dem Alter will ein Kind alles und jeden anfassen. Nun denn, nach zwei Wochen im Haus durfte ich erstmals nach draussen und konnte rausfinden, wo ich überhaupt war. Zunächst lief alles gut, ich ging zur Schule, half der Gastfamilie und fand mich im Ort zurecht. Im November hat England dann den Lockdown beschlossen. Und das brachte mein Leben ins Wanken. Der Gastfamilie war auf einmal nicht mehr wohl damit, ein Au-pair bei sich zu haben. Also eröffneten sie mir, dass ich in drei Tagen abreisen müsse. Aber ich wollte doch nicht nach so kurzer Zeit wieder zurück nach Hause. Eine Kollegin von der Schule bot mir einen Ausweg: Sie arbeitete in einem Hotel im Ort und konnte den Eigentümer überzeugen, mich gratis bei ihr wohnen zu lassen. So konnte ich auch weiterhin die Sprachschule besuchen. Anfang Dezember war der Lockdown fürs Erste beendet. Ich nutzte die Chance und reiste nach London, da ich so viel wie möglich entdecken wollte. Doch ich war nicht lange da, schon wurde der nächste Lockdown angekündigt. Ich beschloss, zurück nach Hause zu gehen, das war kurz vor Weihnachten. Denn ehrlich gesagt: Wenn ich schon im Lockdown bin, dann lieber hier. Es ist einfach nicht so cool, in einem fremden Land in einem Zimmer festzusitzen. Hier habe ich wenigstens noch meine Familie und meine engen Freunde.

Seither bin ich wieder hier und weiss ehrlich gesagt nicht, wie es weitergehen soll. Aktuell arbeite ich im Corona-Testzentrum in Biel. Doch was kommt im Sommer? Zuerst habe ich gedacht, ich könnte noch ein Zwischenjahr anhängen. Doch irgendwie glaube ich derzeit nicht, dass das mit dem Reisen ab dem Sommer wieder klappen wird. Aber ich bin auch unschlüssig, ob ich mit der Uni beginnen soll. Online zu studieren entspricht nicht gerade meiner Vorstellung von der Uni. Ich habe mich auf neue Leute gefreut, auf den Austausch und nicht darauf, alleine in einem Zimmer zu sitzen und in einen Computer zu starren. Sie sehen also: Meine Aussichten sind nicht gerade vielversprechend. Irgendwie wäre ich am liebsten einfach noch am Gymer.

Ich sage mir, es ist halt einfach dumm gelaufen und alles kam anders, als ich mir das vorgestellt habe. Aber wenn ich meine Situation mit derjenigen von Menschen in anderen Ländern vergleiche, sind das Luxusprobleme. Ich habe immerhin Arbeit und ein Dach über dem Kopf. Und trotzdem wurmt es mich. Die vorherigen Generationen konnten eindeutig ein schöneres Zwischenjahr verbringen. Und ich denke, wir Jugendlichen werden von Corona schon recht hart bestraft. Ich meine, meine Eltern müssen auch Einschränkungen hinnehmen, aber die wären auch ohne Corona mehr zu Hause als ich. Mit dem Alter wird man halt einfach sesshafter. Wir Jüngeren haben eher den Drang, neue Dinge zu entdecken, irgendwo hinzugehen, etwas zu erleben.

Ausgang, Kultur und Freunde treffen, ja, das fehlt schon. Wir sagen immer, wir würden all die verpassten Feste nachholen. Wenn wir das tatsächlich irgendwann tun wollen, stehen uns ‹strube Jahre› bevor. Klar, meine engsten Kolleginnen und Kollegen treffe ich immer noch, aber ich bin da schon eher zurückhaltend, schliesslich tragen auch wir eine soziale Verantwortung. In meinem Alter fällt einem das aber manchmal sehr schwer. Man ist sehr auf seine Freunde fixiert, die sind wie Familie. Und ich habe auch nicht unbedingt Lust, jeden Abend mit meinen Eltern zu verbringen.

Sich mit Freunden zu treffen, gestaltet sich zuweilen schwierig. Die Bars sind zu, und draussen ist es ziemlich kalt. Zum Glück habe ich Kollegen, die in WGs wohnen, wo ich regelmässig vorbeigehen kann. Oder ich habe Freunde mit einem «Rümli», also Gemeinschaftsräumen, in dem man sich treffen kann. Aber auch dort muss ich aufpassen, dass nicht zu viele Leute da sind. Ich achte nicht strikt auf die Fünf-Personen-Regel, aber gleich eine Party will ich auch nicht besuchen. Ich habe mir meine besten Kollegen rausgesucht und konzentriere mich auf sie. Die Leute, die zum erweiterten sozialen Umfeld gehören, lässt man dann halt auf der Seite.
Klar, es ist mir wichtig, ältere Personen zu schützen. Aber ich will mich auch nicht einsperren, denn das würde meiner Psyche nicht guttun. Deshalb versuche ich, irgendwie einen Mittelweg zu finden.
Zurzeit finden auch kaum noch Dates statt. Und wenn, dann ist es etwas total anderes. Früher lernte man Menschen im Ausgang kennen, jetzt über Dating-Apps. Die Frage ist dann allerdings: Wo trifft man sich. Ich will ja nicht eine wildfremde Person gleich mit nach Hause nehmen. Spaziergänge in der Kälte sind deshalb momentan total angesagt.

