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Schwingen

Schwingen im Blut

Zehn Jahre liegen zwischen den Gnägi-Gebrüdern Florian (30) und Damian (20). Die beiden Schwinger haben einiges gemeinsam. Allerdings liegen neben dem Jahrzehnt noch 26 Kilogramm, 91 Kränze und neun Kranzfestsiege dazwischen.

Die Gnägis: Zu Hause in Bühl vor der Glockensammlung von Vater Erich. Mitte Florian, rechts Damian Gnägi. Bild: Matthias Käser
  • Dossier

Beat Moning

Mit neun Jahren streifte Florian Gnägi erstmals Schwingerhosen über und kurz darauf erblickte Bruder Damian das Licht der Welt. «Das war eine Überraschung für mich und meine Freude hielt sich damals in Grenzen», erinnert sich Florian Gnägi. Fortan nämlich änderte sich sein Leben. «Er musste auch mal den Hütedienst übernehmen», sagt Mutter Brigitte, mit ihrem Ehemann Erich im Restaurant 3 Tannen in Studen rundum beschäftigt. Mit der Zeit machte sich Florian Gnägi aber den Hütedienst auch zunutze. Auf Rollschuhen fuhr er mit dem Kinderwagen durch die Gegend. Konditionstraining inklusive. «Ich lernte früh, Verantwortung zu übernehmen», so Florian und gewinnt dieser Phase auch viel Positives ab. Damian hält dagegen: «Mit der Zeit war Florian mit Schule und Trainings öfters weg und ich war alleine auf mich gestellt. Das hat auch mich selbstständiger gemacht.»

Der nähere Weg
Nein, Florian und Damian Gnägi mussten sich nicht dem Schwingsport verschreiben. Es hätte auch Turnen sein können. Schliesslich begann alles beim TV Studen, im Ort, wo gelebt und gearbeitet sowie zur Schule gegangen wurde. Da Erich Gnägi und Bruder Thomas Gnägi, Vater von Lionel Gnägi, bereits zu den «Bösen» gehörten, war der Weg zur Schwingerei aber eben doch näher. Nicht distanzmässig, da wäre Turnen bequemer gewesen. «Erst glaubte ich es gar nicht, dass Erich schwingt. Das ist nichts für mich», erinnert sich derweil Mutter Brigitte zurück, als sie mit 17 Jahren Erich kennenlernte. «Jetzt bin ich ein Schwingfan, kann es jeweils kaum abwarten, bis die Saison beginnt. Das sind einfach friedliche Feste in einer guten Atmosphäre.» In acht Tagen startet die Kranzsaison mit dem Emmentalischen. Und wie sieht es mit der Anspannung aus? «Schon bei Erich war es so. Einmal kann ich es locker nehmen, an einem anderen Tag bin ich nervöser.»
«Ich dachte mir schon, dass Florian eher Schwinger wird», erinnert sich Vater Erich zurück und nennt dazu die Körperkonstitution, die schon in jungen Jahren eher auf Kraftsport hingedeutet hatte. Stolz aber auf jeden Fall darauf, dass sein älterer Sohn in seine Fussstapfen treten konnte. Und fragend, ob er noch Grossvater wird und der Enkel allenfalls auch im Sägemehl anzutreffen sein wird. «Schön wäre es, man könnte die Tradition aufrechterhalten.» Mit der Ergänzung, «dass auch wir unsere Söhne nicht zum Schwingsport gezwungen haben. Das geschah auch beim deutlich jüngeren Damian fast automatisch. So, wie Florian mit dem Vater zu den Festen mitgenommen wurde, ging Damian nun an die Feste seines grösseren Bruders. «Bei ihm gab es gar keine Frage, Damian wollte immer schwingen», so Erich Gnägi, der 1989 in Stans den Kranz am Eidgenössischen holte und insgesamt 49 Kränze gewann. «Ich wuchs damit auf, zwischen Sägemehl und Kuhglocken daheim», sagt Damian schmunzelnd. Im Moment daran, sich von der Blinddarm-Operation vor zehn Tagen zu erholen.

