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Eishockey

Für seinen Traum zieht er in die grosse Eishockeywelt hinaus

Vom EHC Biel zum Linköping HC: Der 15-jährige Joan Kyburz will sich in Schweden weiterentwickeln. Der Auszug des Sohnes ist für die Familie aus Scheuren ein einschneidender Moment.

Joan Kyburz zieht nach Schweden, um den nächsten Schritt zu nehmen. copyright: Matthias Käser/BT
Moritz Bill
 
Viele Eltern fürchten den Moment, wenn die eigenen Kinder flügge werden. Familie Kyburz erlebt diesen Einschnitt früher als üblich: Sohn Joan, 15, verlässt in zwei Wochen das Elternhaus – und das erst noch in Richtung Ausland. Den Eishockeyjunior zieht es nach Schweden, genauer nach Linköping. «Das Ganze ist noch ein bisschen surreal», sagt Mutter Daniela Kyburz. Von Aufregung vor dem Unbekannten will Joan jedoch noch nichts wissen, diese werde wahrscheinlich erst kurz vor der Abreise aufkommen, sagt er und strahlt zum jetzigen Zeitpunkt vor allem Vorfreude aus.
 
Dass im Hause Kyburz in Scheuren Eishockey eine wichtige Rolle spielt, erkennt man schon von draussen. Auf der Einfahrt steht ein Tor, hier feilt Joan an seiner Schusstechnik, wenn er das nicht gerade anderswo tut. Er ist ambitioniert, verfolgt seit Jahren zielstrebig seinen Traum von der Profikarriere. Dafür scheuen er und seine Familie kaum einen Aufwand. Neben dem obligatorischen Programm mit den Juniorenteams des EHC Biel sind spezifische Trainings mit Privattrainern oder Trainingscamps im Sommer zur Selbstverständlichkeit geworden. 
 
Ein Camp war denn auch der Ausgangspunkt für das Schweden-Abenteuer. Letzten Sommer trainierte Joan in Arosa. Einer der Trainer war Morgan Samuelsson, ehemaliger Meistertorschütze der ZSC Lions und Eishockeyexperte. «Ich habe ihm gesagt, dass ich mir überlege, nach Schweden zu ziehen und er antwortete sofort: ‹Ja, ich helfe dir›», erzählt Joan Kyburz und mimt Samuelssons Akzent nahezu perfekt nach. Samuelsson ist von Joans Fähigkeiten überzeugt, er sagt:«Ich traue ihm Grosses zu, seine Einstellung und sein Spielverständnis sind überragend.» Der Schwede stellte in seiner Heimat Kontakte her, Vater Steve Kyburz ist sich sicher: «Ohne die Hilfe von Morgan hätte das wohl kaum geklappt.»
 
Ein Auserwählter
So glücklich sich Joan schätzt – seine Traumdestination wäre Kanada gewesen. Als Zwölfjähriger durfte er im Mutterland des Eishockeys an einem Turnier teilnehmen. Dort entfachte der Wunsch, einst die Karriere im Ausland fortzusetzen. Nordamerika war den Eltern aber dann doch ein paar tausend Kilometer zu weit vom Seeland entfernt. Ein Trostpreis sei Schweden aber keinesfalls, unterstreicht Daniela Kyburz. Wie wahr. Auch Schweden gehört zu den grössten Eishockeynationen, die Nachwuchsförderung geniesst einen exzellenten Ruf. Und dass ein Klub aus der höchsten Liga einen Junior aus dem Ausland aufnimmt, kommt selten vor. Beim Linköping HC wird Joan Kyburz der einzige Nicht-Schwede sein. 
 
Auch deshalb ist der Wegzug aus der gewohnten Umgebung hinein in eine fremde Kultur ein happiger Schritt, aber für Joan Kyburz kein Hindernis, er sagt: «Ich will meinen Horizont erweitern, selbstständig werden und das Bestmögliche aus mir herausholen.» Die Junioren-Academy in Linköping bietet die Voraussetzung dazu. Davon konnten sich Vater und Sohn während eines Besuchs letzten Winter überzeugen. Einerseits sind die Trainingsstrukturen durch und durch professionalisiert, andererseits ist die schulische Ausbildung besonders auf die Bedürfnisse von Eishockeyspielern abgestimmt. In der Schweiz profitieren talentierte Spieler zwar auch von Angeboten, in Biel zum Beispiel vom SKS-Programm, vergleichbar mit jenen im hockey-verrückten Schweden sind diese aber nicht. 
 
Schon fleissig am Schwedisch lernen
Joan Kyburz wird in Schweden das Gymnasium besuchen, aber erst in einem Jahr. Weil er früher eingeschult worden war, hat er mit 15 die obligatorische Schule ein Jahr früher als üblich abgeschlossen. «Die Umstellung wird für ihn schon so gross genug sein», sagt Steve Kyburz, «deshalb finden wir es besser, kann er sich zuerst voll aufs Eishockey konzentrieren.» Den Grundstein, damit er dem Unterricht dann folgen kann, legt Joan aber bereits jetzt. Seit einem halben Jahr ist er fleissig am Schwedisch lernen.
 
Das Kennenlernen letzten Winter beruhte natürlich auf Gegenseitigkeit. Die Verantwortlichen um Nachwuchschef Niclas Hävelid prüften ihre potenzielle Schweizer Verstärkung auf Herz und Nieren. Nach einer Session frühmorgens im Kraftraum schickten sie Joan Kyburz sogleich mit der U20-Mannschaft aufs Eis. Auch im späteren Training mit der U18 hatten die sieben Coaches ihre Augen auf den Verteidiger gerichtet und zeigten schliesslich mit den Daumen nach oben. «Neben meinen sportlichen Fähigkeiten wollten sie auch unbedingt meine Persönlichkeit kennenlernen, um zu erfahren, ob ich zum Klub passe», erzählt Joan Kyburz. Anpassen wird sich der Seeländer im hohen Norden so oder so müssen. In Biel spielte er letzte Saison auf der U15-Stufe, in Schweden gehört er dem U18-Team an. Ein grosser Schritt, den ihm die Verantwortlichen aber zutrauen. 
 
Herausforderungen neben dem Eis
Joan Kyburz wird jedenfalls vorbereitet einrücken. Seit Saisonende absolviert er unter Anleitung von Physio8 ein massgeschneidertes Athletiktraining, zudem trainierte er in Burgdorf auf dem Eis. In Linköping erwarten ihn aber auch noch Herausforderungen abseits des Stadions. Er wird alleine eine kleine Wohnung beziehen. Eine Gastfamilie wäre zwar eine Option gewesen, doch entschied man sich zwecks Eingliederung dagegen, denn die Teamkameraden wohnen alle im selben Hauskomplex.
 
Völlig auf sich alleine gestellt ist der 15-jährige Rookie zu Beginn aber nicht. Die Fahrt in den Norden verbinden die Kyburz‘ mit Familienferien. Anfang August reisen die Mutter und Schwester Lisa in die Schweiz zurück, während der Vater sozusagen noch die Stellung hält. Für einen Monat richtet er sein Homeoffice in Schweden ein, um Joan, wenn nötig, zu unterstützen. «Und wir haben natürlich im Sinn, ihn regelmässig zu besuchen», sagt Daniela Kyburz und hält einen Moment inne. Die Vorstellung, dass der Sohn bald in Schweden lebt, ist eben noch ein bisschen surreal.