Ich glaube schon, dass die Jugend in der ganzen Diskussion etwas vergessen geht. Viel wird aus wirtschaftlicher Perspektive entschieden. In einem gewissen Mass macht das auch Sinn, die 25- bis 65-Jährigen müssen ja auch Geld verdienen können. Aber meiner Meinung nach hat man sich zu sehr darauf fixiert. Die Jugendlichen kommen in den Überlegungen kaum vor. Ich meine, Restaurants waren zwischenzeitlich immer wieder offen. Das ist gut und recht. Aber uns interessieren halt eher Partys, Konzerte und Kulturevents wie Ausstellungen und Museen. Diese wurden als erste verboten und werden wohl erst ganz am Ende wieder möglich sein. Nicht falsch verstehen, ich sehe den Sinn dahinter schon, Party machen liegt momentan einfach nicht drin. Da kann der Bundesrat nichts dafür. Aber dennoch werden unsere Bedürfnisse kaum beachtet. Für unser soziales Leben ist es wichtig, unter Menschen zu gehen. Ich kenne einige in meinem Alter, die psychisch darunter leiden. Mir persönlich, muss ich sagen, geht es eigentlich ganz gut. Ich habe das Glück, weiter arbeiten zu können und dort täglich viele Menschen zu sehen.

Was sich im Umgang mit Jugendlichen konkret ändern müsste, dafür habe ich auch keine Lösung parat. Ich denke einfach, es wäre wichtig, wenn mehr junge Menschen mitreden könnten. Unsere Entscheidungsträger gehören ja eher zum älteren Semester, da würden ein paar junge Stimmen gut tun.»

Aufgezeichnet: Parzival Meister
 


James Persyn, 9. Klasse Sekundarschule, 16-jährig, aus Pieterlen



«Uns wurde schon ein wenig von unserer Freiheit genommen. Vor allem, was das Treffen mit den Kollegen angeht. Ganz allgemein ist der Spass etwas abhandengekommen. Im Moment kann man ja wirklich nichts mehr machen. Vorher waren wenigstens die Kinos noch offen. Jetzt bin ich halt öfters zu Hause. Aber das ist bei mir im Winter meistens so. Ich treffe mich am liebsten mit Freunden, wenn wir draussen sein können. Wenn wir uns aktuell treffen, ist das sogar noch irgendwie lustig. Man muss kreativ werden, um Orte zu finden, wo man etwas von der Kälte geschützt ist. Letztes Mal zum Beispiel haben wir uns in einer öffentlichen Tiefgarage beim Bahnhof getroffen. Da konnte man sogar die Jacken ausziehen. Manchmal gehen wir auch einfach Busfahren und reden miteinander. Da ist es gemütlich, warm und man kann Biel neu entdecken.

Vor Corona haben wir uns in grösseren Gruppen getroffen, als wir das heute tun. Meistens verabrede ich mich nur noch mit meinem besten Kollegen und meinem Cousin. Es kommt schon vor, dass noch andere dabei sind. Mehr als fünf Personen sind wir aber selten. Und wenn, dann höchstens sechs oder sieben. Grössere Gruppen oder Homepartys meide ich eher.

Die ganze Situation geht mir langsam aber sicher schon auf die Nerven. Wie gesagt, ich sehe das im Winter eher gelassen. Aber ich hoffe sehr, dass ich diesen Sommer wieder etwas erleben kann. Ich hoffe, wir können in die Badi und an den See gehen, uns zum Grillen treffen, vielleicht mal ein Konzert oder Festival erleben. Letztes Jahr hätte ich Tickets für das Openair Frauenfeld gehabt. Es wäre toll, wenn ich das diesen Sommer erleben könnte. Aber ich weiss, dass die Chancen nicht gut stehen. Ich wäre dafür, dass wir nun für drei Monate in einen harten Lockdown gehen, bis Corona ganz verschwunden ist, und wir dann im Sommer wieder richtig leben können.

Ich glaube nicht, dass für uns Jugendliche die Situation schwieriger ist als für Erwachsene. Es gibt Menschen, die nicht mehr arbeiten können. Die haben mehr verloren als ich. Und ich denke auch, dass es für diejenigen, die jetzt im Homeoffice arbeiten, schwieriger ist, als wenn sie ins Büro gehen könnten.
Durch Corona bin ich allgemein weniger aktiv als früher. An meinen freien Schulnachmittagen schlafe ich öfters einfach. Früher hätte ich bestimmt etwas unternommen. Wenn das Wetter mitgespielt hat, war ich fast immer draussen. Ich mache gerne Sport im Freien wie zum Beispiel Fussballspielen oder Basketball. Im letzten Lockdown war es Frühling und bereits warm. Da bin ich regelmässig mit dem Velo an den See gefahren, habe mich auf die Bank gesetzt, den Leuten zugeschaut und habe den Sonnenuntergang genossen. Ich fand das irgendwie schön, auch wenn ich alleine war. Ich würde auch gerne öfters mit den Kollegen shoppen gehen. Mit dem Zug in andere Städte reisen, ein wenig die Schweiz entdecken. Jetzt hat man immer dieselbe Routine. Nach der Schule nach Hause, die Hausaufgaben machen und dann lässt man einfach die Zeit verstreichen. Ich merke auch, dass ich dadurch viel mehr auf Social Media und allgemein vor einem Bildschirm bin. Wenn man nicht viel anderes tun kann, ist man halt einfach mehr darauf fixiert.

