Sie sind hier

Abo

Eishockey

«Ich nahm Schmerzmittel und machte weiter, bis es gar nicht mehr ging»

Seit fast zwei Saisons kann Fabian Lüthi seinen Beruf nicht mehr ausüben. Der Spieler des EHC Biel kämpft sich nach mehreren Operationen durch eine langwierige Rehabilitation. Was macht diese andauernde Zwangspause mit einem Profisportler?

Fabian Lüthi bleibt zuversichtlich, dass er aufs Eis zurückkehren kann. Dabei hilft ihm auch Mentaltraining. copyright: Peter Samuel Jaggi/BT

Interview: Moritz Bill

Es scheint ewig her zu sein. Als Fabian Lüthi das letzte Mal Eishockey spielte, assoziierte die Menschheit Corona noch einzig mit einer Biermarke. Seit diesem 12. Oktober 2019 hat er das Trikot des EHC Biel nie mehr übergestreift. Vorletzte Saison bestritt der Stürmer bloss sechs Matches, letzte Saison gar keinen. Nach Operationen an der Hüfte, am Knie und am Fuss befindet sich der 31-Jährige nach wie vor in der Rehabilitation. Ob er je wieder professionell Eishockeyspielen kann, ist offen. Seit Anfang Monat steht er zum ersten Mal in seiner Karriere bei keinem Verein mehr unter Vertrag.
 
Fabian Lüthi, Sie haben fast zwei Saisons verpasst. Ich stelle mir das sehr frustrierend vor. Woher kommt Ihre Motivation, so lange auf Ihr Comeback hinzuarbeiten?
Fabian Lüthi: So lange Zeit verletzt zu sein, ist etwas vom Schlimmsten, was dir als Sportler passieren kann. Natürlich ist das eine grosse Herausforderung, doch meine Leidenschaft für das Eishockey, für das Team, für den Klub ist stärker. Ich will zurück aufs Eis.
 
Aber sind Sie nie an einem Punkt angelangt, wo Sie alles hinschmeissen wollten?
Ich denke bei jedem Spieler, der über einen längeren Zeitraum verletzt ist, gibt es Momente der extremen Frustration. Schliesslich will jeder spielen und nicht verletzt zuschauen. Ich habe es bis jetzt geschafft, mit grösstenteils positiven Gefühlen durch diese Reha zu kommen. Ich sehe das auch als Chance.
 
Tatsächlich? Inwiefern?
Man kann in einer solchen Zeit viel über seine Persönlichkeit und über seinen Körper lernen. Dabei hilft mir sicher meine Mentaltrainer-Ausbildung. Ich kann die Theorie sozusagen an mir selbst in der Praxis anwenden. Zentral ist die Planung, damit man auf ein klares Ziel hinarbeiten kann. Dazu gehört die Koordination mit dem Klub, den Ärzten und Physiotherapeuten, damit es Schritt für Schritt vorwärtsgeht. Ausserdem sind Übungen im mentalen Bereich wichtig.
 
Welche zum Beispiel?
Mit Gedankensteuerung kann ich mir selbst eine gewisse Ruhe vermitteln oder Ängste kontrollieren. Die grosse Furcht besteht ja darin, dass man nie wieder an sein altes Leistungsniveau herankommen könnte. Diese negativen Gedanken wandle ich in positive um.
 
Das klingt simpel. Doch funktioniert das denn auch tatsächlich?
Bei mir schon, ja. Sonst würde ich jetzt niedergeschlagen zuhause herumsitzen und wäre körperlich deutlich schlechter «zwäg». Ich traue mir wirklich zu, dass ich aufs Eis zurückkehren kann. Das verleiht mir Kraft. Der Energielevel ist für mich ohnehin das Wichtigste. Eine Quelle dafür ist zum Beispiel, dass ich ab und zu in der Tissot Arena im Kraftraum trainieren kann und so mit der Mannschaft in Kontakt bleibe. Auch bei meiner Familie oder in der Natur tanke ich Energie.
 
Sind die Verletzungen vielleicht auch ein Signal des Körpers, dass er die Strapazen nicht mehr auszuhalten vermag?
Definitiv. Als Profisportler unterschätzt man das oft. Wir sind in einem Flow drin, wollen unbedingt bei jedem Match dabei sein. Deshalb spielen wir immer mal wieder mit Schmerzen. Ich biss mich vor meiner Hüftoperation zu lange durch, nahm Schmerzmittel und machte weiter, bis es einfach gar nicht mehr ging. Während einer langen Reha lernst du, besser auf deinen Körper zu hören und gezielter zu trainieren. Deshalb würde ich heute früher die Notbremse betätigen. Aber da spielt halt viel Leidenschaft mit. Ich identifiziere mich stark mit diesem Klub und dem Team. Als ich Anfang Saison schon Probleme hatte, wollte ich alles Erdenkliche probieren, damit ich meinen Teil beitragen kann. Den Vertrag nicht erfüllen zu können, dem Klub quasi etwas schuldig zu sein – das ist ein sehr unangenehmes Gefühl und ging mir nahe.
 
