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Stichprobe

Acht Pestizide im Kappeler Trinkwasser

Das Konsumentenmagazin «K-Tipp» hat im Schweizer Hahnenwasser wahre Cocktails aus Pestiziden gefunden. Auf der Rangliste von 20 Proben liegt Kappelen auf Platz 2.

Das Hahnenwasser in Kappelen ist nicht mehr rein. Gemeindepräsident Hans-Martin Oetiker ist klar: Das muss sich ändern. Bild: Adrian Streun/a

Brigitte Jeckelmann
Das Trinkwasser in Kappelen ist nach wie vor stark mit Abbauprodukten des Antipilzmittels Chlorothalonil belastet. Der noch immer geltende Höchstwert von 0,1 Mikrogramm pro Liter wurde im Hahnenwasser in Kappelen um mehr als das 18-fache überschritten. Und dies eineinhalb Jahre nach dem Verbot von Chlorothalonil. Das zeigt eine Stichprobe des Konsumentenmagazins «K-Tipp». Es hat in 20 Haushalten Proben direkt ab Wasserhahn genommen. Dabei hat sich herausgestellt: Im Hahnenburger hat es einen Mix aus verschiedenen Pestiziden.


Das Labor untersuchte das Wasser auf 45 verbreitete synthetische Pflanzenschutzmittel und deren Abbauprodukte. Einmal mehr erreicht Kappelen auf der Rangliste der Gemeinden mit dem am meisten belasteten Wasser einen Podestplatz: Hinter Höri im Kanton Zürich mit 16 verschiedenen Rückständen liegt Kappelen mit deren acht auf dem zweiten Platz. Vor gerade einem Jahr testete die «Rundschau» Hahnenwasser auf Rückstände von Chlorothalonil. Damals lag der Höchstwert in Kappelen um das 22-fache darüber. Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit stuft Chlorothalonil als «möglicherweise krebserregend» ein.


Von Besserung keine Spur
Hans-Martin Oetiker ist auf den Podestplatz nicht stolz. Der Gemeindepräsident von Kappelen sagt, inzwischen gebe es neue Messungen, die Werte lägen sogar noch höher. Also keine Spur von Besserung, im Gegenteil. Zwar ist das Trinkwasser nach Aussage von Fachleuten gesundheitlich noch immer unbedenklich. Trotzdem: «Unser Wasser ist nicht rein, und das finde ich nicht gut», sagt Oetiker. Für Kappelen mit nur einer Quellfassung war aber schon lange klar, dass die Gemeinde ein zweites Standbein für die Versorgungssicherheit mit Trinkwasser braucht. Deshalb habe man schon vor vielen Jahren beschlossen, sich mit den Wasserversorgungen in Worben und Aarberg zusammenzuschliessen. Die Arbeiten sind inzwischen weit fortgeschritten, die Leitungen demnächst betriebsbereit.
Oetiker rechnet damit, dass Kappelen ab Spätsommer bis Herbst Wasser aus Worben und Aarberg beziehen kann. Darüber ist er einerseits sehr erleichtert. Andererseits ist für ihn damit das Problem Pestizidrückstände im Trinkwasser nicht aus der Welt geschafft. Denn es werden weitere problematische Stoffe auftauchen, davon ist er überzeugt.


Weitere Stoffe folgen
Dies ist bereits jetzt der Fall, wie die aktuelle Stichprobe des «K-Tipp» zeigt: Das Labor fand nämlich im Kappeler Hahnenwasser auch zwei verschiedene Abbaustoffe des Pestizids Chloridazon. Der Unkrautvernichter wird hauptsächlich im Rübenanbau verwendet. In der EU ist Chloridazon seit 2018 verboten. Auch die Schweiz hat dem Wirkstoff inzwischen die Zulassung entzogen. Weiter enthält das Kappeler Wasser ein Abbauprodukt des Herbizids Nicosulfuron. Es ist ebenso wie Chloridazon für Wasserlebewesen giftig.
Gemeindepräsident Hans-Martin Oetiker hat sich seit dem Auftauchen der Grenzwertüberschreitungen von Chlorothalonil-Rückständen oft mit dem Thema Pestizide auseinandergesetzt. Er weiss: Die Stoffe bleiben jahrelang im Grundwasser. Selbst wenn derzeit noch ein Rechtsstreit um Chlorothalonil hängig ist – das Bundesverwaltungsgericht wird über die Klage von Syngenta gegen das Verbot einen Hauptentscheid fällen – ändert dies für Oetiker nichts an der Tatsache: «Wir haben Stoffe im Trinkwasser, die wir dort nicht wollen.» Er verweist auf die Verantwortung der Gemeinde gegenüber den Kundinnen und Kunden. Sie hätten ein Recht auf einwandfreies Wasser.


