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Curling

Ziemlich beste Freundinnen

Sie spielten gemeinsam im Kindergarten, bald spielen sie an den Olympischen Spielen. Curling prägte die Freundschaft von Melanie Barbezat und Jenny Perret. Es brachte die Seeländerinnen näher zusammen, liess sie aber auch streiten.

Die Olympia-Curlerinnen: Melanie Barbezat (links) und Jenny Perret vertreten in Peking das Seeland. Bild: Barbara Héritier/Bieler Tagblatt
Michael Lehmann
 
Bereits als Kinder haben Melanie Barbezat und Jenny Perret davon geträumt, einmal zusammen an den Olympischen Spielen teilzunehmen. Nun geht dieser Traum in Erfüllung – auch wenn sie in verschiedenen Teams antreten. Während Perret im Mixed-Doppel bereits ab dem 2. Februar in Peking im Einsatz steht, greift Barbezat mit dem Frauenteam gut eine Woche später ins Geschehen ein.
 
So wird es an den Spielen selbst bloss zu wenigen Berührungspunkten kommen. Aufgrund der strengen Covid-Auflagen in China muss Perret schon bald nach ihrem Turnier in die Schweiz zurückreisen. Umso mehr haben die beiden 30-Jährigen gemeinsame Termine genossen, wie zum Beispiel das Abholen der Olympia-Kleidung. Das zelebrierten sie auch auf den Sozialen Medien mit einem gemeinsamen Foto und dem Schlagwort «Kindergartenbuddies» (dt. Kindergartenfreunde).
 
Nachtpläne und Zirkus-Spiele
 
Melanie Barbezat zog sechsjährig nach Sutz um. Wann und wie genau sie erstmals mit Jenny Perret in Kontakt kam, weiss sie nicht mehr. Dafür kann sie mit Sicherheit sagen: «Wir waren schnell unzertrennlich.» Wichtig in einer jungen Freundschaft wie dieser ist natürlich, den gleichen «Seich» lustig zu finden. Barbezat relativiert jedoch umgehend: «Eigentlich waren wir recht brave Kinder.» Wenn sie von «Seich» spreche, meine sie kleine Dinge. Wenn sie beieinander übernachteten, schmiedeten sie «Nachtpläne» für den Zeitpunkt, wenn die Eltern schlafen gingen. Dann standen sie wieder auf und macht dort weiter, wo sie vor dem Zubettgehen aufgehört hatten. Oft spielten sie Zirkus. Da nahmen sie zum Beispiel einen Hasen und setzten ihn auf einen Ball. «Wir haben die Sekunden gezählt, wie lange er sich oben halten kann und das Häschen stand in einer Art Schockstarre da», erinnert sich Barbezat.
 
Unternehmen zwei Mädchen viel miteinander, lernen sich meist auch die Elternpaare näher kennen. Bei den Barbezats und Perrets entwickelte sich so ebenfalls eine Freundschaft. Die Familien fuhren mal gemeinsam in die Ferien oder feierten Weihnachten zusammen. «Das hat unsere Freundschaft nochmals vertieft», sagt Jenny Perret. «Das und natürlich Curling.»
 
Die beiden liessen ein erstes Mal die Steine übers Eis gleiten, als sie von Gabi Perret, Jennys Mutter, an eines ihrer Spiele mitgenommen wurden. Der Eismeister sah die Mädchen und fragte, ob sie sich auch einmal versuchen wollten. «Wir waren sofort begeistert», erinnert sich Barbezat. Allein das Geräusch, das entsteht, wenn Steine und Schuhe auf dem Eis gleiten, übte eine Faszination auf Barbezat aus. Perret indes mochte schon immer das Zusammenspiel von Technik und Taktik.
 
Sobald es vom Verein her möglich war, mit acht Jahren, gingen Perret und Barbezat ins Training – vorerst einmal wöchentlich. «Diesem Mittwochnachmittag habe ich immer entgegengefiebert», sagt Perret. «Noch dreimal schlafen, noch zweimal, noch einmal. Es war das Highlight meiner Woche.» Beide hatten neben dem Curling noch andere Hobbys. Perret spielte lange Tennis, Barbezat trainierte im Leichtathletikverein und tanzte. Als es aber darum ging, die Richtung «Leistungssport» einzuschlagen, setzte sich bei beiden Curling durch. Eine Weile spielten Barbezat und Perret mit zwei weiteren Kolleginnen in einem Team. Als sie das Teenageralter erreichten, kam es jedoch zum Bruch.
 
Streit und Wiedervereinigung
 
Das Problem? «Ich war enorm ehrgeizig», erinnert sich Perret. «Jenny hatte eine eher forsche Art zu kommunizieren», ergänzt Barbezat. Und dann? «Ich wurde aus dem Team geschmissen», sagt Perret und lacht. «Wir sind einfach zu oft aneinandergeraten», sagt Barbezat. «Und wir waren halt Teenager. Da ärgert man sich nicht bloss, man kocht vor Wut.»
 
Perret wechselte zu einem Berner Team, Barbezat blieb in Biel. So wurden sie im Curling zwischenzeitlich zu den jeweils grössten Konkurrentinnen. Und obwohl sie abseits des Eises keine Probleme miteinander hatten, herrschte nun eine Weile Funkstille zwischen den beiden Freundinnen. Das lag auch an den verschiedenen Wegen, die sie beruflich einschlugen. Perret machte eine Lehre als Kauffrau, Barbezat ging ins Gymnasium und studierte später Physiotherapie.
 
