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Eishockey

«Ich könnte in den Wald schreien gehen»

Heute bestreitet der EHC Biel in Huttwil die erste Cup-Runde, am Freitag beginnt die Meisterschaft. Sportchef Martin Steinegger spricht vor dem Start über Transfers, die vielen Verletzungen und verrät seine überraschende Phobie.

Martin Steinegger, Sportchef des EHC Biel. copyright: Aimé Ehi/BT

Interview: Moritz Bill

Martin Steinegger, ist die Mannschaft gegenüber letzter Saison stärker einzuschätzen?

Martin Steinegger: (überlegt) Diese Frage ist schwierig zu beantworten. Sie müssen mir sie an Weihnachten nochmals stellen. 

Versuchen Sie es trotzdem bitte.

Ich glaube, wir haben mit den Abgängen von Maurer, Pedretti oder Schmutz ein wenig «Muskeln» und Aggressivität verloren. Hingegen haben wir in der Verteidigung mit Rathgeb und Ulmer an Kreativität dazugewonnen. Den Verlust von Diem und Earl konnten wir mit den beiden neuen Centern Cunti und Gustafsson mindestens kompensieren. Ich denke, wir sind in der Mitte besser aufgestellt, kommt hinzu, dass wir mit Neuenschwander über einen polyvalent einsetzbaren Stürmer verfügen. Das hilft, wenn wir Anpassungen vornehmen müssen. 

Doch es fehlt an Tiefe.

Nein, ich finde nicht. Im Angriff haben wir im Vergleich mit letztem Jahr bloss einen Stürmer weniger. Und die jungen Karaffa und Kohler haben in der Vorbereitung bewiesen, dass sie auf dieser Stufe mithalten können. Wir haben vor fünf Jahren beschlossen, stärker in den Nachwuchs zu investieren, indem wir mehr Profitrainer anstellten. Wenn wir nun den jungen Spielern keine Chance geben, um sich zu beweisen, wäre dieser Aufwand sinnlos. 

Zum Saisonstart fallen gleich fünf Stürmer verletzt aus. Haben Sie Vergleichbares schon einmal erlebt?

Mit Bern spielten wir mal in den Playoffs mit nur fünf Verteidigern. Aber dass gleich zu Beginn der Saison so viele Spieler fehlen, ist noch nie vorgekommen. 

Wie gehen Sie damit um?

Ich könnte in den Wald schreien gehen, doch das würde ja nichts an der Situation ändern. Jetzt müssen wir zusammenstehen und dürfen nicht in Panik verfallen. Der Qualitätsverlust ist massiv, ja. Doch wenn Sie mich vor der vergangenen Saison gefragt hätten, wer bloss nicht ausfallen dürfe, hätte ich Beat Forster genannt. Durch sein Fehlen gab es einen freien Platz für Janis Moser, der sich dann extrem gut entwickelt hat. Warum sollte sich das dieses Jahr nicht wiederholen? Mit Karaffa hatten wir zuvor gar nicht wirklich geplant. 

Als Sie Peter Schneider engagiert haben, wurde das mancherorts mit einem Lächeln quittiert. Dass man auf einen Österreicher ohne Schweizer Lizenz setzt, ist eine Seltenheit. Wie haben Sie diese Kritik aufgenommen?

Das interessiert mich eigentlich gar nicht. Man hat nie eine Garantie, ob ein neuer Spieler einschlägt oder nicht. Einzig hat mich gestört, dass von einem «Billigausländer» die Rede war. 

Es dürfte aber schon zutreffen, dass er im Vergleich mit anderen Ausländern weniger verdient.

Aber wir haben ihn nicht deshalb unter Vertrag genommen, sondern weil wir von seinen Qualitäten überzeugt sind. Mit seiner Präsenz vor dem Tor bringt er etwas rein, was uns fehlte. Seine Skorerpunkte sprechen für sich, und die österreichische Liga ist nicht irgendeine Mickey-Mouse-Liga. In den Testspielen hat er seine Qualitäten mit Toren aufgezeigt. Leider hatte er danach in der CHL Pech im Abschluss. Aber er kam in jedem Spiel zu Top-Chancen, das ist auch schon etwas Gutes. Ich bin überzeugt von ihm, sein Lernwille ist riesig. Im Sommertraining ging der ab wie ein Zäpfchen. 

