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Turnen

Endlich Dornbirn – nach etlichen Trainings

Ab Sonntag versammeln sich Turnerinnen und Turner aus der ganzen Welt zur Gymnaestrada in Dornbirn. Worin liegt für sie die Faszination? Zu Besuch bei zwei Gruppen mit Seeländer Beteiligung.

  • 1/18 SuisseGymTeam. Bild: Matthias Käser
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  • 11/18 Voilàc move Seeland. Bild: Matthias Käser
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Michael Lehmann

Auf den ersten Blick könnten die beiden Gruppen unterschiedlicher kaum sein. Allein die Grösse: Bei Voilàc move Seeland machen mehr als doppelt so viele Turnbegeisterte mit (rund 60) wie beim SuisseGymTeam. Dann die Zusammensetzung: In der einen Gruppe dominieren die Frauen, die andere ist eine reine Männergruppe. Und nicht zuletzt die Erfahrung: Während das SuisseGymTeam bereits zum neunten Mal an der Gymnaestrada (siehe Infobox) teilnimmt, ist es für Voilàc move Seeland und auch für viele Turnerinnen und Turner dieser Gruppe das erste Mal.

«Erhalten oft den grössten Applaus»
Zollikofen: In der Turnhalle Rütti treffen sich praktisch jeden Dienstagabend die Turner des SuisseGymTeam. Es ist eine Gruppe von 26 Männern, die aus allen Teilen des Kantons Bern sowie aus Solothurn stammen. Das Durchschnittsalter beträgt mittlerweile fast 70 Jahre, der älteste Turner ist 82 Jahre alt. In ihrer Darbietung spielen die Männer mit der Erwartungshaltung der Zuschauer. In traditionellen Westen gekleidet stehen sie zu Beginn mit den Händen in den Hosentaschen zusammen und wippen zu Alphornklängen leicht hin und her. Tatsächlich würde man nun eher einen Jodel erwarten, wenn man nicht wüsste, dass es sich um eine Turngruppe handelt. Das Musiktempo verschärft sich jedoch bald und die Männer bilden ihre Formationen. Alles in bestmöglicher Synchronizität.

Die Zuschauer sind praktisch immer besonders beeindruckt, da sie die älteren Männer nicht so agil erwarten, und weil sonst mehrheitlich Frauen gymnastische Übungen vorführen. «Oft erhalten wir den grössten Applaus», sagt Jürg Walker, ein Turner aus Schüpfen. «Das ist uns dann angesichts der nicht weniger guten Aufführungen der anderen Gruppen schon fast etwas peinlich.»



Das fortgeschrittene Alter bringt aber freilich auch Herausforderungen mit sich. Es dauere schlicht länger, bis die Abläufe sässen, erklärt der Choreograf Peter Eggler. «Besonders schlimm sind Festtagspausen. Danach müssen wir jeweils fast wieder von vorne anfangen.» Es kommt nicht von ungefähr, dass die Gruppe im Vergleich zu anderen viel regelmässiger trainiert. Gleichzeitig ist es wichtig, eine Überbelastung zu vermeiden. Schwerwiegende Vorfälle habe es im Training glücklicherweise noch nie gegeben. «Uns ist jedoch klar, dass wir in einem Alter sind, in dem jederzeit etwas passieren kann», sagt Eggler. Daher ist er überzeugt, dass seine Kollegen und er in solch einem Fall einen kühlen Kopf behalten würden und Erste Hilfe leisten könnten.

Neu auch Frauen zugelassen
Gegründet wurde die Gruppe vor etwa 36 Jahren, genau dokumentiert ist dies offenbar nicht. Fritz Häberli war der Initiator und nannte die Gruppe «Häberli Boys». Es waren Kollegen aus verschiedenen Turnvereinen, die eine Darbietung für die Gymnaestrada 1987 im dänischen Herning einstudierten. Diese Erfahrung war dermassen prägend, dass die Gruppe zusammenblieb, mit weiteren Turnern ergänzt wurde und bereits die nächste Austragung ins Visier nahm.

Fritz Häberli starb kurz vor der Jahrtausendwende. Danach benannte sich die Gruppe neu. Wie sie auf den Namen SuisseGymTeam gekommen sind, wissen die Turner nicht mehr so genau. Wichtig war es ihnen, das «Suisse» im Namen zu tragen, damit sie die Zuschauer an der Gymnaestrada – aber auch bei ihren anderen Auftritten im Ausland – wussten, woher sie kamen. Die Schweiz ist schliesslich international als Turnerland bekannt.

Seit einigen Jahren verzeichnet die Gruppe mehr Abgänge als Zuwachs. Zwar ist der Schweizerische Turnverband mit rund 370000 Mitgliedern der grösste polysportive Verband der Schweiz, aufgrund des immer breiteren Angebotes fehlt es in der Gymnastik jedoch oft an Nachwuchs. «Um ordentlich trainieren zu können, braucht es etwa 30 Leute, lieber noch mehr», erklärt Hauptleiter Ueli Ryser. Deshalb dürfen nach Dornbirn erstmals auch Frauen dem SuisseGymTeam beitreten. Die Verantwortlichen haben diesen intern nicht unumstrittenen Entscheid gefällt, um das Bestehen der Gruppe zu sichern. «Weil turnen fit hält und wegen der speziellen Kameradschaft», sagt Ryser. Nach der neunten soll auch die zehnte Gymnaestrada folgen.