Ob ich etwas verpasst habe? Klar, 16 ist schon ein spezielles Alter. Man erlangt mehr Freiheiten, die ich jetzt nicht nutzen kann. Ich wäre gerne einmal in den «Chessu» gegangen. Und es nervt mich auch, dass in meinem letzten Schuljahr das Skilager gestrichen wurde. Im Sommer beginne ich meine Lehre und werde keine freien Nachmittage mehr haben. Aber ich sehe das nicht allzu streng. Auch dann bleibt noch Zeit nach dem Feierabend oder an den Wochenenden. Wenn Corona irgendwann dieses Jahr vorbei sein wird, habe ich noch genug Zeit, alles nachzuholen.

Ich fand es übrigens super, als wir im Frühling Homeschooling hatten. Ich konnte erst knapp vor dem Unterrichtsstart aufstehen und mich an den Computer setzen. Das Beste war, dass wir einen Wochenplan hatten und uns die Arbeiten selbst einteilen konnten. Je schneller ich arbeitete, desto mehr freie Zeit hatte ich.
Mit den geltenden Regeln komme ich eigentlich ganz gut klar und halte mich grösstenteils auch daran. Die Maske trage ich überall, wo man muss, und ich wasche mir eindeutig öfters die Hände. Ich rege mich auch nicht gross darüber auf. Ich denke dann etwa an meine Grossmutter. Ich würde nicht wollen, dass sie sich ansteckt. Das würde mich traurig machen. Deshalb wünsche ich mir, dass alle gut darauf achten, niemanden anzustecken. Das einzige, was ich an den Regeln nicht verstehe, ist, dass wir weiterhin in die Schule gehen und dort mit über 20 Leuten im Klassenzimmer sitzen. Nach der Schule aber dürfen wir nicht mehr als fünf Personen sein. Das ergibt für mich keinen Sinn.

Das Dating, ja, das ist aktuell etwas speziell. Früher hat man sich in grösseren Gruppen getroffen und immer wieder neue Leute kennengelernt, auch Mädchen. Das hat sich schon stark verändert. Wenn du jemanden Neues kennenlernst, dann nur noch über Social Media. Doch dann kommt die Frage: Was machen wir? Und schon wird es kompliziert. Früher wäre ich mit einer Verabredung ins Kino oder zum Bowling gegangen. Jetzt würden wir halt einfach spazieren gehen. Ein Mädchen, das man zum ersten Mal trifft, kann man ja nicht direkt schon zu sich nach Hause nehmen.

Ansonsten geht es mir ganz gut. Ich habe nicht das Gefühl, dass ich unter den Massnahmen leide. Mein Wunsch, dass es vorbei geht, ist trotzdem gross. Ich will wirklich nicht noch einmal ein ganzes solches Jahr verbringen müssen.»

Aufgezeichnet: Parzival Meister
 

 

Normand Lanz, 19-jährig, Sachbearbeiter in der Immobilienbuchhaltung, aus Lyss



«Wäre Corona nicht gewesen, hätte ich im letzten Sommer wohl einen anderen Weg eingeschlagen. Ich habe im August die Passerelle begonnen. 15 Stunden Schule, 25_Stunden zuhause lernen. Die meiste Zeit sass ich alleine vor dem Bildschirm. Das bereitete mir zunehmend Mühe. Die Motivation wurde immer kleiner, das isolierte Lernen zuhause setzte mir psychisch zu. Es ging mir immer schlechter. Die ersten Prüfungen habe ich zwar bestanden, aber noch vor den zweiten brach ich die Passerelle ab. Ich dachte mir: Weshalb soll ich mich da durchkämpfen, wenn es mich psychisch fertigmacht? Mein Traum, Lehrer zu werden, kann ich auch über den PH-Vorkurs erreichen. Mit der Passerelle wollte ich mir alle Möglichkeiten offenhalten, deshalb hatte ich mich im Sommer für diesen Weg entschieden. Aber das war offensichtlich der Falsche. Seit Januar arbeite ich nun als Sachbearbeiter in der Immobilienbuchhaltung bei der Huwiler AG. Und seither geht es mir viel besser, ich fühle mich wieder wohl.

Die Berufsmatur habe ich im Sommer abgeschlossen. Ich habe den Eindruck, dass ich sie aufgrund der Pandemie quasi geschenkt bekommen habe. Es gab keine Abschlussprüfungen, der Notenschnitt war wohl höher, als er es in einem normalen Jahr gewesen wäre. Dies führte dazu, dass meine Noten für den Übertritt in die Passerelle reichten. Das wäre in einem anderen Jahr vielleicht anders gelaufen. Und dann hätte ich wohl direkt den PH-Vorkurs gemacht oder wieder 100 Prozent gearbeitet. Abgesehen davon: Wenn es mir mit dem Notenschnitt trotzdem gereicht hätte, wäre mir das Lernen ohne Homeschooling bestimmt weniger schwergefallen. Der Zusammenhalt in der Klasse hätte mir geholfen, dranzubleiben.

Am meisten gefehlt hat mir im vergangenen Jahr die Freiheit. Wir Jungen sind uns gewohnt, dass wir spontan etwas unternehmen können, jederzeit, auch mal nachts. Das fiel weg. Und auch der Sport in den Vereinen hat mir sehr gefehlt. Seit ich sieben Jahre alt bin, spiele ich Fussball, seit 13 Jahren beim SV Lyss. Zudem war ich bis Ende Jahr im Unihockey-Club Kappelen. Während es im engen Freundeskreis im letzten Jahr noch leichter war, sich zu treffen oder zumindest online den Kontakt aufrecht zu erhalten, ist der Kontakt zu meinen Vereinskollegen gänzlich abgebrochen. Sie treffe ich im Privaten selten.

