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Titelgeschichte

Seinen Wurzeln treu geblieben

Das 800-Seelen-Dorf Gerolfingen ist zwar keine eigenständige Gemeinde mehr. Dennoch findet sich hier eine eingeschworene Dorfgemeinschaft, die ihre Traditionen hochhält – und auch in Sachen Kulinarik einiges zu bieten hat.

  • 1/25 Das Fischer- und Bauerndorf Gerolfingen. Copyright: Anne-Camille Vaucher
  • 2/25 Fritz Kocher, David Küffer, Hansruedi Laubscher und Hanspeter Küffer (von links). Copyright: Anne-Camille Vaucher
  • 3/25 Das Restaurant Züttel zu früheren Zeiten. Copyright: Anne-Camille Vaucher
  • 4/25 Wirtepaar Roland und Karin Züttel. Copyright: Anne-Camille Vaucher
  • 5/25 Bahnhof von Gerolfingen. Copyright: Anne-Camille Vaucher
  • 6/25 Suurchabis-Produktion in der Dreyer AG. Copyright: Anne-Camille Vaucher
  • 7/25 Suurchabis-Produktin in der Dreyer AG. Copyright: Anne-Camille Vaucher
  • 8/25 David Dreyer, Geschäftsführer der Dreyer AG. Copyright: Anne-Camille Vaucher
  • 9/25
  • 10/25 Ausblick vom "Oberdorf" von Gerolfingen. Copyright: Anne-Camille Vaucher
  • 11/25 Obstplantagen in Gerolfingen. Copyright: Anne-Camille Vaucher
  • 12/25 Obstplantagen in Gerolfingen. Copyright: Anne-Camille Vaucher
  • 13/25 Daniel Weber, Obstproduzent. Copyright: Anne-Camille Vaucher
  • 14/25 Obstplantagen in Gerolfingen. Copyright: Anne-Camille Vaucher
  • 15/25 Ausblick vom Seeufer von Gerolfingen. Copyright: Anne-Camille Vaucher
  • 16/25 Am Spazierweg am Seeufer von Gerolfingen. Copyright: Anne-Camille Vaucher
  • 17/25 Ausblick vom Seeufer von Gerolfingen. Copyright: Anne-Camille Vaucher
  • 18/25 Fischerhäuschen am Seeufer von Gerolfingen. Copyright: Anne-Camille Vaucher
  • 19/25 Die gesamte Truppe des BT-Rundgangs vereint. Copyright: Anne-Camille Vaucher
  • 20/25 Stefan Dasen, Berufsfische.r Copyright: Anne-Camille Vaucher
  • 21/25 Stephan Laubscher, Gemüseproduzent. Copyright: Anne-Camille Vaucher
  • 22/25 Fritteuse für Fischspezialitäten. Copyright: Anne-Camille Vaucher
  • 23/25 "Gerlefinger Härdöpfuchueche" von Stefan Dasen. Copyright: Anne-Camille Vaucher
  • 24/25 "Brachsme", Fischspezialität, auch "Meitschibei" genannt. Copyright: Anne-Camille Vaucher
  • 25/25 David Küffer, Hansruedi Laubscher und Fritz Kocher singen ein Ständchen. Copyright: Anne-Camille Vaucher
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Text: Jana Tálos
Bilder:Anne-Camille Vaucher

«Jetzt hört aber mal auf, ständig von diesem Turnverein zu reden», ruft David Küffer mahnend in die Runde. «Heute geht es um Gerolfingen, nicht um Täuffelen!» Diesen Satz wird er an jenem Morgen noch einige Male wiederholen. 

Zwar hat der diplomierte Betriebswirtschafter, der am Bundesamt für Sport in Magglingen als Leiter Einkauf und Logistik arbeitet,  mit Hansruedi Laubscher, Fritz Kocher und seinem Vater Hanspeter Küffer gleich drei Gerolfinger Urgesteine zum Rundgang mit dem BT aufgeboten. Doch auch den Pensionären scheint es nicht immer leicht zu fallen, sich klar von ihren Nachbarinnen und Nachbarn abzugrenzen. Kein Wunder eigentlich, liegt die Fusion von Täuffelen-Gerolfingen doch bereits so lange zurück, dass nicht einmal mehr die Behörden genau wissen, wann diese vollzogen wurde (siehe Zweittext auf Seite 24).

