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Mein Montag

«Margherita ist mir zu langweilig»

Spresim Ajroja ist beim Nidauer Lieferanten Pizzabakers der Mann für alles. Er nimmt Bestellungen entgegen, backt Pizzas, putzt und liefert aus – seit der Pandemie im Akkord.

Der 36-Jährige arbeitet seit der Eröffnung des Lieferdienstes dort. Er ist dreifacher Vater und wünscht sich, bald eine Ausbildung machen zu können. Bild: Matthias Käser
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Aufgezeichnet: Hannah Frei

Seit Beginn der Pandemie liefern wir deutlich mehr Essen aus. Das ist natürlich erfreulich. Aber seither haben wir abends während zwei Stunden Stosszeit, quasi einen zweiten Mittag. Zuvor hatten wir jeweils von 17 Uhr bis 23 Uhr durchgehend Arbeit, nun wollen jedoch alle zwischen 18 Uhr und 20 Uhr ihre Essen geliefert haben. Das macht es für uas als kleises Team schwierig, die Kunden zufriedenuzstellen. Wir sind normalerweise zu zweit im Geschäft, mein Chef Artim Mena und ich. Manchmal hilft uns seine Frau im Laden und wir haben auch ein paar Aushilfen für die Auslieferungen. Trotzdem ist es für uns manchmal schwer, die Lieferzeiten einzuhalten. Ich habe den Eindruck, dass die Kundinnen und Kunden zurzeit ungeduldiger sind. Wenn ihr Essen zehn Minuten zu soät kommt, beschweren sich manche bereits. .Es gibt auch solche, die agressiv und unfreundlich werden. Grundsätzlich sind die Kunden aber freundlich und zeifen Verständnis. Mir ist es wichtig, den Kontakt zu ihnen aufrecht zu erhalten, sie anzurufen, falss wir zu spät liefern, so nehmen die dies auch lockerer auf.

Sorgen macht uns zurzeit die Onlineplattform eat.ch. Bis vor etwa zehn Jahren bestellten die Leute bei uns ausschliesslich telefonisch. Heute bestellen hingegen die meisten nur noch über diese Plattform. Der Bestellvorgang ist einfach, man kann mit Kreditkarte bezahlen, manchmal gibt es sogar Gutscheine, und die Auswahl an Lieferanten ist gross. Als Pizzalieferant sind wir praktisch gezwungen, dabei zu sein, um überhaupt noch an Kunden zu gelangen. Klar ist es für uns gut, wenn wir auf diese Weise neue Kunden generieren können. Aber eat.ch verlangt eine deftige Provision. Und diese steigt stetig. Wenn es so weitergeht, wird es für die Lieferanten sehr schwierig. Ich kenne viele Essenslieferanten in der Region. Praktisch jeder überlegt sich, wie er sich von eat.ch lösen kann, um seinen Betrieb zu sichern.

Angefangen hat das Problem etwa vor zehn Jahren. Zuerst war es noch die Plattform Foodarena. Damals war das Angebot jedoch noch neu, eine Pizza bestellte man noch telefonisch. Mit den Jahren hat sich das ins Digitale verschoben. Ich denke, dass sich viele Kundinnen und Kunden gar nicht bewusst sind, was für Einbussen die Vermittlung über eine Online-Plattform für die Lieferanten bedeutet.

Ich arbeite in der Gastronomie, seitdem ich 1999 aus Nordmazedonien in die Schweiz gekommen bin. Meine Geschwister, meine Mutter und ich sind damals als Nachzügler meinem Vater gefolgt, der zu dieser Zeit schon ein paar Jahre in Biel arbeitete. Unsere Familie ist in der Gastronomie zuhause, auch mein Vater war jahrzehntelang in dieser Branche tätig. Wir haben dann gemeinsam in der Gastronomie gearbeitet. Ich war unter anderem Pizzaiolo in der Pizzeria Seeland und in der «Trattoria» in Biel. Bei «Pizzabakers» bin ich seit dem Beginn vor sechs Jahren dabei. Ich mache hier eigentlich alles: Teig vorbereiten, Pizzas backen, Dürüm und Burger zubereiten, putzen, Bestellungen annehmen und natürlich ausliefern. Im Lieferdienst fühle ich mich aber mehr zuhause. Die Arbeitszeiten sind besser als in den meisten Restaurants.

