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Ein Spagat zwischen zwei Domänen

Unter der Woche ist Isabelle von Lerber in der Kita eine Frau unter vielen, am Wochenende wird die Seeländerin auf der Rennstrecke zu einer Exotin. Nicht jeder Gegner kann damit gleich gut umgehen.

«Kartfahren fordert dich körperlich wie auch kognitiv.» Isabelle von Lerber ist in ihrem Rennkart mit bis zu 150 Stundenkilometern unterwegs. Bild: Peter Samuel Jaggi
  • Dossier

Moritz Bill

Kaum eine Seeländerin beherrscht den Spagat so gekonnt wie Isabelle von Lerber – dabei ist die 25-Jährige gar keine Gymnastin. Der Spagat ist keiner, dem Dehnübungen vorausgehen. Isabelle von Lerber grätscht zwischen zwei Welten, die unterschiedlicher kaum sein könnten. Sie zu vereinen ist zwar ein Balanceakt, missen möchte sie diesen aber nicht.

Unter der Woche passt sich von Lerber als Fachfrau Betreuung in einer Kindertagesstätte dem meist gemächlichen Tempo der Kinder an. An den Wochenenden fährt sie im Kart hingegen schnellstmöglich der Rennstrecke entlang. Die Geschwindigkeit ist aber nicht einmal die grösste Diskrepanz. Es ist ein ständiger Wechsel von einer Domäne in die andere. Im Motorsport ist sie nur von Mannen umgeben, in der Kita arbeitet sie ausschliesslich mit anderen Frauen zusammen.

Dieser Gegensatz ist ein gewollter Ausgleich. Eigentlich stand eine Lehre zur Automechanikerin zuoberst auf von Lerbers Berufswunschliste. «Doch während der Pubertät merkte ich, dass ich lieber nicht ständig unter Männern sein möchte. So cool sind die dann doch nicht», erzählt von Lerber und lacht. Und nun ist sie glücklich, wenn sie nach einem Rennwochenende wieder in die Kita gehen kann, und umgekehrt freut sie sich nach einer strengen Woche auf den Asphalt.

Spielzeugautos anstatt Puppen
In die Männerdomäne wird Isabelle von Lerber quasi reingeboren. Die Familie ist Motorsport-affin, Vater Beat fuhr einst historische Berg- und Rundstreckenrennen. Im Kindesalter spielt sie am liebsten mit Spielzeugautos. Die Puppen kramt sie zuhause in Busswil nur hervor, wenn andere Mädchen zu Besuch kommen. «Ich wollte nicht aus dem Rahmen fallen.» Bald einmal ist ihr das Untypische aber egal. Im Ferienpass wird Kartfahren angeboten, ein paar Runden später schaffen sich der Vater und die neunjährige Tochter eigene Karts an. Fortan sind die beiden jeden Mittwochnachmittag auf der Karbahn in Lyss anzutreffen. Die ersten Rennen folgen.

Seit 2014 fährt Isabelle von Lerber in der KZ2-Serie, der Königsklasse des Kartsports. Die 6-Gang-Boliden erreichen Spitzengeschwindigkeiten von 150 Stundenkilometern. Als einzige Frau im Startfeld fällt sie natürlich auf – und nicht jeder Konkurrent kann damit umgehen. Letztes Jahr beendete von Lerber die Schweizer Meisterschaft auf dem 3. Platz. Ein Fahrer unterliess es provokativ, ihr zum Erfolg zu gratulieren. Ein anderer sah die sonst übliche Entschuldigung als unnötig an, nachdem er sie auf der Strecke «abgeschossen» hatte. Sie erlitt ein Schleudertrauma, die daraus resultierenden Kopfschmerzen treten bis heute an manchen Tagen auf.

Mit diesem Exotinnen-Dasein ist von Lerber schon während ihrer ganzen Karriere konfrontiert. Die Schweizer Kartsportszene ist ein Mikrokosmos, in dem man(n) sich kennt. Da eckt ein Mädchen oder eine junge Frau an. Für Anerkennung muss sie mehr leisten als ein Mann. «Ich will es eigentlich nicht zeigen, aber das nagt manchmal schon an mir.» Deswegen alles hinzuschmeissen, war und ist für die Seeländerin aber keine Option. Erstens sind es bloss vereinzelte Konkurrenten, die ihr den Erfolg nicht gönnen mögen. Zweitens ist diese Missgunst ein grosser Antrieb. «Ich will denen dann erst recht zeigen, was ich kann.»

Vor allem in den letzten Jahren hat sich Isabelle von Lerber Respekt erarbeitet. 2016 gewann sie als erste Frau in der Schweiz ein Rennen in der Königsklasse, letzte Saison beendete sie die Vega Trofeo auf dem 1. Platz (siehe auch Zweittext). Der Aufstieg geht zeitlich mit der Zusammenarbeit mit Mechaniker Germano Marrocco einher. «Ohne ihn könnte ich nicht so weit vorne mitfahren. Sein Wissen ist riesig und er sieht einfach alles», sagt von Lerber. Wie eng das Miteinander zwischen Fahrerin und Mechaniker ist, zeigt sich auch darin, dass von Lerber stets die Wir-Form verwendet, wenn sie über Rennerfolge spricht. Die Achtung ist gegenseitig. Marrocco attestiert seiner Fahrerin eine starke Auffassungsgabe: «Sie kann Korrekturen rasch auf der Piste umsetzen. Zudem ist sie physisch gut trainiert, diesen Aspekt unterschätzen viele im Kartsport.»