Trotzdem, und davon sind die vier «Gerlefinger», wie sich die Dorfbevölkerung hier nennt, überzeugt: Genauso wie Lobsigen nicht gleich Seedorf ist, ist auch Gerolfingen nicht gleich Täuffelen, allein schon des Charakters wegen. «Seit die Laubschers da oben die Fabrik gebaut haben, ist Täuffelen immer mehr zu einem Industriedorf geworden», sagt Fritz Kocher, und spielt dabei auf die Laubscher Präzision AG an, in der seit 1846 Drehteile, zum Beispiel für die Uhrenindustrie, hergestellt werden. Gerolfingen hingegen, da sind sich die vier einig, ist seinen Wurzeln als Bauern- und Fischerdorf bis heute treu geblieben: «Gleich zwei der insgesamt acht Berufsfischer am Bielersee sind hier stationiert», sagt David Küffer nicht ohne Stolz. Nebst einem Milchbauern fänden sich zudem noch sieben Obst- und Gemüsebauern in dem 800-Seelen-Dorf.

Der verlorene Treffpunkt

Was den Charakter eines Bauern- und Fischerdorfs ausmacht, und warum sie alle fast schon ihr ganzes Leben hier wohnen, das wollen die vier Männer dem BT nun im Rahmen der Serie «Mini Beiz, mi Verein, mis Dorf» genauer erklären. Gestartet wird erst einmal mit einem «Kafi», und zwar in einer Beiz, die den BT-Leserinnen und -Lesern spätestens seit letztem Monat bekannt sein dürfte: das Restaurant Züttel und einstige «Zu den drei Schwänen», direkt am Bahnhof von Gerolfingen.

Die Traditionsbeiz, die von Karin und Roland Züttel in dritter Generation geführt wird, schliesst im kommenden Juni nach 90 Jahren für immer seine Türen (siehe BT vom 23. Oktober). Weil es an der Hauptstrasse sowie am Bahnhof der BTI-Bahn zu baulichen Veränderungen kommt, wird das Haus der Züttels abgerissen. «Wir haben uns lange dagegen gewehrt, aber irgendwann ist halt Schluss», sagt Roland Züttel, als er sich zu der Gruppe im Saal dazusetzt. Er wirkt ernüchtert, aber irgendwie auch gefasst. Seine Frau und er scheinen den Entscheid akzeptiert zu haben.

Für Gerolfingen ist die Schliessung des letzten Restaurants im Dorf gleich ein doppelter Verlust: Nebst dem Kulinarischen war das «Züttel» für die Dorfgemeinschaft ein wichtiger Treffpunkt, vor allem auch für die Vereine, die im und rund ums Dorf angesiedelt sind. «Ich habe fast jeden Abend eine andere Gruppe hier», bestätigt Roland Züttel. So etwa den eingangs erwähnten Turnverein von Täuffelen, der hier seine Vorstandssitzungen abhält. Aber auch der Männerchor Eintracht Gerolfingen, nebst den Feldschützen der letzte erhalten gebliebene Verein im Dorf, ist hier stationiert. Sie alle müssen sich nun eine neue Bleibe suchen.

«Das hat halt Tradition»

Die Küffers, Fritz Kocher und Hansruedi Laubscher sind jedoch nicht hierhergekommen, um Trübsal zu blasen. Im Gegenteil: Sie wollen der BT-Journalistin und der Fotografin den Männerchor vorstellen, der, wie sie sagen, ein wesentlicher Teil des Dorflebens ist und seit über 125 Jahren besteht.

Im «Einerreiheli» geht es deshalb durch einen Gang in die rechte Hälfte des Hauses, ins sogenannte «Säli» des «Züttel». Wenn nicht gerade Corona ist, treffen sich hier, auf der kleinen Bühne mit Vorhang, einmal in der Woche 22 Sänger zur Probe. Auch Hansruedi Laubscher, Fritz Kocher und David Küffer gehören dazu. Letzterer ist mit seinen 39 Jahren sogar das jüngste Mitglied des Vereins. «Das Singen hat mir schon früher gefallen, und ich habe immer wieder davon gesprochen, dass ich beim Chor mitmachen möchte», sagt David Küffer. Irgendwann, nachdem er zurück nach Gerolfingen gezogen sei, habe seine Frau dann gesagt: «Also los, jetzt gehst du.» Seither sei er Mitglied. «Und er macht es gut», bestätigt Hansruedi Laubscher schmunzelnd.