Ein paar Jahre später kam es zur Wiedervereinigung. Perret und Barbezat hatten seit dem Übergang vom Juniorinnen- zum Elitebereich in verschiedenen Teams gespielt. 2014 kam es – wie üblich nach Olympischen Spielen – zu einigen Wechseln. Barbezats Team löste sich auf, weshalb sie zusammen mit Carole Howald «etwas Neues» auf die Beine stellen wollte. Perret hatte gerade ein Jahr als Ersatzfrau im Team von Silvana Tirinzoni hinter sich und hatte nun Lust, wieder ein fester Bestandteil eines Teams zu sein. «Als mich Melanie anfragte, zögerte ich keine Sekunde», sagt Perret. Angst, dass es erneut zu Streitigkeiten kommen könnte, hatten die beiden nicht. «Wir waren ja beide älter und ruhiger geworden», erklärt Barbezat. Und tatsächlich wurde es prompt wie früher. Barbezat und Perret verbrachten nicht nur auf dem Eis, sondern auch sonst viel Zeit miteinander. Am liebsten trafen sie sich mit ihren Freunden am Bielersee; sie grillierten oft und gingen Schwimmen.
 
Ihr Team sollte sich drei Jahre darauf auflösen, dieses Mal waren aber nicht Unstimmigkeiten ausschlaggebend.
 
Enttäuschung und Erfolg
 
Das Team, das Barbezat als Skip anführte, während Perret häufig die letzten Steine spielte, hatte einen starken Einstand. Bereits im ersten Jahr gewann Biel-Touring an der Schweizer Meisterschaft die Bronzemedaille. Ein Effort, den sie in der Folge jedoch nicht bestätigen konnten. Um ganz zu den Spitzenteams aufzuschliessen, fehlte die Konstanz. Als Carole Howald dann von eben einem dieser Topteams kontaktiert wurde, entschied sie sich, die Bielerinnen zu verlassen. «Ein absolut verständlicher Entscheid», sagt Barbezat rückblickend. Auch Perret sagt: «Ich hätte es wohl genauso gemacht.»
 
Der Abgang hatte zur Folge, dass sich auch die anderen Spielerinnen neu orientierten. Barbezat nahm es im Curling ein Jahr etwas gemütlicher und fokussierte sich auf ihre Ausbildung zur Physiotherapeutin. Perret konzentrierte sich derweil voll aufs Mixed-Doppel. Dies hatte sie schon immer parallel zu ihren Einsätzen mit dem Frauenteam gespielt. Mit der eher unerwarteten Aufnahme ins olympische Programm erhielt die Disziplin ab 2015 deutlich mehr Gewicht.
 
Tatsächlich schafften es Jenny Perret und Martin Rios, sich für die Olympischen Spiele 2018 zu qualifizieren. Der Traum, den Barbezat und Perret seit der Kindheit hegten, ging also vorerst nur für eine in Erfüllung. War es hart, das zu akzeptieren? Barbezat verneint. «Vielleicht wäre es hart gewesen, wenn unser gemeinsames Frauenteam die Olympia-Qualifikation nur knapp verpasst hätte. Aber wir waren damals ja weit davon entfernt, an Winterspielen teilnehmen zu können. Jenny hat immer schon parallel Mixed-Doppel gespielt und sehr viel investiert, um dieses Ziel zu erreichen. Daher habe ich es ihr enorm gegönnt.»
 
Derweil erlangten Perret und Rios vor und während den Winterspielen als «Chiffler-Paar» zweifelhaften Ruhm. Der oft harsche Umgang der Medien mit ihnen stösst Perret heute noch sauer auf. «Umso froher war ich, auf eine Freundin wie Melanie zählen zu können. Sie hat mich während dieser intensiven Zeit enorm unterstützt und mir stets den Rücken gestärkt.»
 
Nähe und Abstand
 
Und heute? Nach einigen Hochs und Tiefs in Kindheit und Jugend hat sich die Freundschaft zwischen Jenny Perret und Melanie Barbezat im Erwachsenenalter zunehmend «geerdet». Der Kontakt ist in den letzten Jahren weniger geworden – vor allem, weil sich beide auf ihre hohen sportlichen Ziele konzentriert haben.
 
Perret und Rios hatten schon kurz nach den letzten Winterspielen angekündigt, vier Jahr später nochmals die olympischen Medaillenränge angreifen zu wollen. Barbezat hatte 2018 bereits entschieden, mit dem Spitzensport abzuschliessen und sich auf ihren Beruf zu konzentrieren, als sie einen Anruf von Silvana Tirinzoni erhielt. Sie bot ihr einen Platz im neuen Team mit Alina Pätz und Esther Neuenschwander an. Auch hier war Peking 2022 das klare Ziel.
 
«Seither haben wir die Zeit neben unseren Berufen fast vollständig fürs Training aufgewendet», erklärt Barbezat. «Zuletzt hatten wir ja kaum Zeit für unsere Partner», ergänzt Perret. Daher ist es für die Freundinnen normal, sich auch mal einen Monat nicht zu kontaktieren. Für beide ist klar, dass dies nichts mit allfälligem Desinteresse zu tun hat. «Das Schöne ist», so Barbezat, «dass ich genau weiss, dass ein Anruf genügt und Jenny ist für mich da.»