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Eishockey

«Mein Sportchef-Herz würde bluten»

Martin Steinegger sind momentan die Hände gebunden. Eigentlich hätte der Sportchef des EHC Biel noch zwei Ausländerpositionen zu vergeben. Doch ob das wegen Corona reduzierte Budget dies zulässt, ist offen.

Martin Steinegger weiss nicht, ob er noch einen weiteren ausländischen Spieler verpflichten kann. copyright: Aimé Ehi/BT

Moritz Bill

«Es ist nicht das Heute und das Morgen, was mir Sorgen macht, sondern das Übermorgen.» Dieses Zitat von Martin Steinegger ist bald drei Monate alt, geäussert eine Woche nachdem die Saison wegen der Corona-Massnahmen abgebrochen worden war. Damals wusste der Sportchef des EHC Biel nicht, welches Budget ihm für die letzten beiden Transfers zur Verfügung steht. Da es sich dabei um zwei Ausländerpositionen handelt, war diese Ungewissheit umso bedeutender. Gute Import-Spieler machen in der ausgeglichenen Liga oft den kleinen, doch entscheidenden Unterschied aus.
Und heute? «Wir sind jetzt zwar einen Schritt weiter, im ‹morgen› von damals. Doch was noch kommt, können wir immer noch nicht abschätzen», sagt Steinegger. Es zeichnet sich aber ab, dass das Budget gesenkt werden muss (siehe Text unten). Ergo, steht weniger Geld für die Verpflichtung der beiden Ausländer zur Verfügung. «Ja», bestätigt Steinegger, «wir werden nicht denselben Betrag einsetzen können, der vor Covid-19 budgetiert war.» Rein sportlich betrachtet, bereite ihm dies aber nach wie vor keine Sorgen. «Ich habe keine Angst, dass plötzlich keine interessanten Spieler mehr auf dem Markt sein werden.» Alle Teams in Europa stünden vor ähnlichen Problemen. Der Standby-Modus führt zu wenig Aktivität auf dem Transfermarkt.

Entscheid am 24. Juni als Barometer
Gespannt wartet man beim EHC Biel auf den Entscheid des Bundesrats am 24. Juni bezüglich der Restriktionen für Grossanlässe. Als Barometer für die weitere Planung werde das einerseits schon helfen, sagt Steinegger. Er gibt aber andererseits zu Bedenken, dass der Fahrplan rasch rückgängig gemacht werden könnte, sollten die Fallzahlen der Ansteckungen zu einem späteren Zeitpunkt stark zunehmen. Die von den Sportklubs ersehnte Planungssicherheit – sie wird es auch Ende Juni nicht ohne Wenn und Aber geben.

Sportgeist versus Weitsicht
Mit Szenarien befasst man sich selbstverständlich trotzdem. Eines wäre, mit nur zwei oder drei anstatt vier Ausländern in die Meisterschaft zu starten. Darauf angesprochen, gelangt beim Ex-Spieler Steinegger der Sportgeist zum Vorschein. «Mein Sportchef-Herz würde bluten. Ich rege mich sonst schon höllisch auf, wenn wir verlieren.» Der Frust darüber, nicht aus den Vollen schöpfen zu können, wäre gross. Da hilft auch nicht, dass mögliche Konsequenzen nächste Saison sanfter sind als üblich, weil es keinen Absteiger geben wird (das BT berichtete). «Ich will unabhängig davon einfach jedes Spiel gewinnen.»
Das ist die Sicht des Sportchefs, Steinegger mahnt aber gleichzeitig, die Situation reflektiert zu betrachten. Es gehe vor allem anderen darum, mit einem angepassten Budget das nachhaltige Überleben des Klubs zu sichern. «Wir haben in den letzten Jahren etwas aufgebaut, das wir nicht einfach so aufs Spiel setzen dürfen.» Zudem sei die Verantwortung vielschichtig, betroffen ist nicht nur das Fanionteam, sondern viele andere Angestellte auch. Das Übermorgen – es macht immer noch Sorgen.

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Ein ausländischer Verteidiger hat Priorität