Bei ihm und Fritz Kocher verlief der Eintritt in den Verein etwas anders. «Früher hiess es einfach, der Vater ist dort, also gehst du auch hin», sagt Laubscher. «Der Männerchor hat Tradition, da trifft man sich halt», meint Kocher. Und was ist mit den Frauen? Wo gehen die hin, wenn sie nicht zu den Feldschützen und Feldschützinnen wollen? «Es gibt noch die Trachtengruppe Täuffelen-Gerolfingen», sagt Hansruedi Laubscher nach kurzem Überlegen. Die «Gerlefingerinnen» würden aber auch bei den Anlässen des Männerchors tatkräftig mithelfen, so etwa beim alljährlichen Theater, für das der Chor «weit über die Grenzen des Seelands hinaus» bekannt sei.

Beverly Hills von Gerolfingen

Nach der Präsentation der Vereinsfahne und ein paar Fotos auf der Bühne ist der Punkt «Freizeit» für den Rundgang abgehakt. Nun geht es wieder zurück ins Restaurant, wo auf einem Tisch bereits sechs Gläser Weisswein bereitstehen. «Wir sind aber schon etwas spät dran», bemerkt Hansruedi Laubscher und blickt besorgt auf seine Uhr. «Dafür bleibt schon noch Zeit», entgegnet David Küffer, schnappt sich ein Glas und prostet den anderen zu – schliesslich begibt man sich nicht alle Tage in trauter Runde auf einen Rundgang durchs Dorf.

Ein paar Schlucke später und nachdem sich die Gruppe von Karin und Roland Züttel verabschiedet hat, geht es weiter in Richtung «Oberdorf», den Teil von Gerolfingen, der oberhalb der Hauptstrasse liegt. «Das ist sozusagen unser Beverly Hills», scherzt Hanspeter Küffer. Viele der Häuser hier oben sind neuere Bauten, teilweise auch Villen, weshalb sein Vergleich nicht ganz unzutreffend scheint.

«Wir Alteingesessenen wohnen eher im Unterdorf, wo auch der ursprüngliche Dorfkern liegt», ergänzt Hansruedi Laubscher. Hier oben seien vor allem die Zugezogenen, von denen sowohl er als auch die anderen drei nur die wenige persönlich kennen.

Die «Suurchabis»-Fabrik

Einen, den sie alle kennen, ist David Dreyer von der Dreyer AG. Der Geschäftsführer der einzigen Fabrik im Dorf blickt bereits erwartungsvoll durch die Scheibe seines Büros, als die Gruppe die Strasse hochkommt.

Dreyer führt das Unternehmen, das nebst Früchte- und Gemüselieferungen vor allem für seinen «Suurchabis» bekannt ist, bereits in vierter Generation. Als die Gruppe vor dem Gebäude eintrifft, fährt gerade ein Wagen voll beladen mit Kohlköpfen die Einfahrt hoch. «Wir befinden uns am Ende der Einmachsaison», sagt Dreyer. Diese dauere jeweils von August bis Ende November, während der Verkauf des «Suurchabis» bis Ostern weitergehe. «Andere Nationen essen das ganze Jahr über Suurchabis», sagt Dreyer und grinst. Die Schweizerinnen und Schweizer seien da ein wenig anders gepolt.

Seine Kohlköpfe bezieht Dreyer von zwölf Bauern im Umkreis von 15 Kilometern. In der Fabrik werden sie gewaschen, gerüstet und eingemacht. «Unsere Hauptabnehmer sind die Detailhändler», sagt Dreyer. Es gebe aber auch Leute im Dorf, die den gewaschenen Kohl abholen, und ihn selbst einmachen. «Das hat hier sogar grosse Tradition», wirft David Küffer ein, der ebenfalls dieser Gruppe von Leuten angehört. Schon seine Grossmutter, deren Haus er vor einer Weile übernommen hat, habe das so praktiziert. Und wer hat nicht schon gerne seinen eigenen «Suurchabis» im Keller?

«Wollt ihr ein Apéro?»

Nach einem Rundgang über das Gelände der Dreyer AG und dem Bestaunen der grossen Mengen an Kohlköpfen, die hier über das Fliessband rasseln, bewegt sich die Gruppe nun weiter den Hügel hoch. Am höchsten Punkt des Dorfes bietet sich ein fantastischer Ausblick auf den See und die darüber liegenden Obstplantagen, die Besucherinnen und Besuchern bereits während der Fahrt im BTI-Bähnli auffallen.

