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Samstagsinterview

«Seit ich zehn Jahre alt bin, bin ich mit dem Koch-Virus infiziert»

Ein Weltmeister verlässt Biel: Beat Weibel, seit zehn Jahren Leiter Gastronomie in der Residenz au Lac. Mit 55 Jahren sucht er eine neue berufliche Herausforderung in Bern. Bekannt ist der Lysser insbesondere als Koch-Weltmeister 2007. Wettkampfkochen und den Stress in der Spitzengastronomie kennt er als Präsident eines speziellen Vereins gut.

Beat Weibel. Bild: Peter Samuel Jaggi

Interview: Bernhard Rentsch

Beat Weibel, wie führte Sie Ihr Weg als Schüler in die Küche?
Beat Weibel: Ich lag als Bub im Alter von zehn Jahren krank im Bett und hörte im Radio die Geschichte eines Kochs und seiner Karriere. Das Thema packte mich, mein Berufsziel war klar. Nach mehreren Schnupperlehren fand ich in der Person von Pierre Sager, der damals im Hotel Worbenbad Küchenchef war, einen ersten Mentor. Das innere Feuer brannte sofort. Die Ausbildung machte ich bei Willy Gerber, der die Nachfolge von Pierre Sager antrat. Neben dem charismatischen Lehrer Armin Fuchs war ich stets von Menschen umgeben, die mich förderten und forderten und mir dadurch die Türen in die faszinierende Welt des Kochens öffneten. Dieses Gen ist bis heute in mir drin und meine Kochkleider trage ich mit Stolz.

Im Verlaufe der Karriere übernahmen Sie andere Aufgaben auch ausserhalb der Küche. Diese blieb aber stets ein wichtiger Ort für Sie. Sticht dabei in der Welt der Kochtöpfe und Herdplatten ein spezielles Erlebnis heraus?
Der Alltag war stets geprägt von vielen Erlebnissen. Da sticht aber nichts besonders heraus. Mir war immer wichtig, dass ich mit Herzblut und Leidenschaft alle meine Aufgaben anging und meisterte. Bleibende Erinnerungen gibt es eher von meinen Tätigkeiten in der wettkampfmässigen Kochkunst.

Bleiben wir noch beim Alltag: Ist Ihnen auch Peinliches passiert?
Fehler ja, Peinliches eigentlich nicht. Ein grosser Fauxpas passierte mir einmal im Hotel Dolder in Zürich, als mich mein strenger Chef Paul Spuhler bei der Zubereitung eines Lammrückens darauf aufmerksam machte, dass das Fleisch zu viel angebraten war. Es blieb keine Zeit zur Korrektur und wir mussten «schicken», der Gast war auch nicht unzufrieden. Im Vieraugengespräch teilte mir der Chef danach aber in wenigen sehr deutlichen Worten mit, dass man einen solchen Fehler nur einmal machen darf. Daraus habe ich viel gelernt. Vor allem auch, wie man effizient Kritik anbringen kann. Über den Fall haben wir nie wieder gesprochen.

Das war die positive Art von Kritikvermittlung. Offenbar wird in grossen Küchen Kritik aber nicht immer auf diese feine Art angebracht. Es herrschen klare Hierarchien, der Ton ist zuweilen laut, es fliegen auch mal Kochlöffel. Realität?
Die grosse Hektik lässt es nicht zu, über alles zu diskutieren. Da kann es sicher auch mal laut werden. Alltag ist das aber nicht. Klare Strukturen und klare Befehle braucht es. Sonst erreicht das Team das Ziel nicht.

Nicht alle halten diese Hektik und den Leistungsdruck aus?
In der Tat ist dies wohl ein Grund für die relativ grosse Fluktuation in unserem Beruf. Der Alltag ist hart, es ist heiss und man schwitzt, man nimmt den Geruch der Küche an und riecht nicht immer appetitlich. Dazu sind die Arbeitstage lang und die Arbeitszeiten unregelmässig und unattraktiv. Trotzdem: Wen die Leidenschaft packt, der nimmt das alles in Kauf. Das Positive überwiegt.

Haben Sie aufgrund der geschilderten Hürden in Ihrem Beruf Nachwuchssorgen?
Das ist nicht ein grosses Problem. Wir finden immer wieder Jugendliche, die die Ausbildung mit viel Freude und Talent in Angriff nehmen. Wer sich durchbeisst, wird mit einer sehr erfüllenden und kreativen Aufgabe belohnt.

