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Biel

Die Hochwasserlage bleibt kritisch

Der Pegel des Bielersees sinkt nur sehr langsam. Die Behörden mahnen deshalb weiterhin zu äusserster Vorsicht. Bereits ein einzelnes Gewitter könnte sich verheerend auswirken.

Der Strandboden ist aktuell nicht mehr so nass wie letzte Woche. Er könnte es aber wieder werden. Yann Staffelbach

von Carmen Stalder

Das Schlimmste ist überstanden, darin sind sich alle einig. So wirklich über den Berg ist die Region aber noch nicht. «Die Hochwasserlage ist stabil. Aber es besteht die Gefahr, dass die Bevölkerung nun zu lasch mit der Situation umgeht», sagte Nidaus Stadtpräsidentin Sandra Hess (FDP) an der Medienkonferenz zum weiterhin kritisch hohen Pegelstand des Bielersees, zu der die beiden Städte Biel und Nidau gestern eingeladen haben.

Die drohenden Gefahren und Herausforderungen, die Hess, der Bieler Sicherheitsdirektor Beat Feurer (SVP) sowie mehrere Vertreter des Regionalen Führungsorgans (RFO) Biel-Bienne Regio daraufhin schilderten, sind tatsächlich zahlreich. Da wären etwa Badefreudige, die sich trotz der Mahnung, sich besser vom See fernzuhalten, ins kühle Nass wagen – und dann aufgrund des trüben Wassers über Treppen und Absätze stolpern und sich dabei verletzen.

Auch die vielen Schaulustigen, aktuell bekannt als «Hochwassertouristen», sind den Behörden ein Dorn im Auge. Insbesondere, wenn sie über Absperrungen steigen oder die Einsatzkräfte behindern. «Dass die Schüssinsel zeitweise gesperrt werden musste, hat für Unverständnis gesorgt», sagt Feurer. Dabei habe dieses Hochwasser erneut deutlich gemacht, wie schnell das Wasser in der Schüss ansteigen könne. Sogar eine kleine Flutwelle könnte sich bilden. «Die Schüss ist wie ein bissiger Hai», so der Gemeinderat.


Es drohen Gewitter

Der Pegel des Bielersees befindet sich noch immer auf der höchsten Gefahrenstufe 5 und damit über der Schadensgrenze. Ab dieser fliesst Wasser in Gebäude, die am See liegen. Die kritische Lage werde noch eine Weile andauern, prognostiziert Matthias Reber, Gesamteinsatzleiter von Feuerwehr und Zivilschutz. Einerseits befindet sich der Neuenburgersee aktuell auf höherem Niveau, folglich wird dieser Überschuss in den Bielersee abfliessen. Andererseits bereiten Reber die Gewitterprognosen Sorgen. «Ein einzelnes Gewitter reicht, um wieder einen Höchststand zu erreichen.» Das Unwetter muss sich nicht einmal über der Region entladen. Auch wenn es im Berner Oberland oder im Jura regnet, gelangt das Wasser irgendwann in den Bielersee.

Die fragile Lage bringt den Feuerwehrmann in ein Dilemma. Nur zu gerne würde er mit seinen Leuten den betroffenen Menschen zu Hilfe eilen und ihre Keller leerpumpen. Allerdings bringt das zum jetzigen Moment nichts: Der Grundwasserpegel ist schlicht zu hoch. Das Wasser im Keller hilft zudem vorübergehend, die Stabilität des Gebäudes zu wahren und keine zusätzlichen Hochwasserschäden entstehen zu lassen (das BT berichtete). Damit die Pumpen zum Einsatz kommen, muss der See die Gefahrenstufe 3 erreichen – dafür fehlten Stand gestern noch rund 30 Zentimeter.

Wenn es dann einmal losgehen kann, ist bei den betroffenen Bewohnerinnen und Bewohnern weiterhin Geduld gefragt. «Wir werden uns Quartier für Quartier, Keller für Keller vorarbeiten», sagte Reber. Man werde geordnet vorgehen müssen und könne nicht zeitgleich in jeden Keller einen Feuerwehrmann schicken. Abhängig ist das Vorgehen unter anderem von der Höhenlage des Quartiers und dem lokalen Druck des Grundwassers. Es kann deshalb passieren, dass die Feuerwehr in einer Strasse die Keller leer pumpt, der benachbarte Weg jedoch erst zu einem späteren Zeitpunkt drankommt.


Experten sind gefragt

Für die Feuerwehrleute insgesamt eine schwierige Situation, so Reber. «Wir sind es gewohnt, innerhalb von zwei Minuten auszurücken und den Menschen zu helfen. Jetzt bleibt uns nur abzuwarten.» Aktuell besuchen Patrouillen die überschwemmten Quartiere, um der betroffenen Bevölkerung die vertrackte Lage zu erklären.

Informationen von Expertinnen schienen in den vergangenen Tagen grundsätzlich gefragt zu sein. Die Info-Hotline des Bieler RFO hat 350 mal geklingelt. Laut Kommunikationschef Matthias Rütimann ging es dabei um überflutete Keller, abgeschalteten Strom, Probleme mit der Kanalisation sowie die Frage, wo man Sandsäcke beziehen kann. Noch heute sind mehrere Nidauer Liegenschaften ohne Strom, weil das Wasser die elektrischen Installationen zerstört hat.

