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Selzach

Yogis auf vier Beinen

Yoga mit Alpakas? Was steckt hinter diesem Trend? Und wie geht das überhaupt? Unsere Autorin hat es ausprobiert und ihre Matte mitten auf einer Weide in Selzach ausgelegt.

Bild: Theresia Mühlemann
  • Dossier
Theresia Mühlemann
 
Sie sind gerade überall zu sehen, Lamas und Alpakas. Mit Sonnenbrille und bunten Halftern geschmückt, zieren sie Postkarten und Alltagsgegenstände. Als Symbol für Coolness und Entspanntheit haben sie die Faultiere längst abgelöst. Mit ihrem Südamerika-Flair verbreiten sie gute Laune und mahnen zu «No Drama». Auch ich konnte mich diesem Trend nicht länger erwehren. Als ich dann in den Sozialen Medien über eine Anzeige für Alpaka-Yoga gestolpert bin, war meine Neugierde geweckt. Einerseits war ich als Yogalehrerin, die sich in ihrer Unterrichtstätigkeit auch der Philosophie und nicht nur dem sportlichen Aspekt verschrieben hat, sehr skeptisch, ob eine Yogastunde auf der Wiese mit Alpakas noch dem traditionellen Yoga gerecht werden würde, doch andererseits stellte ich mir diese Konstellation, draussen und umrahmt von Tieren Yoga zu praktizieren, einfach sehr schön und lustig vor. Kurzum meldete ich mich für einen Yogaabend an.
 
Gespannt traf ich gemeinsam mit einer Freundin am frühen Sonntagabend auf der Funrange in Selzach ein. Die Sonne stand bereits tief über dem Jura und der Abend versprach trocken zu bleiben. Bereits hatten sich einige Teilnehmer auf der Wiese gemütlich eingerichtet. Die «Alpaka-Hirtin» Jasmin Besançon bat uns, zwischen den Matten etwas Abstand zu lassen, damit die Alpakas sich dazwischen frei bewegen konnten. «Und legt euch nicht zu nahe an die gelben Steckpfähle, dort ist das Klo der Alpakas», gab sie den Teilnehmenden mit auf den Weg.  Bei der Anmeldung vor der Stunde wurden wir von Yogalehrerin Alison McCaskey herzlich begrüsst. Ihre Vorfreude war spürbar gross. Auch für sie, die vor einem Jahr zur Alpaka-Yoga-Familie gestossen sei, sei es immer wieder etwas Besonderes, in diesem Rahmen Yoga zu unterrichten, wie sie erzählte. Das kurze, persönliche Kennenlerngespräch diente der Yogalehrerin auch dazu, zu erfahren, wie viel Yogaerfahrung und welche körperlichen Bedingungen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer mitbringen, damit sie ihr Programm da und dort an die Gruppe anpassen konnte. 
 
Kaum hatten wir uns auf der Matte niedergelassen, wurden wir umringt von sieben Alpakaburschen, die uns neugierig betrachteten. Der Mutigste von allen, Broadway, genoss es, auch einmal am Kopf gekrault oder gestreichelt zu werden, während seine Artgenossen vor allem des saftigen Grases wegen auf die Weide gekommen zu sein schienen. 
 
Schon zu Beginn der Yogastunde, als es darum ging, bei sich anzukommen und die Atmung zu vertiefen, fiel mir auf, wie wohltuend es doch ist, mit geschlossenen Augen in der Natur zu sitzen, den Geräuschen in der Umgebung zu lauschen, den Geruch von Wiese in der Nase, das leise Schmatzen der grasenden und gemächlich umherschlendernden Alpakas und das Rascheln des Windes in den Baumkronen im Ohr. Wann nimmt man sich schon noch die Zeit, sich einfach im Freien hinzusetzen und die Welt mit wachen Sinnen zu erleben? Alleine dafür, dass ich auf diese Weise daran erinnert wurde, hatte sich die Anmeldung zu dieser Stunde schon gelohnt. 
 
