Sie sind hier

Rad

Stefan Küng hat auch 2024 hohe Ansprüche

Stefan Küng hat bewegende Monate hinter sich. Nach einer Reihe von Schicksalsschlägen steht der Radprofi in einer Saison voller Highlights. Die Flandern-Rundfahrt am Ostersonntag macht den Anfang.

(sda) Rückblende, EM-Zeitfahren im vergangenen September. Stefan Küng fährt blutüberströmt und mit komplett demoliertem Helm ins Ziel, nachdem er auf Medaillenkurs liegend im Blindflug in ein Absperrgitter gekracht ist. Der fürchterliche Anblick lässt einem den Atem stocken.

Für Küng endete damit eine Saison vorzeitig, die mit dem Tod von Landsmann Gino Mäder im Juni den absoluten Tiefpunkt erreicht hatte. Das schwere Unglück an der Tour de Suisse hat Küng komplett aus der Spur geworfen.

Die Saison 2024 ist noch kaum angelaufen, da trifft den Zeitfahr-Spezialisten Ende Februar erneut ein Schicksalsschlag. Er und seine Ehefrau Céline hätten im August ihr zweites Kind erwartet, doch das Ungeborene ist während der Schwangerschaft verstorben.

In der ersten Woche nach der Fehlgeburt sei eine gewisse Fassungslosigkeit spürbar gewesen, sagt Küng im Gespräch mit Keystone-SDA. "Ich hatte Lust auf gar nichts." Also auch nicht aufs Velofahren - sonst seine grosse Passion, die er sich vor mehr als zehn Jahren zum Beruf gemacht hat.

Küng grübelt, er weiss, dass bald die grossen Klassiker-Rennen anstehen. Im Hinterkopf hat er die unzähligen Stunden, die er über den Winter investiert hat, um 2024 seine Ziele zu erreichen. Es sei schwierig gewesen, das Ganze in einer solchen Phase zu verarbeiten. "Ich wusste, ich müsste eigentlich trainieren, merkte aber, es geht nicht."

Küng und sein Team entscheiden sich für eine Rennpause. Statt nach Italien zu reisen und sich dort bei Strade Bianche und Tirreno-Adriatico mit der Konkurrenz zu messen, bleibt er in Frauenfeld bei seiner Frau und dem eineinhalbjährigen Sohn. "Es war wichtig, dass ich eine relativ lange Zeit zu Hause sein konnte, um das Geschehene gemeinsam mit der Familie zu verarbeiten."

Seither sind etwas mehr als drei Wochen vergangen. Mitte März ist Küng wieder in den Rennbetrieb eingestiegen. Anders als in den Jahren zuvor war in den ersten Klassikern dieser Saison auf seinem Resultatblatt lange "nichts Zählbares" dabei, wie er selbst sagte. In solchen Situationen gelte es "Ruhe zu bewahren und cool zu bleiben, auch wenn einem das manchmal nicht leicht fällt".

Und prompt: Am Mittwoch folgte im belgischen Eintagesrennen "Quer durch Flandern" die erste Top-10-Platzierung in dieser World-Tour-Saison. Als Dritter fuhr Küng im letzten Test vor der Flandern-Rundfahrt vom Ostersonntag sogar aufs Podest.

Damit bestätigte er auch, dass er für die richtig grossen Klassiker bereit ist. Eine Woche nach Flandern folgt mit Paris-Roubaix die Hatz übers Kopfsteinpflaster und damit Küngs Lieblingsrennen.

Küngs Resultate in den letzten zwei Austragungen dieser beider Rennen lassen sich sehen: Als Fünfter (2022) und Sechster (2023) in Flandern und als Dritter (2022) und Fünfter (2023) in Roubaix bewies er eine Konstanz auf sehr hohem Niveau. Doch für Küng ist klar: "Nochmals Fünfter oder Sechster zu werden, kann nicht mein Anspruch sein. Das Ziel muss es sein, aufs Podest zu fahren oder im besten Fall zu gewinnen."

Mit dem Gold Race endet für Küng Mitte April der erste Teil einer Saison, die für ihn viele Highlights bereithält - so zumindest der Plan. "Danach liegt der Fokus auf der Vorbereitung hinsichtlich der Olympischen Spiele. Das ist das grosse Ziel im Sommer." In diese Phase fallen auch die Tour de Suisse und im Anschluss die Tour de France. Dann folgt ein dritter Block mit der Vorbereitung auf die Heim-WM von Ende September in Zürich.

Es sei wichtig, den Blick nicht zu weit nach vorne zu richten. "Es wäre falsch, jetzt immer nur an die Olympischen Spiele zu denken. Ich mag es, Schritt für Schritt zu gehen und auf etwas hinzuarbeiten." Um für die Saison-Highlights im Sommer und Herbst optimal bereit zu sein, plant Küng diesmal längere Rennpausen einzulegen - einmal nach den Frühjahrsklassikern und auch nach Olympia.

Und wovon träumt er, wenn er an die beiden Grossereignisse im Sommer und Herbst denkt? "Träume hat man viele. Im Idealfall gewinnt man alle wichtigen Rennen, die man sich vornimmt", sagt Küng und geht dann kurz in sich. "Sicher ist eine Olympia-Medaille das Ziel. WM-Medaillen habe ich schon, von dem her muss an der WM der Titel das Ziel sein."

Natürlich wisse er, wie schwierig es ist, diese Ziele zu erreichen. "Doch wenn ich sehe, wo ich in den Jahren zuvor war, dann messe ich mich an diesen Ansprüchen." Oft schon war in den Zeitfahren das Glück nicht auf seiner Seite. In Tokio verpasste Küng eine Olympia-Medaille um vier Zehntelsekunden, an der WM 2022 in Australien fehlten weniger als drei Sekunden zum WM-Titel.

Doch eben, wie Küng sagt: nicht zu weit nach vorne schauen. Erst stehen die Klassiker vor der Tür, und da sieht sich der Thurgauer als Leader im Team Groupama-FDJ gut gerüstet. "Wir sind in einer guten Ausgangslage. Wir haben in diesem Jahr mit Valentin Madouas (dem aufstrebenden Neuseeländer - die Red.), Laurence Pithie und mir drei Karten, die wir spielen können." Das kann für den Schweizer am Sonntag in Flandern ein entscheidender Vorteil sein, um nicht bei jeder Tempoverschärfung die Lücke selber zufahren zu müssen und im Finish noch über genügend Energie zu verfügen.

Nachrichten zu Aktuell »