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Eishockey

Van Pottelberghes Medien-Boykott

Wenn der EHC Biel heute gegen Lausanne in die Meisterschaft startet, werden die Augen vor allem auf ihn gerichtet sein. Joren van Pottelberghe, der neue Goalie, weiss um diesen Druck – darüber lesen will er aber nichts.

Die Legende auf der Maske: Joren van Pottelberghes Helm ziert ein Abbild von Olivier Anken. «Eigentlich wollte ich die Rückennummer 30. Da diese aber gesperrt ist, habe ich sie mit Anken nun immerhin auf dem Helm.» copyright: Matthias Käser/BT

Moritz Bill

Torhüter gehören einer eigenen Spezies an. Schon bloss durch ihre gigantische Montur unterscheiden sie sich vom Rest des Teams. Ihre einzige, simpel klingende, doch schwierig zu bewerkstelligende Aufgabe – das Tore verhindern – grenzt sie zusätzlich ab. Natürlich also, sind die Goalies keine Normalos. Wer sich, egal in welcher Sportart, freiwillig ins Tor stellt, muss schon ein bisschen masochistisch veranlagt sein. Der Grat zwischen Held und Depp ist äusserst schmal.  

Im Eishockey im Speziellen. Hier nennt man die Torhüter auch «Mister 50 Prozent». Während den Playoffs schätzen Fachleute diese prozentuale Abhängigkeit einer Mannschaft von ihrem Schlussmann sogar noch höher ein. Kein Wunder also, versetzen sich die allermeisten Goalies vor und während eines Spiels in eine Art Trance-Zustand. Möglichst alle Ausseneinflüsse, die der Konzentration schädlich sein könnten, sollen eliminiert werden. Das Mentale: Es separiert die guten von den besten Torhütern.

Diesbezüglich tickt Joren van Pottelberghe nicht anders. Der neue Goalie des EHC Biel geht aber noch einen Schritt weiter. Er lässt auch abseits des Eishockeyfelds nichts an sich ran, das ihn ablenken könnte. «Ich lese nie, was über mich oder den Klub in den Zeitungen berichtet wird. Auch in den Sozialen Medien schaue ich mir keine Kommentare an», sagt van Pottelberghe. Das ist an sich nichts extrem Aussergewöhnliches. Viele Sportler handhaben das gleich (oder behaupten es zumindest).

Der TV bleibt stumm
Doch der Medien-Boykott des 23-Jährigen ist noch radikaler: Er schaut sich nach einem Spiel zwar die Highlights im TV an, doch sobald sein Team an der Reihe ist, stellt er den Ton stumm – zwischen zwei Matches einer Doppelrunde auch während des Beitrags des nächsten Gegners. Nicht, dass er plötzlich etwas hört, das seine Vorbereitung stören könnte. Sogar wenn er ein Interview zur Kontrolle erhält, reicht er es der Freundin weiter, anstatt es selbst gegenzulesen. «Da bin ich schon ein bisschen pingelig», gibt der Zentralschweizer zu.
Dieser Abstinenz würden keine negativen Erfahrungen zugrunde liegen, sagt van Pottelberghe. Seit er auf Profistufe spielt, fährt er gut damit und will daran nichts ändern. «Mir ist wichtig, was der Goalie-Coach und das Team denken. Die Meinungen anderer interessieren mich nicht. Ich will mich nicht von aussen ablenken lassen.»

Man kann das übertrieben finden. Doch in den letzten Tagen war das selbstauferlegte Medienverbot sicherlich nicht verkehrt. In vielen Redaktionsstuben waren die Meinungen schnell zu Papier gebracht oder online gestellt worden: Jonas Hillers Fussstapfen seien mindestens eine Nummer zu gross für Joren van Pottelberghe. Dass dieser Vergleich mit dem Alten gezogen wird, weiss  der Neue natürlich – auch wenn er keine Zeitungen liest. Denn danach gefragt wird er allemal. Einen gewissen Druck löse das schon aus, «doch sobald ich auf dem Eis bin, kann ich das ausblenden».

Alles Kopfsache?
Wie er mit den Erwartungen in seine Person umzugehen vermag, dürfte entscheidend dabei sein, ob er diese erfüllen kann. Wie erwähnt: Die mentalen Fähigkeiten spielen bei den Torhütern eine übergeordnete Rolle. Und manchmal ist man sich vielleicht gar nicht ganz bewusst, was sich im Kopf alles abspielt. Weil während der Vorbereitung war auffallend, dass van Pottelberghe just ab dem Moment eine Leistungssteigerung vollbrachte, als mit Elien Paupe sein Konkurrent verletzt ausfiel. Denn ein Druck besteht nicht nur von aussen, auch das interne Goalie-Duell ist eine mentale Herausforderung. Zufall? «JVP» antwortet: «Vielleicht war das im Hinterkopf. Doch konkret überlegt habe ich mir das nicht. Anfangs war ja auch nicht klar, wie lange Elien überhaupt ausfallen würde.»
Grundsätzlich schöpft van Pottelberghe Motivation aus dem Zweikampf um die Nummer 1. Seine Profikarriere war bisher geprägt davon. Zuletzt hatte er zusammen mit Sandro Aeschlimann das Goalie-Tandem des HC Davos gebildet. Doch er erzählt auch mit leuchtenden Augen von der vorletzten Saison, als er, ausgeliehen an Kloten, plötzlich Stammgoalie war. «Das ist schon nochmals ein anders, geiles Gefühl. Das ist mein Ziel, darauf kämpfe ich hin.»

