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Eishockey

«Das ist mein Fight – das ist alles, was zählt»

Antti Törmänen spricht erstmals über seine Krebserkrankung. Die Frage nach dem Warum und Statistiken kümmern ihn nicht. Der Trainer des EHC Biel will die Therapie mit einer positiven Einstellung meistern.

«Ein seltsames, absurdes Gefühl – schlicht surreal.» Antti Törmänen ist nach der Krebsdiagnose geschockt. copyright: Peter Samuel Jaggi/BT

Moritz Bill

Auf die Minute pünktlich erscheint Antti Törmänen zum Treffen in der Tissot Arena. Er hat selbst darum gebeten, nun über seine Krebserkrankung sprechen zu wollen. Nach der Schockdiagnose im Juli fühlte er sich dazu noch nicht bereit. Verständlich, war es doch nicht der einzige Schicksalsschlag innerhalb eines kurzen Zeitraums, den der finnische Headcoach des EHC Biel und seine Familie verarbeiten mussten.
Im Frühling nimmt die Covid-Erkrankung seiner Ehefrau Minna (50) einen schweren Verlauf. Kaum ist ihre Reha zu Ende, folgt die Krebsdiagnose – ausgerechnet am 21. Hochzeitstag der beiden, die sich seit der Schulzeit kennen.
Als Aussenstehender kann man das Gefühlschaos, das ein solches Unglück auslöst, nur erahnen. Antti Törmänen hinterlässt im Gespräch einen gefassten Eindruck, tritt der Krankheit hie und da auch mit Humor gegenüber. Einzig eine Frage geht im nahe und er ringt um Worte.

Als der EHC Biel Ihre Krebserkrankung bekannt gab, war die Anteilnahme gross. Was hat das in Ihnen ausgelöst?
Es war überwältigend. So viele Spieler, Fans und viele andere Leute, die ich durch das Eishockey kenne, meldeten sich bei mir. Die Genesungswünsche kamen wirklich von Herzen, das hat mich am meisten berührt und war sehr ermutigend für mich. Auch die Unterstützung von den Verantwortlichen des Klubs ist grossartig, sie managen das alles sehr gut.

Diese müssen die Hiobsbotschaft aber natürlich auch zuerst einmal verarbeiten, einordnen und eine Strategie finden. Allen voran Martin Steinegger. Törmänen informiert den Sportchef erst ein paar Tage nachdem er den Krebsbefund erhalten hat. «Er war in den Ferien und ich wollte ihm in dieser ohnehin stressigen Coronazeit  eine Auszeit gönnen», erklärt Törmänen.
Bemerkt, dass etwas nicht stimmt, hat er nach dem Ende der 14-tägigen Quarantäne. Seine Covid-Erkrankung setzt ihm nicht allzu stark zu. Doch als er damit beginnt, sich wieder sportlich zu betätigen, tritt eine Schwellung im Bauchbereich auf und manchmal hat er Mühe mit dem Atmen. Eine erste Untersuchung endet ohne Ergebnis. «Ich dachte, es könnte eine Reaktion auf diese anstrengende Zeit sein, die ich hinter mir hatte.»
Auch deshalb sieht Törmänen keinen Grund zur Eile, zudem liegt der Start in die Vorbereitungsphase damals noch weit weg. Doch je näher dieser rückt, desto mehr zeichnet sich ab, dass er so nicht arbeiten könnte. «Ich konnte abends kaum etwas zu mir nehmen und hatte Beschwerden vor dem ins Bett gehen.»
Also eine weitere Untersuchung. Nun finden die Ärzte Gallensteine. Umgehend folgt die Entfernung der Gallenblase in der Klinik Linde. Die Operation verläuft gut. Doch bei der Untersuchung des entfernten Organs wird der Krebs entdeckt.

Wie haben Sie auf diese Nachricht reagiert?
Es war ein seltsames, absurdes Gefühl – schlicht surreal. Wie ein harter Schlag.

Haben Sie sich gefragt: warum ich? Sie treiben ja viel Sport, waren bis dahin gesund.
Ich denke, sogar Personen, die seit 40 Jahren rauchen und dann an Krebs erkranken, können das zuerst nicht fassen und fragen sich, warum ich? Ich versuche, keine Gedanken daran zu verlieren, das bringt nichts. Es ist, wie es ist. Jetzt daran rum zu studieren, welche Faktoren eventuell eine Rolle gespielt haben, wäre Zeitverschwendung. Es ist einfach Pech, wie mir die Ärzte sagten. Ich muss jetzt damit klarkommen und das bestmögliche Resultat erzielen – genau gleich wie im Sport.