Grosse Unterstützung
Die beiden Brüder wurden von Beginn an und auch weiterhin von den Eltern tatkräftig unterstützt. Jeweils am Abend vor einem Schwingfest trifft man sich mit den Freundinnen im Elternhaus zu einem guten Essen mit einem Stück Fleisch und Pasta, bis die Reserven für den Wettkampftag gefüllt sind. Florian Gnägi ist auch nach seinem Wegzug aus dem Elternhaus regelmässig bei den Eltern und seinem Bruder zu Gast. Und sei es nur, um Damian abzuholen oder die Schwingkleider der Mutter zum Waschen zu bringen. «Dafür bin ich sehr dankbar, im Haus, wo ich wohne, wäre dies nicht möglich», sagt der Aarberger. Was für die beiden Söhne nicht ganz unwichtig ist: Auch die Freundinnen stehen hinter diesem aufwendigen Hobby, das neben den Wettkämpfen drei Schwingtrainings und mehrere Fitnesseinheiten beinhaltet. Bettina Burren ist verschiedentlich eingespannt, für persönliche Dinge bei Florian oder für Medienarbeiten im Seeländischen Schwingverband. Und die Partnerin von Damian ist Manon Schild, die Enkelin eines des bekanntesten Schwingers im Lande, Kurt Schild.

Deutliche Analysen
Was die beiden Gnägi-Brüder vereint: die soziale Ader, das Kameradschaftliche, das Vertraute. Damian geht noch weiter: «Florian ist für mich nicht nur der grössere Bruder, er ist für mich wie ein Freund und das grosse Vorbild. Er weiss, was es braucht. Ich profitiere von ihm, wie er seinerzeit von unserem Vater gelernt hat.» Es sei wichtig, sich mit jemandem auszutauschen, der alles schon mal erlebt hat, ergänzt Florian Gnägi. Die Gespräche mit dem Vater, und die finden noch heute oft zwischen den Gängen und nach den Festen statt, geben ihm wichtige Inputs. Die beiden Brüder gehen mit sich hart ins Gericht. «Wir analysieren uns gegenseitig und ich bin überzeugt, dass uns dies weiterbringt», meint der ältere Bruder. Florian ist gegenüber Damian nicht unkritisch. «Klar, er musste oft Rückschläge erleiden, aber er hat technisch und schwingerisch alles darauf, um schon bald den ersten Kranz und dann weitere zu holen.» Er geht noch weiter: «Was er im Training zeigt, ist stark. Er ist für mich ein kleiner Trainingsweltmeister und muss es noch mit etwas mehr Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten in den Wettkampf rüberbringen.» Was es dazu braucht? «Eine Waffe, eine Rakete, mit der er jeden Gegner packen kann.»

Damian Gnägi hofft, «dass ich mal einen ersten Gang gewinnen und dann mit Überzeugung weiterfahren kann». Nahe dran sei er schon gewesen, den Bruder auf den Rücken zu legen. «Aber», so Damian Gnägi, «Er ist extrem standfest. Nur mit einem überraschenden Konter könnte ich ihn wohl eines Tages besiegen.» Grossen Fleiss und Seriosität attestiert er dem älteren Bruder. Der sagt: «Damian ist nicht einfach auf den Rücken zu legen. Am ehesten noch am Boden, wenn man ihn richtig bearbeiten muss. Da muss er noch härter werden.»

