Sie sind hier

Abo

Coronavirus

Testen, impfen, schimpfen

Sie führen Stäbchen in fremde Nasen und stechen Nadeln in Oberarme. Während die Handgriffe zur Routine geworden sind, wird der Umgang mit den Klientinnen immer schwieriger.

Pranavan Thambipillai testet und impft seit Monaten im Walk-In-Lyss. Bild: Matthias Käser

Mengia Spahr und Hannah Frei

Mit geübten Bewegungen lenkt Pranavan Thambipillai das lange Stäbchen der Nasenwand seines Kollegen entlang, der als Modell für das Foto hinhält. Thambipillai hat diese Handgriffe in den vergangenen Monaten unzählige Male ausgeführt. Als man in der Schweiz zu testen begann, wurde der 27-jährige Medizinstudent vom Militär aufgeboten. Und seit das Walk-in Lyss ein Coronatestzentrum eröffnet hat, ist er dort regelmässig im Einsatz.

Auch Lilian Glenzer gehört zum Testpersonal in Lyss. Die 23-Jährige war während der dritten Coronawelle im März gerade auf Jobsuche und fand Arbeit im Testzentrum. Wie Thambipillai studiert sie Humanmedizin an der Universität Bern. Gemäss der Geschäftsführerin des Walk-in Lyss, Antonia Käser, arbeiten im Testzentrum und in der Impfpraxis etwas mehr als 50 Medizinstudierende, Medizinische Praxisassistenten und Pflegefachkräfte sowie zehn Personen für die Administration.

Lilian Glenzer ist zurzeit rund anderthalb Tage pro Woche im Einsatz. Im Zweierteam können sie und Pranavan Thambipillai 18 Tests pro Stunde durchführen. Bis letzte Woche die Schnelltests kostenpflichtig wurden, seien sie völlig ausgebucht gewesen, sagt Thambipillai, nun nehme die Nachfrage ab.

Sinnlose Diskussionen

Im Frühling waren Testen und Impfen unmittelbar mit der Hoffnung verbunden, dass die Pandemie ein Ende findet. Die beiden Medizinstudierenden erzählen, dass die Leute sehr dankbar für die Termine gewesen seien. «Sie kamen gut vorbereitet, brachten alle Unterlagen mit und hatten sich informiert», so Thambipillai. Von der anfänglichen Impf- und Test-Euphorie sei heute nicht mehr viel zu spüren. Ja, es gebe sie noch, die gut vorbereiteten und dankbaren Klientinnen und Klienten, aber es gebe nun auch jene, die das Personal die fehlende Motivation spüren lassen. «Das Testen wurde Alltag. Man merkt das der Stimmung an: Die Leute sind genervt, haben nicht mehr viel Geduld», fasst Lilian Glenzer ihre Beobachtungen zusammen.

Laut Thambipillai beschweren sich die zu Testenden und Impfenden insbesondere seit der Ausweitung der Zertifikatspflicht vermehrt über die Massnahmen. Er werde etwa gefragt, ob er nicht einfach so ein Zertifikat ausstellen könne. Erkundige er sich bei Personen, die sich für ein Zertifikat testen lassen, weshalb sie sich nicht impfen wollen, heisse es oft, die Impfung sei nicht ausreichend erforscht, man traue dem Zeug nicht, oder das eigene Immunsystem funktioniere gut genug. Thambipillai beobachtet, dass sich vor allem junge Erwachsene zur Impfung gedrängt fühlen.

Immer wieder müssten er und seine Kolleginnen klarstellen, dass nicht sie es sind, die die Regeln aufstellen: «Es ist absolut sinnlos, mit uns darüber zu diskutieren, weshalb man jetzt ein Zertifikat fürs Restaurant braucht», so Thambipillai. «Wir sind halt an der Front, uns sieht man», sagt Lilian Glenzer.

Verspätungen und Absagen

Das Impf- und Testpersonal sei es, das den Unmut derjenigen abbekomme, die sich nur widerwillig – nur fürs Zertifikat – impfen und testen lassen, stellt Antonia Käser fest. Laut der Geschäftsführerin des Walk-in Lyss führen endlose Diskussionen mit Klientinnen immer wieder zu Verspätungen. Besonders mühsam sei es beim Impfen. «Viele kommen total unvorbereitet – ohne Vacme-Registrierung – und mit dem Anspruch, dass – wenn sie sich schon impfen lassen müssen– die anderen alles für sie erledigen sollen», so Käser. Da man die Leute trotzdem impfen wolle, nehme sich das Personal Zeit, um ihnen beim Ausfüllen der Anmeldeformulare zu helfen. So daure ein Impftermin plötzlich 25 statt 5 Minuten. Käser zufolge sind mittlerweile über die Hälfte der Termine solch komplizierte Fälle.