Ob mir die Pandemie eines meiner besten Jahre geraubt hat? Das weiss ich nicht. Ich hoffe schwer, dass ich noch viele tolle Jahre vor mir habe. Vielleicht kommt meine beste Zeit ja erst noch. Ich hatte letztes Jahr auch keinen runden oder wichtigen Geburtstag. Wäre ich 2020 18 Jahre alt geworden, hätte ich mich bestimmt darüber aufgeregt, nicht richtig feiern zu können. Das habe ich bei zahlreichen Freunden miterlebt.
Auch der Ausgang hat mir persönlich wenig gefehlt. Das letzte Mal war ich im Februar 2020 an einer Party, das war in der Kufa in Lyss. Es war ein toller Abend, wir haben getanzt, trafen viele Freunde und solche, die es vielleicht noch hätten werden können. Aber zurzeit habe ich gar kein Bedürfnis, auf Partys zu gehen. Ich habe 2020 herausgefunden, dass ich lieber mit meinen Freunden bei einem Bier zusammensitze und übers Leben diskutiere.

Ich hatte im letzten Jahr keine feste Liebesbeziehung. Daher habe ich auch weiterhin gedatet und über die Plattform Tinder Frauen kennengelernt. Mehr als spannende Begegnungen wurde daraus aber nie. Mühsam war dabei: Egal wie sehr man sich darum bemühte, nicht über Corona zu sprechen, irgendwann landete man immer bei diesem Thema. Und so wurden die Gespräche mit der Zeit ein wenig repetitiv.

Heute nutze ich Tinder nicht mehr. Ich habe mich dazu entschieden, mich in der kommenden Zeit mehr auf mich zu konzentrieren und weniger zu daten, bis ich bereit bin, eine feste Beziehung einzugehen. Seit ich die App nicht mehr nutze, bin ich jedoch sehr neugierig, wie es bei meinen Kollegen so läuft. Ich bin total auf Gossip von meinen Freunden aus. Wer mit wem, wie und wieso. Aber für mich selbst brauche ich das im Moment nicht.

Mir fehlen die ungeplanten Begegnungen. Im Zug jemanden anzusehen, mit der Person Blicke auszutauschen. Mit der Maske passiert das viel seltener. Und man trifft ja auch grundsätzlich viel weniger Menschen, wenn man immer zuhause sitzen muss.

Im ersten Lockdown war es für mich am schwierigsten. Für uns Studenten hiess es einfach: Zuhause bleiben und lernen. Wir hatten gar nichts mehr, kaum Kontakte, kaum Bewegung. Ich hatte das Gefühl, dass die Welt untergeht, während ich einfach zuhause sitze und Mathematikaufgaben mache. Ich fühlte mich völlig nutzlos.
Am meisten freue ich mich auf das Fussballspielen mit meinen Kollegen. Ich bereite mich schon intensiv darauf vor, mache Kraft- und Ausdauertraining. Wir haben einen Trainingsplan, und ich halte mich daran – und mache noch ein wenig mehr. Denn ich will absolut bereit sein, sobald es dann wieder losgeht. Nicht Fussballspielen zu können, nagt ein wenig an meinem Ego. Denn es ist ein Teil von mir, etwas, was mich definiert. Ich kann Fussballspielen und ich mache das wahnsinnig gerne. Fällt dies weg, fehlt ein Teil von mir.
Ich habe im letzten Jahr gelernt, wie wichtig gute Freunde sind. Sowohl ich als auch manche meiner Freunde hatten aufgrund der Einschränkungen einige Momente, in denen es uns nicht gut ging. Ich würde es fast schon als eine Art depressive Welle bezeichnen. Meine Generation hat grundsätzlich Schwierigkeiten damit, Motivation und Antrieb zu finden. Die Pandemie hat die Motivation noch mehr zum Sinken gebracht. Man war quasi gezwungen, wieder mehr auf sich selbst zu hören und Dinge zu tun, die einem wirklich Spass machen. So hat die Pandemie mir und meiner Generation gezeigt, dass uns die Sozialen Medien weniger geben, als wir vielleicht dachten. Wichtiger wurden die persönlichen Kontakte und dass man auf sich selbst hört, ohne dabei einem Ideal hinterherzurennen. Ich habe gelernt, wie wichtig es für mich ist, jemanden zu haben, mit dem ich über alles reden kann. Lange dachte ich, dass man dafür eine Partnerin oder einen Partner braucht, also jemanden, mit dem man eine Liebesbeziehung führt. Aber im letzten Jahr habe ich festgestellt, dass dies auch mit meinem besten Freund möglich ist. Wir sind seit etwa sieben Jahren beste Freunde. Eine solche intensive Beziehung wie im letzten Jahr hatten wir noch nie. Wir konnten wirklich über alles sprechen – wahrscheinlich auch, weil wir merkten, dass wir das brauchten. Ich hoffe sehr, dass dies auch nach der Pandemie so bleibt.

Aufgezeichnet: Hannah Frei

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Interview

“Den Jungen fehlen Bestätigung und Kritik”

Besonders seit November erhalte sie zahlreiche Anfragen von Jugendlichen und jungen Erwachsenen, denen es wirklich schlecht gehe, sagt Annina Renk. Sie ist Leiterin des Regionalen Kompetenzzentrums Biel-Seeland der Uniklinik für Psychiatrische Dienste Bern. Auch die Suizidversuche haben laut ihr deutlich zugenommen.

 

Interview: Hannah Frei

Annina Renk, wie schwer lastet die Pandemie zurzeit auf den Jungen?
Annina Renk: Sicher sehr schwer. Seit November erhalten wir zunehmend Anfragen von Jugendlichen, denen es wirklich schlecht geht. Sie sind depressiv, verzweifelt, sehen keine Perspektiven. Und es gab auch eine Zunahme der Suizidversuche bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen.