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Endlich im eigenen Bett
Joren van Pottelberghe hatte einen harten Einstieg im Seeland. Aber nicht etwa im Training, sondern im neuen Heim. Der aus Davos gekommene Goalie zügelte während des Lockdowns nach Pieterlen, viele Läden waren geschlossen. Deshalb musste «JVP» zwei Monate auf einer Matratze am Boden schlafen. «Ich wollte Bett und Sofa vor dem Kauf testen, das ist mir wichtig. Einfach online zu bestellen, kam nicht infrage.»

Dass van Pottelberghe schweizerisch-belgischer Doppelbürger ist, ist einem Zufall, oder je nach Interpretation dem Schicksal geschuldet.
Seine Eltern, beide aus Belgien, waren einst unabhängig voneinander der Arbeit wegen in die Schweiz gezogen.
Die Physiotherapeutin und der Physiotherapeut heuerten in derselben Praxis an und lernten sich kennen und lieben.   bil

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Forster noch gesperrt
Beat Forster sitzt heute seine Spielsperre ab. Der Bieler Verteidiger hatte im letzten Spiel der vergangenen Saison gegen die SCL Tigers Robbie Earl attackiert. Der Zeitpunkt kommt dem EHC Biel entgegen:Forster ist ohnehin krank und war letzte Woche wegen einer Kniereizung geschont worden.
Weiter fehlen die verletzten Fabian Lüthi und Elien Paupe. Gilian Kohler dürfte im Cup am Sonntag sein Comeback geben.
Sämtliche Spieler und Staff-Mitglieder der zwölf NL-Klubs sowie die Schiedsrichter wurden diese Woche auf Covid-19 getestet – alle Test fielen negativ aus.
Die Aufstellung gestern im Training: van Pottelberghe; Fey, Rathgeb; Moser, Kreis; Ulmer, Lindbohm; Sartori; Hügli, Pouliot, Rajala; Brunner, Cunti, Künzle; Fuchs, Ullström, Hofer; Kessler, Gustafsson, Tanner; Nussaumer. bil

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Auch die Bieler verzichten auf Lohn

Die Spieler des EHC Biel haben gestern der vom Klub vorgeschlagenen Lohnreduktion zugestimmt. Auf welchen Betrag sie genau verzichten, wird nicht kommuniziert. Es dürfte sich um rund 20 Prozent handeln.

Lange hatte es sich abgezeichnet, gestern teilte der EHC Biel den Lohnverzicht auf seiner Website mit. «Aufgrund der anhaltenden Covid-19-Krise, und den damit verbundenen massiven Ertragsausfällen in allen Bereichen unserer Organisation, hat die 1. Mannschaft den vom Klub vorgelegten Vorschlag einer Lohnreduktion akzeptiert», schreibt der Klub. Und: Die Lohneinsparungen würden helfen, das Budgetdefizit von rund 1,7 Millionen Franken für die laufende Saison um einen beträchtlichen Teil zu reduzieren.

Wie beträchtlich dieser Teil in Ziffern ist, kommentiert Daniel Villard auf Anfrage nicht. «Im Einverständnis mit den Spielern nennen wir keine Zahlen.» Der Geschäftsführer lässt aber durchblicken, dass damit «ein grosser Teil» des budgetierten Defizits reduziert werden kann.

Man kann davon ausgehen, dass die Lohneinbussen des EHCB im ähnlichen Rahmen wie jene bei der Konkurrenz ausfallen. Andere Klubs haben den prozentualen Lohnverzicht öffentlich bekannt gegeben, in der Regel beträgt er zwischen 15 und 25 Prozent.

Progressiver Abzug
Der Abzug fällt analog der Steuern progressiv, also einkommensabhängig aus. Junge Spieler mit einem bescheidenen Salär seien gar nicht betroffen, bestätigt Villard. Ebenso wird der Sparstift nicht beim Personal des Klubs, wie zum Beispiel den Büroangestellten, angesetzt. Auch der Trainerstab ist nicht betroffen – vorerst. Weitere Sparmassnahmen könnten in einer nächsten Phase vollzogen werden.

Nun wird die weitere Entwicklung abgewartet. Vieles hängt davon ab, ob die aktuell limitierte Zuschauerzahl von 3777 bestehen bleibt. Sollten die Ertragsausfälle des Klubs je nachdem tiefer ausfallen, besteht für die Spieler die Möglichkeit, einen Teils des Lohns zurückzugewinnen – sozusagen eine Prämie, wenn denn auch der sportliche Erfolg eintritt. Villard sagt aber auch:«Momentan sind die üblichen Playoff-Prämien nicht betroffen. Jedoch weiss die Mannschaft, dass wir die Gehälter erneut überprüfen müssen, wenn sich unsere Finanzen aufgrund neuer Richtlinien weiter verschlechtern sollten.»

Weitere Verhandlungen könnten also nötig werden. Sollten sie ähnlich verlaufen wie die aktuellen, stehen die Chancen gut, dass sich die beiden Parteien erneut finden. Villard sagt:«Wir haben offen und konstruktiv diskutiert. Das Team ist sich unserer Situation bewusst.» Und Neo-Captain Kevin Fey sagt:«Für uns Spieler war von Anfang an klar, dass wir solidarisch zu unserem Verein stehen. Gemeinsam wollen wir diese schwierigen Zeiten überwinden, ohne die gemeinsamen Ziele aus den Augen zu verlieren.» Fey hatte letzte Woche angekündigt, die Lohndiskussionen unbedingt vor dem Saisonstart abschliessen zu wollen. Das ist nun gelungen. bil

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