Alles in allem ziehen die Bieler und Nidauer Behörden eine positive Zwischenbilanz. Die Alarmierung habe funktioniert, die Zusammenarbeit zwischen allen Beteiligten sei sehr gut gewesen. Ob man bei einem künftigen Hochwasser etwas besser machen könnte, könne man noch nicht sagen. «Man kann schnell reagieren, aber nicht alles verhindern», sagte RFO-Leiter Hansruedi Zurbrügg dazu. Und: «Manchmal ist die Natur einfach stärker.»

* * * * *

Badi muss vorerst zu bleiben

Die Nidauer Stadtpräsidentin Sandra Hess (FDP) lobt die Nachbarschaftshilfe, die sie auf ihren Besuchen in vom Hochwasser betroffenen Quartieren erlebt hat.

Sandra Hess, wie oft waren Sie in den vergangenen Tagen in Gummistiefeln unterwegs?
Sandra Hess: Seit einer Woche täglich. Auch im eigenen Keller. Ich wollte mir selbst ein Bild davon machen, wie es draussen in den betroffenen Quartieren und im Strandbad aussieht – und wie es den Leuten geht. Statt nur in Rapporten davon zu lesen, war ich lieber persönlich vor Ort.

Welche Bilder bleiben Ihnen in Erinnerung?
Ich sah viele Wasserschläuche und viele überflutete Tiefgaragen. Dazu überall Menschen, die sich draussen über die Situation beraten haben. Es hat mich beeindruckt, wie die Leute miteinander ins Gespräch gekommen sind und wie die Nachbarschaftshilfe funktioniert. Etwa, indem man sich gegenseitig mit Pumpen ausgeholfen hat.

War dabei auch Verzweiflung zu spüren?
Eher eine Hilflosigkeit, im Sinne von: «Jetzt können wir nichts mehr machen.» Viele haben sich gut auf das Hochwasser vorbereitet und ihre Wertsachen in Sicherheit gebracht.

War die Situation vergleichbar mit den Hochwassern von 2005 und 2007?
Es war schon heftiger als damals. Da es für viele Betroffene nicht das erste Mal war, dass so etwas passiert, blieb die Stimmung in der Bevölkerung dennoch sehr ruhig.

Auch bei denen, wo der Strom abgeschaltet wurde oder Wasser aus der Toilette in die Wohnung drang?
Es ist natürlich nicht lustig, wenn man die Kanalisation im Keller oder keinen Strom mehr hat. Aber auch dort haben es die Leute akzeptiert, es war einfach eine höhere Gewalt. Man muss irgendwie schauen, dass es weitergeht.
Nun stellt das Abwarten auf ein Sinken des Pegels die nächste Herausforderung dar. Sorgt es für Kritik, dass die Keller noch nicht ausgepumpt werden?
Eigentlich nicht. Die betroffenen Liegenschaftsbesitzer sind sich bewusst, dass wir in Nidau von Wasser umgeben sind und dass das manchmal die Agenda diktiert. Dass das Strandbad geschlossen ist, stösst hingegen auf Unverständnis.

Warum genau ist es noch zu?
Die orangen Beaver-Schläuche sind immer noch im Bad und halten den See zurück. Ohne sie wäre das Strandbad überflutet worden. Es ist weiterhin eine hochgefährliche Situation, deshalb können wir die Badi im Moment sicher nicht öffnen. Mit dem sinkenden Wasserpegel wird die Lage täglich neu beurteilt.

Eine Prognose für die Wiedereröffnung des Strandbads können Sie nicht geben?
Nein, leider nicht.

Ist Nidau insgesamt mit einem blauen Auge davongekommen?
Ja, das würde ich schon sagen. Klar ist es für die Direktbetroffenen eine absolut mühsame Situation. Aber letztendlich gab es nur Materialschäden und keine verletzten Personen. Da sind wir sehr froh.

Was kommt in den kommenden Tagen und Wochen auf das Stedtli zu?
Jetzt muss erst mal das Wasser abfliessen. Danach beginnt die grosse Reinigungsaktion. Wir haben auch eigene städtische Liegenschaften, die betroffen sind. Beispielsweise geflutete Tagesschulen. Da wird es eine Bestandsaufnahme geben, was repariert werden muss. Zudem werden wir auch bei diesem Hochwasser analysieren müssen, welche Lehren wir daraus ziehen können. Dasselbe gilt für die privaten Liegenschaftsbesitzer: Wir stellen fest, dass die meisten Eigentümerinnen, die beim letzten Hochwasser grosse Schäden erlitten und daraufhin mit baulichen Anpassungen reagiert haben, die aktuellen Auswirkungen einigermassen in Grenzen halten konnten.

Wie steht es um Ihren eigenen Keller?
Der ist immer noch voll (lacht). Aber es ist ein 100-jähriges Haus, da weiss man einfach, dass ab und zu Wasser reinkommt. Entsprechend haben wir auch keine Sachen im Keller, die nicht nass werden dürfen – oder wir haben sie rechtzeitig in Sicherheit gebracht.

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