«Mach, was immer für dich stimmt», ermutigte uns McCaskey, die Yogalehrerin, «wenn du zwischendurch mit den Tieren in Kontakt sein möchtest, mach’ ruhig eine kleine Pause.» Eine Pause wollte ich nicht, ich genoss es, mich klar angeleitet auf eine neue Yogareise zu begeben. Viel zu selten komme ich in den Genuss, an einer Yogastunde nicht vorne zu stehen, nicht überlegen zu müssen, nur mitmachen und spüren zu dürfen. Ich gab mir grosse Mühe, die Haltungen korrekt auszuführen und die Balance nicht zu verlieren. Wie hätte das wohl ausgesehen, wenn ich als Yogalehrerin vor versammelter Gesellschaft ins Gras gepurzelt wäre! Doch jedes Mal, wenn wieder ein Alpaka seinen langen Hals auf meine Matte streckte, schien es mir, als wollte es sagen: «Hey, nimm doch nicht alles so ernst, ist doch nicht so wichtig.»
 
«Alpakas sind definitiv im Trend», erzählt Jasmin Besançon, die hier auf dem Hof in Selzach, den sie gemeinsam mit ihrem Vater und ihrem Mann betreibt, unter anderem für die Alpakas und die Erlebnisangebote mit diesen zuständig ist. Dabei sei die Klientel beim Yogaerlebnis mit den flauschigen Neuweltkameliden sehr breit gefächert. Es kämen junge Leute, die etwas Kultiges ausprobieren möchten, das ganze Spektrum vom erfahrenen Yogi bis zur blutigen Anfängerin, aber auch ältere Leute, für die die Begegnung mit den Alpakas im Vordergrund stehe, weil es für sie schlicht neu sei. Bis vor rund 20 Jahren habe es kaum Alpakas oder Lamas in der Schweiz gegeben. Wer die Erfahrung von der entschleunigenden Wirkung und der ruhigen Ausstrahlung der Tiere erst einmal schätzen gelernt habe, beispielsweise auf Spaziergängen mit den Tieren, sei schnell verliebt in die kleinen Verwandten des Lamas. Und so manch einer hätte sich dadurch dazu entschieden, selbst Alpakas zu halten.
 
Ein entspanntes Leben geniesst denn auch die Alpaka-Familie auf der Funrange, mehr als ein Spaziergang oder eine Yogastunde täglich steht nie auf ihrem Kalender.
 
Der Veranstalter dieser Yogastunde ist die Gruppe Alpaka-Erlebnisse Schweiz. Mittlerweile zählen zwölf Yogalehrende und mehrere Höfe in der ganzen Schweiz zum Kollektiv, das Angebote wie dieses ins Leben ruft. Alles begann letztes Jahr im Frühling, als Yogalehrerin Aline Losca in Deutschland von einer Farm gehört hatte, die Alpaka-Yoga anbietet. Zurück in der Schweiz wollte sie selbst solche Yogastunden besuchen, fand aber kein entsprechendes Angebot. Kurzerhand beschloss sie, gemeinsam mit einem befreundeten Yogalehrer, solche Stunden selber durchzuführen. Was als privater Event für eine Handvoll Freunde auf einem ersten Hof gestartet hatte, wurde zum Selbstläufer und zog bald Interessierte aus der ganzen Schweiz an. Mittlerweile gibt es bereits fünf Standorte, an denen regelmässig Alpaka-Yoga angeboten wird. Bald stehen auch Yogaevents in Verbindung mit Unplugged-Konzerten oder Alpaka-Mal-Events mitten in der Herde auf dem Plan. Der Hintergrund für diese Erweiterung des Angebots sei, auch den Menschen, die körperlich nicht in der Lage seien, eine Yogastunde zu absolvieren, eine gute Zeit mit den Alpakas zu ermöglichen, erzählt Losca. 
 
Die anderthalb Stunden auf der Matte waren kein Yoga im Sinne eines Rückzugs der Sinne und eines In-sich-Ruhens, doch sehr wohl eine Auszeit vom Alltag. Die Qualität bestand vielmehr gerade in diesem Dialog mit der Natur, in dem Erleben seiner Selbst als Teil der Szenerie. Die Erde unter den Füssen, das Zirpen der Grillen, die flauschige Wolle unter den Fingerspitzen, das Gewahrwerden des eigenen Körpers durch die dynamischen Bewegungsabläufe – all dies vermochte mich in einen Zustand der Gegenwärtigkeit und Erdung zu versetzen. Auch das ist Yoga.
 

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