Lange wollen die vier Herren hier trotzdem nicht verweilen: Es zieht sie abwärts, ins «Unterdorf». Dass sie hier unten keine Unbekannten sind, zeigt sich denn auch schon wenige Meter, nachdem die Gruppe die Hauptstrasse wieder passiert hat: Von einem Hof winkt ihnen eine Frau entgegen. «Wollt ihr ein Apéro?», fragt sie.

Während Fritz Kocher, David und Hanspeter Küffer sich nicht zweimal bitten lassen, wirft Hansruedi Laubscher erneut einen besorgten Blick auf die Uhr. Schliesslich lässt auch er sich überreden. Zwei Minuten später steht die Gruppe erneut vor vier Gläsern. Marianne Kuchen, die Besitzerin des Hofes, stellt eine Flasche Weisswein auf den Tisch.

Ideales Klima für Obst

Wie alle anderen hier ist auch die Gastgeberin eine waschechte «Gerlefingerin» und geborene Laubscher, nebst Küffer und Dasen eines der am weitesten verbreiteten Geschlechter hier im Dorf. Auf die Frage, warum auch sie schon ihr ganzes Leben hier ist, antwortet sie kurz und knapp: «Einmal Gerolfingen, immer Gerolfingen.» Die anderen nicken bedächtig. Man scheint sich einig, dass es für keinen von ihnen auch nur einen Grund gibt, irgendwann von hier wegzugehen.

Unterdessen hat sich noch ein weiterer «Gerlefinger» zur Gruppe dazugesellt: Jörg Weber, gemeinsam mit seinem Bruder Daniel Weber der grösste Obstproduzent im Dorf. Die Obstplantagen, die sich soeben noch vom «Oberdorf» aus haben bestaunen lassen, gehören ebenfalls den Webers. «Wir bauen vor allem Kirschen an, zwischen 16 und 17 Sorten», erzählt der Obstbauer. Aber auch Äpfel, Birnen, Aprikosen und Zwetschgen stehen bei Webers im Angebot.

Dass es in Gerolfingen viele Obstbauern gibt, kommt nicht von ungefähr. Während an den Südhängen am linken Bielerseeufer ideale Bedingungen für Reben vorherrschen, findet sich hier dank des Sees das ideale Klima für Obst, das die «Bluescht» im Frühling nicht gefrieren lässt. «Mein Urgrossonkel hat mit den Kirschen angefangen, damals noch alles Hochstämmer von der St. Petersinsel», erzählt Jörg Weber. Heute seien von diesen «Inselkirschen» nur noch wenige Exemplare im Einsatz. Die Gebrüder Weber setzen auf Niederstammanlagen und ganz verschiedene Sorten, deren Reihen sich bis ans Seeufer hinab und zum Campingplatz der Unia ziehen.

Geschichtsstunde am See

Genau bei diesem Campingplatz liegt auch das nächste Ziel der Gruppe. Nachdem sich alle von Marianne Kuchen verabschiedet haben, geht es gemeinsam mit Jörg Weber hinunter an den See, «ins Naherholungsgebiet der Gerolfinger», wie Hanspeter Küffer erklärt. Der Spazierweg hinter dem Campingplatz am Seeufer grenzt direkt an das Naturschutzgebiet Mörigenbucht, in dem vor allem Wasservögel Zuflucht finden. Aus dem Schilf dringen neben dem Plätschern des Sees die Rufe von Enten, Blässhühnern und Haubentauchern zu der Gruppe hinüber. Dass sich hier Natur geniessen lässt, davon ist auch das BT-Team schnell überzeugt.

Etwas weiter unten am See befindet sich das «Gmeinsplätzli» der Gerolfingerinnen und Gerolfinger. Und nun ist es Hansruedi Laubscher, der aus seinem Rucksack eine Flasche Weisswein und einige Becher auspackt und den Anwesenden in die Finger drückt. Der Zwischenstopp hat aber auch noch einen anderen Grund: Die mittlerweile fünf «Gerlefinger» nutzen die Gelegenheit, um etwas Historisches über ihr Dorf zu erzählen:

Hier am «Gmeinsplätzli» habe es früher nämlich noch einen Damm gegeben. Einmal im Jahr seien jeweils die Berner vorbeigekommen, hätten auf dem Hof der Familie Weber, der damals noch ein Gasthof war, übernachtet, und seien anschliessend von diesem Damm aus mit ihren Schiffen auf die andere Seite des Sees gerudert. «Von dort aus haben sie dann im ganzen Jura die Steuern eingetrieben, meistens Fleisch oder Wein», wie Hansruedi Laubscher weiss. Tage später seien sie dann vollbepackt wieder hierher zurückgekehrt und mit Pferd und Wagen nach Bern geritten. Ob auch die Gerolfinger jeweils etwas von dem schweren Gepäck abbekommen haben? Es wäre jedenfalls eine Erklärung dafür, warum einige von ihnen bis heute dem Wein vom anderen Seeufer verfallen sind.