Die zweite Operation bei den Spezialisten in Lausanne dauert sechs Stunden. Ein Teil der Leber und zahlreiche Lymphknoten werden sicherheitshalber entfernt, Metastasen hatten sich keine gebildet.
Gallenblasenkrebs kommt selten vor. Am häufigsten sind Frauen über 70 betroffen. «Ich wusste ja, dass ich speziell bin. Aber so speziell? Das dachte ich dann doch nicht», sagt Törmänen und schmunzelt.
Heute beginnt der zweite von sechs Behandlungszyklen. Die Chemotherapie ist auf sechs Monate ausgelegt, Törmänen absolviert sie in Lausanne. Die Nebenwirkungen würden variieren, manchmal sei er schläfrig, andere Male fühle es sich an wie ein Kater nach einer durchzechten Nacht. Am meisten zu schaffen macht ihm noch die Diskrepanz im Kopf, wie er es nennt. «Als Sportler bist du dir gewohnt, dass du dich nach einer Behandlung besser fühlst. Jetzt muss ich begreifen, dass es richtig ist, mich danach schlecht zu fühlen.»
 
Machen Sie sich Gedanken zu Statistiken bezüglich der Heilungschancen?
Nein. Diese Art Krebs ist selten, jeder Fall ist anders. Das ist mein Fight – das ist alles, was zählt. Im Eishockey schaue ich auch nicht auf die anderen Matches, sondern fokussiere mich auf unser Spiel.

Diese Aussage deckt den Eindruck, den Antti Törmänen hinterlässt. Er ist positiv gestimmt. Er will kein Mitleid, sondern gute Stimmung verbreiten. Im Stadion geht er nach wie vor ein und aus. Letzten Freitag überrascht er das Team mit fünf Kuchen, denn am Samstag steht sein 50. Geburtstag an. Dass die Bieler am Freitagabend im Testspiel in Zug kurz nach Beginn schon mit zwei Toren hinten liegen, habe an den Torten gelegen, lässt Toni Rajala ausrichten. Für die weiteren vier Gegentore übernehme er aber keine Verantwortung, sagt Törmänen und lacht.
Die Hauptverantwortung für die Mannschaft muss er sozusagen von einem Tag auf den anderen abgeben. Eine schwierige Situation für den Headcoach, bislang sind bei ihm alle Fäden zusammen gelaufen.   

Die Klubführung hat Lars Leuenberger als Vertretung für Sie engagiert. Sie kennen sich, haben zusammen in Bern den Titel gewonnen. Hat das die Übergabe für Sie einfacher gemacht?
Natürlich. Wenn irgendein Fremder gekommen wäre, der sich total von mir unterscheidet, hätte ich Mühe damit gehabt. Aber ich lasse Lars in Ruhe arbeiten, er soll das auf seine Weise machen. Ich will mich nicht aufdrängen. Doch wenn nach meiner Meinung gefragt wird, stehe ich zur Verfügung.  

Der nicht tägliche, aber regelmässige Gang ins Stadion bedeutet Törmänen viel. So lange sein Gesundheitszustand es zulässt, will er daran festhalten. Ein strukturierter Tagesablauf ist ihm wichtig. «Für mich ist es schwierig, zuhause zu bleiben.» Seine grosse Sorge war denn auch, dass er kein Sport mehr treiben könne. Kurz nach der Operation fielen ihm Bewegungen schwer. Die Bauchmuskulatur hatte gelitten. Törmänen zieht zur Veranschaulichung sein Shirt hoch, zeigt auf die grosse Narbe und führt vor, wie er sich vorerst mit Hilfe der Hand aufrichten musste. Doch er erholt sich rasch von der Operation und die Ärzte geben betreffend Sport grünes Licht. So fährt er manchmal auf dem Fahrrad in die Arena, ehe er im Kraftraum trainiert. «Mein Körper wird mir sagen, wenn das nicht mehr geht.»

Was war bis jetzt das Schwierigste rund um die Krankheit?
Die Bürde, die meine Frau, mein Kinder, die Verwandten und auch der Klub tragen müssen. (Überlegt) Das traf mich schwer. Alle müssen wegen mir Extraarbeit leisten. Das ist kein gutes Gefühl.

Wie haben Ihre beiden Söhne die Diagnose aufgenommen?
Henrik, der Jüngere, ist elf. Er versteht noch nicht ganz, was das bedeutet. Aaro ist hingegen schon 19 und kann das besser einordnen. Natürlich ist das hart für sie. Aber wenn wir zusammen Zeit verbringen, fühlt sich das relativ normal an. Sie stellen vor allem bei der Mutter Fragen zu der Krankheit, wenn ich nicht dabei bin. Sie ist ohnehin die smarteste in der Familie, das hilft (schmunzelt). Aber klar, die Situation ist für die ganze Familie hart.

In knapp zwei Wochen beginnt die neue Meisterschaft – ohne Antti Törmänen. Zum Abschluss des Gesprächs zieht er einen Vergleich zwischen seiner Therapie und einer Eishockey-Saison. Zu Beginn erscheint der Weg lang, doch plötzlich geht es schnell. «Man ist ähnlichen Emotionen ausgesetzt. Es gibt gute, sowie schlechte Momente. Und manchmal läuft es überhaupt nicht so, wie man sich das vorstellt. Trotzdem muss man dranbleiben. Vieles ist eine Frage der Perspektive. Vielleicht ist diese Krankheit bloss eine kurze Verzögerung in meinem Leben; ein erzwungenes Sabbatical.»

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