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Frauenschwingen

«Akzeptanz gegenüber uns nimmt zu»

Die gebürtige, seit 2008 in Frutigen lebende Seeländerin Franziska Ruch möchte in diesem Jahr Schwingerkönigin werden. Ob beruflich oder privat, sie blickt auf bewegte Jahre zurück.

Franziska Ruch (oben) drückt Manuela Egli zu Boden, Bild: Keystone
  • Dossier

Interview: Beat Moning

Franziska Ruch, wie kamen Sie zum Schwingsport?

Franziska Ruch: Ich war mit Stucki Christian liiert und gehörte mitunter zu jenen auf der Tribüne, die ihn auch mal kritisierten. Bis er mir sagte: «Mach es doch selber.»

Und los ging es.

Richtig, ich war an vielen Festen, trainierte ab und zu in Aarberg. Dann gingen wir zu den Mittelländern nach Bolligen. Doch leider nicht für lange. Ich riss mir das Kreuzband, bevor es eben richtig losging.

Dabei blieb es nicht.

Nein, ein Jahr später, 2008, riss das Kreuzband an einem Schwingfest erneut. Dazu kam eine Schulterverletzung. Ich musste mir eingestehen, dass mein Körper für den Schwingsport nicht geeignet ist und habe aufgehört.

In Ihrem Lebenslauf findet man Sie dann im Berner Oberland, in Frutigen,

wieder.

Nach der Trennung von Christian lernte ich an einem Turnfest im Appenzell einen Frutiger Banker kennen. Mit ihm gründete ich eine Familie. Zusammen haben wir drei Kinder.

Zusammen sind Sie aber nicht mehr.

Nein, inzwischen sind wir seit ein paar Jahren geschieden. Vor zwei Jahren kam ich dann mit Richard Tschanz zusammen. Er ist Schwinger und trainierte die Frauen in Thun. Er sagte zu mir: «Versuch es doch wieder.»

Und so kam es dann zum grossen 
Comeback.

So war es. Er ermunterte mich, wieder einzusteigen. Und dies fast zehn Jahre nach der zweiten Verletzung. Ich habe immer Sport getrieben und hatte konditionell keine Probleme. Es hat mir dann gleich den Ärmel reingezogen. Ich sagte mir: Mache ich einen sauberen Aufbau, kann ich wieder mit den besten Frauen mitschwingen.

2018 belegten Sie in der Jahresrangliste den zweiten Platz, nur 0,75 Punkte hinter der Schwingerkönigin Diana Fankhauser. Wollen Sie jetzt Königin werden?

Wer mal Zweite war, und dies mit minimalem Abstand, möchte auch Erste werden. Mein Training ist auf dieses Ziel ausgerichtet. Allerdings begann die Saison nicht sehr verheissungsvoll. Aber Schwingen ist wieder zu einer Herzensangelegenheit geworden.

Wem wollen Sie nach einem so langen Unterbruch etwas beweisen?

Niemandem. Ich schwinge aus Leidenschaft und möchte einfach ein Optimum aus meinen Möglichkeiten herausholen. Dies auch nicht mehr für lange, ich bin nicht mehr die Jüngste. Noch in diesem Jahr, vielleicht noch 2020. Ich habe keine einfache Zeit hinter mir. Anfang Jahr erhielt ich die Krebsdiagnose, musste zur Chemotherapie und brauchte einige Monate, bis ich mich einigermassen wieder erholt hatte.

Hat die Krankheit Ihr Leben verändert?

Für Beruf und Familie habe ich zehn Jahre alles gegeben. Ich habe bewusst den Unterhaltsbeitrag meines Ex-Mannes ausgeschlagen. Ich wollte selbstständig sein und bleiben, lieber arbeiten als Ferien machen. Meine Kinder kennen nichts anderes und sind entsprechend zu einer gewissen Selbstständigkeit erzogen worden. Mit der Krankheit habe ich gemerkt, dass es nicht mehr für alles und jedes Platz hat. Gewisse Sachen muss ich mit mehr Ruhe angehen und auch vermehrt Zeit für mich selber herausnehmen. Aber es soll niemand leiden. Ich will für meine Kinder dasein.

Neben dem Aktiv-Schwingen waren Sie schon OK-Präsidentin eines Meitli- und Frauenschwingfestes, jetzt sind Sie für das Fest in Kandersteg in acht Tagen im OK tätig. Als hätten Sie mit Beruf und Kinder erziehen nicht schon genug 
«am Hals».

Das ist eben Ehrensache. Die Sportart ist noch nicht so bekannt. Es braucht Leute, die mit gutem Beispiel vorangehen. Gerade jene Frauen, die auch noch schwingen. Da fühle ich mich einfach verpflichtet. Zudem hat meine siebenjährige Tochter mit Schwingen begonnen.

Wie gross ist in Ihren Augen das Potenzial des Frauen-Schwingsports?

Ich möchte hier nicht von den Unterschieden zu den Männern sprechen. Frauenschwingen ist wie eine andere Sportart, wie im Eishockey oder im Fussball. Wir haben heute bis zu 1000 Zuschauer, es kommen immer mehr. Auch Schwinger, die dem Frauenschwingen früher kritisch bis negativ gegenübergestanden sind. Ich spüre, auch aufgrund der Erfahrungen bei unseren Festen in der Region, dass die Akzeptanz gegenüber uns zunimmt. Dass die Skepsis da und dort bleibt, wird wohl nicht zu vermeiden sein.