Ausserdem komme es vermehrt vor, dass Patientinnen und Patienten Termine kurzfristig löschen: «Manche mögen wohl am Samstagmorgen nicht aufstehen», vermutet Käser. Im Walk-in Lyss, wo 24 Impfungen pro Stunde verabreicht werden, habe man stets darauf geachtet, keine Dosis wegzuwerfen. Dass nun Impfdosen ungebraucht liegen bleiben, schmerze: «Einfach nicht zum Termin zu erscheinen, ist despektierlich und nicht fair, wenn man bedenkt, dass die Impfungen anderswo auf der Welt dringend gebraucht würden.»

Käser tut es leid, dass sich die Medizinstudierenden und anderen Angestellten bei ihren Einsätzen anhören müssen, was den Menschen nicht passt: «Sie arbeiten für das Wohl der Bevölkerung und machen einen ausserordentlich guten Job. Ein Dankeschön, ein Lächeln und ein liebes Wort würden den Arbeitsalltag etwas schöner machen.»

Ähnliche Erfahrungen im Medin

Wie sieht die Situation denn im Medin in Biel aus? «Grundsätzlich entspannt», sagt Lucia Arni, Betriebsverantwortliche des dort eingerichteten Covid-Zentrums. Im Medin wird getestet und geimpft, in zwei verschiedenen Abteilungen. Aber anders als in Lyss kriegt man im Medin nur mit Anmeldung einen Termin. Die meisten, die sich dort impfen oder testen lassen, seien verständnisvoll und dankbar, und sie würden pünktlich erscheinen. Doch auch Arni und ihr Team mussten feststellen, dass die Akzeptanz seit Anfang September abgenommen hat. «Bei manchen ist das Verständnis für die Massnahmen gleich null», sagt Arni. Das kriegen die Angestellten zu spüren: Es sei zu verbalen Angriffen gekommen, einer habe sich gar auf den Boden geworfen, um einen Termin zu erhalten, eine andere habe angefangen zu weinen. Das seien aber absolute Ausnahmen, sagt Arni. «Die Erbosten sind eine kleine Minderheit.»

Schwierig wird es für das Team immer dann, wenn sich viele Menschen ohne Termin anstellen – und auch noch in die falsche Schlange. Die Impfenden und Testenden müssen dann gemeinsam mit der Securitas die Sache regeln, verlieren Zeit, kommen in Verzug, was wiederum diejenigen ärgert, die rechtzeitig erscheinen. Am vorletzten Samstag sei es besonders schlimm gewesen. Zwei Wochen war das Impfzentrum im Medin wegen der Umorganisation zu, am 9. Oktober machte es wieder auf. «Alle kamen zur selben Zeit und wollten sofort eine Impfung», sagt sie. Ihr Team habe durcharbeiten müssen, ohne richtige Mittagspause. Dies, obwohl es auch in den kommenden Tagen noch zahlreiche freie Impftermine im Medin gibt. Arni ist bei der Planung besonders gefordert. Sie entscheidet von Tag zu Tag, ob weitere Impftermine aufgeschaltet werden und ob sie ihr Team dementsprechend aufstocken muss. So könne es vorkommen, dass sich das Angebot auf der Website innerhalb Minuten ändert. Sie empfiehlt demnach, die Website regelmässig zu konsultieren. «So sollte es kein Problem sein, einen passenden Impftermin zu finden», sagt Arni.

Beim Testzentrum laufe es ähnlich ab. Termine werden laut Arni auch kurzfristig aufgeschaltet. Vor den Wochenenden sind sie seit der Ausweitung der Zertifikatspflicht jedoch rar, eben dann, wenn ein Restaurantbesuch oder ein Konzert ansteht. Wichtig sei aber: «Wer Symptome hat, der findet bei uns immer einen Termin», sagt Arni. Wenn nicht online, dann per Telefon oder direkt vor Ort.

Perfekter Studentenjob

In Lyss geht die Test-Pause, die sich Lilian Glenzer und Pranavan Thambipillai für das Interview freigeschaufelt haben, ihrem Ende zu, als jemand die Klingel betätigt. Doch die nächste Patientin muss sich noch etwas gedulden – für einmal nicht, weil das Personal wegen Diskussionen mit zu Testenden in Verzug gerät, sondern weil sie selbst zu früh dran ist.

Glenzer und Thambipillai sagen, dass sie mit der neuerdings angespannten Situation zurechtkämen. Das gehe nicht allen so: «Eine Kollegin sagte mir, dass sie es nicht aushalte, den ganzen Frust abzubekommen. Ich denke, ich hatte vergleichsweise Glück bis jetzt», sagt Lilian Glenzer. Klar gebe es schlecht gelaunte Leute, aber wenn sie freundlich bleibe, entspanne sich die Situation meistens: «Manchmal kommt jemand grummelig hinein, dann sage ich: Ah schön, Sie verreisen in die Ferien. Wohin geht’s? – Und schon ist das Eis gebrochen.»

Die beiden Medizinstudierenden sind sich einig: Testen und Impfen sei zwar nicht besonders abwechslungsreich, aber ein perfekter Studentenjob, den sie noch ausüben werden, solange es ihn braucht.

Stichwörter: Seeland, Impfen, Testen, Corona, Pandemie

Nachrichten zu Seeland »