Machen Sie sich keine Sorgen über bleibende Schäden, die ihr Leben nach der Sportkarriere beinträchtigen könnten?
Man macht sich schon Gedanken in diese Richtung. Aber meine Hüfte fühlt sich wieder sehr gut an. Es ist das Knie, das noch etwas Zeit benötigt. Doch ich habe Stand heute das Gefühl, dass auch das wieder in Ordnung kommt. Es wäre kontraproduktiv, mich an möglichen negativen Folgen festzubeissen.
 
Was sagt Ihr Umfeld dazu?

Letztlich ist entscheidend, was ich selbst spüre. Meine Familie und meine tollen Freunde unterstützen mich seit jeher und sie wissen, dass ich die Situation realistisch und vernünftig einschätzen kann.
 
Könnten Ihre Verletzung auch damit zu tun haben, dass das Eishockey zunehmend schneller und damit anspruchsvoller für den Körper wird?
Ich denke nicht, jedenfalls nicht zwingend. Heute wird viel besser trainiert als früher, speziell im Off-Ice-Bereich. Das ist auch nötig, weil wir Spieler sonst diese gestiegene Intensität nicht verkraften würden.
 
Aber stimmt diese Balance noch? Gehirnerschütterungen gehören zum Alltag. Wäre nicht eine Regelanpassung in Richtung weniger Körperkontakt nötig?
Ich masse mir nicht an, die richtige Lösung für dieses Problem zu haben. Meiner Meinung nach sollten Spieler, die wiederholend für Verletzungen verantwortlich sind, strenger bestraft werden. Aber faire Checks gehören zum Eishockey einfach dazu. Das darf auch mal weh tun.
 
Wie ist das, anstatt zu spielen ständig zuschauen zu müssen?
Direkt nach der Operation war der Frust gross, da benötigte ich Abstand. Aber dann wurde ich bald einmal zum Fan (lacht). Ich schaute mir jedes Spiel von uns an, dazu noch andere Ligaspiele. Manchmal regte ich mich tierisch auf, andere Male freute ich mich riesig über gelungene Aktionen – wie ein Fan halt. Handkehrum gehörte ich ja immer noch zum Team und es hat mir viel bedeutet, dass ich in Gesprächen den Kollegen Feedback von aussen geben konnte. Das gab mir das Gefühl, doch noch etwas beizutragen.
 
Das dürfte auch damit zu tun haben, dass Sie schon sechs Jahre beim EHCB sind. Im schnelllebigen Eishockeygeschäft ist das eine lange Zeit. Was gefällt Ihnen hier so besonders?
Ich bin ja ein halber Bieler, meine Mutter ist hier aufgewachsen. Und ich hatte ein enges Verhältnis zu meinen Bieler Grosseltern. Neben Zug, wo ich lange gespielt habe, ist Biel mein Herzensverein. Ich fühle mich hier perfekt integriert, der familiäre Umgang ist nicht bloss eine Floskel. Ich werde mit diesem Verein für immer verbunden bleiben, auch wenn ich mal nicht mehr für Biel spielen sollte.
 
Sie sprechen es an: Ihr Vertrag ist ausgelaufen, Ihre Zukunft ist offen. Wie und wo soll es weitergehen?
Vorab bin ich den Verantwortlichen mega dankbar, dass ich trotzdem weiterhin die Infrastruktur benutzen darf; das ist nicht selbstverständlich. Mein Ziel ist es, zurück aufs Eis zu kommen. Wenn ich das im Dress des EHCB machen könnte, umso besser. Das wäre dann schon fast ein kitschiges Märchen. Aber das hängt letztlich von vielen Faktoren ab und ich kenne auch das Hockeybusiness und bin deshalb realistisch.
 
Sprich, wäre ein Neustart in einer tieferen Liga realistischer?
Das Einzige, was ich momentan beeinflussen kann, ist meine Genesung. Ich werde alles daran setzen, bis im August so fit wie möglich zu sein. Erst dann wird der nächste Schritt folgen, nämlich, dass ich selbst entscheiden werde, was möglich ist.
 
Der Klub, egal welcher, ginge ein Risiko ein, nachdem Sie fast zwei Jahre nicht gespielt haben.
Ja, aber ich werde sicher nicht behaupten, dass ich topfit sei, wenn ich es nicht bin. Falls ich mich für eine Fortsetzung der Karriere entscheide, dann nur unter der Voraussetzung, dass ich meinen Job erfüllen kann.  
 
Aber kann man dann so ehrlich mit sich selbst sein und etwas loslassen, was einem so viel bedeutet?
Ich denke, dass ich das könnte, wenn ich merken würde, dass es nicht mehr geht. Das hat wohl auch damit zu tun, dass ich mich gut auf das Leben nach dem Eishockey vorbereitet fühle. Das verleiht mir eine gewisse Gelassenheit, nimmt Druck weg. Aber Stand jetzt habe ich wirklich ein gutes Gefühl, dass ich zurückkehren kann.
 