Wie viele Anfragen sind es im Vergleich zu den Jahren vor der Pandemie?
Für das Regionale Kompetenzzentrum Biel-Seeland der Universitären Psychiatrischen Dienste Bern (UPD) habe ich bisher keine genauen Zahlen. Uns ist jedoch bekannt, dass die Anfragen in der ganzen Schweiz zugenommen haben. Die Universitätskliniken in Lausanne, Zürich und Bern sprechen alle von sechsmal mehr Fällen von schweren Depressionen bei Jugendlichen.

Was genau beschäftigt die jungen Menschen, die bei Ihnen Hilfe suchen?
Sie zeigen depressive Symptomatik, haben keine Freude mehr, keinen Antrieb, sind müde und verzweifelt. Häufig sagen die Jugendlichen auch, dass sie nicht mehr leben möchten und sich etwas antun werden.

Sie sagen, die Zunahme habe man erst seit November festgestellt. Zerrt die zweite Welle also mehr an den Jungen?
Ja. Der zweite Lockdown ist anders. Im Frühling ging es den meisten jungen Menschen noch gut. Vielen Familien ging es sogar besser. Man muss aber auch bedenken: Im Frühling durften wir auf Weisung des Bundesrates nur Notfälle und Krisen behandeln, alle nicht dringlichen Konsultationen wurden abgesagt. Trotzdem hätten wir schon damals eine Zunahme der Fälle erwartet. Aber auch im Sommer gingen die Anmeldungen eher zurück.

Weshalb ist der zweite Lockdown für die Jungen schwieriger?
Die Pandemie dauert nun schon eine Weile, und niemand weiss, wie lange sie noch dauern wird. Die Jungen verlieren die Perspektiven. Und es fehlen die sozialen Kontakte. Das ist für Jugendliche und junge Erwachsene besonders schwierig. Zurzeit können sie sich kaum mit Gleichaltrigen treffen, nicht gemeinsam Sport treiben, nirgends hin. Draussen ist es kalt und nass. Das war im Sommer anders, da konnten sie sich noch gemütlich im Freien treffen.

Weshalb sind die sozialen Kontakte für die Jungen so wichtig?
Die Jungen orientieren sich hauptsächlich an Gleichaltrigen. Jugendliche haben zahlreiche Entwicklungsaufgaben. Sie müssen erwachsen werden, selbstständig werden, ihren eigenen Weg finden, einen Beruf lernen, einen Freundeskreis aufbauen. Und dabei orientieren sie sich eben an Gleichaltrigen. Sie vergleichen, testen aus. Das hilft ihnen bei der Bewältigung dieser Aufgaben. Nun fällt dies aber weg.

Wäre es auch möglich, dass während des ersten Lockdowns weniger Junge Hilfe bei Ihnen suchten, weil sie sich mehr vor einer Ansteckung fürchteten?
Das mag sein. Ich denke aber, dass die Pandemie zu diesem Zeitpunkt weniger bedrohlich war und dass es den Menschen daher besser ging. Man hat das Virus wenig gespürt. Und es war alles neu. Heute ist das anders. Nun kennt fast jeder jemanden, der sich infiziert hat. Das Virus ist näher.

Was beschäftigt die Jungen denn mehr, die Angst vor dem Virus oder die Massnahmen?
Ich denke, es ist das Gesamte. Die Bedrohung durch die Pandemie ist wohl nicht alleine der Auslöser für eine Depression. Die Massnahmen führen dazu, dass die Jungen auch auf beruflicher Ebene weniger Perspektiven haben. Sie können nicht schnuppern gehen, finden teilweise keine Lehrstelle, kein Praktikum. Die Aus- und Weiterbildungen finden auf dem Bildschirm statt. Das ist sehr schwierig für die Jungen.

Inwiefern beeinflusst die Umstellung auf Fernunterricht das Wohlbefinden der Jungen?
Es ist wie mit der Freizeit: Die sozialen Kontakte fehlen. Für Jugendliche und junge Erwachsene ist dies meist einer der wichtigsten Aspekte der Schule. Grundsätzlich kann man sagen, dass diejenigen, die es in der Schule ohnehin nicht einfach haben, zurzeit am meisten leiden. Für sie ist es am schwierigsten, trotz allem am Ball zu bleiben. Die Schere hat sich diesbezüglich bereits mehr geöffnet.

Weshalb kann digitaler Kontakt die sozialen Kontakte nicht ersetzen?
Das ist eine interessante Frage, zumal man ja immer sagt, dass Jugendliche und junge Erwachsene ohnehin immer nur auf den Bildschirm schauen. Eine wirkliche Begegnung kann dies aber nicht ersetzen. Es fehlen die Berührungen, das Zusammensein. Soziale Kontakte sind wichtig, zum Chillen, Schwatzen, sich Aufmuntern und Trösten.

Was macht es mit den Jungen, wenn ihre Bewegungsfreiheit und ihre sozialen Kontakte eingeschränkt werden?
Sie fühlen sich eingesperrt und machtlos. Es fehlt ein Ort, wo sie sich mit anderen zurückziehen können. Dies führt eben unter anderem dazu, dass sie ihre Perspektiven verlieren. Und es fehlt ihnen bestimmt auch die Bewegung an und für sich.