Keine Formel-1-Flausen im Kopf
Marrocco ist überzeugt, dass von Lerber auch in einem Rennauto ihr Können unter Beweis stellen würde. Der Wechsel in den Automobilrennsport, der für erfolgreiche Kartfahrer prädestiniert ist, kam für die Seeländerin jedoch nie infrage. «Ich war immer realistisch: Schon der Kartsport ist kostspielig, in einem Auto zu fahren, wäre noch viel teurer.» Trotz der jüngsten Erfolge gibt von Lerber in einer Saison nach wie vor mehr aus, als sie von ihren Sponsoren einnimmt. Auch auf Testfahrt-Angebote in einem Auto geht sie nicht ein – aus Selbstschutz. Nicht, dass sie plötzlich Gefallen daran finden würde, das Projekt wegen der finanziellen Hürden aber begraben müsste. Diese Denkweise verdankt Isabelle von Lerber auch ihren Eltern. Diese setzten ihr bewusst nie die Flausen einer möglichen Formel-1-Karriere in den Kopf. «Ich fahre einfach sehr gerne Kart, das reicht mir», sagt von Lerber und untermauert ihre Worte mit einem strahlenden Gesicht.

Anspruchsvoller, als viele denken
Wie lange sie das noch tun wird, entscheidet sie von Saison zu Saison. Mit ihren 25 Jahren gehört von Lerber im Kartsport schon zur älteren Generation. Dass der Rücktritt zeitlich wohl noch nicht nahesteht, zeigt von Lerbers ungebremste Faszination für den Rennsport: «Kartfahren ist mehr, als viele denken. Es fordert dich sowohl körperlich wie auch kognitiv und du musst mit Druck umgehen können. Für ein gutes Resultat muss ganz viel zusammenpassen.» Ähnlich begeistert spricht sie über ihre Arbeit in der Kita: «Kinder haben eine eigene Sichtweise, sie gehen ohne Vorurteile an Sachen heran, das finde ich schön.»

So weit die zwei Welten auch auseinander liegen – für Isabelle von Lerber gehören sie zusammen.

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Den Schweizer-Meister-Titel im Visier
Nachdem Isabelle von Lerber letztes Jahr dank zwei Rennsiegen die Gesamtwertung der Vega-Trofeo gewonnen hat, fokussiert sie sich in der aktuellen Saison auf die Schweizer Meisterschaft. Die Seeländerin will den dritten Gesamtrang aus dem Vorjahr übertreffen oder zumindest bestätigen.

Die ersten beiden von insgesamt sechs Läufen sind für von Lerber jedoch nicht wunschgemäss verlaufen. Beim ersten Rennen Ende März im italienischen Castelletto di Branduzzo schied die Seeländerin auf dem zweiten Platz liegend mit einem Motorschaden aus. Mitte Mai verpasste von Lerber auf der Strecke von Château Gaillard (FRA) das Podest mit dem vierten Platz knapp. Zwei Vorläufe hatte sie noch für sich entschieden, im Final schlug sich die Angina-Erkrankung, mit der von Lerber angetreten war, dann aber auf ihre Form und somit auf das Resultat nieder.

Morgen folgt in Wohlen der dritte Lauf. Die Schweizer Strecke liegt der Swiss-Hutless-Fahrerin aber nicht besonders. «Für die darauf folgenden drei Rennen bin ich zuversichtlicher», sagt die 25-Jährige. In Mirecourt (FRA, 14. Juli), Levier (FRA, 18. August) und Lignières (14./15. September) wird sie versuchen, den Rückstand auf SM-Leader und Teamkollege Mike Müller zu verringern. Müller weist momentan im Klassement 54 Punkte Vorsprung auf die auf dem dritten Platz klassierte von Lerber auf. bil

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Zur Person
- Geburtstag:
1. Februar 1994
- Wohnort: Bern, aufgewachsen in Busswil
- Beruf: Fachfrau Betreuung
- Kart-Kategorie: KZ2
- Mechaniker: Germano Marrocco
- Grösste Erfolge: Gesamtsieg Vega Trophy 2018, 3. Gesamtrang Schweizer Meisterschaft 2018, Sieg beim Saisonabschlussrennen in Lignières 2016 und 2018, Teilnahme an der U18-WM 2011/12, Sieg beim Saisonabschluss in Lignières 2012 (Kategorie 125 Sport), Sieg Mulhouse Rotas Max Schweizer Meisterschaft 2009 (Junior), Sieg Kappelen-Trophy 2006 (Supermini)
- Hobbys: Tennis, Joggen, Musik-Festivals, Zeit mit Freunden verbringen bil

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