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Eishockey

«Diese Saison wird extrem kompliziert»

Der EHC Biel startet am Freitag in die Meisterschaft. Sportchef Martin Steinegger schätzt die Stärken und Schwächen des aktuellen Teams ein und erklärt, warum ihm das Zusammenstellen des künftigen Kaders derzeit Schwierigkeiten bereitet.

Hofft auf das Beste, aber bereitet sich auf das Schlimmste vor: EHCB-Sportchef Martin Steinegger erwartet wiederkehrende Quarantäne-Absenzen. Bild: Matthias Käser

Interview: Moritz Bill

Martin Steinegger, die obligate Frage vor dem Start: Ist die Mannschaft besser einzuschätzen als letzte Saison?

Martin Steinegger:  Schwierig zu sagen. Ich finde, das Team ist ausgeglichen zusammengesetzt. Mit Ullström konnten wir zuletzt ein wichtiges Puzzlestück hinzufügen. Aber vor dem Saisonabbruch waren wir auf einem höheren Niveau als jetzt. Damals war das Team so was von parat für die Playoffs. Wir durchliefen während der Saison eine Entwicklung, mit Hindernissen in Form von vielen Verletzungen oder der Niederlagenserie. Wir wurden gebogen, nicht aber gebrochen. Jetzt befinden wir uns woanders, aber wir haben nun mehrere Monate Zeit, wieder auf dieses Level zu kommen.

Einen gewichtigen Wechsel gab es ganz hinten: Joren van Pottelberghe muss Jonas Hillers Erbe antreten. Sie müssen erleichtert sein, dass er, ihr bedeutendster Transfer, in der Vorbereitung überzeugt hat.

Erleichtert bin ich erst, wenn es die beiden dann wirklich während der Meisterschaft packen.

Die beiden? Sie gehen von einem Goalie-Duo und keiner Nummer 1 aus?

Natürlich ist Joren momentan im Vorteil. Er zeigte hintereinander gute Spiele, währenddessen Elien (Paupe) verletzt fehlte. Die Erfahrung lehrt uns jedoch, dass es nahezu unmöglich ist, eine ganze Saison auf nur einen Torhüter zu setzen. Zumal beide noch jung sind. Speziell die Doppelrunden fordern einen Goalie stark. Für Joren wird es wichtig sein, nicht den ganzen Druck auf seinen Schultern zu wissen. Elien hat vergangene Saison gezeigt, dass er Spiele für uns gewinnen kann und er hat einen weiteren Schritt gemacht. Ich bin überzeugt: Beide sind dieser Aufgabe gewachsen.

Werden die Verteidiger automatisch etwas kompakter auftreten, weniger Schüsse zulassen, im Wissen, dass hinten kein Jonas Hiller mehr absichert?

Vielleicht blocken wir tatsächlich deshalb ein, zwei Schüsse mehr. Doch Anpassungen sind sowieso nötig, jeder Goalie ist anders. So lange wir im Puckbesitz sind, sehe ich jedenfalls keine Probleme (lacht).

Die Defensive hat nur wenig Veränderung erfahren, die Abgänge wurden sozusagen eins zu eins ersetzt: Sartori für Sataric, Lindbohm für 
Salmela.

Auf der Ausländerposition wollten wir einen soliden Verteidiger, auch wegen der neuen Goaliesituation. Mit Rathgeb haben wir bereits einen Spezialisten fürs Powerplay. Lindbohm könnte auch in Überzahl spielen, doch liegen seine Stärken vor allem im Fünf-gegen-Fünf: Letzte Saison gehörte er unter den Verteidigern bei nummerischem Gleichstand ligaweit zu den besten Skorern. Sartori befindet sich auf dem gleichen Weg wie Sataric vor zwei Jahren. Er erhält bei uns auch die Chance, seinen Wert zu erhöhen. Sataric hat das getan. Letztlich war dieser Wechsel auch eine Frage des Budgets.

Apropos: Nicht weniger als sieben Verteidiger haben auslaufende Verträge. Im Sturm sind es acht, darunter begehrte Spieler wie Moser, Kreis, Fuchs oder Cunti. Wie sieht Ihr Plan aus?

Wir werden mit allen zur Hälfte des jetzigen Preises verlängern (lacht).

Viel Glück.

Mit all den Unsicherheiten wegen der Coronakrise ist die Planung schwierig, sehr sehr schwierig.

Aber Sie haben doch sicher trotzdem bereits mit den begehrten Spielern respektive deren Agenten Kontakt aufgenommen und Interesse signalisiert?