Welchen Einfluss hat die fehlende Bewegung auf die Jungen?
Das ist schwierig zu sagen. Umgekehrt gesehen: Wenn jemand depressiv ist, bewegt er sich auch weniger und zieht sich zurück. In diesen Fällen hilft Sport, um wieder neue Ansichten zu erhalten und einen Ausgleich zu schaffen. Körper und Psyche spielen zusammen. Der Ausgleich muss auf allen Ebenen stattfinden.

Welche Rolle spielen Freizeitbeschäftigungen bei der Entwicklung der Jugendlichen?
Wie gesagt: Es hilft dabei, sich selbstständig zu machen. Freundschaften knüpfen, sich vergleichen, Vertrauen aufbauen und herausfinden, wer sie sind. Es ist also viel mehr als einfach nur Spass. Erfolgserlebnisse sind dabei ein wesentlicher Punkt. Die sind wichtig für das Selbstvertrauen. Und ein Erfolg, den niemand sieht, ist meist weniger wert. Allgemein fehlen die Rückmeldungen, sowohl Bestätigungen als auch Kritik.

Auch Dating ist durch die Pandemie erschwert.
Ja, dabei sind Liebesbeziehungen für junge Menschen etwas ganz Wichtiges. Durch Dating und Liebesbeziehungen lernen sie vieles über ihren eigenen Körper und über die eigenen Bedürfnisse, für sich selbst und mit jemandem zusammen. Das fehlt nun. Und: Dating macht doch einfach auch Spass und bedeutet Abenteuer und Lebensfreude.

Welche Auswirkungen hat die aktuelle «Krise» der Jungen auf die gesamte Gesellschaft?
Die Perspektivlosigkeit führt im schlimmsten Fall dazu, dass die Jungen keine Ausbildung absolvieren. Und wenn jemand keine Ausbildung hat, besteht ein grosses Risiko, dass er später psychisch krank wird oder verarmt. Das wirkt sich natürlich auch auf die gesamte Gesellschaft aus: Die Krankheitsfälle und die Arbeitslosigkeit steigen. Ob dies aber aufgrund der Pandemie auch wirklich eintreffen wird, ist aus heutiger Sicht schwierig vorauszusagen.

Auch Erwachsene leiden psychisch unter der Pandemie. Doch die Zahl der Notfälle ist mit denen bei den Jugendlichen nicht zu vergleichen. Wie können Sie sich dies erklären?
Ich denke, die Erwachsenen halten die Pandemie besser aus als die Jugendlichen. Sie kennen sich selbst schon gut und wissen daher auch besser, was ihnen guttut. Die Jugendlichen hingegen sind eher noch auf der Suche und entwickeln sich erst noch. Sie wollen selbst Erfahrungen machen, nicht alles erzählen, auch manchmal Grenzen überschreiten. Das ist zurzeit kaum möglich.

Betrifft die Pandemie eine gewisse Gruppe von jungen Menschen besonders schwer?
Ja, zum einen sicherlich diejenigen, die bereits an einer Depression leiden. Aber auch solche, die bis zur Pandemie keine hatten, jedoch eine gewisse Verletzbarkeit aufweisen und daher empfänglicher für eine Depression sind. Es kann aber auch Menschen treffen, die weniger vulnerabel sind und vor der Pandemie ein zufriedenes Leben führten.

Gibt es hingegen auch Gruppen, die von der Pandemie profitieren?
Im Frühling hatte ich den Eindruck, dass Jugendliche und junge Erwachsene mit Angststörungen oder einer Schulphobie weniger Druck verspürt haben, weil sie zuhause bleiben konnten. Aber heute nehme ich das in den Therapiestunden weniger wahr. Zurzeit ist die Pandemie für jede und jeden eine Belastung.

Sind die Massnahmen für die Jugendlichen aus Ihrer Sicht überhaupt weiterhin tragbar?
Ich bin froh, dass ich dies nicht entscheiden muss. Natürlich wäre es für die Jungen gut, wenn die Massnahmen bald gelockert würden. Aber das muss natürlich abgewogen werden. Fest steht jedoch: Schwierig wird es für die jungen Erwachsenen, die sich wegen der Pandemie aus ihrem gewohnten Alltag zurückziehen. Etwa autistisch wahrnehmende Menschen, die aufgrund der Pandemie nicht mehr zur Schule gehen. Wenn sie sich so richtig ausklinken, wird es künftig schwierig für sie, wieder einzusteigen.

Bräuchte es zurzeit aufgrund der Pandemie zusätzliche präventive Angebote für die Jugendlichen und jungen Erwachsenen?
Mehr Angebote wären sicherlich eine gute Idee. Die Präventionsarbeit wird aber beispielsweise an Schulen bereits gut umgesetzt. Es gibt Schulsozialarbeiterinnen, Mediatoren und Psychologinnen. Auch die Lehrpersonen wurden bereits vor der Pandemie darauf sensibilisiert, die Jugendlichen auch auf psychischer Ebene zu begleiten und, falls die Alarmglocken läuten, Hilfe zu suchen. Ich gehe aber schon davon aus, dass die Schulsozialarbeiter seit Beginn der Pandemie mehr zu tun haben.

Was raten Sie Angehörigen von Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die sich gerade in einer Krise befinden?
Da sein ist das Wichtigste. Präsent sein, zeigen, dass man zur Verfügung steht. Verständnis zeigen, zuhören. Es ist auch wichtig, die Betroffenen darauf anzusprechen, sie zu fragen, wie man ihnen helfen kann. Darüber reden hilft oft. Psychische Krankheiten sind immer noch stark stigmatisiert. Die Jugendlichen trauen sich oft nicht, über ihr Wohlbefinden zu sprechen, aus Angst, in eine Schublade gesteckt zu werden.