Sie konstruieren seit ein paar Jahren erfolgreich eine Mannschaft, die ein modernes, schnelles und kompaktes Eishockey spielt, das auch den Vorstellungen des Trainers entspricht ...

(unterbricht) Dieses System ist nicht die Philosophie Törmänen, sondern die Philosophie EHC Biel. Wir haben Antti engagiert, weil er diesen Stil spielen lassen kann. Es war nicht so, dass er diesen Stil mitgebracht hat. Wir haben schon vor seiner Zeit auf Spieler gesetzt, die in dieses System passen. 

Wird diese Spielphilosophie auch bei den Junioren, also auf allen Stufen praktiziert, um den Übergang in die 1. Mannschaft zu erleichtern?

Ja, im Grossen und Ganzen schon. Wir wollen aktives Hockey praktizieren, dem Spiel unseren Stempel aufdrücken. Jedoch wenden wir diesen Grundsatz – im Gegensatz zu anderen Klubs – nicht kompromisslos an. Davon bin ich kein Fan. Jeder Trainer hat seinen Stil, und für die Entwicklung eines Spielers ist es wichtig, dass er sich anzupassen lernt. Wir wollen die Spieler dazu ausbilden, dass sie sich nicht verstecken und aktiv am Spiel teilhaben. Karaffa, Kohler und Prysi treten genau so auf . 

Kommt dadurch nicht eine gesunde Härte und aggressive Spielweise zu kurz? Etwas, dass Ihr Spielerprofil während Ihrer Aktivkarriere ausgemacht hat.

Nein, diese Zeiten sind vorbei.

Dann fände Martin Steinegger im heutigen EHC Biel keinen Platz?

Doch, doch. Mich konnte man egal wo einsetzen (lacht).

Aber haben Sie wirklich keine Bedenken, dass das mal vonnöten sein wird? Während einer Saison kann es zu Momenten kommen, in denen Spieler gefragt sind, die vielleicht nicht die Schnellsten und technisch Begabtesten sind, sich dafür aber aufopfern. 

Ich verstehe Ihre Frage schon, aber ich denke nicht, dass wir das komplett verloren haben. Künzle ist beispielsweise ein Spieler, der mit seiner Physis Zeichen setzen kann. Oder auch Schneider gehört zu diesem Typ Spieler. Aber ja, wenn ich jetzt noch einen Spieler engagieren könnte, würde ich wahrscheinlich einen mit solchen Eigenschaften aussuchen. 

Gleich wie letztes Jahr laufen auch Ende dieser Saison zahlreiche Verträge aus. Darunter befinden sich Spieler, die mit ihrer Leistung beim EHC Biel das Interesse von anderen Klubs geweckt haben. Letztes Jahr sorgte das für Unruhe in der Garderobe. 

Man kann das auch positiv sehen: Die Spieler müssen sich präsentieren. Natürlich wurden schon Gespräche geführt, aber wir haben ausser mit Brunner noch keine weitere Einigung erzielt. Wir werden nicht überall eine Lösung finden, das ist nun mal so. Wir haben ein Budget einzuhalten. 

Weil Hiller zurücktritt, müssen Sie einen neuen Torhüter finden, der Markt gibt derzeit nicht viel her. Bereitet Ihnen das Sorgen?

Mir bereiten viele Sachen Sorgen (lacht). Wir werden eine Lösung finden. Ich bin offen für alle Optionen, auch ein ausländischer Goalie ist eine Möglichkeit. Und Paupe hat in der CHL bisher die Pucks abgewehrt, die er abwehren musste. 

Wäre auch ein Duo ohne definierte Nummer 1 eine Option?

Ja, warum nicht.

2018 war der Halbfinal gegen Lugano nach sechs Spielen entschieden, dieses Jahr scheiterte Biel im Halbfinal in sieben Spielen an Bern. Nüchtern betrachtet, hat die Mannschaft nur einen minimen Fortschritt erzielt.

Den grössten Schritt, den wir genommen haben, war, dass wir die starke Saison 2017/18 bestätigen konnten. 

Wird das auch diese Saison gelingen?

Es ist jedes Jahr schwierig. In Anbetracht der Konkurrenz wird es sicher nicht einfach, wieder unter die ersten Vier zu kommen. Aber selbstverständlich möchten wir es nach den zwei Outs im Halbfinal mal bis in den Final schaffen. 