Neue Metabolite
Roman Wiget überraschen die Ergebnisse des «K-Tipp» nicht. Interessant findet der Geschäftsführer der Seeländischen Wasserversorgung SWG aber, dass verschiedene neue Metabolite nachgewiesen wurden, die erst dieses Jahr ins nationale Messprogramm des Bafu aufgenommen worden seien. Für viele andere Pestizid-Metaboliten fehlen laut Wiget  immer noch anerkannte Messverfahren. Aus seiner Sicht eine zwingende Voraussetzung für die Zulassung von Wirkstoffen. Wiget sagt, es sei deshalb davon auszugehen, dass die Liste der nachgewiesenen Stoffe sowie die Messprogramme unvollständig seien. Für Trinkwasserversorger sei die Forderung deshalb klar: «Pestizide mit derart langlebigen Rückständen sollten im Zuströmbereich von Trinkwasserfassungen nicht mehr eingesetzt werden.»
Was Wiget aufgefallen ist: Letztes Jahr habe die Lebensmittelkontrolle des Kantons Bern im Verbandsgebiet der SWG keine einzige Trinkwasserprobe genommen. «Das hat es bisher noch nie gegeben.» Wiget schliesst daraus, dass die Pestizidrückstände im Trinkwasser für die kantonalen Behörden ein «zu heisses Eisen» sind.


Mehr Forschung notwendig
Die Frage, wie gesundheitsschädlich derartige Pestizidcocktails sind, lässt sich nicht so einfach beantworten. Der Humantoxikologe Lothar Aicher sagt, die Giftigkeit von Chemikalienmischungen sei ein relativ neues Phänomen. Nach heutigem Kenntnisstand seien Wechselwirkungen äusserst selten. Derzeit gebe es lediglich Daten von Laborstudien bei hohen Konzentrationen, die so nicht in der Umwelt gemessen wurden. Laut Aicher geht man davon aus, dass bei niedrigen Konzentrationen schädliche Mischeffekte unwahrscheinlich sind. Dennoch bestehe unbestritten weiterer Forschungsbedarf.
Der Höchstwert für relevante Substanzen von 0,1 Mikrogramm pro Liter sei zudem ein rein analytischer Wert. Dieser besage, dass die Qualität des Trinkwassers beeinträchtigt ist. Damit habe der Wasserversorger ein Problem, denn dieser müsse durch Mischen mit Wasser aus anderen Quellen dafür sorgen, dass der Wert wieder sinkt.


Wasserversorger weiterhin wachsam
Bei den Chlorothalonil-Abbauprodukten gilt weiterhin der Höchstwert von 0,1 Mikrogramm pro Liter, obschon in der Schweiz noch nicht eindeutig geklärt ist, ob sie nun tatsächlich wie die Muttersubstanz als möglicherweise krebserregend gelten oder nicht. Für Wasserversorger gilt daher: Weiterfahren wie bisher, also Werte kontrollieren und nach Möglichkeit kontaminiertes Trinkwasser mit Wasser aus unbelasteten Quellen mischen. Dies bestätigt das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV): Weder die Weisung für die Massnahmen noch der Höchstwert sei ausser Kraft gesetzt worden. Es darf sich gemäss Zwischenentscheid des Bundesverwaltungsgerichts jedoch nicht über die Giftigkeit des Stoffes äussern. Das Bundesamt empfiehlt den kantonalen Vollzugsbehörden jedoch, bis zum Hauptentscheid Grenzwertüberschreitungen von Chlorothalonil-Abbauprodukten nicht zu beanstanden. Überdies empfiehlt das BLV den Wasserversorgern, die Bevölkerung weiterhin transparent über die Untersuchungsergebnisse zu informieren.

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