Was kann gegen diese Stigmatisierung getan werden?
Wir machen beispielsweise im Rahmen der Prävention Besuche an Berufsschulen und Gymnasien, um über Depressionen zu sprechen. Die Jugendlichen sollen lernen, auf sich selbst zu hören, und auch ein Auge auf das Wohlbefinden der anderen zu werfen. Es ist sehr wichtig, dass man sich in unserer leistungsorientierten Gesellschaft Zeit nimmt, um sich selbst und einander zuzuhören. Und wenn man Hilfe braucht, muss es ja auch nicht immer ein Psychologe sein. Manchmal hilft das Gespräch mit dem Nachbar, einer Freundin, dem Götti.

Welche Form der Hilfe können Sie den Betroffenen zurzeit anbieten?
Im Ambulatorium in Biel suchen wir jeweils individuelle Lösungen für die Hilfesuchenden. Depressionen werden meistens mit Psychotherapie und je nach dem mit Medikamenten behandelt. Akute Fälle können im Notfallzentrum in Bern hospitalisiert werden. Dort bleiben sie aber meist nur für kurze Zeit, ein oder zwei Nächte. Dabei steht der Schutz in der akuten Situation im Vordergrund. Dieser Zustand bleibt meist nur ein paar Stunden oder Tage. Danach bieten wir ambulante Gespräche an, je nach dem auch mit dem Umfeld. Es geht um Entlastung, dass die Betroffenen wieder mehr Ruhe finden. Gerade für depressive Jugendliche oder solche in der Krise sind die Gruppenangebote besonders wichtig. Dort sehen sie, dass es anderen gleich geht, und können gemeinsam nach Lösungen suchen. Das fehlt nun schon sehr. Ich hoffe, dass Gruppentherapien bald wieder möglich sein werden. In Bern haben wir auch stationäre und tages-stationäre Angebote für Kinder und Jugendliche.

Wie gross ist Ihr Team im Ambulatorium und in der Tagesklinik in Biel?
Es sind zwölf Vollzeitstellen.

Musste das Team wegen der Pandemie aufgestockt werden?
Die UPD hat Personal rekrutiert, vor allem im stationären Bereich, beispielsweise Sozialpädagoginnen und -pädagogen. Aber es ist schwierig, Fachkräfte zu finden, besonders Ärztinnen und Ärzte. Wir haben uns gegenseitig ausgeholfen, unsere Sozialpädagogen aus der Tagesklinik in Biel haben zeitweise in Bern auf den Stationen gearbeitet.

Kam es zu Überstunden?
Das kam schon vor, ja. Aber wenn es viele Notfälle gibt, müssen andere Dinge eben warten, etwa Autismus- oder ADHS-Abklärungen, was wir bei uns im Ambulatorium ebenfalls anbieten.

Was denken Sie, wird die Zahl der schweren Fälle wieder sinken, sobald die Massnahmen gelockert werden?
Ich hoffe es schwer. Es wird aber sicher auch ein paar geben, die noch lange damit zu kämpfen haben werden. Aber Kinder und Jugendliche haben ein grosses Entwicklungspotenzial. Manchmal können sie sehr schnell wieder aufstehen. Ich kann es zwar nicht mit Zahlen belegen, aber ich habe das Gefühl, dass es einigen bereits jetzt wieder besser geht. Am schlimmsten war es kurz vor Weihnachten und Ende Jahr. Es gibt durchaus solche, die im Dezember stationär betreut werden mussten, denen es heute aber bereits wieder besser geht.

Sehen Sie für die Jungen auch etwas Positives in der Krise?
Das sich Abfinden mit weniger oder mit Dingen, die man eigentlich nicht möchte, kann lehrreich sein. Man wird dadurch kreativer, sucht neue Wege, neue Lösungen. Das sehe ich als Chance.

 

Zur Person

  • geboren in Basel, 52 Jahre alt
  • Medizinstudium an der Universität Lausanne von 1988 bis 1995
  • Diplôme supérieur en travail social an der Universität Neuenburg von 1997 bis 2000
  • hat zwei Jahre als Sozialpädagogin in der Notaufnahme für Kinder und Jugendliche in Lausanne gearbeitet
  • ist seit 2009 Fachärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie und arbeitet seither für die Universitären Psychiatrischen Dienste Bern (UPD) am regionalen Kompetenzzentrum für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie (KJP) Biel-Seeland
  • leitet aktuell gemeinsam mit der Sozialpädagogin Ursina Clavadetscher das regionale Kompetenzzentrum KJP Biel
  • lebt heute in Neuenburg, ist verheiratet und hat drei Kinder im Schulalter haf


Angebote für Jugendliche und junge Erwachsene

  • In Notfällen: Regionales Kompetenzzentrum der UPD. www.upd.ch; 032 328 66 99. In Biel gibt es ein Ambulatorium mit Psychologen, Ärztinnen und einer Hometreaterin (Sozialpädagogin).
  • Beratung für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene: www.147.ch. Ein Angebot von Pro Juventute.
  • Beratungstelefon der Dargebotenen Hand: Nummer 143.
  • Beratung an Schulen: Jugendliche und junge Erwachsene an weiterführenden Schulen können sich an die jeweilige Schulsozialarbeit wenden.
  • Erziehungsberatung Biel: www. erz.be.ch; 031 636 15 20 (Sprechstunden werden innerhalb von 1 bis 2 Wochen vermittelt). Melden können sich sowohl die Betroffenen als auch Eltern oder Beziehungsberechtigte. sz/haf