Wegen des unsicheren Budgets wartet Martin Steinegger ab (siehe Text oben). Dennoch macht er sich natürlich Gedanken, mit wem er die beiden offenen Ausländerpositionen besetzen könnte. Am liebsten würde der Sportchef des EHC Biel neben Marc-Antoine Pouliot (Center) und Toni Rajala (Flügel) mit einem weiteren Stürmer und einem Verteidiger das Ausländer-Quartett komplettieren. Liegt finanziell nur ein weiterer Import-Spieler drin, hätte der Verteidiger Priorität. Eine Weiterverpflichtung von Otso Rantakari oder Anssi Salmela scheint unwahrscheinlich. Mit Letzterem hat «Stoney» kürzlich telefoniert. «Er weiss noch nicht genau, was er will», sagt Steinegger. Der Jochbeinbruch Anfang Jahr hat dem 35-Jährigen zugesetzt und nimmt Einfluss auf den Entscheid ob, und wenn ja, wo Salmela seine Karriere fortsetzen will. Rantakari, der nach seiner Rückkehr nach Davos keinen neuen Vertrag von den Bündnern erhält, sei zwar auch ein Kandidat. «Doch sein Profil entspricht nicht exakt dem, was wir suchen», so Steinegger. Mit Yannick Rathgeb verfügen die Bieler bereits über einen Offensivverteidiger mit einem gefährlichen Schuss von der blauen Linie.
Nahezu optimal ins Anforderungsprofil passt hingegen Petteri Lindbohm. Der 26-Jährige, ebenfalls Finne, spielte die letzten beiden Saisons in Lausanne und ist jetzt auf dem Markt. «Er bringt die Qualitäten mit, die unseren Vorstellungen entsprechen. Seine physische Präsenz ist eindrücklich und er kann problemlos viel eingesetzt werden», sagt Steinegger. Letzte Saison stand Lindbohm im Schnitt knapp 21 Minuten pro Match auf dem Eis. Und auch seine Skorerwerte liessen sich sehen, 23 Punkte (8 Tore) in 50 Spielen. Steinegger hatte Kontakt mit Lindbohms Agenten, wobei er sich auch nach anderen Klienten erkundigte. «Wir haben uns ausgetauscht, ich habe unsere Situation dargelegt.» Eine Offerte habe man bis jetzt an niemanden ausgehändigt.
Von den drei mit Biel in Verbindung gebrachten Verteidigern aus Schweden Christian Djoos, Gustav Forsling und Joel Persson sind mittlerweile nur noch die Dienste von Forsling zu erwerben. Steinegger sagt: «Er wird wohl versuchen, wieder in der NHL unterzukommen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er zurück nach Europa kommt.»
Aber: Da die NHL-Playoffs Corona-bedingt voraussichtlich den Sommer hindurch ausgetragen werden, und sich somit der Start der nächsten Saison nach hinten verschieben würde, entstünde quasi ein neuer Markt. Denn Spieler von Teams, die nicht Playoffs spielen und keinen weiterlaufenden Vertrag besitzen, wären lange Zeit arbeitslos. Nicht unwahrscheinlich, dass sich der eine oder andere, dessen Aussichten auf einen neuen Vertrag begrenzt sind, für ein Überbrückungsjahr in Europa entscheidet. Darauf angesprochen sagt Steinegger: «Das ist mir auch schon durch den Kopf gegangen.» Aber allzu fest auf dieses Szenario spekulieren wolle er nicht. Zudem käme für ihn ein Engagement nur infrage, wenn sich ein Spieler für die ganze Saison verpflichten würde. Ein Spieler, der bloss die Zeit zum verschobenen Saisonstart überbrücken möchte, sprich, nach ein, zwei Monaten wieder weg wäre, sei keine Option, erklärt Steinegger.
Sollte auch ein weiterer Stürmer finanzierbar sein, schliesst der EHCB-Sportchef weiterhin nicht aus, dass es sich dabei um einen in der Tissot Arena Bekannten handeln könnte. Mit David Ullström war man in Biel sehr zufrieden. Der Schwede steigerte sich nach Startschwierigkeiten ansehnlich. «Wenn wir mit vier Ausländern in die Saison starten können, ist er ein Top-Kandidat», sagt Steinegger. bil

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Das Budget wird gekürzt

Der EHC Biel wird die abgebrochene Saison 2019/20 mit einem geschätzten Defizit von 300 000 Franken abschliessen. Diesen Fehlbetrag hatte der Klub schon unmittelbar nach dem abrupten Ende in etwa dieser Höhe beziffert (das BT berichtete). Das Defizit sei zu bewältigen, sagt Daniel Villard. Die Liquidität ist derzeit nicht gefährdet, auch weil im Mai und Juni vom grössten Kostenblock – den Spielersalären – keine Ausgaben anfielen. Die Verträge laufen über zwölf Monate, die Jahreslohnsumme wird aber in zehn Tranchen ausbezahlt. In den (auch vor Corona) umsatzschwachen Monaten Mai und Juni fallen für den Eishockeyklub somit die grössten Kosten weg. Zudem hat der Saisonabo-Verkauf begonnen, was Einnahmen generiert, Villard warnt jedoch: «Das ist sozusagen auf Pump, da wir dieses Geld zurückzahlen müssten, sollten keine Zuschauer zugelassen sein.»
Diese Ungewissheit rund um die anstehende Meisterschaft ist nach wie vor beunruhigend. Kann diese am 18. September wie vorgesehen beginnen oder wird der Start nach hinten verschoben, um Geisterspiele oder begrenzte Zuschauerzahlen zu vermeiden? Würde tatsächlich nicht im Normalbetrieb gespielt werden können, stiegen die Verluste rasch und stark an. Je nach Auflagen wären weitere Sitzplätze auf den Stehplatzrampen eine Option, wie es der SC Bern prüft. In der Tissot Arena, einer Multifunktionshalle, wäre das ohne allzu grossen Mehraufwand möglich. Villard sagt: «Wir werden alles daran setzen, etwaige Auflagen zu erfüllen, damit wir vor Publikum spielen können. Doch zum jetzigen Zeitpunkt bringt es nichts, zu spekulieren. Wir müssen abwarten.» Auf der Heimfans-Rampe (1500 Stehplätze) könnten 640 Sitze installiert werden, auf jener der Gästefans knapp 200.
Aufgrund der vielen Unsicherheiten wird der EHCB sein Budget für kommende Saison kürzen müssen, im Optimalfall «nur» um 2 Millionen Franken (letzte Saison 17,2 Millionen). Der Klub versucht vielerorts, Einsparungen vorzunehmen und wird wohl auch nicht um eine Lohnkürzung bei den Spielern herumkommen. Die Klubführung hat sich bereits vor Längerem mit drei Repräsentanten der Mannschaft zu einem Austausch getroffen und ihnen die Zahlen offengelegt. «Sie verstehen unsere Situation, ihre Reaktion war positiv.» Sich jetzt schon auf genaue Beträge zu einigen, sei aber verfrüht. Denn momentan ist der Schaden noch nicht beziffert. bil

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