Bei den Bestellungen ist es wichtig, auf die Details und Spezialwünsche zu achten. Besonders dann, wenn jemand eine Allergie hat. Wenn wir 20 bis 30 Bestellungen vor uns haben, sind Zwiebeln auf einer Pizza für uns etwas sehr Kleines. Für den Kunden hingegen ist dies sehr wichtig. Oder auch das Besteck bei einer Pasta-Bestellung am Mittag: Wenn wir es vergessen würden, würde der Kunde beim nächsten Mal bei einem anderen Lieferanten bestellt. Die Konkurrenz ist gross.

Die Studien sagen, dass Margherita in der Schweiz die meistbestellte Pizza ist. Aber bei «Pizzabakers», und ehrlich gesagt auch überall sonst, wo ich gearbeitet habe, sind es eher Prosciutto, Hawaii und Salami. Bei uns ist momentan die Gyros-Pizza hoch im Kurs, mit Kebab-Fleisch, Pommes und Cocktailsauce. Das mögen vor allem die Kinder. Und ja, ich mag Pizza auch nach all den Jahren immer noch sehr gerne. Für mich selbst belege ich sie immer wieder mit anderen Zutaten, manchmal mit Gemüse und Thon, manchmal mit Fleisch. Ich probiere gerne Neues aus. Margherita ist mir zu langweilig.

Mein Chef arbeitet praktisch sieben Tage die Woche. Ich arbeite im Moment 50 Prozent, zwar praktisch täglich, aber jeweils nur während der Stosszeiten für ein paar Stunden. Ich und meine Frau haben drei Söhne, 13, 11 und 6 Jahre alt. Seitdem meine Frau wieder arbeiten geht, habe ich mein Pensum reduziert, um mehr bei meinen Kindern zu sein. Sie werden aber immer selbstständiger, sodass ich das Pensum wohl bald wieder erhöhen kann.

Freizeit für mich selbst habe ich im Moment wenig. Ich versuche, mit meinen Kindern so aktiv wie möglich zu sein. Schwierig ist für mich momentan der Umgang der Kinder mit den Smartphones und der Playstation. Alles verbieten will ich ja nicht. Die Kinder sollen auch zufrieden sein. Aber das führt zu Konflikten. Ich gebe alles, um eine gute Balance reinzubringen, sodass die Kinder nicht zu viel vor dem Bildschirm sitzen und im Unterricht dranbleiben. Doch seit Corona ist dies noch schwieriger geworden.

Ich kann gut nachvollziehen, dass eine Playstation spannender sein kann als alles andere. Ich habe das als Kind selbst erlebt. Ich war bis in die vierte Klasse ein Musterschüler, dann aber hat mir mein Vater aus der Schweiz eine Spielkonsole mitgebracht. Und danach ging es bei mir bergab. Dies möchte ich bei meinen Kindern unbedingt verhindern.

Mir gefällt mein Job. Aber es belastet mich, dass ich nie eine Ausbildung abgeschlossen habe. Ich würde gerne mehr machen, weiterkommen im Leben, vielleicht einmal etwas Eigenes auf die Beine stellen. Letztes Jahr habe ich den allgemeinbildenden Unterricht für Erwachsene in Bern besucht und mit der Note 5.5 abgeschlossen. Darauf bin ich sehr stolz. Damit kann ich eine verkürzte Lehre absolvieren.

In welchem Bereich ich diese machen werde, weiss ich noch nicht. Ich brauche noch ein bisschen Zeit, um mich zu entscheiden und um zu schauen, wie es beruflich bei meiner Frau weitergeht. Seit einem Jahr bin ich nun bei der freiwilligen Feuerwehr. Wenn ich dort mehrere Jahre dabei bin, erhalte ich die Möglichkeit, die Berufsmatur zu absolvieren. Danach könnte ich sogar studieren gehen – wer weiss.

Alle Folgen der Serie finden Sie unter www.bielertagblatt.ch/montag

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