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Kommentar
Ein Lob der Jugend

von Parzival Meister

Es ist ein solidarischer Akt, den unsere Gesellschaft seit Monaten vollzieht. Wir wissen mittlerweile, dass Covid-19 zwar nicht nur, aber vor allem für die ältere Generation eine erhöhte Gefahr darstellt. Der Ruf, die Risikopatienten zu isolieren, damit der Rest der Bevölkerung wieder normal leben kann, flammt zwar immer wieder auf, zu einem Flächenbrand ist es aber trotz der lange andauernden Zeit der Einschränkungen – zumindest hierzulande – bis jetzt nicht gekommen. In Anbetracht der gesunkenen Fallzahlen wird aktuell auch wieder darüber gestritten, wann der richtige Zeitpunkt für welche Öffnung gekommen ist. Eine Diskussion, wie wir sie vom letzten Frühling her bestens kennen. Doch nehmen wir den Fokus weg von dieser Momentaufnahme und blicken auf das grosse Ganze, so kann festgehalten werden, dass eine Mehrheit der Bevölkerung für eindämmende Massnahmen eintritt und sich bewusst ist: Je stärker sich das Virus in der Gesellschaft ausbreitet, desto mehr Risikopatienten stecken sich damit an und desto mehr Leute sterben an Corona. Da nützen auch die restriktiven Massnahmen in Pflegeheimen nichts. Ausserdem herrscht ein breites Verständnis dafür, dass es asozial wäre, die Alten und Kranken komplett wegzusperren, nur um selber mehr Freiheiten geniessen zu können. Somit geht Corona uns alle etwas an, ob wir es wollen oder nicht.

Wir reden auch viel darüber, wie stark die Wirtschaft unter der Pandemie leidet. Wir wissen, dass sich viele Selbstständige nur mit Mühe über Wasser halten können. Und wir sind richtigerweise bereit, viel Steuergeld zu investieren, um ihnen zu helfen. Auch hier herrscht ein breiter Konsens darüber, wie wichtig die finanziellen Hilfen für das Gewerbe sind. Die Folgeschäden einer zerstörten Wirtschaft wären für die Gesellschaft immens.
Aber Hand aufs Herz: Wie oft haben Sie sich schon Gedanken darüber gemacht, wie es unserer Jugend mit der ganzen Situation so ergeht? Ausgehlokale waren die Ersten, die schliessen mussten – und sie werden zu den Letzten gehören, die ihren Betrieb wieder aufnehmen können. Private Partys fallen weg, man trifft sich nur noch in kleineren Gruppen. Der Amateursport pausiert. Treffpunkte für die Jugend gibt es kaum noch, bei der aktuellen Kälte ist Chillen im Freien mehr Tortur als Freude.

Dass diese Einschränkungen epidemiologisch gesehen Sinn ergeben, steht ausser Frage. Doch wie schwerwiegend ist dieser Verzicht für uns Erwachsene? Klar, viele uns vermissen das Gesellige ebenfalls. Aber der soziale Austausch in grossen Gruppen ist für Erwachsene nicht im gleichen Ausmass essenziell für ihr Leben, wie er das für die Jugendlichen ist. Unser Heim ist unser Rückzugsort. Doch Jugendliche brauchen ihre eigenen Orte, ihre eigenen Freiräume, wo sie sich ohne elterliche Aufsicht entfalten können. Denken Sie zurück an Ihre eigene Jugend, und Sie werden sich erinnern, dass das bei Ihnen nicht anders war. Wir Erwachsenen konzentrieren uns grösstenteils auf unsere Familie. Für viele Jugendliche ist ihr Freundeskreis eine Art Familie. Sie brauchen Gleichgesinnte, gleich denkende Menschen um sich, mit denen sie sich austauschen können. Das hilft ihnen bei der Bewältigung der Herausforderungen und persönlichen Krisen, die das Leben in diesem Stadium der Entwicklung mit sich bringt.

Offen und ehrlich berichten in dieser Ausgabe des BT vier Jugendliche, wie sie mal besser, mal schlechter mit den Einschränkungen zurecht kommen. Wie stark die Jüngeren der Gesellschaft von der Krise betroffen sind, auch wenn sie nicht zu den Risikopatienten gehören, bestätigt sich nicht nur in subjektiven Empfindungen, sondern auch auf Fachebene. Annina Renk ist leitende Ärztin des hiesigen regionalen Kompetenzzentrums der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie Bern. Sie sagt im grossen Interview, das Sie im heutigen BT lesen können, dass sie seit November zunehmend Anfragen von Jugendlichen erhalten würden, denen es «wirklich schlecht geht». Gemäss der Fachfrau leiden viele unter Depressionen, Verzweiflung und Perspektivlosigkeit. Auch Suizidversuche bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen haben gemäss Annina Renk zugenommen.

Der Nachmittag auf den «Schlöf», die Shoppingtour mit den Freunden, die Partynacht im «Chessu», der Grillabend mit den Schulfreundinnen. Der Verzicht auf all das mag in unseren Augen ein Luxusproblem sein. Für unsere Jugend ist es aber mehr. Sie erbringen, betrachtet man rein die sozialen Aspekte, die viel grösseren Opfer als unsereins. Und sie nehmen das hin, sie machen solidarisch mit, ohne gross den Aufstand zu proben. Ändern können wir das zurzeit nicht. Aber wir sollten es schätzen und sagen: Danke, liebe Jugend.

pmeister@bielertagblatt.ch
 

Stichwörter: Corona, Pandemie, Jugend, Biel, Seeland

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