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Standpunkt

Ein lautes Ja – mit einem leisen Aber

Die Krise dauert an. Wir dürfen keine Fehler (mehr) machen – punkto Gesundheit und punkto unserer wirtschaftlichen Zukunft steht zu viel auf dem Spiel. Schotten dicht und abtauchen ist aber auch keine Lösung.

Spitzeneishockey in einer leeren Tissot Arena? Dieses Szenario droht - oder noch drastischer: Es gibt gar keine Profiklubs mehr. Bild: Keystone

Bernhard 
Rentsch, Chefredaktor

Das Leben geht weiter. Bei jedem bevorstehenden Entscheid sind kurzfristige Wirkungen und langfristige Perspektiven abzuwägen. Wünschbarkeit und Machbarkeit sind damit in zwei Töpfen und haben miteinander direkt nichts zu tun. Es ist aber trotz aller Gefahren und aller Vorsichtsmassnahmen mehr möglich als «nur» der Verzicht. Das Leben mit dem Virus muss zur Gewohnheit werden, wohl noch eine ganze Weile.

Profisport und ein grosser Teil des Kulturangebotes sind in seiner jetzigen Form wegen Corona dem Tode geweiht. Um den drastischen Gedanken weiter zu spinnen: Es droht am Mittwoch der finale Todesstoss. Wenn der Bundesrat entscheidet, das Verbot von Grossveranstaltungen mit über 1000 Personen bis im nächsten Frühjahr aufrecht zu halten, wird ganz vielen Organisationen und Unternehmen der Stecker gezogen. Dass die Zahlen der positiven Coronatests in den letzten Tagen in der Schweiz zwar gefährlich hoch, aber keineswegs stark steigend sind, weckt leise Hoffnungen. Als ein Wunder würden viele einen positiven Entscheid des Bundesrates zur Lockerung der 1000-Personen-Grenze bezeichnen. Anstelle eines Wunders kann Hoffnung oder Vernunft gesetzt werden.

Dass viele Sport- und Kulturunternehmen kapitulieren müssen, wenn die Besucher- und Zuschauereinnahmen weiterhin wegfallen, ist ein offenes Geheimnis. Mag sein, dass damit in der Tat nichts Lebenswichtiges wegfällt. In der Nahrungskette sind Theater-, Konzert, Fussballspiele- oder Eishockeyspielebesuche nicht zuoberst anzusiedeln. Auf der emotionalen Bedürfnispyramide ist ein Wegfallen dieser Freizeit- und Unterhaltungsindustrie aber nicht zu unterschätzen. Zumal Tausende von Jobs damit im Zusammenhang stehen und damit auch der wirtschaftliche Schaden ein wichtiges Argument ist.

Es stehen viele Grundsatzentscheide an – was wollen/können wir uns leisten, was wird fallengelassen? Man möchte nicht in der Haut der Entscheiderinnen und Entscheider stecken. Klare Strategien und Visionen helfen aber uns allen. Es muss also sein. Dass dabei mehr oder weniger kompetente Berater inflationär auftreten und dass die direkte Beeinflussung in Form des Lobbyierens als entscheidend betrachtet wird, ist eine unbestreitbare Tatsache. Es ist aber nicht in jedem Fall zu verteufeln, sofern mit ehrlichen und nachweisbaren Argumenten ein Entscheid (mit)beeinflusst wird.

Da sind die Schwächen des Lobbyierens der Sportvertreter auszumachen. Dass in den Stadien die Situation problemlos organisiert und überwacht werden kann, ist zweifelsohne glaubwürdig. Die modernen Arenen bieten Infrastrukturen, die einen geordneten Ein- und Auslass ermöglichen. Die Platzverhältnisse sind vielfach so grosszügig, dass auch die nötigen Abstandsregeln problemlos umgesetzt werden können. Weil aber sportliche und kulturelle Grossanlässe weit mehr als die erlaubten Mengen an Fans anziehen und weil die Produkte ganz bewusst mit den Emotionen der Anwesenden spielen, ist hier das kleine «Aber» zu setzen. Den Sportklubs und den Konzertveranstaltern ist ohne zu zögern abzunehmen, dass sie coronagerechte Events anbieten können. Ist aber auch das Umfeld so vernünftig, wie man dies voraussetzen muss? Keine Massenaufläufe, keine Siegesfeiern, kein Frustabbau ausserhalb der Stadien? Da ist das viel zitierte verantwortungs- und rücksichtsvolle Verhalten von allen gefragt.

Es geht bei den anstehenden Entscheiden nicht «nur» um Sport- und Kulturveranstaltungen. Es geht um das Abwägen, wie wir als Gesellschaft mit neuen Normen und Grenzen umgehen. Viel Hoffnung mischt sich bei der Beantwortung dieser Frage mit einer gehörigen Portion Blick in die Realität. Allerdings: Wenn wir es nicht probieren, lassen sich die Weichen niemals neu stellen. Zum Versuch gehört auch der Irrtum, sprich das Scheitern.

Die Politik muss dem Sport und der Kultur entgegenkommen. Die Bedingungen sollen hart, aber fair sein. Der strenge und konsequente Umgang mit den Realitäten steht über allem – ohne in jedem Einzelfall das Augenmass zu verlieren. Es ist an der Zeit, individuell umsetzbare Lösungen zu definieren.

brentsch@bielertagblatt.ch