Welche berufliche Richtung möchten Sie denn einschlagen, wenn es soweit ist?
Wahrscheinlich etwas, das auf meinen Ausbildungen beruht (Marketing und Mental-Coaching, Anm. d. Red). Ich durfte während einer Saison zwei Bieler Junioren als Mentalcoach betreuen, das war eine gute Erfahrung. Aber grundsätzlich bin ich sehr offen. Das Wichtigste wird für mich sein, dass ich etwas finde, für das ich eine ähnliche Leidenschaft wie für das Eishockey entwickeln kann. Klar macht man sich da ab und zu Gedanken, aber momentan bin ich noch zu hundert Prozent Eishockeyspieler. Wenn ich jetzt schon zu konkrete Pläne hätte, würde ich gewissermassen schon mit dem Eishockey abschliessen – das wäre schlecht für meine Motivation, unbedingt nochmals spielen zu wollen.

Sie sind mit Ihrer Grösse und Ihrem Gewicht nicht der Prototyp eines Eishockeyspielers. War es dieser starke Wille, der Ihre Karriere geprägt und Sie von anderen talentierten Spielern abgehoben hat?
Ja, ich denke schon. Meine Arbeitseinstellung ist schon seit dem Juniorenalter sehr ausgeprägt. Mein Wille, es in Zug in die 1. Mannschaft zu schaffen, war extrem gross. Hinzu kommt, dass ich ein Teamplayer bin, was auch geholfen hat.  
 
Welche Rolle spielte Ihr älterer Bruder, der auch Eishockey spielte?
Eine grosse und entscheidende. Er war und ist meine erste Ansprechperson. Niemand kennt mich besser, er weiss genau, wie ich ticke und kann mir deshalb im richtigen Moment die nötigen Rückmeldungen geben. Das schätze ich sehr.
 
Mir ist zu Ohren gekommen, dass Sie Fussballer Ronaldo verehren, wie kommt’s?
Seine Leadership beeindruckt mich. Er übernimmt Verantwortung, reisst die ganze Mannschaft mit. Und sein Wille, Titel zu gewinnen, der Beste zu sein, ist riesig und hat in den Jahren nicht abgenommen. Zudem ist seine Körpersprache sensationell: Wenn er auf dem Platz steht, signalisiert er jedem Gegner seinen Siegeswillen – und das strahlt auch auf die Mitspieler aus.
 
Ist etwas in den letzten Jahren zu kurz gekommen, dass Sie nach der Karriere einmal nachholen wollen?
Ich würde gerne grössere Reisen unternehmen. Wenn du als Eishockeyspieler in die Ferien fährst, zählt einzig die Erholung. Du liegst auf dem Liegestuhl und bewegst dich keinen Meter (lacht). Aber konkrete Pläne habe ich nicht. Ich bin ein Mensch, der im Hier und Jetzt lebt.
 
Demnach ist Familienplanung auch noch kein Thema?
(schmunzelt) Das ist ähnlich wie mit meiner Eishockeykarriere: Die Zukunft ist völlig offen. Momentan bin ich niemandem etwas schuldig und konzentriere mich voll auf meine Reha. Aber klar, irgendwann könnte das sicher zum Thema werden.
 
Bereuen Sie etwas?
Nein. Ich bin zufrieden und glücklich mit meinem Leben, so wie es jetzt ist. Wenn ich etwas Vergangenes ändern könnte, dann selbstverständlich die Verletzungen. Die Knieverletzung 2014 in Ambri hat alles ausgelöst, jetzt kämpfe ich mit den Folgeschäden. Aber auch Verletzungen gehören zum Eishockey dazu, sie können die Grundlage für ein Comeback-Märchen sein (lacht).

**********************************

Zur Person
Geboren am 21. August 1989 (31-jährig)
Aufgewachsen in Jegenstorf, Mutter und Grosseltern stammen aus Biel, Bruder Dominic (33) spielte Eishockey in der NLB und 1. Liga, unter anderem für den SC Lyss. Heute ist er Assistenztrainer beim EHC Meinisberg
Junioren: HC Münchenbuchsee-Moosseedorf, SC Bern und EV Zug
Profis: 2007 - 2013 Zug, 2013 - 2015 Ambri-Piotta, seit 2015 Biel. Eigentlich hätte Lüthi 2013 nach Langnau gewechselt, doch weil die Emmentaler abstiegen, war sein Vertrag nichtig und er zog ins Tessin.
2014 reisst sich Lüthi das Innen- und Kreuzband, 2018 muss er sich erstmals am Fuss operieren lassen, 2019 folgt Operation an der Hüfte, 2020 weitere Eingriffe am Knie und am Fuss
Ausbildungen: KV, Marketingfachmann mit Eidg. Fachausweis, CAS Mentalcoach
Hobbys: Mentalcoaching, Sport allgemein, speziell Biken
bil

Nachrichten zu Aktuell »