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Obergericht

Er wähnte sich in Todesgefahr

Gestern fällte das Obergericht ein Urteil, das niemanden überraschte: Der Bieler Peter Hans Kneubühl gilt weiterhin als schuldunfähig und soll sich einer Therapie unterziehen.

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Ursula Grütter

Die gestrige Urteilsverkündung im Fall von Peter Hans Kneubühl begann mit drei Freisprüchen. Das Obergericht sah es als nicht erwiesen an, dass Kneubühl in der Nacht vom 9. September 2010 in Richtung Wohnungstüre schoss, um die dahinter stehenden Polizisten zu töten. Er habe vielmehr gegen die Wand gezielt, begründete Hanspeter Kiener als Obergerichtspräsident den Freispruch. Auch bei zwei weiteren Schussabgaben könne der Tatbestand der versuchten vorsätzlichen Tötung nicht genügend nachgewiesen werden und so gelte «in dubio pro reo», im Zweifel für den Angeklagten.

Dennoch: In vier anderen Fällen, die insgesamt sieben Polizisten betreffen, bestätigte das Obergericht das erstinstanzliche Urteil mit dem Tatbestand der versuchten vorsätzlichen Tötung. In einem Fall mit drei involvierten Polizisten liegt für das Obergericht zudem der Tatbestand «Gefährdung von Leben» vor.

Und für das dreiköpfige Richtergremium war klar, dass der damals 67-Jährige zur Tatzeit schuldunfähig war, im Sinne von Artikel 19 des Schweizerischen Strafgesetzbuches.

«Es geht um die Tat»
Wie sehr sich das Obergericht mit den Akten zum Fall auseinandergesetzt hat, zeigte sich am Einstieg in die Urteilsbegründung. Kneubühl hatte in seinen Schreiben mehrmals auf das Buch von Franz Kafka «Der Prozess» hingewiesen. «Jemand muss Josef K. verleumdet haben, denn ohne dass er etwas Böses getan hatte, wurde er eines Morgens verhaftet», las Kiener vor. So sei es aber bei Peter Hans K. nicht gewesen, fügte er an. Dieser habe das Leben von anderen Menschen gefährdet, auf sie geschossen. Diese Tat und nichts anderes habe das Gericht zu beurteilen gehabt.

Es gehe nicht darum, ob er seine Schwester vergewaltigt, oder gar seinen Vater umgebracht habe. Und es gehe auch nicht darum, ob er ein Kommunist und Staatsfeind sei, oder ein Opfer der Machenschaften seiner Schwester. Daher habe das Obergericht diesbezügliche Beweisanträge zur Entlastung auch abgelehnt. Dies sei die Welt von Kneubühl und nicht die des Gerichts, so Kiener.

Was für das Obergericht zählte, war «eine eindrückliche Vielfalt von Beweismitteln» zu den Geschehnissen vom 9. und 10. September 2010. «Auf den Videoaufnahmen kann man zwei Straftaten direkt mitverfolgen», führte Kiener aus.

Die etwas andere Realität
Eine zentrale Frage bei diesem Berufungsverfahren war die Zurechnungsfähigkeit von Kneubühl während der Tatzeit. Kiener nannte es die Kernfrage. Ist der 67-Jährige «schuldunfähig»? Das Regionalgericht Berner Jura-Seeland war als erste Instanz zu diesem Schluss gekommen. Und das Obergericht bestätigte dies. Es stützte sich dabei auf ein 60 Seiten umfassendes Gutachten ab. «Es stand ein riesiger Umfang an Material zur Verfügung», so Kiener, und es sei umfassend abgeklärt worden. Dass Kneubühl in einer anderen Art von Wahrheit lebt, demonstrierte Kiener im Gerichtssaal. «Peter Hans Kneubühl hat dem Gerichtspräsidenten des Regionalgerichts vorgeworfen, er habe ihm seine Tagebücher gestohlen und vernichtet. Hier sind sie», sagte er und zeigte auf einen Tisch mit Kisten voller Material.
Ein Wahn sei oft auf etwas gerichtet, das nicht per se umöglich sei, führte Kiener aus. Überwachungsstaaten, das gebe es. Doch das, was der Rentner aus Biel erlebt habe, sei nicht real. So seien nicht 1050 Polizisten mit Helikopter und Drohnen ausgerüst angerückt, um Kneubühl zu töten. Doch Kneubühl habe mit dem Tod gerechnet und Widerstand als Pflicht erachtet. Das sei nicht seine Schuld, das sei Teil seiner Krankheit. Eine Therapie sieht das Gericht als Chance für den heute 70-Jährigen. Und Kiener warnte den Abwesenden: «Wenn mittelfristig keine Veränderung feststellbar ist, muss eine Verwahrung in Betracht gezogen werden».

Keine Überraschung
Da Kneubühl dem Berufungsprozess fern blieb, wird er das Urteil in schriftlicher Form erhalten. Sein amtlicher Verteidiger Philipp Kunz sprach von einem Urteil, das in «fachlicher Hinsicht» wenig überrasche.

Gegenüber dem «Bieler Tagblatt» gab auch Generalstaatsanwalt Markus Schmutz eine Einschätzung ab: «Ich rechne damit, dass Peter Hans Kneubühl das Urteil anficht.» Er habe aber auch den Eindruck, dass es ihm im Regionalgefängnis «nicht unwohl» sei. Er pflege jetzt wieder soziale Kontakte und der Führungsbericht der Gefängnisleitung sei sehr gut ausgefallen.

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