Mathieu Tschantré stellte nach letzter Saison sein Captainamt infrage, um im Hinblick auf sein Karriereende jetzt schon andere in die Verantwortung zu nehmen. Nun bleibt er Captain. Wie lautet Ihre Meinung dazu?

Wir haben ein Gespräch geführt, in dem wir schnell übereingekommen sind, dass er unser Captain bleibt. Punkt. Es hätte nichts gebracht, eine neue Konstellation zu kreieren, die nicht nötig ist. 

Hat es Spieler im Team, die seine Rolle in Zukunft einnehmen können?

Ja definitiv. Aber jetzt ist Mathieu noch hier, er wird nach wie vor in der Garderobe respektiert.

Aber denken Sie nicht, es fehlt an Leadership im Team?

Nein. Doch die Mentalität der heutigen Spieler ist nicht mehr dieselbe wie früher, deshalb darf man das nicht vergleichen. Diese Veränderung von Generation zu Generation ist normal und es ist wichtig, dass wir an dieser teilhaben und sie verstehen, anstatt sie von aussen schlechtzureden.

Sie waren bereits mit 21 Jahren Captain des EHC Biel. Das ist heute unvorstellbar. 

Warum nicht? Janis Moser hat noch zwei Jahre Zeit (schmunzelt). Wir werden einen neuen Captain bestimmen, wenn denn Mathieu tatsächlich aufhört.

Wie bitte? Rechnen Sie etwa damit, dass er weitermacht?

Wie sagt man so schön: Nur ein Narr ändert seine Meinung nie.

Sehen Sie das auch bezüglich Hillers Entscheid so?

Wir werden es sehen. Fragen Sie mich heute, und auch morgen, gehe ich davon aus, dass beide ihre Karriere Ende Saison beenden. Aber wer weiss schon, was zu einem späteren Zeitpunkt sein wird. 

Kamen bei Ihnen damals Zweifel auf, nachdem Sie Ihr Karriereende auf Ende Saison kommuniziert hatten?

Nein. Ich brach mir im November die Hand. Sie müssen wissen, ich habe den Horror vor Operationen. Jedes Mal sagte ich mir, dass ich bei der nächsten Verletzung aufhöre. Trotzdem habe ich sieben Operationen mitgemacht. Aber nach dieser war für mich definitiv klar, dass ich aufhöre. Zudem war ich schon 40 Jahre alt.

Sie fürchten sich vor Operationen? Das passt nicht zum Bild des furchtlosen Kämpfers, das Sie auf dem Eis abgegeben haben.

Es ist eine Katastrophe, ich hasse Spritzen. Als ich mir zum Beispiel die Nase habe richten lassen müssen, wurden vor dem Operationssaal zig Betten mit Patienten parkiert. Ich hatte den Horror, dass es zu einer Verwechslung kommen könnte und sie etwas Falsches an mir flicken.

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Montandon im Try-Out, Stucki am Face-off

Arnaud Montandon trainiert seit gestern mit dem EHC Biel. Der 27-jährige Stürmer spielte die letzten beiden Saisons bei Ajoie und ist derzeit vertragslos. Ob Biel den Koloss (1,93 m/98 kg) temporär als Ersatz für die vielen verletzten Stürmer verpflichtet, war gestern offen. Für das heutige Cup-Spiel in Huttwil wäre er ohnehin noch nicht spielberechtigt. Montanton bestritt 2014 und 2018 je ein Spiel für Biel auf Leihbasis. 

Auch offen war gestern noch, welche Junioren heute im ersten Cup-Spiel gegen das Team aus der MySports League im Fanionteam aushelfen. 

Forster sollte voraussichtlich wieder mittun können, Rathgeb ist hingegen fraglich. Auch ob Salmela spielen wird, war gestern noch nicht entschieden. Der Finne blieb nach dem Auswärtstrip einen Tag länger in seiner Heimat in Finnland. Im Tor wird wenig überraschend Paupe stehen.

Zum Meisterschaftsstart am Freitag zuhause gegen Freiburg hütet dann aller Voraussicht nacht Hiller das Tor. Von dort aus wird er beobachten können, wie Schwingerkönig Christian Stucki das erste Bully ausführt. bil

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