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Eishockey

Ein Abenteuer zwischen 
zwei Welten

Janis Moser hat während seiner ersten drei Monate im Westen der USA schon viele Veränderungen erlebt. Die Esskultur machte ihm anfangs zu schaffen.

Janis Moser liebt das Spiel auf dem Eis. Im Casino hält er hingegen nichts vom Spielen. copyright: Keystone
Moritz Bill
 
Die Abkürzungen unterscheiden sich bloss durch einen einzigen Buchstaben. Doch zwischen den beiden bedeutendsten Eishockeyligen Nordamerikas, der NHL und der AHL, liegen Welten. Janis Moser weiss spätestens seit letzter Woche Bescheid. Der Safnerer Eishockeyaner, seit dieser Saison bei der Organisation der Arizona Coyotes unter Vertrag, wird vom AHL- ins NHL-Team berufen. Das ist bezüglich Prestige, Strukturen oder Professionalität in etwa vergleichbar, wie wenn ein Fussballer aus der Regionalliga in die Champions League wechselt – von einem Tag auf den nächsten. 
 
Der Trainer des Tucson Roadrunners fordert den nichts ahnenden Schweizer Rookie nach dem Training auf, den General Manager anzurufen. Dieser überbringt die frohe Botschaft, am Abend setzt sich Janis Moser ins Auto, fährt rund zwei Stunden nach Phoenix. Dort erwartet ihn eine Wohnung des Klubs, er betritt eine neue Welt. 
 
Nimmt ein Spieler die entgegengesetzte Richtung – von der glamourösen NHL in die schmucklose AHL – dann ist er auf sich alleine gestellt. So erging es Moser einen Monat nach seiner Ankunft in Übersee. Nach der Saisonvorbereitung mit dem NHL-Team wurde er ins sogenannte Farmteam zurückversetzt. Eine Wohnung stand damals nicht bereit. Stattdessen erhielt er einen «Housing Letter». Das bedeutet: Der Klub kommt nur noch bis zu einer gesetzten Frist für die Hotelkosten auf, der 21-Jährige musste sich also auf Wohnungssuche begeben. In einem fremden Land, wo die Dinge anders laufen. Unterstützung seitens des Arbeitgebers erhält man kaum, aber Moser sagt: «Ich finde das verständlich. Man muss ja eine Wohnung und ein Auto auswählen, die den eigenen Vorstellungen und Bedürfnissen entsprechen. Natürlich war das alles nicht ganz so einfach, aber ich habe mich bei Teamkollegen erkundigt und letztlich will ich genau solche Sachen selbstständig erledigen können. Das ist doch spannend.» Ein Abenteuer.
 
Wer unten ist, will nach oben
Mittlerweile steht diese Wohnung in Tucson leer. Wann, und ob der Safnerer überhaupt je dorthin zurückkehrt, ist nicht absehbar. «Pläne musst du hier keine machen», sagt Moser und schmunzelt. «Du schaust von Tag zu Tag, die Situation kann sich schnell ändern. Du musst flexibel bleiben, etwas anderes bleibt dir gar nicht übrig.» Der Konkurrenzkampf innerhalb einer NHL-Organisation ist gross, jede Position ist mehrfach besetzt. Wer unten ist, will nach oben. 
 
Dennoch, den unrühmlichen Ruf der AHL kann der frühere Verteidiger des EHC Biel nicht bestätigen. Das Spiel sei zwar schon physisch und in jedem Match käme es zu mindestens einer Prügelei. «Aber es wird nicht übertrieben hart gespielt und werden nicht ständig unfaire Checks ausgeteilt.» 
 
In Las Vegas nur Zuschauer
Auch von schier unendlich langen Busfahrten an die Auswärtsspiele, von denen in der überschaubaren Schweiz immer mal wieder Schauergeschichten erzählt werden, hat Moser bislang nur wenig zu berichten. Er hat das Glück, dass die Roadrunners – ihrem Namen so gar nicht entsprechend – längere Reisen mit dem Flugzeug unternehmen. Die längste Busfahrt dauerte sechs Stunden. Und hatte diese dank der Destination etwas Kurzweiliges. Es ging nämlich nach Las Vegas. Wer nun aber Janis Moser an einem Roulettetisch vor sich sieht, kennt ihn schlecht. Er erzählt: «Ich spiele nicht, das würde nicht zu mir passen. Ich schaute einfach meinen Mitspielern zu, wie sie ihr Geld verspielten.» Apropos: Auch bezüglich Lohnsumme unterscheiden sich die beiden Ligen markant, wie Mosers Beispiel zeigt: Würde er die ganze Saison in der NHL spielen, käme er auf 842 500 US-Dollar Verdienst (Bonuszahlungen ausgenommen), in der AHL wären es mit 80 000 für die ganze Saison weniger als einen Zehntel davon.
 
Die Busfahrten sind vorerst passé. Solange der Seeländer dem NHL-Kader angehört, reist er ausschliesslich mit dem teameigenen Flugzeug. Doch diese Annehmlichkeit bedeutet ihm nicht allzu viel. Viel mehr war der Umzug aus dem Hotel in die eigene Wohnung – also schon während seiner AHL-Zeit – die bislang erfreulichste Veränderung abseits des Eishockeys.
 