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Die gleichen Noten und das gleiche Hobby: Der Sport
Florian Gnägi ist am 31. Oktober 1988 geboren, ist heute 1,88 Meter gross und 125 Kilogramm schwer. Nach der Schulzeit in Studen absolvierte er in der Gemeindeverwaltung Studen die kaufmännische Lehre, bevor es in die Rekrutenschule der Spitzensport RS in Magglingen ging. Danach absolvierte der 91-fache Kranzgewinner und neunfache Kranzfestsieger die Feldweibelschule in Sion und amtete von Oktober 2009 bis November 2013 als Feldweibel der Spitzensport RS. Seitdem ist er Sachbearbeiter beim Kompetenzzentrum Sport der Armee in Magglingen. Als Schwinger gehört Florian Gnägi dem Schwingklub Biel an, wo er als Protokollführer im Vorstand engagiert ist. Dem Turnverein Studen ist er als Aktiver und Funktionär seit Jahren treu. Wenn es der Kalender zulässt, trainiert er am Donnerstagabend mit. Er amtet im Klub als Vizepräsident und Sekretär. Im Winter spielt der EHC-Biel-Fan auch gerne Eishockey. Dies im Dress der Seedorfer Pinguins. Er gehört zudem dem Athletenrat an und vertritt die Berner Schwinger an eidgenössischen Anlässen.

Damian Gnägi ist zehn Jahre jünger. Am 30. November 1998 geboren, heute 1,83 Meter gross und 99 Kilogramm schwer, absolvierte er nach der obligatorischen Schulzeit in Studen, Walperswil und Aarberg die kaufmännische Lehre im Advokatur- und Notariatsbüro Lanz Guggisberg in Nidau. Da arbeitet er nach wie vor. Schmunzeln mussten die Gebrüder, als Damian Gnägi das Prüfungsergebnis erhielt: Beide schlossen das KV mit der gleichen Note ab. Beim TV Studen ist er für die Turnerpost zuständig und beim SK Biel sieht man ihn auch als Helfer im Einsatz. «Er wird noch mehr tun, er weiss es nur noch nicht», lacht Florian. Nach zwei schweren Verletzungen am Ellenbogen 2014 und zwei Jahre später am Knie (Vater Erich: «Ihm fehlen 100 Gänge») konnte Damian Gnägi 2018 wieder einmal durchschwingen. Nun strebt er den ersten Kranzgewinn an. «Mein Ziel ist es, am gleichen Fest wie Florian einen Kranz zu gewinnen.» Zweimal schon war er nahe dran, kämpfte im sechsten Gang um den Kranz. «Er ist näher dran, als er selber glaubt», ergänzt Bruder Florian.

Am 3. Mai 2014 nahmen die beiden am Mittelländischen in Bern erstmals gleichzeitig an einem Kranzfest teil. Als hätte es sein müssen: Florian Gnägi bodigte unter anderem Simon Anderegg und Matthias Glarner und liess sich am Ende als Festsieger ausrufen. «Ich hatte Tränen in den Augen», erinnert sich Damian Gnägi. Und der «kleine» Bruder des Siegers fährt fort: «Das war für mich der schönste Moment bisher.» Auch die Schwingfeste in Studen, als der Turnverein als Organisator amtete, und in Aarberg, als Florian Gnägi vor der Haustüre siegte, seien für ihn bislang sehr speziell gewesen. Und generell: «Uns verbindet einfach der Sport allgemein, auch wenn es Interessen-Unterschiede für einzelne Sportarten gibt.» In einem Punkt sind sie sich aber einig: Da ist das Interesse am Eishockey generell und für den EHCBiel speziell.

Mit Christian Gnägi (Sohn des Bruders von Erich Gnägi, Adrian Gnägi), Lionel Gnägi (Sohn von Ex-Schwinger Thomas Gnägi) und Cyril Vonlanthen (Sohn von Schwester Doris) schwingen noch drei Cousins. Mit Roman Gnägi, dem Bruder von Christian, schwang noch ein weiterer Cousin, beendete aber nach einer erfolgreichen Nachwuchszeit die Karriere früh. Florian Gnägis Wunsch: «Ich würde gerne mal an ein Eidgenössisches mit einem Verwandten.» Dazu braucht es einen Platz im 58-köpfigen Berner Team für das Fest in Zug Ende August. Zwei Kränze sind in den nächsten Wochen vonnöten, um sich Chancen auszurechnen. In einem so grossen Verband mit so vielen guten Schwingern kein leichtes Unterfangen. bmb