Wir haben den Wettkampf und den Teamgedanken angesprochen – so, wie man im Sportjargon davon spricht. Wie beurteilen Sie die Tatsache, dass Ihr Beruf dem Leistungssportgedanken zugeordnet wird?
Das Messen mit andern ist für mich interessant und wichtig. So sehe ich, wo ich stehe, und kann mich richtig einschätzen. Den Alltag zu meistern, Erwartungen zu erfüllen, oder sogar zu übertreffen ist die grundsätzliche tägliche Herausforderung. Höchstleistungen auch unter Wettkampfbedingungen zu erbringen, ist dann noch ein zusätzlicher Kick. Ein Teil des Reizes ist der Vergleich mit Köchen aus andern Ländern und Kulturen. Ganz wichtig ist dazu aber auch der Teamgedanke. Es ist eine Herausforderung, den Schwächsten im Team so mitzunehmen, dass man gemeinsam die Stärksten ist. Man gelangt an Grenzen und merkt, dass man diese Grenzen im Team übersteigen kann.

Wie ist das möglich?
Man merkt sehr schnell, wenn man eigentlich nicht mehr weiterweiss. Und doch geht dann noch etwas. Dieser Schritt weiter ist dann das Erfolgserlebnis.

Im Mittelpunkt steht das Streben nach Perfektion. Wie erreicht man diese beim Kochen?
Das beginnt bei der qualitativen Auswahl der Produkte und der Texturen. In Kombination mit Saucen und Beilagen streben wir diese Perfektion an – immer wieder und immer in kleinen Schritten. Wenn ich als Koch dann beim Testen «wow» sage, dann ist das ein Schritt in die richtige Richtung. Und wenn dann auch der Gast oder die Jury «wow» sagen, habe ich als Koch alles richtig gemacht.

Das Streben nach diesem «wow» kann auch zur Sucht werden. Sind Sie als Esser dermassen verwöhnt, dass nur noch das Beste gut genug ist?
Nein, ich koche und esse in der Regel ganz normal. Wir Köche sind grundsätzlich nicht anspruchsvoll. Ich habe gerne zwischendurch ein Stück paniertes oder geschmortes Fleisch, es muss nicht Filet oder Foie gras sein.

Trotzdem werden Sie wohl eher als «schwieriger» Gast angesehen. Hemmungen Ihnen gegenüber werden da sein. Werden Sie privat überhaupt zum Essen eingeladen?
Ich bin ja privat als Beat Weibel unterwegs und nicht als Gastrokritiker. Ich habe Freude, wenn ich mich hinsetzen und verwöhnen lassen kann. Aber ja, eingeladen zu werden ist in der Tat ein Problem. Es gab eine Phase, in welcher man mich und meine Frau am liebsten mit Raclette oder mit Geschwellten und Käsetellern bewirtete. Mittlerweile gibt es im Umfeld Freunde, die mich gut kennen – und zum Glück ganz «normal» und aus meiner Sicht extrem fein kochen. Ich geniesse ein Essen, das nicht speziell für mich, sondern für die ganze Familie gekocht wird. Dazu gehören das Zusammensitzen und gute Gespräche. Und ein Glas guter Wein ist auch nicht zu verachten.

Zurück zum Wettkampf: Zum Gewinnen gehört auch das Verlieren – auch in Ihrer Branche zuweilen mit dramatischen Konsequenzen.
Im Wettkampf zu scheitern, ist selten dramatisch. Man kommt an eine Grenze und der Konkurrent ist besser. Den ungesunden Druck, den nicht zuletzt die Medien und die Öffentlichkeit mit dem bekannten Punkte-Bewertungssystem fördern, beurteile ich hingegen kritisch. Auch ich hatte Kollegen, die sich deswegen das Leben genommen haben.

Dennoch: Auch im Wettkampf zählt eigentlich nur der Sieg, in Ihrem Fall als Höhepunkt der Weltmeistertitel, den Sie 2007 in Chicago feiern durften?
Die Titel sind das eine, die Momente, in denen man gemeinsam durch Dick und Dünn geht, bleiben aber nachhaltiger. Sechs Spitzenköche auf einer Mauer sitzend und mit Tränen in den Augen, weil sie nicht reüssiert haben – das verbindet. Wenn man mit der gleichen Gruppe dann kurze Zeit später ein Spitzenresultat erzielen kann, gibt dies eine unheimliche Befriedigung und fördert den Berufsstolz.

Es fällt mit Blick auf die erfolgreichen Teams auf, dass keine höchstdekorierten Spitzenköche dabei sind. Es sind häufig Köche aus Küchen von Spitälern, Altersheimen oder anderen Mensen in der Nationalmannschaft. Machen da die Besten nicht mit?
Es sind die Besten. Die sind nicht nur in Gourmetrestaurants tätig. Die Arbeit in der sogenannten Gemeinschaftsgastronomie ist genau die gleiche Herausforderung. Unsere Stammgäste in den Altersinstitutionen essen täglich bei uns und fordern auch täglich Bestleistungen. Die Struktur in diesen Betrieben lässt es aber eher zu, die nebenberufliche Tätigkeit für den Wettkampf zu trainieren und auszuüben. Das braucht viel Zeit, die in einem Gourmetrestaurant häufig nicht zur Verfügung steht.