Vom Schlitteln und Altwerden

Etwa zehn Minuten später trifft die mittlerweile ziemlich lustige Gruppe bei der Berufsfischerei Dasen, einem kleinen Häuschen am Seeufer mit eigenem Damm und Hafen, ein. Dort werden sie bereits von zwei weiteren «Gerlefinger» erwartet: Stefan Dasen, einer der beiden Berufsfischer, die hier stationiert sind, und Stephan Laubscher, der Bruder von Marianne Kuchen und Gemüsebauer im Dorf.

Eigentlich hätte Stefan Dasen nun noch ein wenig über die Berufsfischerei erzählen wollen. Doch die Zeit drängt, die vier Stunden, die man sich für den Rundgang als Ziel gesetzt hat, sind bald um. Also geht es nun direkt wieder hoch, zum Endpunkt der Tour: dem Hof von Stephan Laubscher, bei dem die «Gerlefinger» für das BT-Team noch eine Überraschung parat haben.

Die Zeit unterwegs lässt die Gruppe nicht ungenutzt. So erzählen Jörg Weber, Stephan Laubscher, Hansruedi Laubscher, David und Hanspeter Küffer und Fritz Kocher fröhlich von den alten Zeiten, als sie den Hang, an dem sie gerade hochlaufen, noch als Schlittelpiste benutzt haben. Oder davon, wie alt die Menschen hier in Gerolfingen werden: Eine Nachbarin von Stephan Laubscher sei gerade erst mit 100 Jahren in ein Altersheim umgezogen. Und auch der Grossvater von Jörg Weber hat lange gelebt: Erst vor Kurzem ist er mit 102 Jahren gestorben.

Die Sache mit den Spitznamen

Als die Gruppe beim Hof von Stephan Laubscher eintrifft, werden sie auf dessen Terrasse hinter dem Haus erneut von Stefan Dasen in Empfang genommen. Der Fischer ist in der Zwischenzeit mit seinem Wagen hochgefahren und hat bereits begonnen, die angekündigte Überraschung vorzubereiten. Die brutzelnde Fritteuse unter dem Unterstand und die Weingläser auf den coronakonform verteilten Stehtischen lassen erahnen, in welche Richtung es gehen könnte.

Während sich Hansruedi Laubscher, Fritz Kocher, Jörg Weber und die Küffers bereits dem Rotwein widmen, den Stephan Laubscher aus dem Keller geholt hat, nutzt dieser die Wartezeit, um der BT-Journalistin und der Fotografin noch schnell seinen Betrieb zu zeigen. Durch eine Hintertür geht es in den Hofladen. Hier verkaufen er und seine Frau Susanne jeweils am Montagnachmittag und am Freitag Früchte, Gemüse, Brot und Kartoffeln, aber auch Spezielles, wie aktuell etwa selbst angepflanzten Kurkuma.

Am Samstag geht das Paar jeweils auf den Markt von Sonceboz, eine Tradition, die noch Stephan Laubschers Vater initiiert hatte. Sein Urgrossvater und sein Vater seien beide aber auch noch bei der Post angestellt gewesen. Aus diesem Grund nennt man Stephan Laubscher im Dorf bis heute auch «Briefträgers-Wältus-Jung»: «Die meisten von uns hier im Dorf tragen solche Spitznamen, weil viele den gleichen Nachnamen tragen», erklärt er. Auch Hansruedi «Pfuffi» Laubscher und Hanspeter «Güggu» Küffer tragen welche. David Küffer werde manchmal «dr chly Güggu» genannt.

Ein Ständchen zum Schluss

In der Zwischenzeit ist die Überraschung fertig geworden. Mit der Hilfe von Stephan Laubscher und dessen Frau Susanne tischt Stefan Dasen nun eine Köstlichkeit nach der anderen auf die bereitgestellten Stehtische: Frittierte Egli, einen originalen «Gerlefinger Härdöpfuchueche», selbst gebackenes Brot und noch eine weitere Gerolfinger Spezialität: die «Brachsme», für die früher auch das Restaurant Züttel weitherum bekannt gewesen sein soll.