Ja schon, aber wir sind auch mit einer speziellen Situation auf dem Markt konfrontiert. Wir und acht andere Klubs möchten am liebsten die weiteren Entwicklungen abwarten. Einer, nämlich Zürich, hat keine allzu grossen Sorgen, da viele Verträge weiterlaufen. Und dann gibt es noch zwei Klubs, die fast das ganze Team auswechseln wollen und deshalb äusserst aggressiv vorgehen. Wir werden das tun, wozu wir in der Lage sind.

Ich nehme an, beide Namen beginnen mit einem L. Aber trotzdem nochmals die Frage: Wie wollen Sie jetzt vorgehen?

Wir werden versuchen, in den nächsten Wochen das Gerüst für nächste Saison zusammenzusetzen. Sonst geraten wir unter Druck und laufen Gefahr, Dinge zu tun, die wir eigentlich nicht wollen.

Im Angriff ist ebenfalls vieles beim Alten geblieben. Riat, Neuenschwander und Tschantré sind weg, neu dazugekommen sind Hofer und Kessler. Ein Substanzverlust?

Das werden wir Ende Saison wissen. Riat ist, wenn er gesund ist, ein aussergewöhnlicher Schweizer Stürmer. Mit ihm verlieren wir an Intensität und Schusskraft. Hofer ist spielerischer veranlagt. Er und vor allem Kessler suchen noch ihren Platz im Team, was normal ist. Ich sehe in Kessler ähnliches Potenzial wie damals bei Hügli. Auch dieser hatte anfangs bei uns Mühe. Ich bin jedenfalls zuversichtlich, dass Kessler und Hofer eine gute Saison machen werden.

Mit Tschantré ist der langjährige Captain fort. Das hinterlässt vor allem bezüglich Leadership eine grosse Lücke.

Ja sicher. Doch gleichzeitig bietet sich anderen Spielern die Chance, sich weiterzuentwickeln und mehr Verantwortung zu übernehmen. Das gilt natürlich für den neuen Captain Fey, aber auch für andere. Ich vertraue auf einen Selbstprozess.

Im Juli weilten Sie in den Ferien, als Antti Törmänen Sie über seine Krebserkrankung informierte. Wie haben Sie auf diese Schocknachricht reagiert? Sie wollten sich eigentlich nach anstrengenden Monaten erholen.

Dabei ging es zuallererst überhaupt nicht um mich, beziehungsweise auch nicht darum, was das sportlich für den Klub bedeutet. Sondern waren meine Gedanken einzig bei ihm und seiner Familie, die schon zuvor eine schwierige Zeit meistern musste. Erst nachdem ich eine Nacht darüber geschlafen hatte, erwachte der Sportchef in mir; das ist logisch.

Dann kamen Sie zum Schluss, Lars Leuenberger zu engagieren. Wie haben Sie seine Arbeit in den ersten Wochen wahrgenommen?

Mit Zufriedenheit, aber alles andere hätte uns überrascht. Wir wussten, wen wir verpflichten. In den Testspielen hat man unser EHC-Hockey schon erkennen können. Gleichzeitig bewegt sich Lars nicht in Fesseln, sondern bringt seine Idee rein. Diese Frische tut dem Team gut.

Das Coronavirus dürfte immer wieder für Absenzen sorgen, kommt es zu positiven Fällen innerhalb einer Mannschaft, sind Spielverschiebungen programmiert. Mit welchen Gefühlen schauen Sie dieser speziellen Meisterschaft entgegen?

«Hoffe auf das Beste, aber bereite dich auf das Schlimmste vor.» Diese Saison wird extrem kompliziert, wohl noch schlimmer, als wir alle denken. Bis jetzt, also seit wir im August mit dem Eistraining begonnen haben, hatten wir zusammengerechnet 31 Fehltage von Spielern in Quarantäne. Und das wohlgemerkt nur wegen des Umfelds, wir hatten keinen positiven Fall innerhalb des Teams oder von Familienmitgliedern. 31 Tage!

Wie füllen Sie allfällige Lücken, mit Junioren?

Ja, darum bin ich froh, verfügen wir über eine gewisse Breite. Bärtschi und Zürcher zum Beispiel, haben ihre Sache gegen Zürich sehr gut gemacht, sie werden sicher zu ihren Einsätzen kommen. Schon während der letzten Saison liefen 35 verschiedene Spieler für uns auf.

Wer weniger mit Corona zu tun hat als andere, hat also Vorteile. Dem Champion wird Ende dieser Saison der Makel «Corona-Meister» anhaften.

Sollten wir Meister werden, wäre mir das egal. Im Jahrbuch würde ja nicht «Corona-Meister» stehen. Aber klar: Wenn wir die Saison zu Ende spielen – was in den Sternen steht –, wird entscheidend sein, wer damit am besten umgehen kann: Mit den internen Covid-Fällen und auch der physischen Belastung, die Absenzen und Spielverschiebungen zur Folge haben.

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