Weshalb haben Sie sich persönlich für die Arbeit in der Gemeinschaftsgastronomie und nicht für eine Karriere als selbstständiger Sternekoch entschieden?
Der Aufwand als Gastronom mit einer hohen Gault-Millau-Punktezahl ist zeitlich und finanziell enorm hoch und riskant. Ich setzte die Prioritäten eher wie beschrieben im Wettkampfbereich. Beides liegt nicht drin.

Seit zehn Jahren sind Sie nun als Leiter Gastronomie in der Bieler Residenz au Lac tätig. Weshalb führte Sie Ihr Weg in eine Seniorenresidenz?
Die Balance zwischen den Tätigkeiten in meinem Beruf und Managementaufgaben reizt mich. Ich motiviere sehr gerne Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in verschiedenen Bereichen. Den Aufbau der neuen Residenz mitgestalten zu dürfen, war eine sehr bereichernde Aufgabe.

Und trotzdem gehört diese schon sehr bald der Vergangenheit an. Sie verlassen in diesen Tagen Ihren Arbeitsplatz der letzten zehn Jahre und beginnen im April als Leiter Hotellerie in der Berner Seniorenresidenz «Der Burgerspittel». Weshalb dieser Wechsel?
In Biel haben wir einen Brand aufgebaut, der für Qualität steht und den Bewohnenden Sicherheit und ein Daheim bietet. Wir haben einen bemerkenswerten Stellenwert punkto Logistik, Pflege und eben auch Gastronomie erreicht. Bei mir kam nach zehn Jahren noch einmal der Wunsch nach einer Veränderung auf. Ich möchte noch einmal etwas anpacken und bewegen. Die Chance in Bern kommt vielleicht nicht noch einmal, mit 55 Jahren hat man nicht mehr so viele Möglichkeiten. Zudem: Das Team in der Residenz au Lac ist dermassen stark, dass ich mit gutem Gewissen gehen kann. In Biel wird alles so gut weiterlaufen wie bisher. Die kulinarische Qualität wird dieselbe bleiben.

Was ist für Sie anders und neu in Bern?
Der Teil der öffentlichen Gastronomie fällt zwar weg. Das Führen der Teams Küche, Service, Wäscherei und der Reinigung werden mich aber genügend fordern.

Was wird Ihnen in Bern an Biel fehlen?
Die Zweisprachigkeit. Es war bereichernd, dass ich mich zwischendurch auf Französisch durchschlagen musste. Dann fällt sicher auch die Nähe zum See weg. Das kann ich allerdings mit Mountainbike-Touren ab Lyss durch das ganze Seeland kompensieren.

In der Residenz au Lac kamen regelmässig «Stars» aus Ihrer Branche vorbei. Anton Mosimann oder Andreas Caminada standen in der Küche. Brechen diese Kontakte nun ab?
Nein. Natürlich wurden diese Gastspiele durch meine Kontakte möglich. Ich bin in der ganzen Szene vernetzt. Durch meine Funktion als Präsident des Cercle des Chef de Cuisine de Berne bleibt dies alles erhalten.

Was ist die Aufgabe dieses Vereins?
Unser Verein dient dem fachlichen und persönlichen Austausch unter Berufskollegen, also dem eigentlichen Networking. Der Cercle ist schon fast 100 Jahre alt. Mitglieder sind Küchenchefs, die auf Empfehlung und mit der Unterstützung von zwei Göttis aufgenommen werden. Ursprünglich hatte das Vernetzen der Küchenchefs auch einen sozialen Hintergrund, waren doch Fragen der Altersvorsorge oder von Versicherungen gerade im Gastgewerbe noch kaum geregelt. Unterdessen stehen Fragen wie Aus- und Weiterbildung, die Zusammenarbeit mit Lieferanten oder die gegenseitige Vermittlung von Fachkräften im Mittelpunkt. Die monatlichen Treffen bieten Weiterbildung und Geselligkeit.

Beim Blick auf Ihre Mitgliederlisten fällt auf, dass kaum Frauen darunter sind.
Das ist so – leider. Die Karrieren der Küchenchefs sind nicht sehr familienfreundlich und deshalb sind in den Chefpositionen nur wenige Frauen zu finden. Das bedaure ich und wir versuchen, dies zu korrigieren. Aufgabenbereiche oder Arbeitszeiten sind jedoch grosse Herausforderungen. Der Cercle des Chef de Cuisine de Berne ist aber überhaupt nicht frauenfeindlich. Die anderen gleichgearteten Vereine kennen die gleichen Rekrutierungsprobleme.

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