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Aus der Ferne

Weshalb ich auf England wettete

Am Sonntag habe ich den EM-Final gemeinsam mit ein paar Freunden verfolgt. Als es ins Penaltyschiessen ging, fragte einer in die Runde: «Kleine Wette gefällig? Ich bin mir nämlich sicher, dass Italien gewinnt.» Ohne zu zögern hielt ich dagegen.

Michael Lehmann

Michael Lehmann

Einige werden sich nun fragen: Wie um Himmels Willen kam er auf die Idee, in einem Penaltyschiessen auf England zu wetten? Wusste er denn nicht, dass die Engländer vom Elfmeterpunkt aus notorisch versagen? Die Antwort ist: Doch, mir war durchaus bewusst, dass die Engländer bis am Sonntag von acht Penaltyschiessen an Grossanlässen wie WM und EM nur deren zwei gewonnen hatten.

Dennoch setzte ich darauf, dass England das Elfmeterschiessen gegen Italien gewinnen würde. Das lag an einer Statistik, die ich nach dem Viertelfinal zwischen der Schweiz und Spanien auf Twitter gelesen habe. Gemäss dieser ist es selten, dass ein Team an einem Turnier zweimal im Elfmeterschiessen erfolgreich ist. Und Italien hatte ja bereits eines hinter sich.

Wie schwierig es ist, zwei Elfmeterschiessen in einem Turnier zu gewinnen, wissen wir Schweizer mittlerweile. Auch die Spanier verloren ihr zweites Penaltyschiessen an dieser EM. Das war ihnen bereits an der WM 2002 passiert. Ausserdem sind England, Frankreich (beide 1996), Costa Rica, die Niederlande (beide 2014), Polen (2016) und Russland (2018) jeweils in der zweiten Penaltyentscheidung gescheitert. Bis am Sonntag war es nur Argentinien (1990) und Kroatien (2018) gelungen, sich an einem Turnier zweimal im Elfmeterschiessen durchzusetzen.

Warum das so ist, kann wohl nicht genau erforscht werden. Einigermassen einleuchtend scheint die Argumentation, dass ein Team beim zweiten Mal mental etwas ausgelaugt ist.

Jedenfalls hoffte ich, meinem Wettpartner mit diesem Hintergrundwissen ein Schnippchen schlagen zu können. Bekanntermassen ist es mir misslungen, weshalb ich nun ein paar Franken ärmer bin.

Als ich die Anwesenden in die eben genannte Statistik einweihte, wandte jemand ein: «Du hättest den Münzwurf abwarten sollen.» Er habe irgendwo gelesen, dass das Team, das im Elfmeterschiessen zuerst antreten kann, einen Vorteil geniesse. Dies, weil das zweite Team den Druck hat, nachziehen zu müssen. Und tatsächlich: Als wir die vier Elfmeterschiessen an dieser EM durchgingen, merkten wir, dass jedes Mal das Team gewonnen hat, das zuerst schiessen durfte.

Das Phänomen ist als «First-mover Advantage» bekannt. Der vermeintliche Vorteil wird seit Jahren diskutiert. Einige Forscher haben dem Team, das den ersten Penalty tritt, eine Gewinnchance von rund 60 Prozent errechnet. Deswegen wurde bereits darüber nachgedacht, die Reihenfolge im Elfmeterschiessen zu ändern. Statt dem traditionellen AB, AB, AB, AB, AB ein Format wie beim Tiebreak im Tennis: AB, BA, AB, BA, AB. 2017 kam die sogenannte «trial sequence» in den U17- und U19-Europameisterschaften der Männer und Frauen zum Einsatz. Ein Jahr später beschloss das International Football Association Board jedoch, das Format vorerst nicht mehr anzuwenden. Es habe kaum Anklang gefunden.

Bis es wiederaufgenommen wird, gilt: Beim Wetten auf den Ausgang eines Penaltyschiessens unbedingt den Münzwurf abwarten. Ausser England ist involviert; in diesem Fall wetten Sie einfach gegen England.

Stichwörter: Fussball, EM, Final, England, Italien, Sport, Wette