Der «Härdöpfuchueche», den man auch sonst vom rechten Bielerseeufer kennt, sei im Gegensatz zu denen in anderen Dörfern hier in Gerolfingen besonders saftig. «Deshalb rollen wir ihn auch», erklärt Stefan Dasen, der als gelernter Konditor das Rezept seiner Grossmutter verfeinert hat und es auch prompt dem BT-Team zur Publikation zur Verfügung stellt (siehe Infobox). Die «Brachsme» sind schon etwas gewöhnungsbedürftiger – die meisten hier nennen sie «Meitschibei», weil ihre Gräte wie zwei lange Beine aussehen. «Früher hat man die noch oft gegessen», sagt Stefan Dasen. Heute sei es eher Beifang, den er nur zu Anlässen wie heute auftischt.

Während sich nun die gesamte Gruppe genussvoll den Bauch vollschlägt und man auch noch mit dem Rotwein angestossen hat, machen sich David Küffer, Fritz Kocher und Hansruedi Laubscher bereit für den Abschluss des Rundgangs: Ein Ständchen für das BT-Team.

Die drei stellen ihre Gläser ab, reihen sich nebeneinander auf und schon wenige Sekunden später klingt aus ihren Kehlen der «Bajazzo», ein traditionelles Männerchor-Lied, das an so manchem Volksmusik-Anlass für Begeisterung sorgt. Für das BT-Team steht spätestens jetzt fest: Die «Gerlefingerinnen» und «Gerlefinger» sind eine Gemeinschaft, die ihre Traditionen hochhält. Und sie lassen keinen Zweifel daran, dass das auch noch für eine Weile so bleiben darf.

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Vereint, aber doch nicht ganz

Wann genau Gerolfingen und Täuffelen zu einer Gemeinde vereint wurden, ist selbst den Behörden nicht genau bekannt. Erstmals urkundlich erwähnt wurde Gerolfingen (damals «Gerlavingen» genannt) im 14. Jahrhundert, Täuffelen (damals «Chauffalie» oder «Choufalie» genannt) im 13. Jahrhundert, wie 1991 in einer Ausgabe des «Blitz» nachzulesen ist.

1368 wurden die Dörfer erstmals gemeinsam genannt, nun als «Gerlafingen» und «Töiffelon», und beide dem jungen Grafen von Kyburg vermacht. 1793 werden in Täuffelen 32 und in Gerolfingen 34 Häuser gezählt. Damals, so sind sich die Chronisten im «Blitz» sicher, gehörten die beiden Dörfer bereits zusammen. 1850 zählte Gerlafingen-Teuffelen (Gerolfingen wurde damals noch zuerst genannt), 812 Einwohnerinnen und Einwohner. Von 1870 bis 1901 waltete erstmals ein Gemeindepräsident über die Dörfer: Es war Abraham Struchen, Landwirt und Wirt zum «Schwanen».

1895 fand der letzte Namenswechsel von «Teuffelen» zu «Täuffelen» statt. «Gerlafingen» hiess ab 1899 «Gerolfingen» – die Solothurner hatten reklamiert, dass ihr Dorf «Gerlafingen» bereits länger besteht. 1901 wurde die Gemeinde letztmals von Gerolfingen aus regiert. Von da an wurde die Gemeinde Täuffelen-Gerolfingen genannt. Jat

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Härdöpfuchueche à la Stefan 

Zutaten für zirka 4 bis 6 runde Kuchen
 
1 kg geraffelte Gschwellti (weichkochende Kartoffeln)
350 g weiche Butter
Salz zum Würzen
Mehl zum Kneten und 
Auswallen
Sauerrahm
Rahm
Speckwürfeli (wer will)
Zwiebeln (wer will)
 
Zubereitung: Die an der Rösti-raffel geriebenen Kartoffeln mit 350 g weicher Butter vermengen, mit Salz abschmecken. Mehl beigeben und kneten, bis der Teig knapp nicht mehr klebt. Auf genügend Mehl dünn auswallen, in gut gefettetes, gemehltes Blech geben und mit Sauerrahm- und Rahmgemisch bestreichen. Eventuell mit Speckwürfel und Zwiebeln belegen und im Ofen (Pizzaprogramm, 240 Grad Celsius oder mehr) backen. Belag sollte nicht zu trocken werden. Teig nicht zu dunkel. Aus dem Blech nehmen, rollen und geniessen. Stefan Dasen
 
Stichwörter: Gerolfingen, Serie, Dorf

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