Altersspanne von fast 60 Jahren
Brügg: In der Turnhalle Erlen trifft sich die Gruppe Voilàc move Seeland (entstanden aus «voilà» und «lac») zum letzten Training, bevor sie nach Dornbirn reist. «Es ist gut, dass die Gymnaestrada endlich vor der Tür steht», sagt Leiterin Nadine Hannappel. Nach insgesamt 56 Trainings in 17 Monaten brennen die rund 60 Turnerinnen und Turner darauf, das Einstudierte zu präsentieren.

Auch diese Vorführung steht ganz im Zeichen «Swissness». In mehreren Blöcken stellen die Turner, die zwischen 18 und 76 Jahren alt sind, die Geschichte von Heidi dar. Insgesamt dauert die Präsentation etwa acht Minuten. Neben den vielen Heidis zeigen auch Alpöhis und Geissenpeters ihr turnerisches und tänzerisches Können. Weil bei Voilàc move Seeland ganz im Gegensatz zum SuisseGymTeam die Frauen in der klaren Mehrheit sind, tragen viele falsche Bärte und Perücken. Etwas, was bei den Zuschauern oft für Lacher sorgt. «Und darum geht es bei der Gymnaestrada ja letztlich: Dem Publikum eine unterhaltsame Show zu bieten», sagt Hannappel.

Die meisten Turnerinnen und Turner sind aus dem Seeland und viele waren noch nie an einer Gymnaestrada. Auch Nadine Hannappel nicht, obwohl sie seit Jahrzehnten im Turnen aktiv ist und schon oft Choreografien zusammengestellt hat. Bisher habe es sich wegen anderer Verpflichtungen einfach nicht ergeben, sagt sie. Für die Reise müssen die meisten Teilnehmer Ferien beziehen, die Kosten tragen sie fast alle selbst. Umso mehr hat sich Hannappel gesagt: «Wenn du es dir mal irgendwie einrichten kannst, machst du es. Die Gymnaestrada muss man einfach erlebt haben.»

Zusammen mit Jura-Gruppe
Am Ursprung der Gruppenentstehung stand Thomas Doppler. Direkt nach der letzten Gymnaestrada in Helsinki ging der Orpunder auf Nadine Hannappel mit dem Vorschlag zu, eine grosse Seeländer Gruppe zu bilden. Ursprünglich hatten sie vor, 80 Turnerinnen und Turner zusammenzubringen und so einen ganzen Showblock à 15 Minuten zu erhalten. Nach Ausschreibungen und Mundpropaganda meldeten sich zwar Turnerinnen und Turner aus zwölf Seeländer und sechs anderen Berner Vereinen, aber insgesamt nicht ganz so viele wie erhofft. Deshalb teilt sich Voilàc move Seeland den Block mit einer Gruppe aus dem Jura. Mit dieser galt es, an mehreren Sonntagen die Übergänge zu üben.

Am Dienstag gab es jeweils Einzeltrainings für die Heidis, Alpöhis und Geissenpeters, am Mittwoch übten alle zusammen. Eine anstrengende Zeit für Nadine Hannappel und die zwei anderen Leiter Remi Prétôt und Rolf Kocher. «Wir brauchten Geduld, weil es bei gewissen Bewegungsabläufen viel länger gegangen ist, bis sie alle beherrschten. Wenn ich dann nach einem Training das Gefühl hatte, kaum einen Fortschritt erzielt zu haben, war das schon deprimierend.» Auf der gegenüberliegenden Seite der Gefühlsskala war, wenn Übungen klappten, obwohl sie zu Beginn von einigen Turnerinnen als zu schwer eingestuft wurden. «Das hat mir einmal mehr gezeigt, dass man mit viel Wille über sich hinaus wachsen kann», sagt Hannappel.

Ob es nach der Gymnaestrada für das Team Voilàc move Seeland weitergeht, ist offen. Anders als beim SuisseGymTeam steht ein Weiterbestehen nicht zuoberst auf der Prioritätenliste. «Gut möglich, dass sich einige für ein nächstes Projekt wieder zusammenschliessen», sagt Nadine Hannappel. «Im Turnen läuft man sich sowieso immer wieder über den Weg.»

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Gymnaestrada
Die Gymnaestrada, auch Weltgymnaestrada genannt, ist ein vom Weltgymnastikverband organisiertes Turnfest, das alle vier Jahre stattfindet. Ab Sonntag findet sie zum insgesamt 16. Mal statt. Im Gastgeberort Dornbirn (Österreich) werden rund 22000 Turnerinnen und Turner aus über 50 Nationen erwartet (das BT berichtete vergangene Woche ausführlich).