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Curling

Chance auf ein perfektes Kalenderjahr

Im Frühling hat die Bielerin Melanie Barbezat mit ihrem Team den WM-Titel gewonnen und zuletzt den Spitzenplatz in der Weltrangliste erobert. Am Samstag beginnt die Europameisterschaft.

Esther Neuenschwander, Silvana Tirinzoni, Melanie Barbezat und Alina Pätz. Bild: zvg/Swiss Curling

Michael Lehmann

Melanie Barbezat sagt es unmittelbar nach Alina Pätz’ Steinabgabe: «Dä isch super.» Mal geht sie, mal slidet sie neben dem Stein her, der über den Titel entscheiden wird, und wischt mit ihrem Besen sanft über die Eisfläche. Auf die von Skip Silvana Tirinzoni geäusserten Zweifel bekräftigt Barbezat: «Dä isch guet.» Und die Bielerin behält recht. Noch bevor der Stein im Zentrum des Hauses zum Stehen kommt, fliegt Tirinzonis Besen durch die Luft der Silkeborger Eishalle und die Schweizerinnen liegen sich in den Armen.

An diesen Moment aus dem vergangenen März erinnert sich Barbezat gerne zurück. Hat sie wirklich schon kurz nach der Steinabgabe realisiert, dass sie bald Weltmeisterin sein würde? «Man kann zwar schnell abschätzen, wo der Stein ungefähr liegen bleibt, trotzdem darf man den Fokus nicht verlieren», sagt die 28-Jährige. Schliesslich können kleinste Unregelmässigkeiten auf dem Eis dazu führen, dass der Stein mehr oder weniger curlt. «Erst als er ins Haus hinein rutschte, wusste ich, dass wir den Titel in der Tasche haben.» Für Barbezat sowie für Tirinzoni und Neuenschwander war es der erste WM-Medaillengewinn überhaupt. Dies nicht einmal ein Jahr, nachdem sich das Team neuformiert hatte.

Sprung an Weltranglistenspitze
Anfang Herbst hat die neue Saison begonnen; die Saison der Bestätigung. «Geändert hat sich für uns wenig», sagt Barbezat. «Wir haben noch immer hohe Ziele und sind entsprechend motiviert.» Am vorläufigen Ende der gemeinsamen Reise steht Peking. 2022 wollen die Schweizerinnen eine Olympia-Medaille gewinnen. Bis dahin gilt es deshalb, sich an der Weltspitze festzusetzen. In dieser Hinsicht hat das Team Tirinzoni dort weiter gemacht, wo es im Frühling aufgehört hatte.

Besonders an den Wettkämpfen auf der World Tour präsentierten sich die Schweizerinnen oft stark. So strak, dass sie zwischenzeitlich – und zum ersten Mal überhaupt – die Weltrangliste angeführt haben. Die nächste grosse Errungenschaft nach EM-Silber und WM-Gold. Sie ist gemäss Barbezat hoch zu gewichten. Denn das Niveau der Turniere in Nordamerika ist vielfach höher als an Europa- und Weltmeisterschaften, weil nicht nur ein Team pro Nation zugelassen ist. So finden sich in den Top-15 der Weltrangliste derzeit zum Beispiel sieben kanadische Equipen. Seit Saisonbeginn war das Team Tirinzoni in der Weltrangliste nie schlechter als auf dem vierten Rang platziert.

Etwas überraschend ist es daher, dass es im Rennen um die EM-Qualifikation sogar noch knapp geworden ist. Dem Walliser Team um Skip Elena Stern fehlten letztlich sechs Punkte auf das Team Tirinzoni. Der Verband wertete die besten drei Resultate beziehungsweise die Punktgewinne aus den Turnieren zwischen August und Oktober. Ein System, das es gemäss Barbezat zu hinterfragen gilt. «Nichts gegen die guten Leistungen von Team Stern, aber letztlich reichte ein Exploit (Sieg an einem hochdotierten Turnier, die Red.), um das EM-Rennen spannend zu machen.» Würden mehr als nur die drei besten Resultate gewertet, erhielten konstante Leistungen mehr Gewicht. Welches Team die Schweiz im Frühling an der WM vertritt, wird Anfang Februar an der Schweizer Meisterschaft in Thun ermittelt.

Nicht an Renommee eingebüsst
Vorerst freut sich Melanie Barbezat auf ihre zweite EM-Teilnahme. Heute reist das Team nach Helsingborg (SWE), am Samstag steht es ein erstes Mal im Einsatz. Obwohl die Turniere in Nordamerika stärker besetzt sind, hat die Europameisterschaft für die Schweizerinnen nicht an Renommee eingebüsst. Das liegt vor allem am medialen Interesse aus dem eigenen Land, das an einer EM viel grösser ist als bei «normalen» Turnieren in Übersee. Das Team möchte sich deshalb in Bestform zeigen.

Möglich, dass es zum dritten Mal in Folge zu einem Final zwischen der Schweiz und Schweden kommt. Auch das Team von Skip Anna Hasselborg ist stark in die neue Saison gestartet. Mit einem EM-Titel könnten die Schweizerinnen neben WM-Gold und der Eroberung der Weltranglistenspitze auf ein perfektes Kalenderjahr zurückblicken.

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Premiere für junges Berner Team
Bei den Männern kommt es an der EM in Helsingborg zu einer Premiere. Erstmals vertritt das Team Bern Zähringer mit Skip Yannick Schwaller die Schweiz an einem Grossanlass. Die Curler sind zwischen 24- und 25-jährig und spielen seit drei Jahren in dieser Formation. Bereits in der letzten Saison kamen die Berner den lange dominierenden Genfern (Skip Peter De Cruz) immer näher, haben sie unter anderem am Swiss Cup hinter sich gelassen. Mit ihren besten drei Resultaten im Herbst haben die Berner 1,8 Punkte mehr gesammelt als die Genfer und sich damit für die EM qualifiziert. Dort streben die Schweizer einen Medaillengewinn an. Trotz der fehlenden Erfahrung scheint dies möglich. In der Weltrangliste befinden sich nur Schweden und Schottland vor den Schweizern.

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EM-Spielplan der Schweizer Teams
Frauen
Round Robin: Deutschland Sa 15.00, Schweden So 9.00, Russland So 19.00, Schottland Mo 12.00, Norwegen Mo 20.00, Dänemark Di 14.00, Estland Mi 9.00, Tschechien Mi 19.00, Lettland Do 14.00
evtl. Halbfinal Fr 22.11., 14.00
evtl. Spiel um 3. Platz Fr 22.11., 19.00
evtl. Final Sa 23.11., 15.00

Männer
Round Robin: Niederlande Sa 9.00, Schweden Sa 20.00, Dänemark So 14.00, Russland Mo 8.00, England Mo 16.00, Norwegen Di 9.00, Deutschland Di 19.00, Schottland Mi 14.00, Italien Do 9.00
evtl. Halbfinal Do 21.11., 19.00
evtl. Spiel um 3. Platz Fr 22.11., 19.00
evtl. Final Sa 23.11., 10.00

Stichwörter: Melanie Barbezat, Curling