Sie und Ihre Kinder ziehen nun mit Ihrem Freund zusammen, zügeln nach Eriz. Da wird es wohl vermehrt 
Diskussionen um den Schwingsport geben.

Wir diskutieren viel. Da wir zwei völlig unterschiedliche Schwinger sind, schon von der Grösse her, sind die Diskussionen oft kontrovers. Er ist nicht der Grösste und schwingt oft gegen grössere Athleten. Er kennt also meine Schwächen und meint, ich könnte viel mehr aus mir herausholen.

Ist das so?

Ich kam einfach so in den Schwingsport hinein. Beim zweiten Mal nach einem langen Unterbruch. Ich bringe die körperlichen Voraussetzungen 
mit, nicht aber die Technik. Da fehlt 
mir die Basis. Aber ich arbeite daran und will mich auch stetig verbessern. Auch in der direkten Vorbereitung haben wir etwas unterschiedliche Vorstellungen.

Wie verfolgen Sie denn ein Fest der Männer?

Es ist wie früher. Die Tage sind lang. Aber ich beobachte gezielter. So verfolge ich die Gänge oft von der technischen Seite her. Ich merke mir Kombinationen oder ich nehme ganz einfach etwas heraus, das für mich gut sein könnte.

 

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10 000 Leute am ersten Frauenfest 1980

Bereits im Jahr 1980 hat es in Aeschi bei Spiez das erste Frauen-Schwingfest gegeben. Es wird noch heute von dieser damaligen Sensation im Berner Oberland erzählt. Mehr als 10 000 Besucher kamen zum Fest und über 80 Frauen zeigten in den Zwilchhosen ihr Können. Dies war die Geburtsstunde des Frauenschwingens. «Das war halt ein einmaliges Erlebnis und ist nicht mit der heutigen Zeit vergleichbar», sagt Benjamin Beyeler, nach seiner Aktivkarriere nun seit fünf Jahren Präsident des eidgenössichen Frauen-Schwing-Verbandes (EFSV). Da es zu dieser Zeit weder einen Frauen-Schwingverband noch Frauenschwingklubs gab, trainierten die Schwingerinnen heimlich zuhause mit den Brüdern.

Doch das Aeschi-Schwinget blieb nicht das einzige. In den darauf folgenden Jahren wurden in der ganzen Schweiz Frauenschwingfeste (meist eines pro Jahr) mit einer enorm hohen Teilnehmer- und Besucherzahl durchgeführt. Im Jahr 1992 wurde am Geburtsort des Frauenschwingsports der Eidgenössische Frauen-Schwingverband EFSV gegründet. Der Verband zählt heute rund 180 Mitglieder, davon gegen 100 Nachwuchskräfte. «Tendenz steigend», wie Beyeler erwähnt. Vor allem in den Meitli-Kategorien hat es einen enormen Zuwachs gegeben. Das letzte Aushängeschild war die vierfache Schwingerkönigin Sonja Kälin. Pro Jahr gibt es eine Schwingerkönigin. Dabei zählt nicht, wie bei den Männern alle drei Jahre, nur ein Fest allein, sondern die Jahreswertung ist entscheidend.

2019 kommen sechs Feste zur Austragung, vier kommen in die Wertung (zwei Streichresultate). Das nächste Frauen- und Mädchenschwingfest findet am 22. Juni in Kandersteg statt. Danach in Ricken am 3. August, Boveresse am 10. August, Uezwil am 17. August und am 29. September das Eidgenössische Frauenschwingfest, das Finale, in Menznau. «Es werden wieder mehr Leute kommen, weil die Kritiker immer weniger werden», so Beyeler. mt/bmb

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Zur Person

Franziska Ruch, geborene Schlüchter, kam am 29. Januar 1983 zur Welt. Sie ist in Büetigen aufgewachsen und ging dort und in Dotzigen zur Schule. Mit 14 Jahren verlor sie ihren Vater. Mutter und Bruder René, der bei der HG Diessbach hornusst, leben noch heute in Diessbach. Franziska schloss eine kaufmännische Ausbildung ab. 2008 zog die 1,92 Meter grosse und knapp 100 Kilogramm schwere Seeländerin aus privaten Gründen nach Frutigen (siehe Interview), heiratete dort und brachte drei Kinder zur Welt. Zwei Knaben, zehn- und neunjährig, spielen Fussball in Frutigen und Eishockey in Adelboden. Das Mädchen, siebenjährig, hat den Schwingsport entdeckt. Nach der Geburt des ersten Kindes hat sich Franziska Ruch zur Masseurin ausbilden lassen und arbeitete bis vor Kurzem auch während zwei Tagen als Aushilfe in einer Metzgerei. Inzwischen geschieden, ist sie seit zwei Jahren mit dem Schwinger Richard Tschanz zusammen. Sie zieht nun mit ihren Kindern in dessen Bauernhaus nach Eriz. Die Masseurin arbeitet selbstständig weiter und wird nach dem Auszug aus dem Eigenheim des Ex-Mannes im Frutiger Oberdorf weiterhin in Frutigen praktizieren.

In diesem Jahr möchte sie Schwingerkönigin werden und trainiert hierfür pro Woche je zweimal Schwingen (in Reichenbach und Thun mit den Männern), Kondition und Kraft. bmb

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