Eintöniges Hotelleben
Einen ganzen Monat im Hotel zu leben hatte ihm zugesetzt. «Man kommt irgendwie gar nie richtig an. Und das Mühsamste war, dass ich nicht selbst kochen konnte.» Janis Moser schenkt bekanntlich jedem Faktor Beachtung, der Einfluss auf seine Leistung nehmen könnte (siehe auch BT vom letzten Samstag). Die Ernährung spielt da selbstverständlich eine zentrale Rolle. «Hier ist es schwierig, an qualitativ gutes Essen zu kommen. Vor allem, weil ich zu Beginn eben immer auswärts essen musste und noch kein Auto hatte. Der öffentliche Verkehr existiert hier nicht wirklich. Jetzt kann ich selbst einkaufen und mir das Essen zubereiten. Das ist eine bedeutende Verbesserung.»
 
Heimweh verspürte der Jungspund keines. Einerseits war er bereits in der Schweiz aus dem Elternhaus in Safnern ausgezogen. Andererseits waren seine Eltern kürzlich zu Besuch. Sie verpassten das NHL-Debüt des Sohnes nur um ein paar Tage. Ein weiteres Beispiel, wie unberechenbar eine Profisportler-Leben in Nordamerika ist. Über die Festtage reist die Schwester an.
 
Ein Handicap in der Freizeit
Sind keine Verwandten zu Besuch, können sich die Tage nach dem Teamtraining am Vormittag hinziehen. Mannschaftskollegen hausen im selben Wohnungskomplex, was gemeinsame Aktivitäten begünstigt. Nur beim Golf, unter kanadischen und amerikanischen Eishockeyspielern äussert beliebt, passt Moser. «Das ist überhaupt nichts für mich.» Stattdessen legt er dann eine weitere Schicht im Kraftraum ein. Schliesslich will er alles dafür tun, dass nicht wieder ein einziger Buchstabe eine so grosse Veränderung nach sich zieht. 
 
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Zuerst Meisterschaftsunterbruch, dann Olympia-Rückzug

Janis Mosers NHL-Karriere schien gerade Schwung aufzunehmen. Vor einer Woche absolvierte der Safnerer seine ersten beiden Matches in der weltbesten Liga. Dabei erhielt er einmal 19 und das andere Mal 18 Minuten Eiszeit: eindrücklich für einen Neuling. Doch dann zogen die Ligageneräle den Stecker. In den Tagen zuvor hatte sich ein Covid-Flächenbrand über fast allen NHL-Mannschaften entfacht. Am Montag soll der Spielbetrieb wieder aufgenommen werden. Die Teams dürfen erst einen Tag zuvor wieder zusammen trainieren. Natürlich war dieser abrupte Stopp speziell für Moser ärgerlich, er sagt aber: «Nach bald zwei Jahren Corona habe ich mich daran gewöhnt, dass es oft anders kommt als geplant.» 
 
Die nächste schlechte Nachricht liess nicht lange auf sich warten, wobei diese absehbar gewesen war. Angesichts der bereits zahlreichen verschobenen Partien und der wieder ausser Kontrolle geratenen Pandemie gibt die NHL ihre Spieler für das Olympische Turnier nicht frei. Moser hätte gute Chance gehabt, die Schweiz in Peking zu vertreten. Doch Trübsal blasen entspräche nicht seinem Naturell. «Das ist natürlich schade, zumal dies der speziellste Sportanlass überhaupt ist und nur alle vier Jahr durchgeführt wird. Jetzt hoffe ich darauf, dass es das nächste Mal klappt.» Diesbezüglich eine Prognose abzugeben, ist schwierig. Den letzten Winterspielen waren die NHL-Stars nach einem kleingeistigen Streit um die Versicherungskosten ferngeblieben. 
 
Ohnehin würde das Moser nur betreffen, falls er dannzumal noch in Nordamerika engagiert sein würde. Den Grundstein für eine längere NHL-Karriere hat er jedenfalls in den letzten Monaten gelegt. In der AHL hat sich der Verteidiger gut an die neuen Verhältnisse herangetastet. 
 
Vor allem die kleinere Eisfläche zieht viele Veränderungen nach sich. Die Laufwege sind nicht mehr die gleichen, Prioritäten müssen anders gesetzt werden. Moser erklärt es so: «Auf dem europäischen Feld geht man so rasch wie möglich auf den Puck. Hier gilt als erstes: Den Laufweg des Gegenspielers blockieren, damit du die bessere Position hast, weil weniger Platz vorhanden ist.» Die andere Spielweise implementiert Moser zunehmend, die Automatismen beginnen zu greifen. «Wirklich trainieren kann man das nicht, diese Erfahrungen muss man in den Matches sammeln.» Umso wichtiger wäre es für den Seeländer, baldmöglichst wieder spielen zu dürfen. Am besten natürlich in der NHL. bil